Zum Tod des aramis (1950-2010)
von Franz Schandl
„die gestundete zeit ist abgelaufen. die schmerzen sind zu groß geworden. ich mache ein klassisches ende“. – Dass es so kommt, hat man wissen können, wenn man ihn kannte, das es so schnell kommt und dass es jetzt kommt, davon ahnte ich nichts. Ende September ist aramis in den Freitod gegangen.
Persönlich hatten wir uns ja erst 2007 kennen gelernt, und auch seitdem nur vier Mal getroffen, wenngleich wir doch nicht wenige Briefe gewechselt haben und vor allem viele Texte und Kataloge, Broschüren und Zeitschriften hin- und hergegangen sind. Zuletzt begegneten wir uns am 21. August im südsteirischen Pößnitz am Weingut der Menhards. Er schien guter Laune, vielleicht etwas überdreht. Aber was sagt das schon und was will ich mutmaßen, es waren nur einige Stunden und viele Leute, die Musik spielte und für intensivere Kontakte war keine Zeit.
Hand anlegen, das war seins. Es war aber keine Arbeit, die er verrichtete, sondern es war im wahrsten Sinne ein Werk, das er im Laufe der Jahre da schuf. Ein Gesamtwerk, ja ein Gesamtkunstwerk, das sich nicht einschränken lassen wollte: Dazu gehörten Bild und Text, Montage und Musik, Bühne und Schloss, Feld und Scheune, Wiese und Weg. Wer die „Pirsch“ 2008 gesehen, nein besser: miterlebt hat, der konnte wissen und spüren, worum es ging. Um den Versuch einer befreienden Darstellung des Lebendigen in dessen Vielfalt.
Da war Wille und Stil, von der Kleidung bis zur Handschrift. Überall Sinnlichkeit. Überall Vitalität. Überall Radikalität. Seine Briefe selbst sind kleine Kunstwerke von hoher Achtsamkeit und großer Akribie. „ich gehöre nicht zu denen, die der ansicht sind, ‚über geschmack könne man nicht streiten’“, ließ er ausrichten.
Was war er eigentlich, dieser Hans Peter Sagmüller? Ein Maler? Ein Restaurator? Ein Gärtner? Ein Ofenbauer? Ein Museumsdirektor? Alles und nichts von dem. Schön ist es, wenn die Frage nach dem Was verunglückt, und sich die nach dem Wer aufdrängt? Also: Wer war aramis? Antworten darauf sind nicht ganz so leicht wie die Frage. Aber die ist richtig und wird uns auch weiter beschäftigen.
aramis hat also nicht nur ein Werk geschaffen, sondern ist selbst Bestandteil dieses Gesamtkunstwerkes gewesen. Er war nicht nur die Bilder, die Installationen, die Kataloge, die Briefe, die Öfen, die Gärten, das Museum. Dieses hat ihn jetzt ganz aufgenommen. Das Schloss atmet ihn. In allen Ritzen und Ecken hockt er. Seine Energie wird noch lange zu spüren sein. Er ist da, wo er gewesen. Das hier ist sein Anwesen. Das Kunstwerk ist vom Lebenswerk und der Künstler nicht vom Menschen zu trennen. Das stimmt zwar auch im Allgemeinen, aber auf aramis bezogen, stimmt es im ganz Besonderen.
Und das Werk selbst wird sich als Schatz erweisen. Nicht nur als Kunstschatz, sondern als Lebensschatz. „Jede Wiedergabe, Vervielfältigung und Verbreitung unserer Publikationen ist im Sinne der Bereicherung des allgemeinen geistigen Lebens erwünscht. Es gibt kein geistiges Eigentum. Es sei denn, als Diebstahl. Der Geist weht, wo er will. Jede Geschäftemacherei ist dabei auszuschließen. Wir danken den Toten und den Lebendigen für ihre Zuarbeit und arbeiten andrerseits nach Kräften zu.“ Sagt aramis. Sage ich auch.
aramis war ein aufmerksamer aber ganz eigener Mensch, empfindsam und emotional, er ließ sich von allerlei berühren und er berührte auch. Seine Haltung war keine Zurückhaltung. Seine Sicht war nicht die Vorsicht. Mich hat er ganz einfach zu sich zitiert, sehr freundlich, aber doch auch sehr bestimmt. Er wollte jemanden kennen lernen, der so verrückt ist wie er selbst. Er wollte das und ich folgte. Ich denke, es hat uns beiden gut getan, vor allem hat der gegenseitige Zuspruch einiges an Freude bereitet.
aramis hat gelebt, nicht nur exisiert. „Ich bin“ konnte da einer sagen, ohne dass dies eine Zumutung gewesen wäre. Individuen, die sind wir nicht, die müssen wir erst werden. Aber ein Stück weit sich vorwagen, wird man von allen verlangen dürfen. aramis hat sich weit vorgewagt, ja sein ganzes Leben bestand in diesem Wagnis, dieses sich selbst setzende Ich nicht nur zu propagieren, sondern auch zu praktizieren. Das ist oft schmerzhaft, auch für die anderen. Aber ohne diese Versuche sind wir Konfektionsware, abgeschmacktes Elend. Nicht nur elendig, sondern elendiglich.
Ich habe kaum jemanden in meinem Leben getroffen, dem ich ein stärkeres Ego bescheinigen würde als dem Linder Schlossherrn. Das hatte viele Vorzüge, aber auch einige Nachteile. Zu starke Gewissheit trägt den Keim der Verlorenheit: „mit dem meisten will ich gar nichts mehr zu tun haben“, schrieb er. So kam es schon vor, dass die Erbitterung über die Zustände umschlägt in eine Verbitterung gegenüber den Menschen. Die Erbitterung, die soll man teilen, die Verbitterung aber nicht. Hier bedroht und beschädigt sich die Ästhetik des Aufstands, der aramis sich leidenschaftlich hingegeben hat, auch immer selbst. aramis war sein Leben lang ein Aufständischer, nicht bloß ein Aufsässiger, einer, der wie alle wirklichen Aufständischen darunter leidet, dass es ihrer so wenige gibt. „mich werden sie nicht fangen“, behauptet er im Oktober 2008, „lasst euch nicht erwischen“.
Hand anlegen, das war seins. Er legte jedenfalls überall Hand an, auch an sich. Auf den Tod hat er nicht gewartet, er ist auf ihn zugegangen: „Hier bin ich, aramis.“
P.S. Details zu aramis Lebenswerk finden sich auf der Homepage von Schloss Lind.
P.P. S.: Mit Materialien (vor allem Katalogen) hat mich aramis reichlich bestückt. Diese sind aber nicht versendbar, wohl aber abholbar. Wer welche möchte, soll sich melden.