Schlagwort: Streifzüge 2013-59
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Chronologisch
Die Kindererziehung findet im modernen Kapitalismus unter besonderen äußeren Bedingungen statt. In Städten verschwinden unspezifische Freiflächen als für Kinder und Jugendliche attraktive Orte. Der Autoverkehr macht das Spielen von Kindern in der Umgebung der Wohnung oft problematisch. Die Verkleinerung der Familien und der Zwang zur Individualisierung als Anbieter von Arbeitskraft sowie die gestiegene räumliche Mobilität verringern die Zahl von Menschen, die unmittelbar im früher größeren Familiengefüge vor Ort präsent sind und am Wohl des Kindes tätig-praktisch Anteil haben: als ältere Geschwister, als unverheiratete Tanten oder Onkel, als Großeltern usw.
Geschieht etwas, so wurde das Geschehene durch etwas bewirkt, angestoßen, ausgelöst. Der Aufstieg des Kapitalismus und mit ihm der von Natur- und Ingenieurwissenschaften hat den göttlichen Beweger entmachtet und Wirkungen fortan auf Ursachen zurückgeführt. Auf Ursachen, die fortan gezielt herbeigeführt – verursacht – wurden, um beabsichtigte Wirkungen zu erzielen, die wiederum als neue Ursachen weitere Wirkungen zeigen: Wasser erhitzen – Dampf erzeugen – Volumenexpansion in Schubbewegung umsetzen – Schubbewegung in Drehbewegung verwandeln usw. usf. Der Ursache-Wirkungszusammenhang ist seither eine der zentralen Denkfiguren der Moderne.
Von der „Schwierigkeit, nicht rassistisch zu sein“ handelt schon ein Buch aus dem Jahr 1986. Sonst hätte es durchaus auch der Titel dieses Bändchens sein können. Habermann hat dem Thema schon einen Teil ihrer Dissertation gewidmet (siehe „What we do matters“ in: Streifzüge 47/2009). Sie ist kundig, und diese jetzt unakademische, aber in der Kürze ungemein inhaltsreiche Schrift, die übrigens statt unter copyright unter copyleft zur freien Verwendung und Verbreitung erschienen ist, hat Sog, von der kolonialen Geschichte des Habermannschen Großvaters im Pro- bis zu seinem Auftritt im Epilog.
Am Ursprung des demokratischen Konsenses
Der Konsens, der für das reibungslose Funktionieren des kapitalistischen Systems erforderlich ist, stellt sich bekanntlich hinter dem Rücken der Beteiligten her. Indem sie die vormodernen Bindungen an die Religion, den Stand, das lokale Brauchtum und Herkommen, schließlich auch die Geschlechterrolle eine nach der anderen abstreifen und das Selbstverständnis von vereinzelten Individuen entwickeln, vergesellschaften sich die Menschen der Moderne in einem bis dahin nicht gekannten Ausmaß. Vergesellschaftung ohne einen sei es auch unausgesprochenen oder unbewussten Konsens geht aber nicht.
Es ist doch wirklich auffällig, dass bei besonderen Anlässen die kirchlichen Würdenträger, die staatlichen Repräsentanten und die Heeresspitzen stets gemeinsam abgebildet sind. Und es scheint kein Zufall zu sein, dass sich Kleriker, Politiker und Militärs da recht friedlich und freundschaftlich in amtlichen Verbindlichkeiten üben. Sie gehören gewissermaßen zusammen. Es handelt sich ja auch um einen Apparat, einen gesellschaftlichen, der Werte vermittelt und sie dadurch immer wieder neu erschafft. Diese Werte seien nun das Seelenheil, das Gemeinwohl und die Kriegskunst.
Die Popmusik in ihren profitablen Segmenten der Kulturindustrie: in den Vereinigten Staaten waren das Soul und Rock’n’Roll, in Großbritannien der Beat und in Deutschland der Schlager. Wie das englische „Beat“ oder „Hit“ verweist das Wort Schlager auf die Konvergenz von musikalischer Eingängigkeit und kommerziellem Erfolg: Die künstlerischen Merkmale des Schlagers – die eingängige Melodie oder die gefälligen melodischen Floskeln („Hit“) und der durchgehend „schlagende“ Rhythmus im treibenden Takt („Beat“) – sind mit den ökonomischen Eigenschaften solcher Musikproduktionen weitgehend gleichbedeutend: Was beliebt ist, wird verkauft; was verkauft wird, ist beliebt.
Demokratie – Das Volk herrscht. Im Staat. Was wir heute unter den Namen Staat und Volk kennen, ist aber so alt gar nicht. Dieses Amalgam wurde in die Welt gesetzt und wuchs heran als Kampfmaschine der Fürsten in der Zeit der frühen Feuerwaffen. Kanonenrüstung und Festungsbau sowie Geldwirtschaft, Manufaktur und Markt zu deren Finanzierung und Bürokratie und Militär als Mittel, um sich durchzusetzen – so formierten sich die modernen Staaten, und diese ihr Volk, es musste sich so ziemlich alles ändern, damit es beim Alten bleibt, der alten Macht in neuen Formen. Auch in demokratischen eben.
Immer noch hat unsereins viel zu verlieren. Zudem den Luxus vielgestalter Zerstreuungen. Freuden für zwischendurch. Immerhin. Auch wenn die Stimmungen schwanken. Himmelhoch wirkt sowieso trügerisch, gedämpfte Melancholie vertrauter. Schaumgebremste Lebendigkeit. Genug um zu überleben. Und genügsam sind wir geworden. Noch können wir uns einrichten, irgendwie durchgfretten, uns widerwillig arrangieren.
Erkundungen im Reich der Tierkörperverwertung
Tierschützer sind mir immer kräftig auf den Zeiger gegangen. Vor allem, wenn sie sich penetrant vor mir aufpflanzten und sinngemäß die Frage stellten, ob ich Tiere mag. Da pflegte ich dann leicht genervt zu antworten: Ja, ich esse sie gerne! Damit war die Sache erledigt.
Heute antworte ich nicht mehr so. Hier war eine unzulässige Überheblichkeit und Unbedachtheit am Werk, die sich gerade in einer elementaren Frage der sonst eingeforderten Reflexion entschlug. Es war ein schlichtes Bekenntnis zur Herrschaft einer Spezies, die davon ausging, sich alles untertan machen zu dürfen. Herrschaft erscheint darin als vorausgesetztes Modell, mochte man auch über die Auskleidung derselben streiten.
Ein Blick etwa in die Reihe „Tierrechte – Menschenpflichten“ des Erlanger Verlags Harald Fischer, belehrt darüber, dass über Tiere, in einem zeitgenössischen, auch einem zeitgenössischen historischen Interesse, bereits intensiv nachgedacht wird. Wer sich dem Thema stellen will, kann hier etwas erfahren: wie groß die aufzuarbeitenden eigenen Defizite sind, zum Beispiel, aber gewiss auch, welche Fallstricke bei der Beschäftigung mit ihm lauern.