Probleme virtuellen Sondermülls
von Franz Schandl
Da soll in Nigeria investiert werden, christliche Frauen aus dem amerikanischen Mittelwesten suchen ebenso christliche Männer, und auch die braune Pest betätigt sich als braune Post. Und immerwährend lockt die Potenzierung des männlichen Zepters: „Increase the length and girth of your penis“. Viagra und Valium nicht zu vergessen. Beliefert werden die Kunden je nach Größe ihres Anbieters. Fast täglich entferne ich Spams. Wie oft ich im Leben schon deswegen auf „Löschen“ und „Bestätigen“ drücken musste, ich weiß es nicht. So wie man die Klosülung betätigt, reinigt man auch die Mailboxen. Unwillig, aber gutwillig. Die paar Handgriffe dürfen uns doch nicht aufregen, oder? Doch diese Handgriffe addieren, nein: multiplizieren, nein: potenzieren sich. Es wäre schon interessant zu wissen, wie viele Stunden ein durchschnittlicher User im Jahr an solcherlei Entsorgung verliert.
Ungefähr 80 Prozent der versandten Mails gelten heute als Spams. Tendenz steigend. Auf dem Datenhighway ist also mehr Mist unterwegs als sonst etwas. Virtueller Müll staut sich, es muss sortiert und ausgesondert werden. Dass unsere Aufmerksamkeit beim Scrollen doch zu einer Merkbarkeit von beworbenen Inhalten führt, sollte nicht unterschätzt werden. Alles, womit man sich beschäftigen muss, hinterlässt Spuren, auch wenn es nur Sekundenbruchteile dauern sollte. Die Benutzer sind jedenfalls angehalten sich damit aufzuhalten. Ob sie wollen oder nicht. Sie müssen. Und sie haben dieses MUSS einmal mehr akzeptiert, wie sie es gewohnt sind alles zu akzeptieren, was die Marktwirtschaft an Segnungen so in die Welt setzt. Aussteigen ist gänzlich unmöglich. Nur Leuten über 70 ist es heutzutage noch erlaubt, nicht per Email erreichbar zu sein. Wer nicht angeschlossen ist, gilt als ausgeschlossen.
Was ungewünscht daherkommt, wird gewünscht versandt. Aber so ist das in der Demokratie: Was niemand haben will, kriegt man trotzdem. Es funktioniert wie Werbung. Im Prinzip müssen Spams freilich ein Geschäft sein, sonst würden sie nicht in die Welt gesetzt werden. Das kapitale Angebot bestimmt die Nachfrage, die an sich gar nichts zu bestimmen hat. Dafür hat sie zu zahlen. Selbst wenn die Zugriffsquote verschwindend klein ist, es gibt sie. Das neue Medium eignet sich geradezu als Dreckbote. Wir haben es hier mit Erfordernissen und Erschwernissen zu tun, die vor zehn Jahren noch völlig unbekannt gewesen sind.
Diese Art der Belästigung ist indes nur möglich, weil sie eine kommerzielle Größe darstellt. Aber sie gebiert auch neue Branchen. Ganze Heere von Datenbeauftragten müssen ausgebildet und extra dafür abgestellt werden, Betriebe, Institutionen und Privatpersonen vor dem Ramsch, aber auch noch ernsteren Bedrohungen zu schützen. Denn es gibt ja nicht nur Spams, nein es gibt auch noch Viren, Würmer und Trojaner, wo man dann sogar wider Willen zum Überträger umfunktioniert wird. Spams vernichten also Lebenszeit in nicht unbeträchtlichem Ausmaße, sie fungieren als Zeitfresser. Ökonomisch betrachtet sind sie virtueller Stau mit ganz realen Auswirkungen. Der Prozentsatz ungewünschten Verkehrs samt Entsorgung wird größer. Das Netz ist voll mit Lenkwaffen. Der Kauf von Schutzprogrammen boomt. Permanent muss man sich impfen, monatlich soll man aufrüsten und wöchentlich irgendetwas runterladen. Computershops erinnern an Räume voll mit Kriegsspielzeug.
Inzwischen sagt mir mein Provider zwar, was er für Spam hält und er hat auch meistens recht. Aber leider nicht immer, d. h. ich komme um eine kurze Kontrolle nicht herum. Spamfilter sind eine heikle Angelegenheit, müssen sie doch ständig überprüft und nachjustiert werden. Sie sind regelmäßig zu putzen, sonst geht nichts mehr durch oder sie reißen und der ganze Dreck schwappt rein. Adressen blockieren ist übrigens völlig sinnlos, da die Absender permanent ihre Mailadresse ändern. Sich hier Mühe zu machen, vergeudet Lebenszeit. Einige Provider gelten als notorische Spamproduzenten und werden von ihresgleichen insgesamt gesperrt. Was bei mir zur Folge hatte, dass die Unis in Hamburg und Graz keine Mail meinerseits mehr angenommen haben. Da wurde einfach refused und es bestand keine Chance das Problem zu beheben, außer Sender oder Empfänger wechseln die Adresse.