Verdrängungswettbewerbe

Über die seltsamen Wandlungen des Antifaschismus

von Franz Schandl

Im Gegensatz zu früher steht puncto Antifaschismus nicht mehr Abwehr auf der Tagesordnung, sondern aggressive Eingemeindung. Sogar die einst Verfemten, die noch lebenden KZler (wie man sie verächtlich und abwertend nannte), die Widerstandskämpfer oder die Zwangsarbeiter kommen zu späten Ehren, ja werden regelrecht verstaatlicht und präsentiert. Je weniger es von ihnen gibt, desto lieber werden sie uns. Damit ist nun nicht die Verdrängung aus der Welt, sondern durch eine Verdrängung der Verdrängung ersetzt. Das offizielle Österreich etwa tat im abgelaufenen Gedenkjahr geradeso, als sei es nie anders gewesen.

Der Vorwurf ist weniger der, dass man nicht aufarbeiten will und lügt (dazu wurde viel Notwendiges und Richtiges gesagt), sondern vor allem der, dass man inzwischen direkt süchtig ist auf die spezifische und absichtsvolle Bearbeitung des Gewesenen. Das spiegelt freilich mehr das Wesen der Aufarbeiter und ihrer Auftraggeber – denn auch Geschichte funktioniert nach Auftragslage – als das Wesen des Gewesenen. Die nützlichste Variante der Vergangenheitsbewältigung ist die Gegenwartsrechtfertigung. Tatsächlich ist zu beobachten, dass gerade von etablierter Seite die Vergangenheit zusehends dafür herangezogen wird, Gegenwart zu legitimieren und Zukunft nur als deren Verlängerung gelten zu lassen.

Zukunftsbewältigung fällt mittels Vergangenheitsbewältigung aus. Wir leben in Zeiten chronischer Gegenwartsverdrängung. Was soll geschehen? Wie geht es weiter? Das sind in allen gegenwärtigen Szenarien nachrangige Fragen. Trotz oder vielleicht gerade aufgrund aller Verdrängung herrscht eine Fixierung auf das Gestern, prägen ritualisierte Kostümfeste, auch in Feuilleton und Theorie die Debatten. Ein relativ flacher Antifaschismus ist Staatskonsens geworden. Eine zentrale Verdrängung ist diese: Über den Faschismus reden bedeutet über den Kapitalismus zu schweigen. Man soll zwar wissen, was jener angestellt hat, aber nicht, was jener ist. Die empirische Altlast wird daher vor der Analyse geschützt, wahrscheinlich weil diese etwas treffen könnte, das partout nicht getroffen werden darf. Ja, der Faschismus wird nicht nur ohne Kapitalismus gedacht, der Kapitalismus wird sogar als der einzige natürliche Widerpart ins Spiel gebracht. „Kapitalismus oder Barbarei“, geifern die Hofschranzen der Marktwirtschaft. Aus „Nie wider Faschismus! “ wird „Immer wieder Kapital! „. Der Hinweis darauf, dass solch ideologiebesoffener Unsinn absolut ins Schema der „freedom and democracy“-Aufmarschpläne der Bush-Administration passt, gilt schon als antiamerikanischer Ausfall.

Indes, die Bedingungen sind zwar andere, aber das System ist dasselbe, weiterhin regieren Markt und Tausch, Wert und Geld, kurzum das Kapital diese Gesellschaft. Die Menschen haben sich zu rechnen, zu verkaufen und zu kaufen, sie sind dem Konkurrenzprinzip ausgeliefert. Darin liegt die heimliche wie unheimliche Identität von Demokratie und Faschismus. Bei aller Differenz funktionieren sie auf denselben Betriebsgrundlagen und ebenso die verdinglichten Träger dieser Verhältnisse, die zu Charaktermasken degradierten Menschen.

Zu fragen ist ja auch: Wie kommt die Verdrängung in die Welt? Warum ist sie so ein weit verbreitetes, obligates Muster. Meine Vermutung ist die, dass sie deswegen in die Welt kommt, weil sie der Modus dieser Welt ist. Die Welt von Markt und Kapital ist ein Verdrängungswettbewerb, wie sie stolz und zurecht von sich behauptet. Da gibt es doch tatsächlich einen nicht unwichtigen Sektor in der Gesellschaft, wo die Verdrängung nicht kritisiert, sondern regelrecht affirmiert wird, das ist die Ökonomie. Man braucht nur einschlägige Zeitungsseiten hernehmen, und kann es dort tagtäglich nachlesen. Beispiel gefällig? Bitte: „Nemscic hat die Telekom-Austria-Tochter zum Marktführer gemacht und diese Position trotz Marktsättigung und beinhartem Verdrängungswettbewerb noch ausgebaut. Sogar Konkurrenten stellen neidlos fest, dass der wahre Sieger nach der Übernahme der Tele. ring durch den deutschen Erzkonkurrenten T-Mobile Nemscic heißt.“ (Die Presse, 15. Oktober 2005, Hvhb. Von F. S. )

Diese Verdrängungsleistung, die den Menschen täglich abverlangt wird, kann nicht ohne Spuren auf ihre Psyche bleiben. Dieser Zusammenhang ist fundamental wie fatal. Konkurrenz, nicht Kooperation ist die konstitutionelle Bestimmung des bürgerlichen Menschen. Kommerziell geprägtes Durchsetzungsvermögen meint Verdrängungsvermögen.

image_print