Nachschuss 24
von Franz Schandl
Gewonnen haben wieder mal die Deutschen. Zweifellos hatten sie, wie Spielmacher Michael Ballack betonte, ihre Aufgabe „sehr, sehr ordentlich gemacht“. Einmal mehr wurde den Vorzügen sekundärer Tugenden Referenz erwiesen. Wenn die Pflichterfüllung ruft, ist der Deutsche nicht weit. So ging das Resultat schon in Ordnung und das Spiel deswegen nicht ins Auge, weil die Polen noch weniger als die Nachbarn zu bieten hatten. Auch die favorisierten Tschechen und Kroaten siegten über die jeweiligen Hausherren, aber keineswegs so souverän, wie man es erwartet hätte. Im Gegenteil, die unterlegenen Gastgeber dominierten weitgehend das Match. Manchmal hatte man sogar den Eindruck, dass die Schweiz und Österreich jenseits ihrer Niveaus auftrumpften. Doch Belohnung war keine.
Spiele, wo die Verlierer einen besseren Eindruck als die Sieger hinterlassen, haben freilich einen üblen Beigeschmack. Es zählt einzig das Resultat und nicht die Art und Weise, wie es zustande kommt. Der Verlauf erlischt im Ergebnis, darin liegt auch die Tragik des gegenwärtigen Fußballsports. Die Herausforderung, vor der Mannschaft wie Einzelspieler stehen, ist nicht, beherzt zu zeigen, was sie können, sondern unbedingt zu siegen, egal wie. So geht Taktik vor Ästhetik, und die Attraktivität verunglückt aufgrund des Ziels.
Der Fußball der Euro dient nationaler Formierung und Selbstvergewisserung. Das Match im Auftrag der Nation degradiert Fußballkunst. Diese befreit sich zwar in gar nicht so seltenen Ausnahmesituationen, doch stets wird das Spiel auf den Boden jener Realität zurückgeholt, soll ja nicht selbsttätige oder gar selbstverliebte Sinnlichkeit werden. So liegt der bittere Ernst des Marktes in Gestalt nationaler Konkurrenz über Spielfeld und Fanzonen. Wie in der Ökonomie herrscht das Kalkül. Die Konkurrenz interessiert sich an den Produkten nur hinsichtlich der gefallenen Tore und nicht eines gefallenden Matches. Der Kommerz dominiert in weiten Bereichen.
Indes wäre Unattraktivität zu ahnden und auch die de facto Hinnahme von Fouls müsste problematisiert werden. Wie kommt ein Gegenspieler etwa dazu, ein edles Dribbling durch eine grobe Attacke kaputt zu machen? Diese Selbstverständlichkeit ist nicht so selbstverständlich, sondern demonstriert, wie eines der ansprechendsten Spiele, die je erfunden wurden, im Reißwolf des Marktes seine grausame Begrenzung findet. Das Foul im Fußball gleicht der rücksichtslosen Durchsetzung der Konkurrenten am Markt – egal wie! Wie viele geniale Einfälle und Handlungen sind so durch diverse körperliche Attacken zerstört worden. Und wie viele Spieler mussten verletzungsbedingt aufgrund solcher Tritte und Schläge pausieren oder gar ihre Laufbahn beenden.
Ein neuer Kodex müsste auf folgender Grundlage basieren: Fouls sind zu ächten, und Gegenspieler sind zu achten. Sie sind kein Material, das im Interesse eines Ergebnisses zu verletzen ist. Niedermähen ist nicht drin. Wie foule ich richtig? Wie simuliere ich ein Foul an mir? Wie verstecke ich mein Foul? , das sind doch alles Unfragen. Körperliche Untergriffe sind nicht einfach zu tolerieren, sie sind als Störfälle zu betrachten. Das Foul ist eines Spielers unwürdig und es ist dem Spiel in jeder Hinsicht abträglich. Doch das ist wohl Zukunftsmusik bei all dem Lob für die gesunde Härte, die Gewalt und Einsatz verwechselt.
Es wird die Frage zu stellen sein, ob nicht das Reglement zu ändern ist, sodass Tore zwar einen wichtigen Stellenwert behalten, aber nicht ausschließliches Kriterium des Erfolgs darstellen. Das quantitative Verhältnis der Einschüsse, es darf nicht das Spiel kaputt machen. Befreiung des Fußballs hieße, dass eben der Zweck des Spiels im Spiel liegt und nicht im Resultat. Dass das Spiel wirklich Spiel ist, Sympathie statt Zugehörigkeit, Augenschmaus statt Anhängerschaft entscheidend sind. Mehr als der Sieg sollte der Lustgewinn von Spielern und Zuschauern ins Zentrum rücken.
Freitag, 13.6.2008