Sackgasse Regionalwährung

von Andreas Exner

In den Debatten um eine Alternative zum Kapitalismus tauchen ein ums andere Mal zwei Konzepte auf: der Tauschkreis und die Regionalwährung. Beide Konzepte sind miteinander eng verbunden. Und beide wurzeln theoretisch in der Freiwirtschaftslehre von Silvio Gesell, der Anfang des 20. Jahrhunderts eine „natürliche Wirtschaftsordnung“ begründen wollte.

Gesell meinte, im Zins die Wurzel aller Übel erkannt zu haben. Der Zins sei leistungsloses Einkommen. Als solches sei er zu bekämpfen. Gesell führte auch die Krisen auf den Zins zurück. Als Lösung propagierte er Freigeld und Freiland. Während die Freilandidee heute keine Rolle mehr spielt, erfreut sich das „Freigeld“ nach wie vor großer Beliebtheit.

Das sollte Anlass zur Sorge sein. Denn Gesells Analyse ist falsch und seine Ziele können nicht die unseren sein. Seine Kritik am „leistungslosen Einkommen“ sparte den Unternehmergewinn wohlweislich aus. Den Markt hielt er für eine gute Einrichtung. Er meinte allerdings, dass sich dort nicht die „Fittesten“ durchsetzen, da der Zins den Geldbesitzern eine Macht verleiht, die nicht auf eigener Anstrengung beruhe. Erst wenn der Zins beseitigt ist, würden nur mehr die „Fitten“ überleben. Auch Krisen gehörten dann der Vergangenheit an.

All dies ist falsch. Wir wollen die Konkurrenz ja nicht verstärken, sondern müssen sie überwinden. Es kann auch nicht darum gehen, die Marktwirtschaft vom „Kapitalismus“ zu „befreien“. Der Markt ist nur eine Sphäre des Kapitals – der Bewegung von Geld-Ware-Mehrgeld. Das Mehrgeld, das der Vernutzung von lebendiger Arbeit entspringt, spaltet sich dort in Unternehmergewinn und Zins. Den Zins zu kritisieren und den Unternehmergewinn zu verteidigen ist deshalb unlogisch. Auch eine Perspektive ergibt sich daraus nicht.

Kapitalismus ist ein System, in dem alles gekauft und verkauft werden muss. Der Kapitalismus ist deshalb Geldwirtschaft. Er macht alles zur Ware und anstelle direkter Herrschaft oder gemeinschaftlicher Entscheidungen tritt der anonyme Markt. In einem solchen System wird selbst die Lebenszeit zur Ware, Lohnarbeit zur beherrschenden Form von Tätigkeit und die Abhängigkeit von der Kapitalverwertung damit umfassend.

Der Geldwirtschaft ist die Konkurrenz eingebaut. Am Markt wird ja nicht bewusst und gemeinschaftlich darüber entschieden, was für wen von wem und auf welche Art produziert und verteilt wird. Ganz im Gegenteil trennt das Geld die Einzelnen in vereinzelte Einzelne, die nur mehr über ihre Waren und das Geld „kommunizieren“. Die Konkurrenz führt dazu, dass Menschen gegeneinander arbeiten müssen. Und sie führt zu einem Wachstumszwang. Denn ein Unternehmen, das weniger Gewinn einfährt als der Konkurrent, droht über kurz oder lang vom Markt zu verschwinden.

Die Geldwirtschaft bedingt allerdings auch einen Wachstumsdrang: den abstrakten Selbstzweck, aus Geld mehr Geld machen zu müssen. In einer Wirtschaftsweise, in der die Produktionsmittel und Rohstoffe inklusive der Arbeit gekauft werden müssen, und in der alle Waren verkauft werden müssen – wo also Geld den Anfangs- und den Endpunkt der Produktion darstellt – ist das nicht anders möglich. Mit 100 Euro Waren im Wert von 100 Euro zu produzieren macht keinen Sinn. Den macht geldwirtschaftliche Produktion erst, wenn aus 100 Euro zumindest 101 Euro werden.

Diesem Ziel hecheln deshalb alle Unternehmen hinterher. So verselbstständigt sich die Produktion gegenüber den konkreten Bedürfnissen, die sie eigentlich befriedigen sollte. Aus 100 Euro können 101 Euro werden, daraus 1.000, 10.000 und so immer fort. Für das Wachstum der Geldwirtschaft ist kein Ende denkbar, weil sich in ihr immer nur Geld auf Geld bezieht. Konkrete Bedürfnisbefriedigung, die an sich selbst eine Grenze findet, weil niemand endlos durstig ist, unaufhörlich isst, ständig Sex hat, oder gleichzeitig in zwei Häusern wohnt, spielt dann keine Rolle mehr.

Wachstumsdrang und Wachstumszwang bedingen Krisen. Weil alle Unternehmen auf Teufel-komm-raus und ohne sich abzusprechen produzieren, wird Kapital immer wieder an der zahlungsfähigen Nachfrage vorbei investiert. Und es kommt regelmäßig dazu, dass Kapital keine ausreichenden profitablen Investitionsmöglichkeiten mehr findet und die Produktion in Folge einbricht. Das im Übermaß angehäufte Kapital wird entwertet, die Perspektiven sehr vieler Lohn- und damit Kapitalabhängigen werden zerstört.

Regionalwährungen ändern an all diese strukturellen Problemen nichts. Es ist auch nicht zu erkennen, welcher entscheidende Unterschied – um ein Beispiel zu nehmen – zwischen dem früheren österreichischen Schilling und dem heutigen „Chiemgauer“ bestehen sollte. Dass kein Zins existiert, kann ja wohl kein Kriterium sein. Japan hatte jahrelang Nullzinsen, und auch die USA sind auf dem besten Weg dorthin.

Was dagegen ansteht, ist, die Geldwirtschaft durch eine direkte Kommunikation der Produzierenden zu ersetzen. Das ist in der Tat schwierig. Aber eine andere Möglichkeit, aus dem Kapitalismus auszusteigen, gibt es nicht.

Dieser Artikel erscheint in der kommenden April-Ausgabe der Monatszeitschrift “Contraste – Zeitschrift für Selbstorganisation“

Zum Weiterlesen: “Bye bye Zinskritik. Über die Grenzen der Tauschkreise und den Unsinn der Freiwirtschaft“

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