Der Populismus der Linkspartei reflektiert den Zerfallsprozess der Politik
von Norbert Trenkle
Als Müntefering in der Endphase des NRW-Wahlkampfs mit seinem Appell ans Ressentiment gegen die „ausländischen Finanzinvestoren“ die absehbare Niederlage der SPD noch einmal abzuwenden versuchte, bewies er einen Riecher für die Stimmung im Lande, die man dieser „Seele der Partei“ mit der Aura eines verstaubten Aktenschranks kaum zugetraut hätte. Nur seine Hoffnung, diese Stimmung noch einmal zum Nutzen seiner eigenen Partei mobilisieren zu können, ging nicht auf. Stattdessen feuerte er den Startschuss für eine Entwicklung ab, die zu einer grundlegenden Erosion des deutschen Parteiensystems führen dürfte.
Freilich bedeutet die Externalisierung der so genannten „Kapitalismuskritik“ in einem eigenen Parteienbündnis keinesfalls die Neuformierung der linken Opposition. Vielmehr reflektiert sich darin eine für die derzeitige Krisensituation durchaus charakteristische Schizophrenie. Auf der einen Seite sind die Zwänge der kapitalistischen Konkurrenz- und Verwertungslogik weitgehend verinnerlicht, erscheinen als unhintergehbares Naturgesetz und Wesen des Menschen. Auf der anderen Seite wächst aber unter dem Druck des entfesselten Weltmarkts und der Prekarisierung der Lebensverhältnisse auch ein diffuses Unbehagen an einer Gesellschaft, die eine erfolgreiche Marktteilnahme gleichzeitig zur Existenzbedingung erhebt und verunmöglicht. Weil sogar die momentanen Gewinner mittlerweile damit rechnen müssen, morgen schon unter die Räder zu kommen, geht die Angst um. Und Angst sucht nach einem Ventil.
Bislang war es den etablierten Parteien zumindest im Westen noch gelungen, diese schizophrene Stimmung politisch zu kanalisieren. Nicht zufällig fiel dies in den relativen Gewinnerregionen am leichtesten, vor allem in Bayern, wo die CSU ihre Position als quasi-sozialdemokratische Volkspartei immer schon mit einer Mischung aus wirtschaftsfreundlicher Standortpolitik, Klientelwirtschaft und populistischer Stimmungsmache abgesichert hat. Aber auch der SPD gelang diese Integrationsleistung noch einmal, als sie 1998 aus Unmut über den Kohlschen Sozialabbau an die Macht gespült wurde, obwohl es die Spatzen damals schon von den Dächern pfiffen, dass sie diese Politik noch viel konsequenter fortsetzen würde. Doch spätestens seit Hartz IV war dieser Spagat nicht mehr durchzuhalten.
Insofern ist das jetzige Auseinanderbrechen der alten Parteien-Konstellation und das Outsourcing der anti-neoliberalen Stimmung alles andere als erstaunlich. Denn auch wenn das Publikum das Spiel im Grunde durchschaut und daher auch nicht etwa betrogen wird, sondern sich allenfalls ein paar Illusionen vorgaukeln lassen will, ungefähr so wie es sich gerne mal in die Traumwelten von Hollywood entführen lässt, um den kapitalistischen Alltag leichter ertragen zu können, so verlangt es doch ein gewisses Maß an Glaubwürdigkeit von den politischen Darstellern. Schließlich möchte man ja auch keine Laienschauspieler auf der Leinwand sehen, Mafiabosse etwa, denen man auf den ersten Blick anmerkt, dass sie hauptberuflich Steuerberater sind oder an einer Supermarktkasse sitzen. Insofern war Gerhard Schröder eigentlich eine recht gute Besetzung, denn im Metier der symbolischen Politik ist er zu Hause. Doch die Kluft zwischen sozialer Gerechtigkeitsrhetorik und marktradikaler Zurichtung der Gesellschaft konnte selbst er nicht mehr überbrücken. Deshalb darf nun sein alter Rivale Lafontaine mit einem Konkurrenzunternehmen zumindest vorübergehend reüssieren.
Dennoch erfüllt die Linkspartei nicht einfach die Funktion einer Re-Stabilisierung des politischen Systems durch Integration der Unzufriedenen. Denn dazu müsste es ihr wenigstens eine Zeitlang gelingen, eine „andere Politik“ zu simulieren und auf der symbolischen Ebene einigermaßen glaubhaft zu vertreten. Genau dieser Weg ist jedoch verbaut. Es braucht keine besondere Phantasie um zu erkennen, dass PDS und WASG im Falle einer Regierungsbeteiligung exakt die gleiche Politik betreiben werden, wie die von ihnen jetzt attackierten „neoliberalen Einheitsparteien“. Jeder potentielle Wähler kann das am praktischen Exempel in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern studieren. Dahinter steht nicht etwa ein Mangel an Wille oder Durchsetzungskraft, sondern die Tatsache, dass die globalisierte Krisenkonkurrenz und der ungeheure Rationalisierungswettlauf die Handlungsspielräume der Politik aufs Äußerste verengt haben. Weil dies im Grunde dem Wahlvolk längst bekannt ist, erwartet es auch gar keine ausgefeilten politischen Gegenentwürfe; ein paar Schlagworte die das Bauchgefühl ansprechen, genügen vollkommen. Selbst dem letzten Underdog ist klar, dass die ganzen phantastischen neo-keynesianischen Konzepte ökonomisch in der Luft hängen. Die Einzigen, die noch daran glauben, sind ein paar linke Professoren, die ihr Leben lang nichts anderes gelernt haben und ein Teil der Partei- und Attac-Aktivisten, die nach intellektuell anspruchsvolleren Illusionen verlangen als der Durchschnittswähler.
Lafontaine ist alter Politikfuchs genug um dies längst begriffen zu haben. Deshalb beharrt er einerseits auf „ökonomischem Realismus“ und senkt schon mal im Programmentwurf Mindestlöhne ab, die im Zweifelsfalle sowieso gerade mal eben auf Sozialhilfeniveau angesiedelt sein werden; andererseits spielt er hemmungslos die populistische Karte aus. Dass er dabei offen ans nationalistische und rassistische, und ein wenig verklausulierter auch ans antisemitische Ressentiment appelliert, liegt durchaus in der Logik der Sache. Denn was unter den Bedingungen des globalisierten Krisenkapitalismus vom Keynesianismus übrig bleibt, ist nur noch der aggressive Wunsch einer Wiederherstellung seiner notwendigen nationalstaatlichen Grundlage. Zwar ist auch dies nicht viel mehr als bloße Phantasie, denn die Transnationalisierung des Kapitals lässt sich nicht mehr rückgängig machen, doch ermöglicht die Definition der entsprechenden Hassobjekte, „Fremdarbeiter“ und das unvermeidbare „wurzellose Finanzkapital“, zumindest eine vorübergehende Affektabfuhr.
Obwohl Lafontaines Avancen bei so manchen Aktivisten der Linkspartei ehrliche Abscheu auslösen, sind sie doch Ausdruck eines Populismus, dem die nähere Zukunft gehören dürfte. Die unübersehbare Tendenz zur Verschmelzung ehemals linker und rechter Positionen spiegelt dabei auf ihre Weise einen allgemeinen Trend, der nichts weniger als den Zerfallsprozess der Politik reflektiert, die zunehmend ihre relative Handlungsfähigkeit gegenüber der entfesselten kapitalistischen Logik verliert. Weil es aber auch in diesem Prozess noch den Schein von Gegensätzen braucht, kommt es zum Neben- und Miteinander von vereinheitlichter sozialdarwinistischer Krisenverwaltung und ebenso vereinheitlichtem Populismus, der den Unmut rassistisch und antisemitisch kanalisiert. Die besondere Gefährlichkeit dieser Entwicklung liegt darin, dass es sich nicht etwa um ein stabiles Gleichgewicht handelt, sondern um ein dynamisches Wechselspiel zwischen zwei Polen, die mit Fortschreiten des Krisenprozesses noch viel rabiatere Züge annehmen werden. Die gesellschaftliche Opposition täte gut daran, sich darauf einzustellen, statt irgendwelche Illusionen über die Linkspartei zu pflegen.