Kapitalismus + Peak Oil = Gesundheitskatastrophe
Post-Fossile Gesundheit in Solidarischer Postwachstumsökonomie
von Andreas Exner
Peak Oil, der Höhepunkt der Erdölförderung, ist wahrscheinlich 2008 eingetreten. Nun stellten die USA in einer öffentlichen Erklärung am 9.6.2011 fest, dass das Angebot von Öl die Nachfrage nicht mehr decken kann. Damit wird bestätigt, worauf Abweichler aus der Energiebranche und eine wachsende Zahl kritischer Erdölgeolog*innen schon seit Längerem hinweisen: dass die Ära des billigen und scheinbar unerschöpflichen Erdöls endet. Unsere gesamte Wirtschafts- und Lebensweise wird damit aus den Fugen geraten und eine neue Form finden müssen. Nicht zuletzt hat Peak Oil enorme Auswirkungen auf unsere Gesundheit.
Was ist Peak Oil?
Eine jüngst im Internet veröffentlichte Studie von Werner Zittel im Rahmen des Forschungsprojekts „Save our Surface“, das der österreichische Klima- und Energiefonds finanziert, stellte fest: Peak Oil, der Höhepunkt der weltweiten Erdölförderung, wurde wahrscheinlich 2008 erreicht. Damit steht die Studie nicht allein da. Nach einer Untersuchung durch Krumdieck et al. (2010) auf Basis der 11 am meisten zitierten geologischen Analysen zu Peak Oil ist 2010 das wahrscheinlichste Jahr, in dem Peak Oil eintritt. Alle Peak Oil-Angaben, die in der Literatur zu finden sind, liegen vor dem Jahr 2030. Im Jahr 2011 beträgt demnach die kumulative Wahrscheinlichkeit, dass Peak Oil erreicht worden ist, 50%, im Jahr 2015 ist Peak Oil mit 80%-iger Wahrscheinlichkeit erreicht. Selbst wenn man also einer einzigen geologischen Analyse nicht vertrauen möchte – Methoden der Risikoanalyse zeigen: wir sollten uns darauf einstellen, dass Peak Oil eingetreten ist.
Der Peak stellt, anders als der Begriff suggeriert, keine klare Förderspitze dar, die Förderung erreicht vorderhand einmal ein Plateau. In der ersten Phase des Peaks nimmt vor allem die Volatilität, das heißt die Schwankungsbreite des Ölpreises zu. Das genaue Datum des Peak Oil ist erst viele Jahre danach mit Sicherheit festzustellen. Für die Auswirkungen der Begrenzung der Gesamtförderung, die das „Peak Plateau“ charakterisiert, ist dies nicht erheblich.
Peak Oil heißt, dass die Hälfte des überhaupt vorhandenen Erdöls gefördert worden ist. Das klingt im ersten Moment wenig dramatisch. Doch ist damit ein Epochenbruch verbunden. Die Grenzen des Kapitalismus als eines gesamtgesellschaftlichen Systems wirtschaftlichen Wachstums, genauer gesagt: das Wachstums des Kapitals sind definitiv erreicht.
Nach Peak Oil wird die förderbare Menge Erdöl mit jedem Jahr notwendig geringer – auch wenn modernste technische Mittel eingesetzt werden und größter Aufwand betrieben wird. Man kann Ölfelder zwar mit erhöhter Fördergeschwindigkeit und damit auch größerem Aufwand leerpumpen, allerdings verschärft sich dann der Produktionsabfall und die Gesamtproduktionszeit der betreffenden Felder. Schon seit vielen Jahren steigt der Aufwand – technisch und finanziell – um neue Ölfelder zu finden, zu erschließen und auszubeuten. Das hat der Energieanalyst Matthew Simmons in Hinblick auf die saudischen Erdölfelder, die eine strategische Bedeutung für die Weltölversorgung haben, anschaulich gezeigt. Werner Zittel hat diese Tendenz empirisch exakt in der Peak Oil-Studie des Forschungsprojekts „Save our Surface“ nachgewiesen. Mit steigendem Förderaufwand sinkt der Nettoenergieertrag (EROEI), das heißt, man muss immer mehr (fossile) Energie einsetzen, um eine bestimmte Menge (fossiler) Energie zu gewinnen. Das ist der Grund, weshalb der Preis von Erdöl langfristig steigen muss, egal ob die Nachfrage sinkt oder steigt.
Das Angebot an Erdöl sinkt darüberhinaus auf jeden Fall, was die Preise selbst bei gleichbleibender Nachfrage in die Höhe treibt. Dazu kommt, dass die erdölfördernden Staaten immer mehr von ihrem Erdöl für den eigenen Konsum behalten werden. Unter anderem, um das Erdöl und die mit ihm möglichen finanziellen Gewinne in den Ausstieg aus der Erdölwirtschaft zu investieren. Das heißt: Erdöl wird sich am Weltmarkt sehr viel rascher verknappen als es sich insgesamt verknappt.
Werner Zittel, Energieexperte der Ludwig-Bölkow-Systemtechnik und Autor der Peak Oil-Studie des Forschungsprojekts „Save our Surface“ fasst zusammen:
(1) Das weltweite Ölfördermaximum (Peak Oil) wurde mit großer Wahrscheinlichkeit im Jahr 2008 überschritten. Ihm war seit 2005 eine Phase stagnierender Ölförderung trotz der um den Faktor 3-4 steigenden Ölpreise vorausgegangen.
(2) Nach Überschreiten des Fördermaximums wird die weltweite Ölförderung mit ca. 3% pro Jahr zurückgehen. Dieser Förderrückgang wird die weltweit verfügbare Ölmenge im Jahr 2030 auf etwa die Hälfte der heutigen Menge reduzieren.
(3) Im Jahr 2030 wird Mitteleuropa nur noch geringe Mengen Erdöl zu überproportional hohen Kosten importieren.
(4) Diese Trends werden durch den sinkenden EROEI (Energy Return on Energy Invested) verstärkt: Es wird immer mehr Energie zur Förderung einer Energieeinheit investiert.
Was heißt Peak Oil für den Kapitalismus?
Erdöl hat eine Schlüsselbedeutung für die gegenwärtige Energieversorgung. Die Key World Energy Statistics 2010 der International Energy Agency (IEA) zeigen, dass Erdöl rund 33% des Weltprimärenergiebedarfs bereit stellt. Zusammen mit fossiler Kohle und Erdgas bilden die fossilen Energieträger rund 80% der Weltprimärenergieversorgung. Für Kohle ist der Peak, wenn man den Verbrauchstrend fortschreibt, um 2025 zu erwarten. Der Nettoenergieertrag der Kohle sinkt bereits heute. Bei Erdgas wurde der Peak in Europa erreicht. Es ist unwahrscheinlich, dass Importe aus Russland die Versorgungslücke in den kommenden Jahren schließen können. Eine genaue Analyse von Peak Coal und Peak Gas findet sich ebenfalls in der Studie von Werner Zittel für das Forschungsprojekt „Save our Surface“.
Peak Oil bedeutet damit den Anfang vom Ende des fossilen Zeitalters. Weil Erdöl der bestimmende Energieträger für den Transport ist und der Transport für die globalisierte Wirtschaft das entscheidende Verbindungsglied darstellt, wirkt sich eine Verknappung und Verteuerung von Erdöl verheerend auf die globalisierten Produktionsketten aus. Die Verteuerung von Erdöl war bereits einer der Auslöser für den Kriseneinbruch 2008. Dies war jedoch nur ein übler Vorgeschmack auf das, was kommen kann. David Korowicz von der NGO FEASTA hat in seinem Report „Tipping Point“ (auf Deutsch hier) 2010 dargestellt, dass Peak Oil mit gewisser Wahrscheinlichkeit einen Kollaps des gegenwärtigen Wirtschafts- und Gesellschaftssystems bewirken kann. Die Gefahr ist also sehr ernst zu nehmen.
Dabei ist im Blick zu behalten, dass es für eine Anpassung an Peak Oil im eigentlichen Sinne wahrscheinlich zu spät ist. In einer 2005 für die US-Energiebehörde erstellten Studie kommen Robert L. Hirsch, Roger Bezdek und Robert Wendling zum Schluss, dass
Tragfähige Anpassungsmöglichkeiten sowohl auf der Angebots- als auch auf der Nachfrageseite bestehen. Für einen substanziellen Effekt müssen diese allerdings mehr als 10 Jahre vor dem Peak eingeleitet werden.
Alle Institutionen, Akteure, Erwartungshaltungen und gesellschaftlichen Normen sind an steigendem Energie- und insbesondere Erdölkonsum ausgerichtet. Unsere Gesellschaft hat sich die letzten Jahrzehnte über parallel zu steigendem (fossilen) Energiekonsum entwickelt. Allein schon wenn dieser nicht weiter gesteigert werden kann, bedeutet dass eine ernsthafte Grenze für die Fortführung der gegenwärtigen Art zu produzieren und zu leben. Kehrt sich dieser Trend um, so steht die Wirtschaftsweise des Kapitalismus, der auf ständigem Wachstum beruht, zur Disposition. Nicht der Klimawandel, Peak Oil ist die ökologische Krise des Kapitals.
Wird Erdöl knapp, erhöhen sich die Produktionskosten für alle Betriebe, die Erdöl direkt verwenden sowie für alle Betriebe, die Vorprodukte von diesen Branchen beziehen. Das hat ab einem gewissen Punkt eine Reihe von Folgewirkungen, die hier stichwortartig in Form eines Szenarios genannt sein sollen: Firmen machen bankrott, Banken vergeben weniger Kredit, was das Wachstum schwächt und weitere Firmen in den Bankrott treibt. Das erhöht die Arbeitslosigkeit, was die Nachfrage nach Konsumgütern reduziert und neue Runden von Firmenzusammenbrüchen mit danach weiter ansteigender Arbeitslosigkeit bewirkt. Aufgrund fallender Profite (durch steigende Produktionskosten) und in der Folge abnehmender Profiterwartungen sinkt die Nachfrage nach Investitionsgütern. Dies schränkt Output, Kreditvergabe und Profite weiter ein. Banken, deren Kredite faul werden und deren Kreditketten reißen, brechen zusammen. Staaten können nicht mehr per Schuldenaufnahme kompensierend eingreifen, weil ihre Haushalte seit 2008 zunehmend überlastet sind. Darüberhinaus bricht eine Panik auf den Kapitalmärkten aus und Investitionen in Staatsanleihen werden zusehends zugunsten scheinbar sicherer Investments in Gold und Immobilien verschoben. Ein Großteil des Kapitals an den Finanzmärkten wird entwertet, weil sein Volumen die Möglichkeit solcher scheinbar krisensicherer Investments bei weitem übersteigt.
Wird Erdöl knapp, wird es nicht nur teurer, sondern ist physisch in nach Peak Oil ständig abnehmender Menge verfügbar. Weil im Kapitalismus alle Menschen gewohnt und gezwungen sind, in Geldgrößen zu denken, ist vielen der Unterschied nicht klar. Einfach gesagt: Teuer bedeutet, dass sich viele Menschen etwas nicht leisten können. Knapp bedeutet, dass von einem Stoff nicht mehr da ist. Nach Peak Oil wird Erdöl teurer, aber vor allem knapp und immer knapper. Das heißt, dass viele Firmen, Transportwege, Infrastrukturen nicht mehr aufrecht erhalten werden können und zusammenbrechen, weil Erdöl zum Betrieb nicht mehr ausreichend vorhanden ist.
Wird Erdöl knapp, werden somit auch die Möglichkeiten eines sanften Umstiegs auf erneuerbare Ressourcen stark beschnitten. Denn für diesen Umstieg benötigt man, solange die Erneuerbaren weltweit keine nennenswerte Bedeutung für die (industrielle) Energieversorgung haben, nicht-erneuerbare Ressourcen. Dazu zählen nicht nur viele Metalle, die ebenfalls bereits zum Teil knapp werden, sondern vor allem (fossile) Energie. Erstens direkt zur Herstellung, zum Transport und für die Wartung der erneuerbaren Energieproduktionsanlagen. Zweitens indirekt, weil billige und scheinbar endlos wachsende fossile Energie die Grundlage des Wirtschaftswachstums und damit der für den Aufbau der Erneuerbaren – im Kapitalismus – notwendigen finanziellen Investitionen ist.
Die oben geschilderten Auswirkungen der simultanen Verteuerung und Verknappung von Erdöl erfassen noch weitere Bereiche der Gesellschaft. Weil die modernen Kommunikations- und Informationsnetze auf einer komplexen, globalisierten Infrastruktur aufbauen, die an vielen Stellen, nicht zuletzt bei dem in kurzen Abständen notwendigen Ersatz von PCs, Handies, Laptops etc., von fossilen Ressourcen abhängt, bedroht Peak Oil auch sie. Wenn Kommunikations- und Informationsnetze kollabieren, beschleunigt das den Niedergang der von diesen Netzen abhängigen Produktions- und Verteilungsstruktur.
Eine weitere kritische Infrastruktur ist die Nahrungsmittelversorgung. Sie ist inzwischen zu einem großen Teil globalisiert und von fossil betriebenen Transporten abhängig. Die weltweite Landwirtschaft benötigt fossile Inputs zudem für den Betrieb von Bewässerungsanlagen, Treibstoff für landwirtschaftliche Maschinen, die Energieproduktion für Trocknungs- und Kühlanlagen, sowie für die Herstellung von Pestiziden (Erdöl) und Stickstoffdünger (zumeist wird Erdgas zusammen mit fossilen Energien zur Gewinnung des dafür nötigen Wasserstoffs eingesetzt).
Es ist wichtig zu erkennen, dass all diese Effekte nicht nur für sich genommen verheerend sein können, sondern dass die Effekte von Peak Oil auch die Möglichkeiten ihrer Bearbeitung stark einschränken. Alle Institutionen, viele Kompetenzen, die vorherrschenden Erwartungshaltungen und Normen in der Wirtschaft und weiten Teilen des gesellschaftlichen Lebens sind von Peak Oil negativ betroffen. Mit genau diesen Institutionen, Kompetenzen, Erwartungshaltungen und Normen wird jedoch auf Peak Oil reagiert werden – wenn Widerstand und Alternativen ausbleiben. Widerstand und Alternativen sind notwendig um autoritäre Reaktionen auf Peak Oil (Rationierung von Energie unter Benachteiligung der Lohnabhängigen inkl. der Erwerbslosen und im Haushalt Tätigen, militärische Konflikte um knappe Ressourcen, Repression sozialer Unruhe etc.) möglichst zu verhindern oder zu minimieren.
David Korowicz bringt dies auf den Punkt, wenn er feststellt [eigene Übersetzung]:
Beginnt der Kollaps einmal, so werden wir die Instrumente und die Infrastrukturen verlieren, die wir benötigen, um den Kollaps zu managen
Die Krise des Kapitalismus, die sich in einer Abnahme der Wirtschaftsleistung und einer Schrumpfung des gesamten Profitvolumens – nicht aber notwendigerweise aller Profite – äußern wird, heißt also nicht, dass sich das Leben von selbst zum Besseren verändert. Ganz im Gegenteil. Die gegenüber dem Mittelalter enorm aufgeblähte Herrschaftsstruktur des Kapitalismus mit der unglaublich gewachsenen sozialen Polarisierung und den überbordenden Konsumansprüchen der herrschenden Klasse wird zu einer harten Landung auf dem Boden der real Produzierenden führen, der Lohnabhängigen also, wozu die Erwerbslosen und die im Haushalt Tätigen zählen.
Wachsende Ungleichheit bei sinkendem Verteilungskuchen, mit zunehmendem Rassismus und Sexismus, das ist die Tendenz nach Peak Oil, wenn Widerstand ausbleibt und eine Alternative nicht entwickelt wird. Anstelle einer Art von neuem Feudalismus und einer ökologischen Sicherheitsdiktatur mit wachsendem Elend, vergrößert noch durch den einsetzenden Klimawandel und weitere Umweltkatastrophen, muss es eine Wende zu einer solidarischen Postwachstumsökonomie der Gemeingüter geben. Nur so wird ein gutes Leben für alle und ein post-fossiles öffentliches Gesundheitswesen möglich.
Peak Oil und Gesundheit
In der Fachzeitschrift „Public Health“ stellten Hanlon und McCartney von der Universität Glasgow schon 2008, das sich rückblickend als der wahrscheinliche Zeitpunkt von Peak Oil erweist, fest [eigene Übersetzung]:
Die Gesundheit einer Bevölkerung wird mehr von sozialen und ökonomischen Faktoren bestimmt als von technologischen Veränderungen, Gesundheitsdienstleistungen oder kurzfristigen politischen Interventionen. In der nahen Zukunft wird die Energieversorgung wahrscheinlich in bedeutendem Maße ausfallen, was in höheren Energiepreisen und einer Umgekehrung vieler Aspekte der Globalisierung, die gegenwärtig für selbstverständlich angesehen wird, resultiert. Wenn dies geschieht, kann die ökonomische Rezession und Restrukturierung einen negativen Gesundheitseffekt haben, nicht unähnlich der Sowjetunion, als diese einen raschen Umbau ihrer Ökonomie versuchte.
Dass Peak Oil sehr wahrscheinlich zu einer Umkehr der Globalisierung führt, die die Basis des gegenwärtigen Wirtschafts-, Gesellschafts- und Gesundheitssystems darstellt, hat auch Fred Curtis 2009 in einem Artikel für die renommierte wissenschaftliche Fachzeitschrift „Ecological Economics“ festgestellt: Peak Oil bedeutet auch Peak Globalisation.
Das hat vielfache Konsequenzen.
Erstens bedeutet der Anstieg von Arbeitslosigkeit, der im Kapitalismus bei einer Schrumpfung der gesamten Wirtschaftsleistung unvermeidlich ist, einen Anstieg von Erkrankungen und einen Verlust an Lebensqualität. Einerseits durch den Einkommensverlust, der zu Einbußen bei der Ernährung und in der Lebensqualität allgemein führt. Andererseits durch den vermehrten Stress und die fehlende gesellschaftliche Anerkennung, unter denen Erwerbslose schon jetzt massiv zu leiden haben. Nicht nur in den Nachfolgestaaten der UdSSR kam es deshalb nach dem Ende des Realsozialismus zu einem dramatischen Absinken der Lebenserwartung. Auch die Periode der Deindustrialisierung in Schottland in den 1970er und 1980er Jahren bietet dafür ein abschreckendes Beispiel.
Zweitens führt der Kapitalismus bei sinkendem Gesamtoutput der Wirtschaft zu einem Anstieg von Verteilungskämpfen. Das ist schon seit 2008 zu beobachten und die negativen Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit sind evident. Die Angriffe auf Spitäler und andere Gesundheitseinrichtungen in Österreich (Steiermark, Kärnten, Oberösterreich etc.) seien hier nur als Beispiel für einen weltweiten Generalangriff der Kapitalisten und der von ihnen dominierten Staaten auf die Lohnabhängigen, Erwerbslose und im Haushalt Arbeitende inklusive, genannt.
Dieser Generalangriff wird nur die erste Runde eines fortschreitenden Kahlschlags aller öffentlicher Infrastrukturen und Gesundheitseinrichtungen sein, wenn Widerstand in Form von Streik und Betriebsübernahmen durch die Belegschaften sowie der Entwicklung langfristiger Alternativen (dazu unten) ausbleibt. Die in einem solchen Worst Case-Szenario resultierende wachsende Ungleichheit wird den Gesundheitszustand der Menschen massiv beeinträchtigen. Denn im Vergleich der reicheren Staaten der Erde ist nicht das absolute Niveau des Bruttoinlandsprodukts, sondern die Ungleichheit der Einkommen (als Indikator der sozialen Ungleichheit) mit dem öffentlichen Gesundheitszustand korreliert. Je ungleicher eine Gesellschaft, desto schlechter ist ihr Gesundheitszustand. Es ist die Ungleichheit als solche, die Menschen krank macht. Diese Erkenntnis ist inzwischen durch eine Vielzahl von Studien abgestützt.
Drittens führt Peak Oil jedoch auch zu einer Schrumpfung des wirtschaftlichen Outputs (das hat unter anderem Peter Fleissner in einer mathematischen Modellierung für das Forschungsprojekt „Save our Surface“ gezeigt) und einer Verringerung des Weltmarkts. Das bedeutet, dass die Finanzierung der öffentlichen Gesundheitseinrichtungen, wenn überhaupt, nur mehr in geringerem Ausmaß aufrecht erhalten werden kann. Zugleich sinken jedoch die Einkommen der Lohnabhängigen – sofern Widerstand in Form von Streik und Betriebsübernahmen durch die Belegschaften ausbleiben. Das bedeutet weiters, dass nicht nur aus finanziellen Gründen, sondern auch aufgrund physischer Verknappungen der Betrieb der öffentlichen Gesundheitseinrichtungen von Versorgungsproblemen bedroht sein wird: bei Energie, bei Geräten, Ersatzteilen und Medikamenten. Nicht zuletzt beruht ein wesentlicher Teil der Pharmazeutika auf Erdöl – dies ist der Schlüsselrohstoff der heutigen Chemie, die wesentlich Petrochemie ist.
Viertens wird diese umfassende Krise auch die Ausbildung der Mediziner*innen, des Pflegepersonals und vieler weiterer für das öffentliche Gesundheitswesen entscheidender Kompetenzen betreffen sowie die Forschung, die sich verstärkt auf die dann womöglich noch profitträchtigen Bereiche und die zahlungskräftigen Gruppen einengen wird.
Die notwendige Alternative: post-fossile Gesundheit in einer solidarischen Postwachstumsgesellschaft
Für Peak Oil gibt es kein direktes historisches Beispiel. Es ist eine völlig neue Herausforderung. Was Peak Oil für das Gesundheitswesen und die öffentliche Gesundheit konkret bedeutet, kann man daher derzeit erst vermuten. Die einzigen beiden für Peak Oil annähernd brauchbaren historischen Beispiele von Energiekrisen bieten Kuba und Nordkorea. Diese Beispiele hat Jörg Friedrichs in der angesehenen wissenschaftlichen Fachzeitschrift Energy Policy 2010 eingehend untersucht (hier eine Kurzfassung der Analyse; zwei weitere im Original dieses Artikels zitierte Quellen sind im Netz nicht mehr auffindbar; eine Zusammenfassung von Artikeln zum Thema findet sich derzeit [1.7.2022] auf renogy.com. Danke für den Hinweis an Nicole Jones!). Die beiden Staaten waren in bedeutendem Maße von Energieimporten und sonstigen Lieferungen aus der UdSSR abhängig. Als sich diese 1989 auflöste, verloren Kuba und Nordkorea mit einem Schlag ihre energetische Grundlage. Dies führte in Nordkorea zu einer Hungerkatastrophe mit 600.000 bis zu 1 Million Toten. Die fossile Abhängigkeit der nordkoreanischen Industrie führte, vermittelt über Engpässe bei Transporten, Ersatzteilen und Stickstoff-Dünger (der in Nordkorea aus fossiler Kohle hergestellt wurde und fossile Transportenergie benötigte) zu einem Zusammenbruch, den das autoritäre politische Regime bis zum Massensterben verschärfte und das Land auf Dauer von Hilfslieferungen abhängig machte.
Kuba bietet dagegen das Beisipel eines glimpflichen Ausgang des „künstlichen Peak Oil“ von 1989. Es entstanden Graswurzelbewegungen, die auf breiter Basis städtische Gemeinschaftsgärten anlegten und eine kleinteilige biologische Landwirtschaft, die nicht von fossilen Energien abhängt, entwickelten. Zwar unterschritt die Kalorienzufuhr der Kubaner*innen in den Jahren nach 1989 die empfohlenen Mindestwerte und der Staat musste Nahrungsmittel rationieren um eine Hungerkrise zu vermeiden. Doch gelang letzten Endes eine sozio-ökonomische Anpassung an Peak Oil.
Das „kubanische Modell“ beruht allerdings nicht zuletzt auf einer kreativen Bottom-Up-Bewegung solidarischer Landwirtschaft. Es ist fraglich, ob im globalen Norden eine vergleichbare Flexibilität und Solidarität in kurzer Zeit entwickelt werden kann. Darüberhinaus agierte der kubanische Staat unterstützend und gewährte den Graswurzelbewegungen den nötigen Freiraum. Er stellte Land und andere Produktionsmittel zur Verfügung und baute rasch eine passende landwirtschaftliche Beratung für die aus der Not zu Selbstversorger*innen gemachten Menschen auf. Dies wäre auch im globalen Norden notwendig – hier ist allerdings fraglich ob die Staatsapparate Kontrolle an die Zivilgesellschaft so einfach abgeben.
Das Beispiel Kuba taugt freilich nur in gewissem Ausmaß als Beispiel für Peak Oil. Erstens erfasste nach 1989 nicht die ganze Welt eine Versorgungskrise, wie dies nach Peak Oil der Fall ist. Zweitens konnte Kuba auch deshalb eine Tourismusindustrie ausbauen und zunehmend auf Rücküberweiseungen von Arbeitsmigrant*innen vertrauen, was die Anpassung wesentlich erleichterte. Dennoch ist im Grundsatz sicher richtig: The Power of Community hat Kuba geholfen, eine Hungerkrise zu vermeiden und den Versorgungseinbruch in eine Chance für mehr Selbstorganisation, Autonomie und grünere Städte zu verwandeln.
Deshalb ist auch richtig, wenn Hanlon und McCartney feststellen [eigene Übersetzung]:
Es gibt freilich das Potenzial durch ökonomische Planung und nachhaltige Entwicklung die nachteiligen Effekte dieser Veränderung [aufgrund von Peak Oil] zu mildern und sie als eine Gelegenheit zu nutzen, eine Reihe von Erkrankungen, die zumindest teilweise auf Überkonsum, Ungleichheit und den Verlust von Gemeinschaftlichkeit zurückgehen, zurückzudrängen.
Diese Potenzial ist jedoch nur mit einer radikalen Kehrtwende zu gewinnen. Darüber sollte man sich keine Illusionen machen.
Dass Streiks im Gesundheits- und Sozialbereich zur ersten Notwehr gegenüber Kürzungen zählen müssen, ist selbstverständlich. Die sozialen Bewegungen müssen sich dieser Realität stellen oder werden in einem anwachsenden Chaos kapitalistischen Kahlschlags und zunehmender Verelendung untergehen. Dabei ist entscheidend, möglichst frühzeitig wirksamen Widerstand, also Streiks und Betriebsübernahmen durch die Belegschaften unter Ausschluss des Managements, zu organisieren. Denn wenn eine Infrastruktur einmal verloren ist, ist sie noch schwieriger wieder aufzubauen.
Darüberhinaus wird jedoch entscheidend, Alternativen aufzubauen, die erstens mit einer Schrumpfung der Gesamtwirtschaft kompatibel sind und zweitens mit einem dauerhaften Steady State, also einem langfristig konstanten Energie- und Materialdurchsatz in einer nicht wachsenden, dynamisch stabilen Wirtschaft. Dies ist die Perspektive des Postwachstums.
Diese Perspektive kann nur eine solidarische sein. Auf Regionalwährungen, Tauschkreise, eine „Gemeinwohlökonomie“ oder derlei illusionäres und zumeist auch politisch reaktionäres Bewegungsspielzeug zu setzen, ist sicherlich eine Illusion. Nach der Krise in Argentinien 2000/2001 gab es ein rapides Wachstum der Tauschkreise, die auf ihrem Höhepunkt Millionen von Menschen umfassten. Sie brachen jedoch ebenso rasch wieder zusammen wie sie aufgekommen waren. Denn sie konnten – ebenso wie der normale Markt – keine Versorgung der Menschen mit dem Lebensnotwendigen: Nahrungsmittel und Medikamente sicherstellen. Es fehlte ihnen an Kooperation, die ein Markt eben nicht kennt. Regionalwährungen unterscheiden sich in keiner Weise von den „Regionalwährungen“ die wir alle kennen: der deutschen D-Mark, dem französischen Franc oder, wärs lieber „klein und fein“ hat, dem österreichischen Schilling, oder, wär lieber in großen Kategorien denkt: dem Euro. Die Vorstellung, die notwendige Veränderung durch ein kompliziertes und bürokratisches System von freiwilligen Selbstverpflichtungen kapitalistischer Unternehmen zu bewirken, die nach wie vor Marktbeziehungen unterhalten, wie das die „Gemeinwohlökonomie“ des Christian Felber vorschlägt, ist der Herausforderung nicht angemessen.
Es ist eine viel weitergreifende Kooperation auf gleicher Augenhöhe vonnöten, um ein post-fossiles Gesundheitswesen aufzubauen und in eine solidarische Postwachstumsökonomie einzufügen.
Entscheidend ist dafür erstens die Einrichtung von Institutionen einer demokratischen Wirtschaftslenkung. Dies muss die Form regionaler Investitionsräte und einer Vergesellschaftung von Banken annehmen. Demokratische Wirtschaftslenkung und Vergesellschaftung bedeuten dabei nicht, dass die so genannten Sozialpartner, wie sie das auch bisher tun, intransparente Gremien besetzen, im Verein mit Ministerien eines Staates, der sich als unfähig erwiesen hat, ein gutes Leben für alle zu garantieren. Es geht vielmehr darum, dass nicht-institutionell gebundene Menschen – die „Leute von der Straße“ also – zu mindestens 50% bei allen Entscheidungen mitbestimmen, zusammen mit Fachleuten, die ihnen Pro und Contra von Argumenten in allgemein verständlicher Sprache darlegen. Das funktioniert auch im Rechtswesen so, wenn Laienrichter*innen über Schwerverbrechen urteilen. Und das kann ebenso in anderen Lebensbereichen funktionieren, wie zum Beispiel das partizipative Budget in Porto Alegre zeigt. Verfahren der Losdemokratie, wie sie etwa Utta Isop vorschlägt, wären dafür besonders geeignet. Das würde unter anderem mit der Hilfe von Experten verursachte Disaster wie Fukushima oder die Finanzkrise seit 2008 vermeiden helfen. Auch Politiker*innen verfügen bekanntlich in der Regel nicht über den notwendigen Fachverstand in der Materie, für die sie verantwortlich sind. Es ist hier also keine Verschlechterung zu erwarten, sondern eine Verbesserung garantiert.
Zweitens geht es um den Ausbau sozialer Basisinnovationen, das heißt, von Organisationsformen in Produktion und Verteilung sowie im Alltagsleben, die Schluss machen mit Machthierarchien. Soziale Basisinnovationen sind, wie schon der Name sagt, innovativ. Das bedeutet: gänzlich anders als die kapitalistischen Organisationsformen. Diese beruhen auf (1) Lohnarbeit, das heißt Unterordnung der Tätigen unter ein Management, (2) dem Vorherrschen von Märkten und damit von Tauschen anstelle von Teilen, (3) der Trennung von Souverän (Staat) und Souveränität (Wahlvolk). Letzerer Punkt stellt sicher, dass alles so bleibt wie es ist. Wahlen können an den kapitalistischen Produktionsverhältnissen daher grundsätzlich nichts ändern.
Soziale Basisinnovationen entstehen seit vielen Jahren in einer großen und anwachsenden Zahl und erfassen immer weitere Lebensbereiche. Das bekannteste Beispiel sind Freie Software, Open Source Software und Creative Commons. Dort wird kooperiert ohne Bezahlung, ohne Tausch und ohne Machthierarchien. Die Produkte können sich sehen lassen: von Wikipedia über Linux, Mozilla bis Apache, von vielfältigen Open Design-Projekten in allen möglichen Bereichen und zu einer unüberschaubaren Zahl kultureller und wissenschaftlicher Produkte. Ein weiteres Beispiel ist der wachsende Sektor Solidarischer Ökonomie, die etwa in Brasilien seit mehreren Jahren sogar von einem eigenen Staatssekretariat begleitet und erforscht wird. Deren wesentliches Merkmal ist die Selbstverwaltung: die Beteiligten entscheiden gleichberechtigt über alle Ressourcen, es gibt kein Management und daher auch keine Lohnarbeit. Darüberhinaus bauen die Solidarischen Ökonomien solidarische Beziehungen zur Gesellschaft im weiteren Sinne auf. Zuerst zu anderen solidarökonomischen Betrieben und Projekten, dann zu Stadtteilen und anderen Organisationen. Weil der Markt das Gegenteil von Solidarität ist, bedeutet dies eine Ausweitung von nicht-monetären, gleichberechtigten Beziehungen.
Demonetarisierung, eine immer größere Welt ohne Geld, die in Kostnixläden, ehrenamtlicher Arbeit, solidarischer Landwirtschaft und vielen anderen Projekten weiterentwickelt und vorbereitet wird, ist daher ein Kernbestandteil Solidarischer Ökonomien (hier gibt es dazu eine Vernetzungsplattform). Ein noch prägnanteres Beispiel in dieser Hinsicht ist die unüberschaubare Vielfalt von Commons, von Gemeingütern, die von Gemeinschaften verwaltet und vor Übernutzung sowie Privatisierung geschützt werden.
Solidarische Ökonomie und Gemeingüter, die nur zwei verschiedene Begriffe für die gleiche Art sozialer Basisinnovationen sind, existieren auch in Europa in einer großen Zahl, wie etwa die im Aufbau befindliche kooperative Online-Plattform Vivir Bien zeigt. Daneben gibt es auch in unseren Breiten viele und gewichtige Anknüpfungspunkte in der traditionellen Ökonomie. So ist etwa die österreichische Sozialversicherung ein Beispiel Solidarischer Ökonomie, auch wenn die Regierung unter Schwarz-Blau 2001 die Selbstverwaltung zurückgedrängt hat. Sie verwaltet immerhin das zweitgrößte Budget in Österreich gleich nach dem Bund. Ein weiteres bekanntes Beispiel ist der Genossenschaftskomplex Mondragon, mit mehr als 80.000 Genoss*innen und Mitarbeiter*innen. Aufgrund des raschen Unternehmenswachstums der letzten Jahre sind laut Website von Mondragon derzeit nur etwa ein Drittel der Beschäftigten auch Genoss*innen. Mondragon betreibt zudem eine Universität und organisiert medizinische Dienstleistungen auf solidarökonomischer Basis. Solidarökonomisch geprägte Regionalökonomien gibt es nicht nur im Baskenland, wo Mondragon seinen Sitz hat, sondern auch in der Emilia Romagna – der italienische Genossenschaftssektor kommt einer solidarischen Ökonomie vergleichsweise nahe und stellt in der Emilia Romagna rund 40% des BIP.
Vor diesem Hintergrund: Aufbau demokratischer Wirtschaftslenkung und Ausbau gemeingüterbasierter Solidarischer Ökonomien, ist es drittens unmittelbar notwendig, demokratische Krisenpläne zu entwickeln. Eine solche Planaufgabe sollte man nicht als Notreflex begreifen, sondern vielmehr als eine willkommene Gelegenheit, sich erneut zu fragen:
Wofür leben wir eigentlich? Tun wir wirklich, was wir wirklich wollen? Wo verzichten wir fortwährend in unserem Leben auf Freude, Gelassenheit, Geruhsamkeit, Muße, grüne Städte, gutes Essen, viel Freizeit, Gemeinschaftlichkeit etc.? Welchen Ballast tragen wir in unserem Leben mit uns herum? Wie wollen wir anders arbeiten, leben, Gemeinschaft teilen? Was ist Gesundheit, Wohlfühlen, ein gutes Leben für mich?
Ein Vorbild, wie solche „Energieabwicklungspläne“ aussehen könnten und wie man das Gesundheitswesen darin krisenfest macht, sind die Transition Towns. Ansätze dazu gibt es nicht nur in Deutschland – Hannover ist ein sehr schönes Beispiel. Erste Schritte dazu geschehen auch in Österreich – wenngleich in derzeit noch geringem Ausmaß (hier eine Vernetzungsplattform). Ein vom österreichischen Klima- und Energiefonds gefördertes Projekt zur Anpassung an Peak Oil auf kommunaler Eben mit dem Namen „Powerdown“ hat eine Vielzahl sinnvoller Maßnahmen zusammengestellt.
Erst zusammen sind (1) wirksamer Widerstand (Streik, demokratische Betriebsübernahmen durch die Belegschaften zusammen mit den Patient_innen), (2) demokratische Wirtschaftslenkung, (3) der Ausbau sozialer Basisinnovationen und (4) demokratische Krisenpläne in der Lage das Gesundheitswesen und die öffentliche Gesundheit entscheidend zu verbessern. Diese vier Maßnahmen bieten nicht nur eine Alternative zu den Angriffen auf das Gesundheitssystem, wie sie in den 1980er Jahren einsetzten und sich seit 2008 beschleunigen, sondern auch zur noch viel größeren Herausforderung von Peak Oil, das bereits die Krise seit 2008 mit ausgelöst hat.
Ein post-fossiles Gesundheitssystem ist notwendig, eine solidarische Postwachstumsökonomie ist unsere Zukunft.