Oder: Warum die Diskussion um ein Grundeinkommen so schwer in Gang kommt.
Von Franz Fend
Arbeite nur, wenn du das Gefühl hast, es löst eine Revolution aus. Joseph Beuys
Wir bekommen es seit frühester Kindheit eingehämmert. Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen. Der paulinische Drohruf gegen die Korinther ist längst zur Volksweisheit geronnen. Weit und breit niemand, der dem was entgegensetzen wollte. Schon die kindlichen literarischen Erfahrungen weisen den Weg: Im Märchen von der Frau Holle wird jene junge Frau, die das Brot aus dem Ofen holt, das Fallobst klaubt und die Betten untertänig und ohne Murren macht, mit Gold überhäuft. Welche Lüge, denn noch niemand ist mit Gold überhäuft worden wenn er/sie der Erwerbsarbeit nachgegangen ist. Die Strafen in diesem Märchen hingegen sind wesentlich glaubhafter. Jene junge Frau, die sich der vorherrschenden Arbeitsmoral widersetzt hat, wird mit Pech übergossen, das sie ihr ganzes Leben nicht mehr von ihrem Leib herunterbekommt. Sie ist stigmatisiert. Gezeichnet fürs Leben. Dass der Freiherr von Knigge etwa zur selben Zeit schulmeistert: „Sei pünktlich, ordentlich, arbeitsam, fleißig in deinem Beruf! „, passt genau ins Bild.
Mieser Charakter
Der Hausphilosoph des Deutschen Nationalismus und der Romantik, Johann Gottlieb Fichte, wies den Arbeitsunwilligen in seinen Reden an die deutsche Nation gleich besondere Charaktereigenschaften zu: „Man erkundige sich nur näher nach den Personen, die durch ehrloses Betragen sich auszeichnen! Immer wird man finden, dass sie nicht arbeiten gelernt haben oder die Arbeit scheuen.“ Aber was soll’s, Trägheit, Faulheit und Müßiggang sind schon längst zur Todsünde namens Acedia erklärt worden und im jüngsten Katechismus der Katholischen Kirche ist auch der Hinweis zu finden, dass die SünderInnen, welche diese Todsünde begehen, besonders starken Schaden nehmen. Und der Waldbauernbub Rosegger belehrte zeigefingerwackelnd: „Wer nicht schon in der Arbeit Genugtuung findet, der wird nie zur Zufriedenheit gelangen.“
Marx missverstanden
Dass sich das gesellschaftliche Zwangsprinzip Arbeit in den Köpfen dermaßen durchgesetzt hat, daran sind nicht nur die Konservativen aller Länder schuld. Die Arbeiterbewegung, die allzu oft eine Bewegung für die Arbeit gewesen ist, tat ihren Teil dazu. Nicht die Marxsche Arbeiterbewegung, denn dieser wusste und schrieb dies in seiner opulenten Kapitalismusanalyse „Das Kapital, Band III“: „Das Reich der Freiheit beginnt in der Tat erst da, wo das Arbeiten, das durch Not und äußere Zweckmäßigkeit bestimmt ist, aufhört; es liegt also der Natur der Sache nach jenseits der Sphäre der eigentlichen materiellen Produktion.“ Anders war es schon bei Lenin. Nachdem die sozialistische Revolution im Armenhaus Europas durchgeführt worden war, hatte die hedonistische Ausrichtung der Arbeiterbewegung, wie sie Marx skizzierte, keine Chance mehr. Lenin hielt „den russischen Menschen“ für einen schlechten Arbeiter und forderte im Aufsatz „Die nächsten Aufgaben der Sowjetmacht“: “ Man muss in Russland das Studium des Taylorsystems, die Unterweisung darin, seine systematische Erprobung und Auswertung in Angriff nehmen.“
Herrschende Klasse am Fließband?
Der Paradigmenwechsel ist evident. Waren die herrschenden Klassen von den Sklavenhaltern über die Aristokraten bis hin zu den Bourgeoises bis dato jene, die nicht arbeiten mussten, so wurde die Arbeiterklasse, die durch die Revolution an die Macht gekommen sein sollte, an die Fließbänder in die Fabriken gezwungen. Stachanow-Bewegung und Helden der Arbeit sind beredtes Zeugnis dafür, dass es sich nicht um selbstbestimmte Tätigkeit handelte, sondern um ein Zwangsverhältnis, das Marx folgendermaßen beschrieb: „Der Arbeiter fühlt sich daher erst außer der Arbeit bei sich und in der Arbeit außer sich. Zu Hause ist er, wenn er nicht arbeitet, und wenn er arbeitet, ist er nicht zu Haus. Seine Arbeit ist daher nicht freiwillig, sondern gezwungen, Zwangsarbeit. Sie ist daher nicht die Befriedigung eines Bedürfnisses, sondern sie ist nur ein Mittel, um Bedürfnisse außer ihr zu befriedigen. Ihre Fremdheit tritt darin rein hervor, dass, sobald kein physischer oder sonstiger Zwang existiert, die Arbeit als eine Pest geflohen wird.“
Wohl gemerkt, es geht bei dieser Debatte nicht darum, dass Menschen sich tätig aufeinander beziehen, dass sie ihre natürliche und gesellschaftliche Umwelt verändern und gestalten, dass sie Dinge herstellen, Musik machen, Bücher schreiben, Theater spielen, Häuser bauen, Wissenschaft treiben. Das wird es immer geben. Es geht hier um eine Kritik daran, dass die „pure Verausgabung von Arbeitskraft, ohne jede Rücksicht auf ihren Inhalt, ganz unabhängig von den Bedürfnissen und vom Willen der Beteiligten, zu einem abstrakten Prinzip erhoben wird“, das sämtliche menschlichen Beziehungen beherrscht, wie dies die Gruppe Krisis in ihrem „Manifest gegen die Arbeit“ proklamierte.
Sakrileg Müßiggang
Ist schon die Verweigerung des herrschenden Arbeitsethos ein Sakrileg, ist die Rede und noch mehr die Praxis des Müßiggangs Staatsstreich, Meuterei, Umsturz, Verschwörung in einem. Schon Nietzsche stieß es sauer auf, dass Arbeit immer mehr alles gute Gewissen auf ihre Seite bekäme. „Ja es könnte so weit kommen, “ beklagte er, „dass man einem Hange zur vita contemplativa (das heißt zum Spazierengehen mit Gedanken und Freunden) nicht ohne Selbstverachtung und schlechtes Gewissen nachgäbe.“ Es ist so weit gekommen.
Der frühere Kanzler Gerd Schröder (wir wollen einen Sozialdemokraten an der Macht zitieren, denn als Oppositionelle verstellen sie sich immer) sagte es deutlich heraus, als er mit dem Harz IV-Programm den Kampf gegen die Arbeitslosen final verschärfte. „Es gibt kein Recht auf Faulheit in unserer Gesellschaft“, drohte er in der Bildzeitung jenen, die sich Alternativen zum kapitalistischen Verwertungszwang vorstellen konnten. Sein Intimfeind Oskar Lafontaine schlug in die gleiche Kerbe: „Das von Paul Lafargue geforderte Recht auf Faulheit war kein Plädoyer, sich in die soziale Hängematte zu legen.“ Und die Esoterik-Spießerin und damalige Grün-Abgeordnete Barbara Rütting plärrte es ebenso heraus: „Nicht Recht zur Faulheit ist in unserer Gesellschaft angesagt, das geht auf Kosten der anderen, sondern Pflicht zum Fleiß.“
Raub, Mord und Erpressung
Hierzulande ist es nicht anders, hierorts kommen noch andere Gründe hinzu, warum Faulheit, Müßiggang und auch Grundeinkommen gar so verpönt sind. Das hier in Linz vorherrschende sozialdemokratische und arbeiterbewegungskommunistische Arbeitsethos, ja die Verliebtheit in die Arbeit ist ungebrochen. In der Textzeile der „Internationale“ „… die Müßiggänger schiebt beiseite…“ findet diese politische Haltung ihren Ausdruck. War die ursprüngliche Intention der „Internationale“ gegen die parasitäre Aristokratie und gegen das Pfaffentum gerichtet, so wendet sie sich heute eindeutig gegen die „Faulen“ in den eigenen Reihen. Linz, das sich immer mit stolzgeschwellter Brust Industriestadt nannte, möchte plötzlich keine mehr sein und nennt sich selber Kulturstadt. Das heißt aber nicht, dass man sich von der Religion der Arbeit verabschiedet hätte. Vielmehr scheint dem kollektiven Unterbewusstsein schön langsam zu dämmern, dass der Reichtum von Linz nicht Resultat des eigenen Arbeitseifers gewesen ist, sondern das Resultat von Raub, Mord und Erpressung. Der zweite, wirklich große Industrialisierungsschub in Linz fand zur Zeit des Faschismus statt und die Herrmann-Göring-Werke und die Stickstoffwerken wurden zu einem wesentlichen Teil von Zwangsarbeitern errichtet. Offenbar resultiert der Arbeitswahnsinn in Linz auch aus dem Verdrängen der Tatsache, dass der Reichtum der Stadt ein gestohlener, geraubter und abgepresster ist. Der schiere Arbeitszwang erscheint hier auf das Wesentliche reduziert. Das Selbstbild von Linz als Kulturstadt ist also nichts anderes als eine besonders aggressive Form von Verdrängung und Abwehrhysterie.
Oder doch ein Grundeinkommen?
Alles in Allem keine guten Voraussetzungen, der Forderung nach einem Grundeinkommen, die angesichts der zunehmenden Prekarisierung der Arbeits- und Lebensverhältnisse schnell auf die Tagesordnung sollte, Nachdruck zu verleihen. Ein Grundeinkommen das allgemein, existenzsichernd, personenbezogen, arbeitsunabhängig, demokratisch sein muss, wie dies Lieselotte Wohlgenannt formulierte.
Das heißt ein Grundeinkommen für alle, ohne Kontrolle von Arbeitsfähigkeit, Arbeitswilligkeit, ohne Repressionen und Demütigungen seitens des Arbeitsmarktservices. Es muss existenzsichernd sein, das heißt die BezieherInnen dürfen nicht mit einem Armengeld, einem Bettel abgespeist werden. Teilhabe am gesellschaftlichen Reichtum wäre gefordert und nicht Teilhabe am Existenzminimum. Die Kostenfrage wird immer von den Gegnern eines Grundeinkommens gestellt. Sie sollte in einer der reichsten Gesellschaften leicht beantwortbar sein.
Es müsste frei sein von familiärer, pflegerischer Verpflichtung oder freiwilliger [das passt einfach nicht: man kann hier nicht gut freiheit von freiwilligkeit fordern] Arbeit oder Leistung, von Fortbildung oder Studienerfolg und ähnlichen Dingen, wie sie bei Anträgen auf Sozialhilfe geprüft werden. Und ohne Berücksichtigung von familiären oder partnerschaftlichen Beziehungen, wie sie bei der Notstandshilfe geprüft und angerechnet werden. Und es setzte eine Residenzbürgerschaft voraus. Alle, egal woher sie kommen und aus welchem Grund sie hier sind, müssten es erhalten.
Gewiss, ein Grundeinkommen ist eine Übergangsforderung, das Ziel muss immer noch die Überwindung der Arbeitsgesellschaft sein. Oder wie der österreichisch-französische Philosoph André Gorz es in seinem Buch „Arbeit zwischen Misere und Utopie“ formulierte: „Ein allen garantiertes, ausreichendes soziales Grundeinkommen untersteht einer umgekehrten Logik: Es soll nicht mehr diejenigen, die es beziehen, zu jeder beliebigen Arbeit unter allen Umständen zwingen, sondern es zielt auf die Befreiung von den Zwängen des Arbeitsmarktes ab. Es soll ihnen ermöglichen, , unwürdige‘ Arbeit und Arbeitsbedingungen abzulehnen…“