von Brigitte Kratzwald
Dieser Beitrag erschien zuerst auf dem Blog Nordwind von Brigitte Kratzwald.
Bei der Attac AktivistInnenversammlung wurde von der UnternehmerInnen-Gruppe ein Papier vorgelegt, über das bei der nächsten AV abgestimmt werden soll. Es heißt „Die 10 Prinzipien der Gemeinwohlökonomie, die von Attac Österreich unterstützt werden könnten“.
Ich versteh die Formulierung nicht ganz, ich weiß nicht genau, worüber die AV abstimmen soll. Dass diese 10 Thesen zu „offiziellen“ Attac-Positionen werden? Da hat Attac ohnehin ein Problem: ob die Gemeinwohlökonomie mit Attac assoziert wird oder nicht, entscheidet nicht die AktivistInnenversammlung von Attac. Diese Entscheidung ist in der Öffentlichkeit und den Medien längst gefallen. Die Gleichung Christian Felber = Attac = Gemeinwohlökonomie ist längst aufgegangen, das erfahre ich fast bei jeder Veranstaltung, die ich mache, sogar in Deutschland mittlerweile. Ob gewollt oder nicht, das Kind ist schon in den Brunnen gefallen. Die Frage ist also nicht mehr ob Attac die Gemeinwohlökonomie unterstützt, sondern auf welche Weise und ob dabei noch Platz für andere Alternativen bleibt, was ich mir sehr wünschen würde.
Bei mir ruft dieses Prozedere – die AV von Attac soll über die Kernthesen der Gemeinwohlökonomie abstimmen – ein seltsames Gefühl hervor. Wer vereinnahmt da wen? Braucht die GWÖ die Legitimation von Attac? Ist Attac dann die graue Eminenz, die „Zertifikate“ vergibt für „richtige“ gesellschaftliche Alternativen? Und gilt das dann auch für andere Alternativen wie Commons, Ernährungssouveränität, usw. Müssen wir uns alle Attac-zertifizieren lassen? Oder will Attac von der Medienwirksamkeit und Popularität der GWÖ profitieren und eine „seröse“ Alternative anbieten anstatt Machtfragen zu stellen?
Ich würde es gut finden, wenn Attac die Bemühungen der UnternehmerInnen, gemeinwohlorientiert zu wirtschaften, unterstützen würde, auch wenn nicht in allen Punkten Übereinstimmung besteht. Und wenn Attac ebenso andere alternative Gesellschaftskonzepte und Visionen in gleicher Weise unterstützen würde, einfach als Versuche andere Gesellschaftsstrukturen aufzubauen. Natürlich muss es Grenzen geben, Minimal-Kriterien, denen sie genügen müssen, aber das gab es ja immer schon für Kooperationen. Und solche sollten sie meiner Ansicht nach bleiben, sonst besteht immer die Gefahr der gegenseitigen Vereinnahmung. Nicht, die GWÖ ist ein Projekt von Attac, auch nicht die Commons oder sonst was, sondern die GWÖ und andere alternative Wirtschaftsmodelle werden von Attac unterstützt und es gibt unterschiedliche Möglichkeiten zur Kooperation. Das würde ich für eine gute Lösung halten und das würde auch gut zur Attac Deklaration 2010 passen.
Ich habe nichts dagegen, wenn UnternehmerInnen, die anders wirtschaften wollen, sich zusammentun und alternative Konzepte und Kriterien entwickeln. Wir können alle Ideen brauchen, die die derzeitige Situation verbessern und ich schätze ihr Engagement. Ich hab aber was dagegen, wenn das, was diesen Menschen richtig und wichtig erscheint, zu einem Modell für alle gemacht und als ultimative Lösung verkauft wird, indem man behauptet sich auf allgemein akzeptierte Werte zu berufen. Wenn das stimmt, wozu braucht es dann ein ganzes Arsenal an hegemoniebildenden Apparaten, um sie durchzusetzen?
Was ich mit diesem Beitrag nicht möchte ist, Konflikte zwischen den einzelnen Alternativen hochzuspielen oder Menschen oder Gruppen, die versuchen Systemalternativen zu entwickeln, zu delegitimieren, auch wenn ich deren Wege nicht als zielführend ansehe. Mein Credo ist nach wie vor, dass niemand von uns wissen kann, ob sein oder ihr Weg richtig ist und wir daher eine Vielfalt von alternativen Wirtschaftsformen brauchen. So steht es auch in der Attac Deklaration 2010, die aus Anlass der 10-Jahresfeier erschienen ist. In diesem GWÖ-Papier hingegen heißt es „Attac unterstützt ein Wirtschaftssystem“, so als wäre es das einzige, ultimative. Und meine Vorstellung von einer zukünftigen Gesellschaft ist, dass nicht wieder ein Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell hegemonial wird.
Manche der VertreterInnen der GWÖ (nicht alle!) tendieren dazu, zu behaupten, sie hätten schon alle anderen Alternativen integriert. So nach dem Motto „wir haben den richtigen Weg gefunden, ihr braucht uns nur noch zu folgen“. Das empfinde ich sehr ähnlich wie es damals die Leute vom Global Marshall Plan gemacht haben, mit denen wir gerade deshalb ziemlich heftige Konflikte ausfochten. Eine solche Form der Vereinnahmung kann ich nicht akzeptieren. Denn es gibt eben doch – und das ist ja der Sinn der Vielfalt – unvereinbare Unterschiede zwischen z.B. dem Konzept der GWÖ und dem der Commons oder der Ernährungssouveränität, die für mich an diesem 10-Prinzipien-Papier ganz deutlich sichtbar werden. Darum möchte ich hier einige der Aspekte anführen, die ich an der GWÖ problematisch finde und deshalb, trotz aller Missionsversuche, für mich die GWÖ keine motivierende Perspektive bietet (wobei ich durchaus zugestehe, dass sie für andere Menschen eine solche darstellen kann). Das richtet sich nicht gegen die GWÖ, sondern soll ein Plädoyer für die Akzeptanz der Vielfalt mitsamt ihrer Unterschiede und gegen eine zwanghafte Harmoniesucht sein. Denn nur unter diesen Bedingungen ist Kooperation möglich.
Wessen Wohl?
Das Problem fängt eigentlich schon beim Namen an. Die Entwicklung und Förderung einer solchen Ökonomie setzt voraus, dass es so etwas gibt – Gemeinwohl – und dass es genau definierbar und für alle das Gleiche ist und – so wird es suggeriert – auch messbar ist und Grundlage für politische Steuerung sein kann. Ich denke erstens, dass es in einer Gesellschaft immer unterschiedliche Interessen gibt und die Definition von Gemeinwohl daher eine Machtfrage ist. Es ist außerdem nicht anzunehmen, dass es global eine allgemeingültige Definition von Gemeinwohl gibt.
Die Idee der Gemeinwohlökonomie basiert hauptsächlich auf abstrakten Werten, die normativ angewendet und zu allererst über einen moralischen Appell eingeführt werden. Dadurch bleibt das Ganze immer auf einer Metaebene. Es gibt vermutlich kaum jemanden, der diesen Werten auf dieser Ebene nicht zustimmen könnte, die Probleme und Konflikte tauchen in der Umsetzung auf. Und für deren Lösung bietet die Gemeinwohlökonomie nichts als Belohnung und Bestrafung und moralische Erziehung an – in der Pädagogik sind das Instrumente aus dem vorigen, nein, aus dem vorvorigen Jahrhundert. Und dass sie für notwendig gehalten werden, zeigt schon, dass Solidarität und Reziprozität nicht strukturell angelegt sind. Die Grundwidersprüche zwischen Arbeit und Kapital – und auch sonstige Grundwidersprüche in der Gesellschaft – werden nicht aufgehoben, sondern sollen durch individuelles Wohlverhalten in Grenzen gehalten werden.
Die Motivation zur Einhaltung dieser Werte soll durch ein Belohnungs-Bestrafungssystem verstärkt werden, Menschen sollen „umgepolt“ werden, als wären wir alle Pawlowsche Hunde. Die Überzeugung, dass das Gemeinwohl für mich das gleiche ist, wie für andere soll also durch Umerziehung hergestellt werden. Trotz aller Betonung von Demokratie scheint mir das alles sehr autoritär, sehr von oben herab, da ist jemand, der weiß wie’s geht und der uns sagt, was wir tun müssen. Es geht primär darum, einen Konsens – oder eher „Hegemonie gepanzert mit Zwang“? (Gramsci) – über Begriffsdefinitionen zu finden. Da lese ich nichts davon, wie soziale Beziehungen und Produktionsverhältnisse gestaltet werden, es gibt keine arbeitenden und keine kreativen Menschen, keine Menschen mit Bedürfnissen. Es geht aus dem ganzen Konzept nicht hervor, dass es eigentlich um die Reproduktion von Gesellschaft geht, um die Produktion von Gütern und sozialen Beziehungen. Wir brauchen was zu Essen, was zum Anziehen und ein Dach über dem Kopf – oder noch besser, es geht um Brot, Schoki und Freiheit für alle, wie es Friederike Haberman formuliert hat, nicht um die Disziplinierung von Menschen und nicht um die Einführung irgendwelcher Messgrößen.
Wessen Werte?
Was in der Gemeinwohlökonomie als Werte definiert ist, nämlich Vertrauensbildung, Kooperation, Wertschätzung, Demokratie, Solidarität, sind meines Erachtens nach keine Werte, sondern soziale Praktiken, die in verschiedenen Gesellschaften verschiedene Formen annehmen können. Solche sozialen Praktiken kann man nicht verordnen, sie entstehen aus der Art wie die die Reproduktion einer Gesellschaft organisiert ist, müssen also in den sozialen Strukturen angelegt sein.
Schlimmer noch finde ich die Idee der Einführung neuer „Pflichtgegenstände“ in der Schule: Gefühlskunde, Wertekunde, Kommunikationskunde, Demokratiekunde und Naturerfahrens- oder Wildniskunde. Hilfe, schon wieder Umerziehung! Gefühle, Werte, Demokratie kann man nicht in Unterrichtsfächern lernen, überhaupt ist diese Vorstellung eines Schulsystems, in dem SchülerInnen in bestimmten Unterrichtsfächern vorgegebene Inhalte lernen, äußerst strukturkonservativ, und hat nichts mit Empowerment zu tun, was eigentlich eines der Hauptziele des Schulsystems sein sollte. Selbstbestimmtes, selbstorganisiertes Lernen, das in sinnvolle Tätigkeit eingebettet ist, eigene Erfahrungen zulässt und jedem Menschen die Möglichkeit zur Entfaltung seiner Fähigkeiten gibt, bringt diese Dinge hervor, nicht bestimmte Unterrichtsfächer. Das Verhältnis der Menschen zur Natur ist in den sozialen Beziehungen einer Gesellschaft angelegt und kann nicht durch Naturerfahrenskunde gelehrt werden!
Die GWÖ ist vor allem ein Regelwerk mit Gesetzen und Verboten, es klingt nach Disziplinar- und Kontrollgesellschaft, erweckt Assoziationen mit Benthams Panoptikum, mit dem „Tugendterror“, den der deutsche Politikwissenschaftler Thomas Meyer im aus den USA kommenden Kommunitarismus ausgemacht hat. Es kommt mir vor, als ob die protestantische Ethik in säkularisierter Form und mit einiger Verspätung nun auch in Österreich angekommen wäre.
Machtfragen dagegen werden ausgespart, auch die des Empowerments und der Selbstermächtigung. Wie sozial benachteiligten Gruppen z.B. die Teilnahme an diesen Konvents ermöglicht werden soll, wie Menschen die in Abhängigkeitsverhältnissen leben, ihr Stimmrecht frei ausüben können, bleibt offen. Ich bezweifle keinen Augenblick, dass sie sehr sorgfältig versucht haben, für soziale Randgruppen mitzudenken, für diese etwas zu tun. Es ist ein weit verbreiteter Irrtum, Solidarität mit Wohltätigkeit zu verwechseln. Aber für andere mitdenken reicht nicht und für die Aneignung der Lebensbedingungen von unten ist ein einem solchen, rein moralischen Konzept kein Platz. Das würde möglicherweise den Werten von Vertrauensbildung, Kooperation und Wertschätzung – so wie sie von den VertreterInnen der GWÖ verstanden werden – widersprechen. Vielmehr geht es darum, alle auf den selben – von Eliten vordefinierten – Stand der moralischen Entwicklung zu bringen. Ich wiederhole mich – eine Idee aus dem vorigen Jahrhundert, so als hätten feministische, antirassistische und antiimperialstische Kämpfe nie stattgefunden. Das ganze Konzept ist wieder einmal ein Ideal weißer, westlicher Eliten.
Auch wenn viel über Demokratie gesprochen wird, ein demokratischer Konvent über die Kriterien und Begrenzungen entscheiden soll, handelt es sich immer nur um die Regelung von Abläufen. Dabei wissen wir, dass Legitimation durch Verfahren ein bewährtes Herrschaftsinstrument ist. Denn schließlich sind die Rahmenbedingungen für diese Abläufe durch die GWÖ schon vorgegeben, es kann nur mehr darüber abgestimmt werden, wie sie umgesetzt werden sollen, ein typisches Merkmal solcher Legitimation durch Verfahren. Das Konzept selbst steht nicht zur Disposition.
Ich denke, dass Vergesellschaftung im Tun geschehen muss, in der Auseinandersetzung zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Interessen und entsprechend den in diesem Prozess auftauchenden Bedürfnissen und den sich dadurch ergebenden Konflikten und dass es immer um das Umwerfen aller Machtverhältnisse gehen muss. Aber die ErfinderInnen der GWÖ haben offensichtlich wenig Vertrauen in die Selbstorganisationfähigkeit von Menschen und sie haben auch Angst davor, sich auf Entwicklungsprozesse einzulassen, irgendwie haben sie einen Kontrollzwang.
Darum fehlen in diesem Konzept einige ganz wesentliche Werte, die ich für zentral für eine zukünftige Gesellschaft halte: Freiheit, Selbstbestimmung, die Möglichkeit zur Selbstentfaltung und gesellschaftlichen Mitgestaltung jenseits der Stimmabgabe. Diese Betonung gemeinsamer Werte, auf die alle eingeschworen werden müssen, öffnet zudem sozialer Exklusion bis hin zu faschistoiden Tendenzen Tür und Tor. Es gilt noch immer, was Rosa Luxemburg gesagt hat: „Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden“. Ein wesentliches Merkmal einer Gesellschaftsordnung sollte für mich sein, dass sie gerade Menschen, die die Werte der Mehrheit nicht teilen, nicht von der Nutzung lebenswichtiger Güter ausschließt – sie muss sich an den Bedürfnissen orientieren nicht an Werten.
Nicht neue Werte, sondern eine neue Erzählung
Die Orientierung an gemeinsamen Werten ist immer ein Problem. Wie die Werte jeweils interpretiert werden, ist kulturabhängig, welche Interpretation und Bewertung sich durchsetzt ist machtabhängig und auch wenn wir annehmen, dass es möglich wäre, sich auf gemeinsame zu einigen, heißt das noch lange nicht, dass auch die Umsetzung klappen würde, denn Menschen handeln oft nicht nach ihren Werten. Unser Handeln wird von vielen anderen Faktoren mitbestimmt, Systemzwängen, Machtverhältnissen und es ist seit 200 Jahren geprägt von unbewussten „mentalen Infrastrukturen“, wie sie Harald Welzer hier ausgezeichnet beschreibt:
„Jedes Duschgel erzählt, mit seiner präzise designten Flasche und dem von Sounddesignern entwickelten «Plopp», mit dem wir es öffnen, eine Geschichte über uns selbst, wenn wir es benutzen. Genau wie jedes Autohaus eine Geschichte über unsere Liebe zur Technik und zur Geschwindigkeit und jeder Flughafen eine Geschichte über unsere Wünsche und Mobilitätsvorstellungen erzählt.“
Wer auf diese Beispiele nicht anspringt, die oder der findet sicher andere zutreffende (auch ich hab kein Faible für Autohäuser, aber mir sind sofort etliche Situationen eingefallen, in denen solche Mechanismen bei mir zu wirken beginnen ) und gegen solche Geschichten, die aus dem Unterbewusstsein unsere Emotionen und unser Verhalten steuern, helfen keine moralischen Appelle und keine Messwerte und Evaluationen, auch nicht Belohnungen und Strafen. Dagegen helfen vielleicht neue Geschichten, die sich aus neuen Lebensformen entwickeln. Diese Gegengeschichten können wir nur gemeinsam schreiben, wir müssen sie selber schreiben und ich bin sicher, sie entstehen nicht vom Schreibtisch aus. Sie können nicht entstehen durch Verbote, Gebote, Erziehungsmaßnahmen, Kontrolle und Disziplinierung, sondern sie können nur dort entstehen, wo Menschen ihr Leben selbst in die Hand nehmen, ohne dass vorher jemand das Drehbuch geschrieben hat. Wie in Tunesien, Ägypten, Spanien, …