Grundeinkommen: Gelobtes Land oder Illusion?

SOL 122/2005 S. 24f.

von Andreas Exner

Im Angesicht der Ware gilt menschliches Leben lediglich als Kaufkraft. Die Kraft zu kaufen wiederum resultiert aus der Fähigkeit, sich am Arbeitsmarkt verkaufen, also selbst als Ware auftreten zu können. Wo einer immer größeren Zahl an Menschen diese Möglichkeit versagt bleibt, weil das Kapital auf Arbeitskraft verzichtet und statt dessen auf die produktive Kraft vergangener Arbeit setzt – den Maschinen vor dem humanen Kapital also den Vorzug gibt -, da lässt auch die Kaufkraft nach. Die Existenzberechtigung der „Ladenhüter“ gerät in Verruf, bis dass der Staat – gelangt er an das Ende des Kredits, mit dem das Sozialsystem er unter anderem finanziert -, diese widerruft. Die Debatte um ein bedingungsloses Grundeinkommen erfährt in dieser Situation einen neuerlichen Aufschwung. Nach dem Willen seiner Befürworterinnen soll es allen Menschen individuell und ohne Arbeitsleistung oder Bedürftigkeitsprüfung in existenzsichernder Höhe ausbezahlt werden. Das klingt gut. Doch weist diese Debatte tatsächlich den Weg in ein besseres Leben?

Die Beute

Jede Gesellschaft stellt her, was sie zum Leben benötigt: Nahrungsmittel, Wohnung, Gesundheit, emotionale Geborgenheit und vieles mehr. Dieser Prozess der Herstellung von Gesellschaft nutzt Stoffe seiner Umwelt, er benötigt die natürlichen Kräfte von Wind, von Feuer und von Wasser, gründet letztendlich auf der Fruchtbarkeit des Bodens und der Pflanzen. Die Erfüllung der konkreten Bedürfnisse nach dem, was Leben möglich und dazu noch möglichst angenehm macht, ist sein Zweck.

Freilich ist kaum eine Gesellschaft der Vergangenheit bekannt, in der es nicht eine Schicht von Menschen gegeben hätte, die als bloße Nutznießende des gesellschaftlichen Produktionsprozesses aufgetreten wären. Indem sie sich einen überdurchschnittlich hohen Anteil des Gesamtprodukts aneigneten und zu einem mehr oder weniger großen Teil für die Bedürfnisse jenes Machterhalts verwendeten, der es ihnen ermöglichte, eben diesen Mehranteil für sich zu reklamieren, reproduzierte sich eine bestimmte Form von Produktionsverhältnis: Die einen schwitzten für die anderen. Sein bestimmender Zweck lag in der Speisung einer herrschenden Klasse.

Befehl ohne Gesicht

Bekanntlich mündete die Zerstörung des Feudalsystems und seiner Machtverhältnisse in die Befreiung von direkter Herrschaft und Ausbeutung. Kein Arbeitnehmer muss sich heute in die Verfügungsgewalt eines Arbeitgebers begeben, sofern er in Form eines Arbeitsvertrages sich nicht aus freiem Willen dazu verpflichtet hat. Dennoch steht die Arbeitnehmerin im Grunde bloß vor der Wahl, zu verhungern oder sich dem Kommando irgendeines Unternehmens zu fügen. Zwar schiebt der Staat sich in Form von Sozialleistungen in jenes anonyme Zwangsverhältnis, das der Arbeitsmarkt bedeutet. Doch bleibt auch ein humaner Mindeststandard an seine Finanzierbarkeit gebunden, und damit an den Erfolg des gesamten Marktes, Gewinne einzustreifen, Steuern abzuwerfen und die Mehrzahl der Arbeitnehmer in Beschäftigung zu halten.

Der übergreifende Zweck der gesellschaftlichen Produktion entspringt nun nicht mehr den persönlichen Motiven einer herrschenden Klasse, die, in Kapitaleignende und Unternehmende verwandelt, nach wie vor auf den Kommandohöhen sitzt. Er resultiert vielmehr aus einem abstrakt-anonymen und totalitären Zwangsprinzip, dem die verrechtlichten und vergeldlichten Beziehungen ebenso dienen wie das Kommando der Privilegierten ihm paradoxerweise untersteht. An die Stelle der fürstlichen Gewalt tritt nämlich das unpersönliche Diktat des Geldes und der Rentabilität.

Die moderne Gesellschaft gleicht damit einem gigantischen Fetischdienst, der dem scheinbaren Naturzwang huldigt, aus Geld mehr Geld machen zu müssen. Die Produkte des Zusammenwirkens von Natur und Mensch gelten der auf sich selbst rückgekoppelten Bewegung des Geldes lediglich als Material zum Ausdruck ökonomischen Werts, als „notwendiges Übel“ gewissermaßen. Ob die Vermehrung von Geld, die beständige Reinvestition der erwirtschafteten finanziellen Mittel also, über die Herstellung von Schuhen, Brötchen, Pestiziden oder von Atomwaffen oder Pudelfrisuren erfolgt, ist dem Produktionszweck „Geld“ egal – mehr muss es jedenfalls werden.

Denn Geld unterscheidet sich von sich selbst bloß der Menge nach. Wo Geld das hauptsächliche „soziale Medium“ ist, besteht genau aus diesem Grund ein Zwang zur Mehrgeld-Produktion und zu wachsendem Verbrauch entsprechender Ressourcen. Aus 100 Euro 100 Euro zu machen ergibt weder einen Sinn noch ermöglicht es ein Überleben in der unternehmerischen Konkurrenz. Aus 100 Euro 1000 Euro zu machen ist aber ebenso gut wie aus 1000 Euro 10.000 zu machen und so fort.

Gutes Leben ist also bestenfalls ein Nebenprodukt, nicht Ziel der Geldvermehrung. Und das bemerken wir allerorten. Schneidet die leere, abstrakte Wert- und Geldform einerseits der Tendenz nach alles „Widerständige“ und alle Eigenqualität an ihrem konkreten materiellen/leiblichen Inhalt weg (so etwa alles, was am Menschen sich der Form der Ware Arbeitskraft sperrt), so überlässt sie damit zugleich auch alles, was das Nadelöhr der Verwertung, von Kauf und Verkauf nicht zu passieren imstande ist, der Brache, dem Hunger und dem Tod (so etwa, wenn fruchtbares Land nicht rentabel zu bewirtschaften ist oder Heilung bloß an mangelnder Kaufkraft scheitert).

Nieder mit der Finanzierbarkeit

Die Gestaltung des sozialen Lebens erscheint im Kapitalismus nicht als eine Frage bewusster und kollektiver Entscheidung, sondern als eine Wahl zwischen Sachzwängen, die letzlich allesamt auf Wirtschaftswachstum/Geldvermehrung und die Fähigkeit zur Konkurrenz vergattern. Der Fetisch duldet keinen Widerspruch, bei Strafe seines Untergangs. Seit die historisch einmalige Prosperität der Nachkriegszeit in der Warenlawine, die sie selber losgetreten hat, erstickt ist, hat das Kapital allerdings mit einem schwer wiegenden Verwertungsproblem zu kämpfen, dem es mit staatlichen Kreditexzessen, dem Abbau sozialer Sicherheiten, einer Kürzung der Löhne und einem Boom der Aktienkurse beizukommen sucht. Dennoch lässt eine nachhaltige Erholung der Profitraten auf sich warten wie Godot. Immer mehr Menschen, deren Existenz als Systemerhalter bis vor einiger Zeit noch einigermaßen gesichert schien, kommen damit erbarmungslos unter seine Räder.

Die Opposition gegen diese globale Bedrohung, die vom System des Marktes und der Staaten ausgeht, hält sich allerdings in den engen Grenzen, die die Strukturen des Kapitalismus vorgeben, stützt also implizit – wenn auch vielfach ungewollt – die Mechanismen der selbstzweckhaften Anhäufung „toter Arbeit“ in der Form von Geld. Zwar werden Elend und Zerstörung kritisiert, doch über den Horizont von Geld und Arbeit hinauszublicken wagt kaum jemand. Kein linker Vorschlag für „eine andere Politik“, der nicht vor dem Gericht der Finanzierbarkeit sich rechtfertigen wollte. Doch wer Finanzierbarkeit nachweisen will, hat sie als Kriterium schon akzeptiert und Verständnis für die Zwänge des Systems gezeigt. Wer das Auskommen von Menschen grundsätzlich, in jedem Fall und langer Frist an ihre Geldbörse bindet, hat sich schon dem Prinzip von Kaufen und Verkaufen, von Verwertung, Konkurrenz und Wachstum ausgeliefert.

Fazit: Ein Zwischenschritt?

Wenn Menschen nicht mehr von ihrer Arbeit leben können, liegt die Forderung nach einem arbeitslosen Einkommen eigentlich auf der Hand. Erster Zwischenschritt auf dem Weg aus der Gesellschaft von Ware, Wachstum und Verwertung könnte die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen wohl sein. Denn sie verweigert sich dem individuellen Zwang zum Arbeitskraftverkauf, indem sie auf einem bedingungslosen Lebensrecht, unabhängig vom Absatz einer Ware Arbeitskraft, beharrt.

Allerdings verbindet sich damit noch keine weitergehende Perspektive. Denn die Finanzierbarkeit eines solchen Einkommens ist erst im Rahmen einer prosperierenden nationalen Wachstumswirtschaft und ihrem politischen Spielraum für eine fortgesetzte Neuverschuldung zugunsten sozialer Zwecke denkbar (dieser freilich wäre angesichts weltwirtschaftlicher Krisentendenzen höchst prekär). Eine solche Wachstumswirtschaft aber ist in nicht wenigen Weltregionen an der Weltmarktkonkurrenz zerschellt oder hat kaum jemals existiert – ein globales Grundeinkommen ist damit Illusion. In den „reichen Ländern“ hingegen müsste die Überwindung der Wachstumswirtschaft hin zum guten Leben – jedenfalls mittelfristig – auf der oppositionellen Tagesordnung stehen. Denn gute Lebensmittel, Wohnungen und öffentliche Einrichtungen ohne Geldverkehr, Verkauf und Kauf wären sehr viel mehr Wert als aller flüchtige und destruktive Geldeswert.

Zum Weiterlesen

Exner, Andreas: „Geld für Alle = Alle für Geld? Zur Debatte um das Grundeinkommen“, Streifzüge 33, 2005. Download unter www.streifzuege.org

Schriefl, Ernst & Exner, Andreas: „Nachhaltiger Kapitalismus? Über den Zusammenhang von Wirtschaftswachstum und ökologischer Nachhaltigkeit“, Streifzüge 3, 2003. Download siehe oben.

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