Brief aus Cordoba (Argentinien), 9. Dezember 2008
von Dora de la Vega
Der eher für stabile – daher fremde – Verhältnisse selbstverständliche Anspruch auf eine Lebensplanung erweist sich hier auch im Mikroklima des Alltags abermals als illusorisch. Mir scheint, dass wir hier unser ganzes Leben durch und durch in der Improvisation erleben müssen, und deshalb ist jeder Tag ein Abenteuer. Vielleicht ist mein langer Aufenthalt in der BRD schuld daran, dass solche komischen Begriffe wie Lebensplanung überhaupt in meinen Kopf eingedrungen sind – was man mir von Freunden und Verwandten unter Gelächter vorgehalten wird. Sie sind Meister der Improvisation und Krisenbewältigung und trotz vieler Entbehrungen, die wahrscheinlich anderswo unzumutbar wären, sehe ich ein, dass wir hier ein Leben haben, das die Wärme des Zusammenrückens, der Solidarität und damit eine grosse Geborgenheit bietet. Das Teilen ist so selbstverständlich wie das Misstrauen gegenüber Regierung und Institutionen, was aber natürlich noch nicht ausreicht, um daraus die notwendige Grundlage für eine grundsätzliche Infragestellung des kapitalistischen Systems und einen anderen Horizont zu entwickeln.
Der Konflikt zwischen Agrarbourgeoise und Regierung, von dem ich letztes Mal geschrieben habe, läuft weiter, allerdings nach dem Scheitern der Regierung im Senat durch die negative Stimme des Vizepräsidenten, der ja auch Vorsitzender des Senats ist, auf einer anderen Ebene. Seitdem kriselt es in den Regierungsreihen, was von mehreren bürgerlichen Parteien als Gelegenheit wahrgenommen wird, um die Bildung eines rechten Bündnisses zu versuchen.
Auf der linken Seite der Parteienlandschaft kochen unterschiedliche Versuche – auch im Sinne einer Front, allerdings immer noch nach den Rezepten vom Anfang des 20 Jh. Wir, d. h. diejenigen, die organisatorisch eher im außerparlamentarischen Raum eine Zukunft sehen, sind in dieser Hinsicht kein Einzelfall und kamen in der letzten Zeit mit verschiedenen Gruppen anderer Provinzen zusammen, um aus unserer jeweiligen Winzigkeit herauszukommen. Ein Treffen in Jujuy – ganz im Norden – ist sehr ermutigend gewesen, zumal auch mehrere Genossen aus Bolivien anwesend waren, die die Diskussionen durch ihre Klarheit enorm bereichert haben und seitdem ständige Teilnehmer der dortigen Organisationen sind. Dort wurden nach langen inhaltlichen Diskussionen mehrere organisatorische Entscheidungen getroffen. Wir sind dabei, ihnen zu entsprechen, allerdings mit großer Mühe, da die Region Zentrum im Vergleich zum Norden und Osten sich als ziemlich anorexistisch erweist.