Zur Affäre Clinton. Zehn Jahre danach.
Von Franz Schandl
Die Magazine waren voll und die Sendungen gingen über. Die Geschichte faszinierte und das Geschäft lief gut. Der mächtigste Mann der Welt wurde zum globalen Gespött. Niemand konnte sich dem Schauspiel entziehen. Alle sahen zu. Und wohl nicht wenige wussten nachher mehr über die Sexualpraktiken des amerikanischen Präsidenten als über die eigenen Gelüste. Der Starr Report, benannt nach dem Sonderermittler in Sachen Clintonscher Sexualität, wurde zum Bestseller, abertausende Videokassetten des peinlichen Verhörs wanderten über die Ladentische, Millionen von Zuschauern bestaunten Clintons Beichte vor seinem Inquisitor.
Wo Menschen sich treffen, treten sie zueinander in Beziehung, mitunter auch in eine sehr intime. Das ist nicht ungewöhnlich, seltsam ist bloß, dass dies wie in solchen Fällen einerseits bewusst verschwiegen werden muss oder andererseits lediglich als Affäre in der Öffentlichkeit auftreten kann. Vertuschung und Skandal sind so äußerst extreme, aber obligate Formen von Verdrängung oder Enthüllung. Am Markt der Sensationen wird zwar einiges serviert, aber immer das Falsche, das Unwesentliche, das Beiläufige oder wie hier das Läufige. Außer Klatsch und Tratsch erfährt man wenig.
Bill Clinton sollte erwischt, überführt und erlegt werden, da wurde vor nichts Halt gemacht. Betschwestern grasten vor dem Weißen Haus, Fernsehprediger rissen ordinäre Witze, besamte Kleider wurden der Justiz übergeben, selbst Monica Lewinskys nie abgeschickte und gelöschte Mails wurden vom Geheimdienst protokollfähig aufbereitet. Es war ein bigottes und fanatisiertes Segment der amerikanischen Gesellschaft, das den Präsidenten in einem Kotmeer von Sitte und Moral ertränken wollte. Kenneth Starr, Protestant und Republikaner, wirkte dabei verbissen wie der österreichische Pornojäger Humer. Clintons Gegner offenbarten sich als wahre Triebtäter.
Entwickelte westliche Gesellschaften sind wahrscheinlich deswegen so geil, weil ihre Insassen zu wenig Sex miteinander haben. Auch wenn er Clinton bloßstellen wollte – wer hier öffentlich onanierte, das war der amerikanische Puritanismus. Die Mischung aus Verklemmtheit und Gier, aus Gottesfurcht und Pornographie, aus Beschuldigung und Reue war ganz nach dem Geschmack des Publikums. Der Ekel erregte ordentlich. Verkaufszahlen und Einschaltziffern belegen dies. „Prüde Leute“, sagte schon Jonathan Swift, „haben eine schmutzige Phantasie“. Zweifellos, viele Angewiderte brauchen das Anwidern wie einen Bissen Brot. Da spüren sie sich, da leben sie auf, da können sie sich das Maul zerreißen. Indes ist nicht auszuschließen, dass gerade offizielle Verurteilung und klammheimliche Zustimmung korrespondieren. Die stabilen Sympathiewerte für Clinton sprechen für diese Annahme.
Bill Clinton ist ein auf Anmache trainierter Liberaler. Läufigkeit imponierte sich in der Außenfrequenz. Für Billy-Boy galt wohl folgendes: Here comes Mister President! Macht macht geil. Jeder Mann weiß, dass mit dem Status der Phallus wächst. Womit natürlich noch nicht gesagt ist, dass damit etwas angestellt wird. Die Einbildung ist manchmal sogar relevanter als die Ausführung. Natürlich können die hier absichtlich nicht Affären genannten Verhältnisse nicht allesamt auf männliche Neigung und weibliche Fügung zurückgeführt werden. Insgesamt aber zementieren sie männliche Dominanz, eben weil diesbezügliche Beziehungen noch immer geschlechtsspezifisch toleriert oder sanktioniert werden. Was Bill trotz aller Aufregung erlaubt wurde, das hätte sich Hillary nie erlauben dürfen. Nicht nur Verachtung, Ächtung wäre die Folge gewesen. Es herrschen nach wie vor doppelte Standards.
Camille Paglia meinte nicht zu Unrecht, dass für Clinton „die Welt voller Frauen jeglichen Alters ist, die bereit sind, einen geilen Präsidenten jederzeit zu befriedigen.“ Wer ständig derlei Abwechslung braucht, demonstriert damit aber nichts anderes als ein unstillbares Bedürfnis. Heißhunger auf Frauen verdeutlicht mehr die Angst vor ihnen als die Lust auf sie. Objekte sollen nicht als Subjekte angenommen, sondern gleich Waren konsumiert werden. Der Womanizer ist ein Getriebener, immer hungrig, weil er nie satt wird.
Der Präsident und sein Beraterstab lagen jedenfalls völlig daneben, als sie meinten, es sei immer noch wie zu Kennedys Zeiten möglich, diverse Verhältnisse auf der Gerüchteebene zu belassen und einfach auszusitzen. Nichts irriger als das. Der Indiskretion folgt die Publikation, und die Preise, die mit beiden erzielt werden können, sind so hoch wie noch nie. „Nie zögert die Gesellschaft, die Geheimnisse, in deren Irrationalität ihre eigene sich verschanzt, auf dem Markt auszubieten, sobald verdrückte Lust am Verbotenen dem Kapital in der Sphäre der Publizität neue Investitionschancen gewährt.“ (Adorno) Es geht um Vermarktung ursprünglich der Verwertung nicht direkt zugängiger Zonen. Schranken werden zusehends niedergerissen, um jene dem medialen Business auszuliefern. Das Privateste ist alles andere als niet- und nagelfest, es kann verkauft werden, ohne dass dessen Privateigentümer noch ein Wörtchen mitzureden hätten. Intimität, das war einmal.
Der Standpunkt, dass das Private niemanden etwas angehe, ist aber nur insofern richtig, wenn es um die konkrete Ereignisse und Handlungen geht, etwa mit wem und wie oft der Präsident es getan hat, welche Stellungen er bevorzugt, wohin Zigarren gesteckt werden, wie viele Kleider Sperma-Flecken aufweisen etc. Dies alles verdient im Sinne persönlicher Integrität Schutz vor öffentlicher Darlegung. Das gilt aber nicht, wenn es um die herrschende Typologie geschlechtlicher Kommunikation im politischen Bereich geht. Diese ist sehr wohl von allgemeinem Interesse.
William Clinton war lediglich ob der Übergriffe der reaktionären Bigotterie zu verteidigen. Ansonsten verhielt er sich wie ein dummer Junge, der beim Fummeln erwischt worden ist. Zuerst stritt er alles ab, dann log er alles um, und zum Schluss sagte er: „Ich tu’s nie wieder! “ Als der Präsident von „unpassenden sexuellen Neckereien“ sprach oder davon, dass er die Würde des Amtes durch Telefonsex verletzt habe, gab er zu erkennen, dass er als Verstärker der gegen ihn gerichteten Ideologie funktionierte, weil diese seine eigene ist. Er nahm sich als jemand wahr, der ein Delikt gesetzt hatte. Selbstgeißelung war angesagt. Das war nicht bloß Feigheit, das war schon er.
Nicht viel anders, wenn auch erfolgreicher verläuft übrigens die aktuelle Demontage des Gouverneurs aus New York, Eliot Spitzer. „Mister Morality“ steht als Saubermann vor der Kamera und säubert sich gleich selbst. Es sind wirklich demokratische Schauprozesse, die hier veranstaltet werden. Die Geschmäcker mögen verschieden sein, aber auch dieser Mann hat eigentlich nichts verbrochen. Das absurde Resultat der Enthüllung lässt sich so beschreiben: Solange er mit Prostituierten verkehrte, war er ein Ehremann, jetzt wo er es nicht mehr tut, ist er eine Unperson. Das ist doch schräg. Dass Spitzer vielleicht seine Säuberungen als „eiserner Sheriff“ mehr vorzuwerfen sind als der aufgedeckte Dreck am Stecken, will der Öffentlichkeit gar nicht mehr kommen. Dass der Mann, der zwei Prostituiertenringe auffliegen ließ, im dritten selbst hängen blieb, ist beinahe schon wieder ein süße Fußnote der Geschichte.
Dass da wieder einmal einer seiner eigenen Moral eine andere Praxis entgegenstellte, kann eben nicht als Ausnahme oder Widerspruch aufgefasst werden. Hier akzentuieren sich bloß zwei verschiedene Seiten bürgerlicher Verkehrsformen, die sich in Alltag wie Öffentlichkeit normalerweise glänzend ergänzen und prächtig verstehen. Nur sagt das niemand. Derweil sagt es viel über die gemeine Verlogenheit der Gesellschaft, aber wenig über die Verfehlungen einzelner Würdenträger. Zweifellos dürfen die Clintons diesen engen Verbündeten nun aber nicht mehr kennen, nein: nicht einmal gekannt haben Auch Superdelegierter der Demokraten wird er im August nicht mehr sein.
Doch zurück ins letzte Jahrhundert. Wann immer Billy-Boy sich ertappt fühlte, spielte der Schlitzohrige den Blauäugigen und erzählte irgendwelche wilden Geschichten: Marihuana habe er zwar geraucht, aber nicht inhaliert; dem Vietnamkrieg habe er sich zwar entzogen, aber deswegen sei er kein Wehrdienstverweigerer; Frau Lewinsky habe er zwar beigewohnt, aber nicht so wirklich. Gleichzeitig desavouierte Clinton damit durchwegs sympathische Handlungen: Den Kriegsdienst verweigern, Marihuana rauchen, Sex haben, das alles ist ja an sich nichts Übles. Übel wird es erst, wenn es als Direktübertragung wider Vaterland, Familie und Gott inszeniert wird. Und doppelt übel wird es, wenn Clinton da mitspielt, sich zum bußfertigen Sünder macht, der alles nicht so gemeint haben will, und via TV um Vergebung bittet.
So stammelte er: „Ich hatte eine Beziehung zu Miss Lewinsky, die nicht angemessen (=inappropriate) war. Das war falsch. Das ist ein eklatanter Einschätzungsfehler und ein persönliches Versagen meinerseits, für das ich allein zur Gänze verantwortlich bin.“ Abgesehen davon, dass nicht klar wird, was falsch gewesen sein soll, die Unangemessenheit oder die Beziehung, mit Reflexion hat das gar nichts zu tun. Aber die wird auch nicht erwartet.
Hillary Clinton bewältigte dazumals ihren Part mit seltsamer Bravour. Die erfolgreiche Anwältin hat die patriarchal-kapitalistische Werteordnung selbst so verinnerlicht, dass sie ihr nicht nur zur zweiten Haut, sondern zum Panzer geworden ist. Sie musste nicht nur zu ihrem Mann stehen, sondern auch selbst ihren Mann stellen, komme was da komme. Dem Wesen nach dürfte es sich bei den Clintons vornehmlich um eine Karrieregemeinschaft handeln, die aber auch schon durch gar nichts zu erschüttern ist. Es ist daher nicht ausgeschlossen, dass Hillary mehr über die Stümperhaftigkeit der Billy-Boy-Affären entsetzt gewesen ist als über diese selbst. Dass nicht nur sie wusste, was man besser nicht weiß, sondern auch gleich die ganze Welt. Weitgehend emotionslos, so schien es, ertrug sie die demütigende Affäre, wollte sie einfach wegstecken.
Diese Coolness offenbarte sich allerdings als Schwäche. Panzerung ist gut für die Abstoßung aber nicht gut für die Anziehung. Sie schützt vor dem Angriff, aber sie untergräbt die Attraktivität der Kandidatin. Zeig deine Emotionen, rufen jetzt jene, die einst Hillarys Souveränität bewunderten. Karrierefrauen in der Politik müssen also ihren Mann stellen und ihre Frau noch dazu. Dieser Spagat ist kaum machbar. Das politische Vollblutweib soll sein eine Art Yin-Yang-Monster. Nur so kann es im politischen Geschäft bestehen. Dazu kommt noch, dass eingeforderte Emotionen kalkuliert sein müssen, aber nicht kalkuliert erscheinen dürfen.
Frauen haben außerdem den Wettbewerbsnachteil, stets auch ihre äußere Erscheinung toppen zu müssen, um nicht out zu erscheinen. Dieser Imperativ ist ein entscheidendes Kriterium geschlechtscodierter Aufmerksamkeiten. Analog zur Doppelbelastung könnte man von einer Doppelanforderung sprechen, der Frauen in der Öffentlichkeit unterworfen oder besser: ausgesetzt sind.
Auch bei Wahlen ist die Frage nach dem Sexappeal relevanter als etwa die, ob man dieser oder jener Person einen Gebrauchtwagen abkaufen würde. Das sexuelle Ansehen einer Person wächst, wenn sie außerhalb des Ehebetts vorstellbar ist. Dass trifft wiederum auf Bill zu, erst kürzlich kürte ihn das Magazin Playboy überlegen zum erotischsten Politiker des Landes. Da geht es ausschließlich um sinnliche Eindrücke und prädisponierte Einstimmungen, nicht um konkrete Erfahrungen oder gar reflektierte Haltungen. Die Frage, ob jene echt sind oder nicht, ist fast belanglos, wichtig sind diese Realfiktionen in ihrer Wirkung, die sie entfalten.
Was heute in der Beurteilung von Wahlverhalten immer unterschätzt und kaum erhoben wird, ist die Zuneigung der Menschen zum Kandidaten oder der Kandidatin, d. h. in erster Linie, ob diese oder jene Person sexuell attraktiv erscheint. Bei Bill ist das der Fall, bei Hillary nicht. In der Hitparade der Frauen, mit denen sich US-Amerikaner was vorstellen könnten, da ist sie ganz hinten gereiht. Sie leidet auch in diesem Vorwahlkampf unter diesem Manko. Ihr Ehemann ist also nicht bloß (wie alle Kommentatoren unermüdlich betonen) ihr Zugpferd, er ist ihr Zughengst. Nicht seine Arbeit ist ausschlaggebend, sondern sein Eros. Wenn Hillary Clinton doch noch gewinnt, dann deswegen.