Peter Samol
Die Krise an den US-Immobilienmärkten könnte den bisherigen Aufschwung rasch in eine Talfahrt verwandeln. Zwar wurden die globalen Geldmärkte vorerst mit Hilfe von Finanzspritzen in noch nie da gewesener Höhe am laufen gehalten, aber noch ist nicht sicher ob das ausreicht. Außerdem kann der Ausfall amerikanischer Konsumenten in Europa und Asien zu massiven Exporteinbrüchen führen. Darüber hinaus stellt sich nach dem Platzen der Hypothekenblase die Frage, welche Anlagemöglichkeiten sich künftig für das Finanzkapital eröffnen.
An den internationalen Finanzmärkten überschlagen sich die Hiobsbotschaften. Es vergeht kein Tag, an dem nicht eine US-Bank für Hypotheken, eine amerikanische Geschäftsbank oder gar ein Hedge-Fonds in die Knie geht und seine Insolvenz anmeldet. Weltweit halten die Banken ihr Geld zurück und sind kaum noch bereit, Kredite zu vergeben, was wiederum die Realökonomie gefährdet. Schon macht das böse Wort vom Crash die Runde. Um den zu verhindern, treten Notenbanken in aller Welt als Retter auf den Plan und pumpen größere Geldmengen als jemals zuvor in Umlauf.
Angefangen hat alles im Jahr 2000 mit dem Börseneinbruch der New Economy. Geld, das man sich zuvor leicht durch Aktienemissionen und Kursgewinne beschaffen konnte, fehlte plötzlich. Seinerzeit sorgte die US-Notenbank Fed für massive Zinssenkungen, um der Wirtschaft billiges Geld zukommen zu lassen. Im Zuge dieser Entwicklung entstand in den USA der so genannte Subprime-Hypothekenmarkt. Die Hypothekenbanken offerierten nicht nur 100-Prozent-Darlehen, mit denen amerikanische Bürger ohne einen einzigen Dollar Eigenkapital Immobilien erwerben konnten. Sie schossen häufig sogar die beim Hauskauf anfallenden Steuern und Gebühren vor. Die Kreditnehmer mussten nicht einmal nachweisen, ob sie über ein ausreichendes Einkommen verfügten. Darüber hinaus waren die Rückzahlungskonditionen unglaublich günstig. Unter den Kreditangeboten befanden sich sogar Hypotheken, die es den Hausbesitzern freistellten, wieviel sie pro Monat zurückzahlen wollten oder solche, die in den ersten Jahren tilgungsfrei waren.
Durch die günstigen Kredite und die durch sie erzeugte Immobiliennachfrage stiegen die Haus- und Grundstückspreise in den USA rasant an. Das erleichterte die Kreditbeschaffung noch zusätzlich, denn der fortlaufende Trend zur Verteuerung der Häuser garantierte für die Rückzahlungsfähigkeit der Kreditnehmer. Das ermutigte weitere Leute zur Aufnahme von Subprime-Krediten. So nährte sich der Anstieg der Immobilienwerte fortlaufend selbst. Geld, das Anlage auf den Hypothekenmärkten suchte, gab es nach der Flucht aus den Aktien im Überfluss.
Die Subprime-Schuldner wurden zur Basis einer weltweiten Kreditpyramide. Die Hypothekenvergabe übernahmen spezielle Banken, die sich ihr Geld wiederum von amerikanischen Investmentbanken oder von Hedge-Fonds liehen. Diese bündelten oder stückelten die Kredite je nach Bedarf und machten daraus Wertpapiere, so genannte Kreditderivate, die an Investoren in der ganzen Welt verkauft wurden. Dabei geht das Risiko des Kreditausfalls auf den Käufer über, was mit einem hohen Zinssatz vergütet wurde. Die Käufer waren meist Anlagefonds und Pensionskassen in Europa und Asien. Über die Fonds wiederum wurden auch Privatanleger an dem Geschäft beteiligt.
Die Blase platzt
Bei den Subprime-Kreditgeschäften bleiben die Zinsen variabel und können je nach Marktlage plötzlich steigen oder fallen, anders als in Deutschland, wo Hypothekenzinsen in der Regel für zehn Jahre festgeschrieben werden. Die ersten Anzeichen der „Subprime-Krise“ deuteten sich Ende 2006 an, als es erstmals zu einer spürbaren Erhöhung der Zinssätze kam. Jetzt schlagen die Zinserhöhungen voll zu Buche. Viele Amerikaner können sich ihre Hypotheken nicht mehr leisten und müssen ihre Häuser verkaufen. Das wiederum lässt die Preise am Immobilienmarkt fallen und zieht andere Hausbesitzer mit in die Insolvenz, weil ihre Häuser mittlerweile weniger wert sind als die Hypothekenschulden. Mittlerweile sind fast zwei Millionen Amerikaner zahlungsunfähig, die Gesamtsumme der faulen Kredite im Subprime-Sektor beläuft sich auf über 600 Milliarden Dollar, Tendenz steigend. Das bekommen natürlich auch die Beteiligten auf den anderen Ebenen der Finanzierungspyramide zu spüren. Keiner will mehr die verbrieften Kredite kaufen, die drastisch an Wert verlieren. Hinzu kommt, dass die Investoren ihren Ankauf häufig selber wiederum durch Kredite finanziert haben. Mit den steigenden Zinsen und dem Wertpapierverfall platzen auch diese Kredite.
Bei den Hypothekenbanken am Anfang der Kette hat bereits ein Massensterben eingesetzt. Nachdem ihnen die Geldgeber den Hahn zugedreht hatten, sind inzwischen über 100 von ihnen in die Insolvenz gegangen. Fonds, die im amerikanischen Hypothekengeschäft engagiert sind, verzeichnen plötzlich einen Ansturm nervöser Anteilseigner, die möglichst schnell aus dem Fonds rauswollen, nach dem Motto: „Wer als erster verkauft, hat die geringsten Verluste“. Das wiederum treibt die Kurse der Fonds in den Keller. Viele schlossen vorübergehend ihre Pforten, um einen Totalausverkauf zu vermeiden, darunter auch die Fondsgesellschaft der Volks- und Raiffeisenbanken, „Union-Investment“, die im ZDF allabendlich das Wetter präsentiert. Auch einigen Hedge-Fonds ging bereits die Luft aus. Die einen bezeichneten sie als Superstars der Weltwirtschaft, andere als schlimme Heuschrecken. Beides ist falsch, denn sie sind nur die Spitze eines weltweiten Eisberges. Ihr Geschäftsmodell beruht darauf, gleichermaßen volle Kassen wie hohe Schulden zu haben und aus den Differenzgewinnen ihr Plus zu machen. Nun lässt die Krise ihre Guthaben, sofern sie mittel- oder unmittelbar auf amerikanischen Immobilien basieren, schrumpfen und die Schulden qua Zinserhöhung wachsen. Die ersten haben schon die Segel gestrichen.
Wie stark deutsche Banken betroffen sind, weiß niemand. Nicht wenige von ihnen dürften sich verspekuliert haben. Der bekannteste Fall ist die Düsseldorfer IKB-Bank, die mit 280 Millionen Euro verstrickt ist. Zur Rettung der IKB sprang die landeseigene nordrhein-westfälische KFW-Bank mit einer Bürgschaft von 8,1 Milliarden Euro ein. Andernfalls hätte die IKB nicht nur andere deutsche Finanzinstitute mit sich gerissen, bei denen sie tief in der Kreide stand, sondern generell das Vertrauen in das deutsche Bankensystem erschüttert. Ähnlich wie der IKB erging es der sächsischen Landesbank. In die Immobilienkrise verwickelt sind aber auch die Kommerzbank sowie die Allianzgruppe, zu der die Dresdner Bank gehört, die Deutsche Bank, die WestLB und die Postbank. Den Umfang der Risiken, die die Banken in ihren Büchern haben, kennen letztlich nur deren Manager und vielleicht noch die Bankenaufsicht. Letztere musste sich allerdings schon von Seiten einiger Sachverständiger schlechte Arbeit attestieren lassen.
Im gesamten Finanzsektor kippen Investoren, die direkt oder indirekt an der Immobilienspekulation beteiligt sind, um wie die Dominosteine. Vermeintlich geldwerte Vermögensbestände lösen sich über Nacht in Luft auf oder verlieren dramatisch an Wert. Jeder Finanzakteur, der zugeben würde, an entsprechenden Geschäften beteiligt zu sein, verlöre bei den anderen das Vertrauen in seine Zahlungsfähigkeit. Also werden Verstrickungen nur so weit wie nötig zugegeben. Im Moment weiß kein Mensch, wer von noch alles von Zahlungsausfällen betroffen sein wird. In einer solchen Situation halten die Banken ihr Geld fest. Denn jeder potenzielle Kreditnehmer könnte ja bald unfähig zur Rückzahlung sein. Außerdem ist der vormals lukrative Weiterverkauf von Krediten in Verruf geraten. Beides führt dazu, dass Kredite momentan gar nicht oder nur zu sehr hohen Zinsen zu bekommen sind. Nicht nur der weltweite Finanzmarkt ist gefährdet. Die Entwicklung droht bis auf die Realökonomie durchzuschlagen. Geldknappheit und hohe Zinsen machen es dem produzierenden Gewerbe schwer, an flüssige Mittel zu gelangen. Die werden aber dringend benötigt, um die Geschäfte reibungslos abzuwickeln. Kommt es aus Geldmangel zu Zahlungsausfällen, dann müssen die Firmen massive Verluste verbuchen. Es käme zum Bankrott zahlloser Betriebe. Worst Case wäre ein totaler Zusammenbruch der Weltwirtschaft.
In dieser Situation können nur noch die Notenbanken die nötigen Geldmittel zur Verfügung stellen. Folgerichtig haben sie auf der ganzen Welt schon beispiellose Geldmengen in das Bankensystem gepumpt. Die Europäische Zentralbank (EZB), die US-Notenbank Fed sowie ihre Kollegen in Kanada, Japan und Australien haben der Wirtschaft so genannte „Liquiditätsspritzen“ verabreicht, um dem Anstieg der Zinssätze am Weltmarkt entgegenzutreten. Allein die EZB stellte innerhalb von sechs Tagen in vier Schüben über 210 Milliarden Euro zur Verfügung. Weltweit wird das Geld in Form von Schnellkrediten im so genannten „Tenderverfahren“ in den Markt gepumpt. Die Zentralbanken bieten hohe Kreditbeträge – so genannte „Tender“ – für einen relativ niedrigen Mindestzins an, die unter den Geschäftsbanken versteigert werden. Geboten wird mit den Zinssätzen, die sie für den „Tender“ zu zahlen bereit sind. Wer den höchsten Zinssatz anbietet, erhält den Kredit zugeteilt. So genannte „Standardtender“ werden innerhalb eines Tages abgewickelt, „Schnelltender“ in der Regel in 90 Minuten. Insgesamt wurden auf diese Weise weltweit Geldbeträge von umgerechnet mehreren hundert Milliarden Euro ins Spiel gebracht. Noch nie zuvor in der Geschichte hatten die Notenbanken derartig viel Liquidität in den Markt gepumpt. Andere Anlässe für solche Aktionen waren bisher die Terroranschläge vom 11. September 2001 oder der Aktien-Crash von 1987. Aber die Milliardenbeträge allein haben in den USA noch nicht ausgereicht. Eine gute Woche nach ihren ersten Finanzspritzen hat die Amerikanische Notenbank den Diskontsatz um einen halben Prozentpunkt gesenkt. Das erleichtert es den Geschäftsbanken enorm, ihre Kredite zu refinanzieren. Mit der überraschenden Senkung eines wichtigen Leitzinses zeigt die Fed, wie ernst sie die Lage nimmt. Zinssenkungen sind die stärkste Waffe, über die eine Zentralbank verfügt. Dieses Vorgehen ist nicht ohne Risiken. Mögliche Nebenwirkungen sind Preissteigerungen und Wertverlust der Währung. Daher sind sie nur gerechtfertigt, wenn Gefahr für die reale Wirtschaft droht. Weitere Zinssenkungen sind durchaus denkbar.
Neoliberale Puristen halten solche Eingriffe für eine unzulässige Störung der marktwirtschaftlichen Prozesse. Die Alternative wäre aber konsequentes Nichthandeln von Seiten der Notenbanken. Das wurde im Jahr 1929 praktiziert. Ergebnis war damals die Weltwirtschaftskrise. Gerade weil die Notenbanken und Geldpolitiker die Drohung eines neuen 1929 vor Augen haben, wird eine Politik des billigen Geldes betrieben. Vorerst können sie immerhin einen Teilerfolg für sich verbuchen. Sie haben einen wirtschaftlichen Großbrand erst einmal abgewendet. Das Feuer ist aber noch lange nicht gelöscht. Immer wieder gibt es beunruhigende Neuigkeiten. Auch nach den Eingriffen drohen in Nordamerika milliardenschweren Fonds aufgrund von Panikverkäufen erhebliche Verluste. In Teilen des Rohstoffsegments droht es zum Preisverfall zu kommen, weil Anteilsinhaber sich zurückziehen und die entsprechenden Fonds mittellos zurücklassen. Die müssen dann Titel auf Rohstoffe billig abstoßen, um weiterhin flüssig zu sein. Und die Aktienmärkte verbuchen zwar vergleichsweise moderate Verluste, aber die Kurse bewegen sich in der Gesamttendenz nach unten.
Drohende Absatzkrise
In den USA hat die Immobilienkrise soeben die reale Wirtschaft erreicht. Einzelhandelsketten wie z. B. Wal-Mart rechnen mittlerweile mit sinkenden Verkaufszahlen und auch den dortigen Baumärkten geht es nicht besser. Die Ursachen für diese Einbrüche sind allerdings nicht bei den Turbulenzen auf den Finanzmärkten zu suchen. Die sind allenfalls das halbe Problem. Mindestens genauso schwer wiegt der Umstand, dass ein großer Teil der amerikanischen Immobilienbesitzer künftig als Konsumenten ausfallen dürfte. Das wäre nicht nur schlecht für die US-Konjunktur, sondern würde auf die gesamte Weltwirtschaft zurückschlagen.
Auf dem Höhepunkt des Immobilienhypes waren fast 70 Prozent aller Amerikaner Hausbesitzer. Mit den oben geschilderten Billigkrediten und aufgrund der anhaltenden Wertsteigerung ihrer Häuser lohnte es sich, die Immobilien immer höher zu beleihen. Periodisch fielen den Häuslebesitzern so immer wieder einige tausend Dollar in den Schoß. Allein in den Jahren zwischen 2001 und 2003 machten die Amerikaner 333 Milliarden Dollar durch Hypotheken auf ihre Häuser flüssig. Amerikanischer Immobilienbesitz funktionierte eine gewisse Zeit lang fast wie eine Gelddruckmaschine. Die regelmäßigen Gewinne wurden zur Gewohnheit. All das war in der Phase der Niedrigzinspolitik kein großes Problem. Jeder hat es so gemacht und kaum jemand dachte daran, dass der Immobilienboom jemals vorbeigehen könnte. Das Geld wurde wie selbstverständlich zur Anschaffung von Konsumgütern wie etwa Geländewagen oder DVD-Recordern genutzt. Anders als der typische deutsche Kleinbürger, der sein Geld nahezu reflexartig auf die hohe Kante legt, heizte sein amerikanisches Pendant auf diese Weise den Warenkonsum an.
Jetzt kommt das Ende schneller als gedacht. Die Kreditzinsen steigen und mit dem Bankrott der ersten Hausherren kommen auch die Immobilienpreise ins Rutschen. Die Hausbesitzer stehen von einem Tag auf den anderen mit leeren Taschen da und müssen sich vergegenwärtigen, welche enormen Schuldenberge sie inzwischen aufgetürmt haben. Ihre Hoffnung, die erworbene Immobilie zu einem hohen Preis zu verkaufen und sich auf diese Weise mit Gewinn ihrer Schulden entledigen zu können, erweist sich als trügerisch. Über eine Million Amerikaner werden in den nächsten Wochen und Monaten ihre Häuser verlieren. Damit entfällt auch die Finanzierungsbasis für ihr großzügiges Einkaufsverhalten. Die US-Konjunktur benötigt aber eine stabil steigende Konsumnachfrage, um die anhaltenden Jobverluste durch Automatisierung und Auslagerung zu verkraften. Der Immobilienboom war der Hauptmotor der US-Konjunktur und trug mit dazu bei, dass Amerika zum großen Abnehmer der Konsumgüter dieser Welt wurde. Ohne die hemmungslose Konsumbereitschaft der Amerikaner ist nicht nur die amerikanische Binnennachfrage, sondern auch die Weltwirtschaft gefährdet. Die warenexportierenden Länder mit ihrem riesigen Außenhandelsüberschuss, neben China und Japan vor allem Deutschland, werden zunehmend auf ihren Exportgütern sitzen bleiben. Das wird die Krise auch hierzulande spürbar machen. Am Ende könnte es auch die Investitionsgüterindustrie treffen. Je schwieriger es für China, Indien und andere aufstrebende Länder wird, Konsumgüter abzusetzen, um so geringer wird ihre Investitionsneigung in neue Anlagen sein. Die wiederum werden zu einem nicht geringen Anteil von der Bundesrepublik geliefert. Bei einem Wegfall der asiatischen Investitionsgüternachfrage wäre wohl auch der deutsche Aufschwung endgültig abgewürgt.
Kaufkraft aus der Zukunft
Man fühlt sich an die Lage um die Jahrtausendwende erinnert. Damals wurde jeder Internet-Bastler von der Börse hofiert und massenhaft mit Geld eingedeckt, ohne dass die Marktchancen seiner Ideen geprüft wurden. „New Economy“ hieß das. Was der Beginn einer neuen Zeitrechnung sein sollte, war nichts anderes als eine Spekulationsblase, die am Ende geplatzt ist. Jetzt ist es wieder so weit. Wieder einmal hat man massenweise Leute ungeprüft mit Geld eingedeckt, das faktisch hinausgeworfene Geld als Investition bezeichnet und in Form von Wertpapieren unter die Leute gebracht. Und wieder einmal lösen sich die Hoffnungswerte in nichts auf.
Im Spätkapitalismus werden immer mehr Güter von immer weniger Menschen hergestellt. Diese Güter können von immer mehr Menschen nicht gekauft werden, weil sie keine Arbeit haben und von Hartz IV leben oder mit Billigjobs über die Runden kommen müssen. Woher aber soll die Nachfrage kommen, wenn die Menschen zunehmend aufgrund von Zahlungsunfähigkeit ausfallen? Es existiert ein riesiges Nachfrageloch, das aufgrund des Produktivitätsfortschrittes immer größer wird.
Auf der anderen Seite ist reichlich billiges Geld vorhanden. Dessen Besitzer wollen es aber nicht für Konsumgüter ausgeben. Abgesehen davon, dass sie mit dem Verbrauch der enormen Gütermengen restlos überfordert wären, würde das Auftreten der entsprechenden Geldmengen auf den Konsumgütermärkten sofort eine gigantische Inflation herbeiführen. Wie aber kann man dieses Geld ins Spiel bringen, ohne eine solche Katastrophe herbei zu führen? Die Lösung lautet Investieren. Allerdings nicht in die Produktion von Waren, denn die sind ja schon im Übermaß vorhanden. Es muss vielmehr in renditeträchtige Angebote auf den Finanzmärkten, in so genannte Hoffnungswerte investiert werden. Durch den Erwerb der entsprechenden Finanztitel erhält man Ansprüche auf künftige Gewinne, mit denen man heute schon handeln kann. Zu großen Teilen werden diese Ansprüche auch schon in der Gegenwart ausgeben, beispielsweise für das Personal, das im Finanzsektor beschäftigt ist. Auf der anderen Seite stehen die menschliche Träger der Hoffnungswerte, welche die enormen investierten Geldbeträge in Empfang nehmen. Die geben sie in aller Regel großzügig aus. Sei es für Büros, Computer und Personal, wie einst die zahllosen Dotcom-Klitschen der New Economy, oder sei es gleich für den Konsum, wie es die amerikanischen Hausbesitzer taten. Die in die „Hoffnungswerte“ investierten Beträge treten also gleich doppelt am Gütermarkt auf und füllen die Kaufkraftlücke. Die Ausgaben schlagen auch nicht inflationstreibend zu Buche, weil hinter ihnen die erwarteten Werte stecken, mögen diese auch erst in der Zukunft real sein. Ganz real wird auf diese Weise die gegenwärtige Wirtschaft am Laufen gehalten. Werte aus der Zukunft können also bereits in der Gegenwart verjuxt werden. Dabei spielt es noch nicht einmal eine Rolle, ob die künftigen Gewinne wirklich einmal erzielt werden. Es genügt völlig, dass die Beteiligten selber daran glauben. Bisher wurden die Erwartungen auf künftige Gewinne immer wieder in völlig unrealistische Höhen gesteigert. Das ergibt sich daraus, dass enorme Geldbeträge investiert sein wollen. Noch jedes Mal entstand eine Spekulationsblase, die am Ende platzte.
Schon lange wird die Weltwirtschaft nicht mehr durch die reale Produktion, sondern nur noch in der gerade skizzierten Art und Weise durch den Finanzüberbau am Laufen gehalten. Bisher wurde die Entwertung alten fiktiven Kapitals immer wieder durch die Schaffung neuer fiktiver Hoffnungswerte aufgefangen. Nach dem Platzen der New-Economy-Blase mit ihren wahnwitzigen Gewinnversprechungen folgte der amerikanische Immobilienwahn, der auf der Illusion beruhte, dass Häuser auf immer und ewig an Wert gewinnen würden. Nachdem dieser Traum ausgeträumt ist, lautet die alles entscheidende Frage, auf welcher Grundlage sich die nächste Blase entwickeln könnte. Was es braucht, ist eine Geschichte, in der traumhafte künftige Gewinne versprochen werden. Was könnte ihr Inhalt sein? Vielleicht die Rechtevergabe für die landwirtschaftlichen Ernten kommender Jahrhunderte? Arktis-Anteile? Mondgrundstücke? Lizenzrechte auf Erfindungen, die noch gar nicht gemacht wurden? Wichtig ist, dass die Geschichte von genügend Geldgebern geglaubt wird. Außerdem müssen sie die Erinnerung an vergangene Verluste verdrängen. Das passiert erfahrungsgemäß spätestens dann, wenn der nächste Hype Gewinne in schwindelerregenden Höhen verspricht. Bis auch diese Seifenblase von der Wirklichkeit eingeholt wird. Ob es dann wieder eine neue Geschichte geben wird? Die Automatisierung schreitet inzwischen immer weiter voran. Irgendwann wird die Nachfragelücke so groß sein, dass sie auch durch die wahnwitzigsten Hoffnungswerte nicht mehr geschlossen werden kann.
Erschien in gekürzter Fassung in der Jungle World vom 23.08.2007