von Andreas Exner
Fast unbemerkt in Europa und bei Linken in aller Welt ist vor einigen Jahren in den USA eine neue soziale Bewegung aufgetaucht. Sie globalisiert sich rasch. Neu ist dabei nicht das Programm, sondern die Art, wie es Menschen anzieht. Ich spreche vom Zeitgeist-Movement, das die Aufmerksamkeit, die es erhält, zu einem guten Teil den Filmen von Peter Joseph verdankt. Sein neuester Streifen ist nun im Netz: Moving forward, so der Titel. Mit seiner Botschaft spricht das Zeitgeist-Movement ein breites Publikum an. Diese Botschaft, in der Tat, ist einfach: kein Geld, kein Tausch, kein Kapital, kein Staat. Um es mit einem Wort zu sagen: Kommunismus.
Verblüffend, nicht? Inmitten der Endkrise des kapitalistischen Weltsystems, während die Eliten beginnen nach neuen Wegen der Herrschaft zu suchen, ohne eine Bewegung, die den Kapitalismus überschreiten will, beginnen Leute plötzlich zu diskutieren wie „diese Scheiße“ (Jacques Fresco) denn zu beenden sei – und zwar indem das absurde und tödliche System der Märkte und der Staaten abgeschafft wird. Der Film endet mit Bildern einer Weltrevolution, Leute werfen ihr Geld weg, die Gewalt des Staates sieht sich mit friedlichen Demonstrationen konfrontiert, und die politische und ökonomische Elite kapituliert ganz einfach. Zu schön um wahr zu sein, aber schön ist dies allemal.
Kritik radikal
Die Wahrheit des Films liegt nicht so sehr in der Art, wie er eine Alternative skizziert, sondern in seiner radikalen und unnachgiebigen Kritik des kapitalistischen Lebens. Die besten Momente des dreistündigen Opus magnum von Peter Joseph sind jene, in denen er schonungslos die unfassbaren Absurditäten der Herstellung und des Konsums von Waren demaskiert, von Produkten, die verkauft werden und die nur hergestellt werden, um verkauft zu werden – für einen Profit. Diese Übung gelingt Joseph mit Leichtigkeit und Ironie.
Wenn Peter Joseph die Verrücktheit dessen bloßstellt, was er das „Geldsystem“ nennt und das vor allem in der Bewegung des zinstragenden Kapitals besteht, der „äußerlichsten und fetischhaftesten Form“ des Kapitals (Marx), dann erscheint das Geldsystem als das, was es ist: nicht als der Schuldige der Misere unserer Zeit, sondern schlicht die Verlängerung der tödlichen Absurdität des Tausches. Die Schlussfolgerung ist schlagend: it’s the system, stupid. So grenzt sich der Film zugleich unmissverständlich von jeder Art der Verschwörungstheorie und dem damit fast unvermeidlich einhergehenden Antisemitismus ab. Ideologien, die eine umso größere Gefahr für eine auf Befreiung ausgerichtete soziale Bewegung darstellen, je mehr die Krise sich vertieft und die Menschen dennoch am Status quo von Markt, Lohnarbeit, Staat und Kapital festhalten wollen.
Gewiss, was vielen so unerhört neu an Zeitgeist erscheint, fiel nicht vom Himmel, sondern hat geschichtliche Wurzeln. Der neue Zeitgeist-Film propagiert einen Kommunismus im besten Sinne, und dies erstaunlicherweise ohne Marx auch nur zu nennen – sei es aus taktischen Gründen, sei es aufgrund einer gewissen Art von Engstirnigkeit (die solange keinem weh tut, als der Kern der Zeitgeist-Botschaft davon unberührt bleibt). Abgesehen von der Gedankenwelt des Kalten Krieges und den nach wie vor lebendigen Erfahrungen der Repression kommunistischer Bewegungen in den USA ist es vor allem die Schuld jener so genannten Kommunist_innen, die nur Varianten des Bestehenden propagieren und es für radikal ansehen eine Verstaatlichung von Banken zu fordern oder Vollbeschäftigung, dass Bündnisse, die eigentlich auf der Hand liegen, noch nicht entstanden sind.
Die Kinderkrankheiten des Zeitgeist
Die Schwächen des Ansatzes sind erstens die Blindheit gegenüber der Produktion und zweitens die gefährlich unkritische Sicht von Wissenschaft als eines puren Abbilds einer angeblich objektiven Realität.
Dass die Leute nicht nur konsumieren, sondern auch tätig sind: zu Hause, in der Fabrik und im Büro; dass sie arbeitslos sind oder Bäuerinnen und Bauern, die, was sie zum Leben brauchen, selbst produzieren – all dies ist nicht Teil der Geschichte, die der Film erzählt. Dies passt nicht nur gut in die bürgerliche Sicht auf die Welt, die nur Konsumierende und Haushalte kennt und die der Film in vielen anderen Passagen so schonungslos zerstört, sondern es verhindert auch eine Erklärung, wie denn der Kapitalismus wirklich überwunden werden kann. Denn eine Alternative entsteht nicht am Schreibtisch eines Ingenieurs, sondern in den Herzen der Menschen und vor allem in der konkreten Veränderung sozialer Beziehungen: am Arbeitsplatz, zu Hause und auf der Straße, das heißt in der Produktion und Reproduktion der Gesellschaft. Dazu hat Zeitgeist nicht viel zu sagen – woher auch die seltsame Kluft rührt zwischen Frescos Vision kreisrunder Städte, die an Stanislaw Lems urbane Landschaften in „Transfer“ erinnern oder an eine Szenerie in Star Trek auf der einen Seite und der klarsichtigen (wenngleich marktfixierten) Kritik des Kapitals andererseits.
In einer Interviewsequenz in Moving forward nennt Jacques Fresco die Menschen „Opfer der Kultur“. Ja, wir sind alle in der einen oder anderen Weise Opfer. Allerdings sind wir nicht dazu verdammt, sondern wir interpretieren und reproduzieren oder verändern unsere sozialen Interaktionen beständig. Dies geschieht vor allem in fortwährenden, auf verschiedenen Ebenen stattfindenden sozialen Auseinandersetzungen, vom Haushalt bis zum Büro. Demonstrationen sind nur ein kleiner Teil dieser Kämpfe – ein eher oberflächlicher und häufig ziemlich hilfloser noch dazu. Wir sind also nicht nur Opfer, sondern zur selben Zeit Menschen, die sich dagegen wehren, von anderen Menschen beherrscht zu werden, die zurückschlagen und Räume der Freiheit schaffen. Anders wäre es auch ein komplettes Rätsel, dass Leute wie Peter Joseph oder Jacques Fresco der vermeintlich totalen Opferrolle entkommen konnten.
Die patriarchale Autorität der Wissenschaft
Der blinde Fleck am Auge der Produktion führt Moving forward auch zu einer fast vollständigen Ignoranz gegenüber dem Geschlechterverhältnis und der Rolle, die feminisierte Tätigkeiten im Haushalt und im „Mothering“ (der „Bemutterung“, ein Begriff, den Genevieve Vaughan geprägt hat) für das Marktsystem spielen. Dies passt nur allzu gut zu der unkritischen Sicht auf die Wissenschaft, die laut Zeitgeist für alle Probleme eine Lösung parat hat. Eine Sicht, die der Film selbst noch verkörpert, indem praktisch nur Leute mit akademischen Titeln zu Wort kommen – alles Männer (mit einer Ausnahme) und scheinbar im Besitz irgendeines höheren Wissens. Es ist ebenso frappierend wie gefährlich, dass Zeitgeist, jedenfalls in der Darstellung des Films, glaubt, es existiere irgendeine Art von absoluter und universeller Wahrheit „da draußen“ und dass diese Wahrheit Sache von Leuten, die dann Experten und Wissenschafter heißen, ist.
Richtig ist, dass technische Probleme der Organisation der Produktion nicht in politischen Kategorien gelöst werden können – es gibt in der Tat kein republikanisches oder liberales Auto. Es ist jedoch ganz falsch an die eine Lösung für alle zu glauben oder zu meinen, irgendeine Technologie sei „wertneutral“. Weder die Atombombe noch der Computer sind „wertneutral“. Fast scheint es so, als wolle man die sich absolut gebende Autorität des Staates, die Zeitgeist zurecht kritisiert, lediglich gegen eine neue absolute Autorität eintauschen: die der Wissenschaft, die Herrschaft einer vermeintlich universellen, neutralen und absichtslos objektiven Vernunft, vermittelt durch ebenso absichtslos objektive und selbstverständlich wohlmeinende Wissenschafter und Experten.
In der Sicht des wissenschaftstheoretischen Realismus, den Zeitgeist bedauerlicherweise vertritt, wird die Wissenschaft als ein Abbild der Realität betrachtet. Dies ist mit Sicherheit falsch. Realität ist eine Konstruktion, und sie wird mit verschiedenen Mitteln konstruiert, der Alltagssprache und Kultur, der traditionellen und der modernen, der westlichen wie der östlichen Wissenschaft.
Zwar ist klar, dass Ölreserven endlich sind und wir nicht mit dem Kopf durch die Wand rennen können, doch die Begriffe und Theorien, mit deren Hilfe wir den eigenartigen Widerstand erklären, den die „Außenwelt“ uns entgegensetzt, wenn wir unsere Ziele verfolgen, diese Begriffe und Theorien variieren, sind flexibel, hängen ab von kulturellen Vorannahmen und Prägungen – sie sind alles andere als absolut. Wir können nicht einmal sagen, warum die einfachste Lösung für ein wissenschaftliches Problem (wie sie das allgemein anerkannte Prinzip von „Occam’s Rasiermesser“ verlangt), auch die „wahre“ Lösung sein soll, warum sie mehr mit einer „äußeren Realität“ zu tun haben soll als eine kompliziertere Erklärung. Und universelle und über alle geschichtlichen Epochen hinweg gültige Kriterien dafür zu geben, was „einfach“ ist im wissenschaftlichen Sinn, dürfte ebensowenig gelingen.
Das Lob der Wissenschaft lässt einen beinahe frösteln, wenn einige der Interviewpartner kurz auf die Frage der Bevölkerung und eine vermeintliche Kollision mit einer so genannten ökologischen Tragfähigkeit zu sprechen kommen. Tatsächlich wird die Weltbevölkerung um 2050 bei ziemlich sicher 9 Milliarden Menschen ihren Peak erreichen. Und es ist – man staune – Gegenstand einer wissenschaftlichen Kontroverse und ideologischer Kämpfe als Teil von Klassenkämpfen, ob 9 Milliarden ein gutes Leben führen können oder ob Milliarden von Menschen dazu verurteilt sind, irgendeiner Katastrophe aufgrund eines vermeintlichen Overshoot zum Opfer zu fallen.
Die falsche Verheißung der Technik
Es scheint also, dass die Zeitgeist-Bewegung die ursprüngliche Idee des Kommunismus rettet – „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen“ (Marx) -, während sie einen seiner großen Fehler weiter mitschleppt: zu glauben, dass die Organisation von Produktion und Verteilung nur eine technische Frage darstellt, wofür eine universelle wissenschaftliche Lösung existiert, die alle Konflikte aus dem Weg räumt. Dieser Fehler hatte seine Glanzzeit in der Zwischenkriegsperiode. Und es ist kein Zufall, dass dort auch die historischen Ursprünge der Zeitgeist-Bewegung liegen, eines Nachkommens der so genannten technokratischen Bewegung, die Friedrich Engels‘ Aussage, wonach lediglich die Verwaltung von Dingen an die Stelle der Herrschaft von Menschen über Menschen treten muss, für bare Münze nahm (und nimmt).
Der visionäre Schlussteil des Films macht klar, dass die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse nicht an mangelnden technologischen Möglichkeiten scheitert – dies war indes vermutlich niemals in der menschlichen Geschichte der Fall, nachdem Bedürfnisse von der Technologie ebenso geformt werden wie umgekehrt. Doch es ist falsch, eine universelle Lösung einer technophilen Verwaltungsutopie zu propagieren, die in einem globalen System des Managements von Ressourcen, Produktion und Verteilung besteht. Der Umstand, dass menschliche Bedürfnisse bis zu gewissem Grad universell sind, bedeutet nicht, dass die Art, wie diese Bedürfnisse befriedigt, interpretiert und entfaltet werden, zu weltweit ein und demselben gesellschaftlichen Entwicklungspfad tendiert.
Globale Kooperation mag nützlich sein, teilweise sogar notwendig. Jedoch kann sie nicht darauf beruhen, dass Menschen wie Maschinen funktionieren müssen, einem vermeintlich natürlichen Zwang des Ressourcenmanagements gehorchend, der von einer wissenschaftlichen Steuerungsgruppe ausgeübt wird – der Film schweigt erstaunlicherweise darüber, wie in einer post-kapitalistischen Gesellschaft Entscheidungen getroffen und die entscheidenden Institutionen kontrolliert werden sollen.
Jacques Frescos Vision einer, wie es im Film heißt, perfekt „sauberen und effizienten“ Lebens- und Produktionsweise in kreisförmigen Städten erinnert an das, was James Scott „high-modernist schemes“ nannte, die, wie sein Buch „Seeing like a state“ überzeugend klarlegt, darin versagt haben, die menschlichen Lebensbedingungen zu verbessern. An diesem Punkt erscheint Fresco wie eine anachronistische Variante von Le Corbusier. Während Le Corbusier den rechten Winkel liebte, bewundert Fresco den Kreis. Nun ja, eine Frage des Geschmacks, nicht der menschlichen Befreiung, möchte man meinen. Solange die Le Corbusiers und Frescos dieser Welt niemanden dazu zwingen ihre Visionen umzusetzen und deren Folgen zu erleiden, mag dies ja okay sein. (Brasilía, eine Stadt, die der Ideologie von Le Corbusier entsprechend gebaut worden ist, entpuppte sich als reichlich unfreundlicher Ort, der nur existieren kann, weil er von einem Netz informellen Lebens und einem ungeplanten Stadtrand, der inzwischen größer ist als die geplante Stadt, getragen wird.) Die große Lösung daraus machen zu wollen, ist jedoch falsch und potenziell autoritär.
Die wirkliche Bewegung
Diese kritischen Einwände sollen die große Leistung des Films nicht mindern: Er hat als erster ein wahrhaft kommunistisches Programm formuliert, in Worten und Bildern, die ein breiteres Publikum versteht und annehmen kann. Freilich, es bleibt zu hoffen, dass das Publikum aufhört, Publikum zu sein, und stattdessen das zu machen beginnt, was Kommunismus letztlich sein muss: „Der Kommunismus ist für uns nicht ein Zustand, der hergestellt werden soll, ein Ideal, wonach die Wirklichkeit sich zu richten haben wird. Wir nennen Kommunismus die wirkliche Bewegung, welche den jetzigen Zustand aufhebt. Die Bedingungen dieser Bewegung ergeben sich aus der jetzt bestehenden Voraussetzung.“ (Marx/Engels).
Worin genau diese Voraussetzung besteht, sollten wir sehr viel eingehender und auf kontroversiellere Weise untersuchen, als der Film dies tut.