Über die signifikante Langeweile des österreichischen Bundespräsidenten
Von Franz Schandl
„Immer wenn’s schwierig wird, ist Heinz Fischer am Klo und kommt zurück, wenn die Sache ausgestanden ist“, soll Bruno Kreisky einmal über seinen Schützling gesagt haben. Zumindest wird das hartnäckig kolportiert. Vielleicht hat es sich ja wirklich so zugetragen, im Jahr 1981. „Gewinnt noch einmal der Alte?“, könnte sich Heinz Fischer gefragt haben. „Gehört nicht doch dem Androsch die Zukunft?“ – Von solchen Gedanken geplagt, verdrückte er sich. Nun, der zunehmend kränkelnde wie grantelnde Kreisky sollte sich ein letztes Mal durchsetzen. Hannes Androsch wurde in der Partei entmachtet und als Minister entlassen. Kreisky, so die Gerüchte, soll Fischer dieses indifferente Verhalten übel genommen haben. In entscheidenden Momenten war Fischer selten zur Stelle, sondern an irgendwelchen Aborten. Nicht nur einmal soll derlei vorgefallen sein. Was freilich zur Folge hatte, dass er oft un(an)greifbar geblieben ist und so auch relativ wenig Schläge abbekommen hat.
Der amtierende und auch zukünftige österreichische Bundespräsident Heinz Fischer ist der letzte noch aktive Politiker aus der Ära Kreisky (1970-1983). Der am wenigsten gelebt hat, hat alle anderen überlebt. Dass der fesche Fischer, Berufspolitiker seit 1962 und nun schon über 70, sich keineswegs in Fraktions- und Politkämpfen verschlissen hat, sieht man ihm durchaus an. Heldenhafte Gefechte sind nicht seins. Und da er sich anscheinend immer zeitig schlafen legt, kaum Alkohol trinkt und in keiner Weise zu Ausschweifungen neigt, hat er sich für sein Alter auch prächtig erhalten. Bergsteigen und Kieser-Training gehören zu seinem Trainingsprogramm. Er ist fitter als so mancher Fünfzigjährige.
In erster Linie ist Fischer Amtsperson, und in zweiter Linie auch. Nicht er tritt auf, sondern das Amt tritt an. Sollte jemand die Frage stellen, in welcher Verfassung sich der Bundespräsident befindet, dann ist die Antwort ganz leicht: In der Bundesverfassung! Im leibhaftigen Original: „Ich stehe aufseiten der Verfassung. Ich lege Wert darauf, dass die Bestimmungen der Verfassung Grundlage des Handelns bleiben“, heißt es in einem Interview in dieser Zeitung.
Dass er in der Öffentlichkeit diese Fassung verlieren könnte, daran kann ich mich nur ein einziges Mal erinnern. Das kam so: Die ehemalige Klubchefin der Grünen, Madeleine Petrovic wollte dem damaligen Ersten Nationalratspräsidenten eine Petition betreffend Tierschutz überreichen. Mit Kamerateam und entsprechendem Kleintier ausgerüstet, erschien sie in der Präsidentenkanzlei. Am vornehmen Amtsteppich geschah dann das Unfassbare: Das Tier gackte, der Präsident guckte, die Etikette zuckte. Fluchend verließ Fischer das Zimmer.
Aber sonst? Da herrscht Contenance. Der harmoniesüchtige Mann ist ein Meister der Vorsicht, der Rücksicht, der Nachsicht und der Umsicht. Nicht selten fällt das Wort „berücksichtigen“. Von ihm könnte etwa folgender Satz stammen: „Wenn alle Interessen berücksichtigt werden, die selbstverständlich zu berücksichtigen sind, ist auch zu berücksichtigen, dass nicht alle Interessen in vollem Umfang berücksichtigt werden können.“ Heiß macht der sicher niemanden, aber ebenso wenig kalt. Als fleischgewordene Norm steht der gelernte Jurist für Respekt, Akzeptanz und eben Etikette. Sieht man freilich seine Wahlplakate an, schläft einem das Gesicht ein und die Füße gleich dazu. Einmal mehr geht es um Werte und um Verantwortung und das übliche Geblubber. Wenn man dann noch zu lesen hat, dass in der Wirtschaft der Anstand wieder wichtig werden muss, zieht es einem die Zehennägel aus. Einzeln.
Fischer ist also kein unermüdlicher Kämpfer eines Anliegens, sondern der kompromissbereite Moderator der Angelegenheiten. Stets berechenbar und korrekt sowieso. Er verletzt niemanden, wohl auch weil er niemanden richtig berührt. Er ist kein Mann der Erregung, sondern der Erschlaffung, Er regt nicht an und er regt nicht auf. Der Lauwarme verbrennt und verkühlt niemanden. Alles ist wohl temperiert.
Indes kann man nicht sagen, dass die Person ein Opportunist ist, ein Zyniker oder gar ein Renegat. Einst vom linken Flügel der SPÖ kommend, hat er mit diesem nie abgerechnet. Warum auch? Wer die Distanz hat, braucht keine Distanzierung. „Fischer ist so marxistisch wie die Donau blau ist“, schreibt Hans Rauscher. Zu kritischen Künstlern pflegt der Präsident ein entspanntes, ja freundliches, mitunter staatsvereinnahmendes Besitzverhältnis. Er ist weder Brückensprenger noch Brückenspringer. Jedes Risiko ist ein zu vermeidendes. Die Feindschaft ist nicht sein Metier, aber ist es die Freundschaft?
Zweifellos, der Mann mag fad sein, aber er ist nicht einfältig, nein er ist gebildet und belesen, und er pflegt eine gediegene Sprache, auch schriftlich. Seine Aufsätze mögen sehr nüchtern sein, aber sie sind lesbar, vor allem propagieren sie nicht den obligaten Rausch der Politik, ganz im Gegenteil, sie handeln von deren Kater: „Der Handlungsspielraum der Politik ist gering, wenn er in den Grundstrukturen der Marktwirtschaft, der Konkurrenzwirtschaft, des Waren- und Gütertausches, aber auch der Einkommens- und Vermögensverteilung einzugreifen versucht“, heißt es in einem Aufsatz aus dem Jahr 1998.
Das hat doch was. Selbst taktische Schläue kann man Fischer nicht absprechen. Wie er die mögliche Gegenkandidatur des lautstarken Erwin Pröll in aller Ruhe ausgesessen hat, das war ein Bravourstück, wo es einem bloß leid tut, die johannisbeerrote Birne des Erwinators im Moment der Kapitulation nicht gesehen zu haben.
Man erwischt sich leicht, Heinz Fischer trotz oder vielleicht auch wegen der hier beschriebenen Eigenschaften ganz sympathisch zu finden. Der tut niemanden was und nerven tut er auch nicht. Ist Langeweile gegen Polterei und Pöbelei, Macherei und Angeberei nicht fast schon wieder eine Tugend? Vielleicht. Dank seiner Gegenkandidatin Barbara Rosenkranz (FPÖ) hat er es auch noch geschafft, dass man ihn zur Bundespräsidentenwahl am 25. April einfach wählen muss, will man den Stimmenanteil für BDM und Mutterkreuz in Grenzen halten.
gekürzt und leicht verändert publiziert in Der Standard vom 24. April 2010