Schwer angeschlagen

Anstatt ihre Erfolge zu feiern, hat die SPÖ bei ihrem Parteitag ihren Vorsitzenden beschädigt

von Franz Schandl

Obwohl man seit mehr als zwei Jahren bei allen Wahlen zulegen konnte, ist die SPÖ gerade auf ihrem 38. Parteitag in eine veritable Krise geschlittert. Der Versuch, hier eine wichtige Etappe auf dem Weg in die Regierung zurückzulegen, ist fehlgeschlagen. Die verordnete Geschlossenheit wie die angekündigte Aufbruchstimmung waren jedenfalls nicht zugegen. Und sie sind auch unmittelbar nicht in Sicht. Selbst in den Meinungsumfragen ist die oppositionelle SPÖ erstmals nach langer Zeit wieder hinter die regierende christkonservative ÖVP gerutscht.

„Startklar für Österreich“ hieß zwar das Motto, doch gleich zu Beginn des Parteitags ist der Parteiobmann, Alfred Gusenbauer, schwer verunglückt. Statt satten 99,6 Prozent wie 2002, votierten diesmal nur noch 88,9 Prozent der Delegierten für ihn. Und bei der Abstimmung für den Parteivorstand erhielt er (quasi als Draufgabe) unter allen Kandidaten das zweitschlechteste Ergebnis. Das schmerzt, insbesondere, wenn man weiß, dass die SPÖ eine äußerst disziplinierte Organisation ist, eigentlich kaum Fraktionskämpfe kennt und noch nie einen Vorsitzenden demontierte. Vorgeworfen werden Gusenbauer diverse Pannen in der Parteiarbeit, schlechte Koordination und vor allem widersprüchliche Signale und Botschaften.

Wie zum Beweis demonstrierte der Vorsitzende seine ganze Verunsicherung in der Interpretation der Resultate: Zeigte er sich zuerst unbeeindruckt, ja zufrieden (so hat es wohl die Regie vorgesehen), so konnte er tags darauf seine Enttäuschung nicht verhehlen. Außen wie innen kann solch Verhalten nur als eine Mischung aus unehrlich und unprofessionell ankommen. Hätte sich Michael Häupl, Bürgermeister von Wien und mit Abstand mächtigster Mann in der Sozialdemokratie, nicht so stark gemacht für seinen Schützling, wäre dieser bei den internen Wahlen möglicherweise überhaupt abgestürzt. Gusenbauer ist damit aber als Parteichef in den Händen eines anderen. Würde Häupl sagen: „Ich mach’s“, was wohl die meisten Parteifunktionäre ohnehin wünschen, wäre Gusenbauer sofort weg.

Kritische Stimmen in der Partei sind nicht zu überhören, auch wenn sie sich extrem zurückhalten. Ob der Parteivorsitzende auch die Partei in die Nationalratswahlen 2006 führen wird, sei offen, erklärte Hans Sallmutter, Chef der größten Teilgewerkschaft, der Gewerkschaft der Privatangestellten. Und auch Gabi Burgstaller, die in Salzburg für die SPÖ erstmals den Landeshauptmannsessel holte, sagt auf die Frage, ob Gusenbauer Spitzendkandidat bleiben soll, nur: “ Ich gehe davon aus, dass das so sein wird. Wer sonst sollte es machen? “ So formulieren sich Zustimmungen, die einen Absprung andeuten. Hannes Svoboda, Delegationsleiter der SPÖ im Europarlament hat schon die Parteikrise ausgerufen. Er empfiehlt der Partei eine staatstragende Pose, sie müsse aufhören dauernd „Nein“ zu sagen, „zumal die Menschen begriffen haben, dass wir nicht immer alles zu 100 Prozent anders machen hätten können als die Bundesregierung“.

Gusenbauer ist nicht bloß angeschlagen, sondern er wird bereits angezählt, daran besteht kein Zweifel. Natürlich kann die SPÖ meinen, man berichte gegen sie. Aber was nützt das? Wo das Erscheinungsbild so dominant ist wie in der Politik, darf dieses nicht schlecht sein. Selbstverständlich schreiben die Medien den ehemaligen Juso ins Nichts, aber damit hat man rechnen müssen. Stamokap und KPÖ-Nähe, das wird man dem Alfred in den Redaktionsstuben so schnell nicht verzeihen, so sehr er sich auch heute bemüht, es vergessen zu machen.

Seine medialen Defizite versucht Gusenbauer durch außergewöhnlichen Fleiß wettzumachen. Wenn es schon nicht für ihn läuft, dann muss zumindest er laufen. Sein Arbeitspensum hat er enorm verschärft, worauf er auch ziemlich stolz ist: „In der Geschichte Österreichs hat noch nie ein Bundespolitiker alle Bezirke für einen ganzen Tag besucht – nicht einmal vor einer Wahlauseinandersetzung. Ich bin Tag und Nacht im Einsatz“, sagt er in einem Interview mit der Tageszeitung Kurier. In den letzten Monaten tourte er tatsächlich durch alle Bundesländer. Im Zeitalter der Jäger setzt er auf aufgeregtes Sammeln. Nur, worauf bereitet sich hier einer vor? Auf einen Herzinfarkt mit 49? Gehäufte lokale Präsenzen können virtuelle Präsentationen in der Mediengesellschaft nie und nimmer ersetzen. Derlei Strapazen erhöhen mehr den Blutdruck als den Eindruck.

Er, der Power machen will, sieht ziemlich ausgepowert aus. Das Gefühl, dass sich hier einer unnötig abstrudelt, steht ihm ins Gesicht geschrieben. Auf 44 Jahre, die er jung ist, würde man ihn gegenwärtig nicht schätzen. Eher auf 55. Das ist freilich tödlich, weil man im Spiel der Erfolgreichen nicht alt ausschauen darf, zumindest nicht älter, als man ist. Und wer den Schaden hat, hat auch den Spott. Neuerdings figuriert Gusenbauer als österreichische Ausgabe von Angela Merkel. Erste Glossen über Alf und Angie als Verliererpartie finden sich schon in den Kommentarspalten. Tenor eines den beiden unterstellten Telefonats: „Wir packen’s net! “

Und programmatisch? Gusenbauers Parteitagsrede war wie zumeist gut vorbereitet und wurde gut vorgetragen, aber letztlich ist sie über plattes Verkünden und Verurteilen nicht hinausgekommen. „Wir wollen, dass Österreich wieder ein erstklassiger Wirtschaftsstandort wird, in dem alle die Früchte erfolgreichen Wirtschaftens ernten können“, war da zu hören. Oder: „Wir wollen, dass jede und jeder Arbeit hat und davon auch leben kann, dass jeder seinen solidarischen Beitrag zum Gemeinwohl leistet, dass wir sorgfältig und intelligent mit dem Besitz der Republik umgehen, dass der Sozialstaat moderner und gerechter wird.“ Summa summarum: „Die Werte der SPÖ sind aktueller denn je, und wir stellen sie selbstbewusst der Gleichgültigkeit, der Ignoranz und der sozialen Kälte dieser Bundesregierung entgegen. “

Inhaltlich setzte der Parteitag kaum Akzente. „Die ÖVP betreibt seit Jahren eine Wirtschaftpolitik, die die Kaufkraft der Bevölkerung senkt und somit auch zu einem niedrigeren Wirtschaftswachstum führt“, sagte der Klubobmann der Nationalratsfraktion, Josef Cap. Gemeinsam beschwor man die Vollbeschäftigung und unermüdlich „Werte jenseits des Ökonomischen“. Das wärmt zwar die Herzen der Delegierten, hat aber mit der Realität wenig zu tun. Die ÖVP-FPÖ-Regierung sei jedenfalls „eine Truppe des Versagens“. Hinter vorgehaltener Hand geben SP-Granden jedoch zu, dass sie Schüssel durchaus bewundern, wie forsch der sein sogenanntes Reformprogramm durchgezogen hat.

Was die Sozialdemokraten effektiv anders machen würden, wurde nicht gesagt. Wahrscheinlich gibt es da auch wenig zu sagen. Dass z. B. die Studiengebühren wieder abgeschafft werden würden, wie lange angekündigt, darf bezweifelt werden. Ebenso, dass die Pensionisten zukünftig weniger zur Kasse gebeten werden oder gar der Sozialabbau unterbleibt. Auch wenn dieser handgreifliche Mangel an Differenz noch vielfach verdrängt wird, spüren es die Leute.

Immerhin hat der Parteitag auf Antrag der Jugendorganisation beschlossen, mit „einer rechtspopulistischen FPÖ“ keine Koalition einzugehen. Die Hintertür liegt allerdings beim Eigenschaftswort. Sollte es also doch was werden, wird man sagen, die FPÖ sei nun nicht mehr rechtspopulistisch, daher könne man mit ihr. Es ist so fadenscheinig, dass es schon peinlich ist. Der Antrag erhielt eine überwältigende Zustimmung, nur die Kärntner, die mit Haider in Klagenfurt gemeinsame Sache machen, waren dagegen.

Die SPÖ wird aller Voraussicht nach mit Alfred Gusenbauer in die Nationalratswahlen 2006 ziehen. Sollte er gewinnen, was ja trotzdem nicht auszuschließen ist, wird er wohl Kanzler werden, und die Kritik wird augenblicklich verstummen, gelingt aber Schüssel das Kunststück eine dritte Periode im Amt zu erleben (und zwar eher mit den umworbenen Grünen als mit der FPÖ! ), dann ist wohl das Kapitel Gusenbauer Vergangenheit.

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