Oder: Emanzipation unter Bedingungen, die sich die Linke nicht gewünscht hat
ak – analyse & kritik – zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 530
von Andreas Exner, Christian Lauk, Konstantin Kulterer
Steigende Preise für Lebensmittel vergrößern den Hunger, es droht eine globale Rezession und gleichzeitig wird Energie immer teurer. Innerhalb weniger Jahre hat sich das Terrain für linke Bewegungen dramatisch verändert. Doch viele setzen weiter auf bekannte Rezepte. Damit zielt man an den realen Herausforderungen vorbei. So werden beispielsweise die steigenden Erdölpreise höchst widersprüchlich debattiert. Während manche die Marktmacht der OPEC im Zentrum sehen, betonen andere die Rolle der Spekulation, der Ölkonzerne, der Nachfrage in den Schwellenländern oder den Krieg im Irak.
Praktisch unbemerkt weisen Studien allerdings darauf hin, dass die steigenden Erdölpreise bereits den Peak Oil widerspiegeln könnten, den Höhepunkt der Erdölförderung. Die Energy Watch Group datiert den Peak Oil auf das Jahr 2006, andere rechnen damit in naher Zukunft. Tatsächlich bringt nicht erst der letzte Tropfen Erdöl die Krise. Sie beginnt weit früher: dann nämlich, wenn die Förderung zurückgeht und weder eine wachsende noch die bestehende Nachfrage mehr decken kann. Nach dem Peak geht die Förderung mit einer Rate von zwei oder mehr Prozent pro Jahr zurück.
Vom Akkumulations- zum Depreziationsregime
Ebenso unbemerkt verweist inzwischen auch die Internationale Energieagentur (IEA) auf die kommende „Versorgungskrise“. Ähnlich der Ölkonzern Total, der erklärte, die Ölförderung sei immer schwieriger zu erhöhen. Sogar der EU-Energiekommissar Andris Piebalgs warnt bereits vor dem Peak Oil. Nichts davon dringt in die Klimadebatte oder die Ökobewegung. Seltsam eigentlich, denn hohe Erdölpreise galten bisher als Wundermittel für den ökologischen Umschwung. Fast wirkt es so, als würde auch die Ökobewegung stillschweigend auf das Erdöl setzen.
Dabei ist der Peak Oil nur ein Teilproblem. Die Energy Watch Group prognostiziert den globalen Peak bei Erdgas und Kohle für 2025. Bei Erdgas dürfte der entscheidende regionale Peak für Europa früher eintreten. Jedenfalls werden auch die anderen fossilen Stoffe teurer, wenn sich die Nachfrage vom Erdöl auf sie verschiebt. Umso mehr, als der Aufwand für die Erdöl- und die Kohleförderung zunimmt.
Die fossilen Stoffe decken rund 80 Prozent des weltweiten Energiebedarfs. Dagegen bildet den Löwenanteil der „Erneuerbaren“ die traditionelle Brennholznutzung im globalen Süden. Erdöl und Erdgas sind zudem die zentralen Ausgangsmaterialien der Chemie. Kunststoffe, Arznei- und Pflanzenschutzmittel werden auf Erdölbasis produziert, und die Herstellung von Stickstoffdünger ist auf Erdgas (oder Kohle) angewiesen.
Es gibt also auch ein Stoffproblem. Allein der Bedarf an Kunststoffen für Textilien ist enorm. Will man ihn mit Baum- oder Schafwolle oder Hanf decken, so schränkt das die Flächen für die Ernährung weiter ein. Umso mehr, wenn der Klimawandel zu Produktionseinbußen führt und sich nach dem Peak Gas der Stickstoffdünger verknappt.
Das Fazit ist: Lichtet sich erst einmal der „unterirdische Wald“ der fossilen Stoffe, so bleibt nur die Expansion in die Fläche. Dort aber kostet eine Ausdehnung des Energie- und Stoffkonsums der wenigen das Leben vieler. Vor allem, wenn man Biomasse nutzt.
Neben den Erdölpreisen steigen auch die Preise für Metalle. Und davon brauchen die erneuerbaren Energiesysteme eine ganze Menge. So verwundert nicht, dass in Deutschland bereits die Neuinstallation von Windkraftanlagen zurückgeht und steigende Rohstoffpreise den Ausbau der Solarenergie bremsen. Hinter der Wachstumsfixierung vieler Linker steckt ein geheimes Wissen: Ein angeblich „ökologischer“ Umbau des Kapitalismus ist nur möglich, wenn es Profit und Wachstum gibt. Doch wird fälschlich angenommen, dass das Kapital von selbst auf die „Erneuerbaren“ switcht, wenn die Preise der „Fossilen“ steigen. Demgegenüber wird nun sichtbar, dass mit steigenden Energiepreisen alle Preise steigen. Die „Erneuerbaren“ werden nicht von selbst attraktiv, und in einer allgemeinen Rezession verschwinden auch die investiven Mittel für den „ökologischen“ Umbau.
Hinzu kommt, dass Distribution und Nutzung der Energie an die fossilen Energien angepasst sind: ob Pipelines, Öltanker, alle möglichen Motoren oder simple Heizungen. Nicht nur ein Umbau der Energieversorgung ist also nötig, sondern auch ein gewaltiger Umbau der gesamten Technologie und Infrastruktur. Und auch diesen ermöglichen in kapitalistischen Produktionsverhältnissen nur Profite und die Erwartung von Profiten. Dieser grundlegenden Beschränkung unterliegen auch die Staatsausgaben.
Außer dem Nadelöhr der Verwertung gibt es noch ein stoffliches Übergangsproblem: Werden zu wenige fossile Ressourcen in zu langer Frist für den Aufbau erneuerbarer Stoff- und Energiesysteme investiert, so reichen ab einem gewissen Punkt die fossilen Ressourcen nicht mehr aus, um auch nur annähernd so viel Energie und Stoffe zu produzieren wie heute. Umgekehrt intensiviert sich die Verknappung und verlangsamt sich das Wachstum, wenn man in zu kurzer Zeit zu viele fossile (und metallische) Ressourcen in den Ökoumbau lenkt.
Fetischisierung der Krise soll Repressionen legitimieren
Der Fordismus hat seine Widersprüche an die Peripherie, aber auch in die Zukunft verlagert. Heftige soziale Kämpfe hatten im 20. Jahrhundert eine spezifische Bearbeitungsweise von Konflikten hervorgetrieben, die darin bestand, diese qua Wachstum in die Umwelt zu „verklappen“. Dieser „produktivistische Sozialpakt“ zwischen Unternehmern und Lohnabhängigen zehrte an der natürlichen Lebensbasis. Nun quillt der Müll – in Gestalt von Klimawandel und Co. – zurück in die Metropolen und die Ressourcenquellen werden knapp. Zugleich nehmen soziale Kämpfe zu.
Damit werden die Perspektiven jener knapp, die auf ein neues Akkumulationsregime nach dem Ende des fossilen Ressourcenregimes setzen. Nicht nur zeigt sich, dass die inneren Widersprüche des Kapitalismus kein Potenzial der Befreiung haben. Denn genau diese Widerspruchsdynamik hat ja in erhöhter Naturaneignung resultiert. Vielmehr wird auch klar, dass die kapitalistisch-bürgerliche Gesellschaftsformation nicht für ihre „Selbstaufhebung“, sondern nur für Selbstzerstörung taugt. Akkumulation des Kapitals heißt immer auch Akkumulation von Müll und Erschöpfung natürlicher Ressourcen. Das zeigen empirische Daten eindeutig. Ebenso klar muss sein: Eine absolute Reduktion von Verbräuchen, Emissionen und Abfällen ist, während das Kapital akkumuliert, nicht möglich.
Wenn der Wert der fossilen (und metallischen) Inputs steigt, weil die Förderung immer aufwendiger wird und geringere Erträge bringt, so verändert das den Kapitalwert. Der Wert der Produktionsmittel vergrößert sich, Ausrüstungsgüter für die extrem kapital- und zunehmend energieintensive Erdölförderung mit inbegriffen; aber auch der Wert der Ware Arbeitskraft, soll der warenförmige Lebensstandard annähernd konstant bleiben. Dann verlängert sich die gesamtgesellschaftliche Arbeitszeit zur Reproduktion der Arbeiterklasse, womit die unbezahlte Arbeitszeit zurückgeht. Folglich sinkt die Mehrwertrate, denn sie ist nichts anderes als das Verhältnis von unbezahlter zu bezahlter Arbeitszeit. Wahrscheinlich steigt zugleich der Grad der Wertzusammensetzung, das heißt das Verhältnis von toter zu lebendiger Arbeit. Aber selbst wenn dieses gleich bleibt: Die Profitrate sinkt.
Das einzige Gegenmittel wären längere Arbeitszeiten bei intensivierter Arbeit und einer starken Absenkung des Lebensstandards – sofern die Mehrwertrate dann schneller steigt als der Grad der Wertzusammensetzung. Doch diese Akkumulationsstrategie aus dem 19. Jahrhundert riskiert in Hinblick auf soziale Kämpfe ihren Kopf. Vor allem aber kann sie das fossil betriebene Kapital nicht in existierendem Umfang verwerten.
Diese ökologische Krise des Kapitals bereitet nicht mehr wie bisher den Boden eines neuen langen Schubs der Akkumulation. Denn sie vernichtet nicht allein den Wert, sondern vor allem auch den Gebrauchswert der betroffenen Kapitalien. Selbst wenn es regional oder sektoral zu einem neuen Aufschwung kommt, so begrenzen ihn die Peaks.
Und er findet auf geringerem Niveau des Outputs statt. An die Stelle eines neuen Regimes der Akkumulation tritt so ein globales Depreziationsregime (Entwertungsregime). Vom Standpunkt des Kapitals aus wäre dabei der bestmögliche Fall noch eine „Akkumulation auf dem Rückzug“, die von metropolitanen Bastionen aus die übrige Welt für den Wechsel der Ressourcenbasis in Form eines Erdöl- und Biomasseimperialismus funktionalisiert.
Weil die Linke immer noch eine Modernisierungsbewegung ist, hat sie womöglich größere Probleme als die Elite, die Peak-Epoche in den Blick zu bekommen. Für die Sicherung von Herrschaft sind kapitalistische Produktionsverhältnisse grundsätzlich sekundär. Es müssen lediglich der Zugang zu Ressourcen und zu Lebenszeit gewährleistet und ihre Ausbeutung ausreichend legitim erscheinen.
Dass sich die Elite im Verlauf der großen Depreziationsbewegung grundlegend restrukturiert, während die Linke nach einem neuen Akkumulationsregime vergeblich Ausschau hält, ist nur die eine Gefahr. Die andere besteht darin, fetischistischen Deutungen der ökologischen Krise Vorschub zu leisten. Dort, wo eine Analyse der Naturgrundlagen und der sozialen Verhältnisse der Naturaneignung fehlt, weil sie nicht in das Bild des „ewigen Kapitalismus“ passt, bekommen wahnhafte Verarbeitungsformen freies Spiel, die drohen, Repression und Ressourcenkriege zu rechtfertigen.
Auch linke Leitbilder sind auf Wüstensand gebaut
Denn nach herrschender Sichtweise, die beileibe nicht nur die Sichtweise der Herrschenden, sondern ebenso die der Beherrschten ist, kann das Investitions- und Konsumniveau des globalen Nordens niemals des Übels Wurzel sein. Da sind eher die Chinesen schuld oder überhaupt „die Überbevölkerung“. Schon deutet sich ein neuer Fetischismus an, der die Krise der gesellschaftlichen Naturverhältnisse nicht als solche erkennt, sondern stattdessen einen Teil der Gesellschaft zur Natur erklärt. In der Peak-Epoche könnten Rassismus und Sexismus dem Antisemitismus als klassische metropolitane Krisenideologie den Rang ablaufen.
Ungeachtet der Tatsache, dass Klimawandel und Peak Oil nur zwei Seiten einer Konsum- und Produktionsweise darstellen, sind die beiden Debatten über weite Strecken strikt getrennt. Dort aber, wo sie zusammenlaufen, gewinnt ein Rationierungsdiskurs an Kontur. Das Cap-and-Share-Modell von FEASTA etwa will Verschmutzungsrechte (mit abnehmender Jahresmenge) allen Individuen zu gleichen Teilen und bedingungslos überlassen. Die irische Regierung bekundete Interesse an der Idee. Und das Konzept der Tradable Energy Quotas von David Fleming stieß bei britischen StaatsvertreterInnen auf Resonanz.
Während FEASTA einen egalitären Ansatz hat, der de facto die fossile Ressourcenbasis der Betriebe vergesellschaftet, will Fleming den Staat und die Unternehmen von vornherein mit 60 Prozent der fossilen Rationen bzw. von Verschmutzungsrechten ausstatten, die sie in einem zweiten Schritt ersteigern müssen. Ansätze wie das Oil Depletion Protocol von Richard Heinberg wiederum stellen die Kritik von Herrschaft angesichts der Krise überhaupt und dezidiert hintan. Die soziale und die ökologische Frage verdichten sich hier also zu einem neuen Terrain der Auseinandersetzung, das Möglichkeiten der Emanzipation, aber auch viele Fallen birgt.
Die Peak-Epoche verändert die material-ökologischen Verhältnisse tief greifend. Die Linke, die mit den fossilen Ressourcen groß geworden ist, muss sich so rasch wie möglich darauf einstellen. Dazu gehört auch, die eigenen Leitbilder zu hinterfragen. Können „Fortschritt“ oder die „Befreiung“ von einem angeblichen „Reich der Notwendigkeit“ noch sinnvolle Zielbestimmungen abgeben?
Es scheint fraglich. Als Leitbild für die Peak-Epoche bietet sich nicht Entwicklung an, sondern Abwicklung. Denn die Infrastrukturen und sozialen Verhältnisse, die sich im 20. Jahrhundert auf einer ständig verbreiternden fossilen Basis aufgebaut haben, sind buchstäblich auf Wüstensand gebaut. Es gilt, sich von diesem Ballast zu lösen.
Was vielen als Zumutung erscheinen wird, ist allerdings als eine historische Chance zu begreifen. Sie zwingt uns nicht nur dazu, das zu tun, was wir „ohnehin schon immer wollten“. Sie gibt uns auch die reelle Möglichkeit, Herrschaftsstrukturen, die sich tief greifend reorganisieren müssen und damit angreifbar werden, nicht in eine neue Gesellschaftsform mit einer stationären „Wirtschaft“ auf erneuerbarer Basis fortzusetzen, sondern abzubauen.