von Maria Wölflingseder
Mein Leben spielt sich nicht im weit verbreiteten Stakkatostil, dem täglichen Gehetze zwischen Drinnen und Draußen, ab. Meinereins, zur forschenden und schreibenden Zunft gehörend, bevorzugt so wie Künstler generell als Platz der Inspiration meist die eigenen vier Wände. Intensive Phasen des Lesens, Studierens, Schreibens oder Organisierens wechseln sich bei mir schon seit langem mit Phasen des „Wegseins“ ab: des Freunde und Sippschaft Besuchens, des Unterwegsseins, der intensiven Eindrücke und Erlebnisse, der Magie des Augenblicks.
Mein kreativer Prozess braucht jedoch ungestörte Zeit und ungestörten Raum. Wie sagte Oskar Werner: „Kunst kann man nicht machen, Kunst muss man wachsen, gedeihen und blühen lassen.“ Meine Ideen und Einfälle entstehen im Wildwuchs. Sie halten sich an keine Büroordnung. Sie schaffen eher Unordnung – in meiner Wohnung. Ganz so wie auf dem Foto der Grande Dame der österreichischen Literatur Friederike Mayröcker in ihrer „Wiener Verzettelungswirtschaft“, auf dem sie zwischen Papierbergen zu verschwinden droht, sieht es in meiner noch nicht aus, aber die Tendenz dazu ist immer wieder bemerkbar. (Wir sammeln nicht, es sammelt sich an.)
Der Raum zwischen meinen „vier Wänden“ ist quasi meine erweiterte Aura. Hier liegt mein Innerstes wie ein offenes Buch herum: Notizen auf Papier, am PC, Briefe, Mails, Bücher mit unzähligen Randbemerkungen, Zeitungsartikel und vieles mehr. Und wie für meinen nahen Seelenverwandten, den Schriftsteller Bernhard Hüttenegger, ist auch für mich eine „der (räumlichen) Voraussetzungen für die Schreibarbeit: eine Art von Höhlengefühl“.
Zwischen meinen „vier Wänden“ ist also der Platz des Sinnierens, des In-den-Sinn-Kommens. Wenn ich am Schreibtisch gerade nicht weiter weiß, fällt es mir meist in der Küche oder am Klo ein. Besonders ertragreich sind die Gedanken und Ideen nach dem Aufwachen – da braucht es die nötige Ruhe, damit sie sich nicht gleich wieder verflüchtigen.
Drinnen und Draußen sind zwei wesentliche Aspekte meines Lebens. Sie betreffen auch Begegnungen. Diese bestehen ja nicht nur aus dem „face to face“, sondern auch aus der Zeit zwischen den Treffen. Es bedarf immer wieder Zeiten des Zu-sich-Kommens. Wer nicht zu sich kommt, kann auch nicht zum Anderen kommen. In meiner Wohnung bin also nicht nur ich zu Hause, sondern auch die Vorfreude und das „Nachbeben“. „Um sich nahe zu kommen, darf man nicht stets in der Nähe sein. Lust ist aufgehobener Verlust“, schreibt Franz Schandl treffend in „Sei so“ – Kleine Fundstücke wider die große Affirmation (Wespennest , Herbst 2007). Dementsprechend spiegelt sich die Phasenhaftigkeit meines Daseins auch in meinem Bett: Der zweite Schlafplatz ist entweder mit Papieren aller Art, vor allem mit zu Kunst gewordener Sinnlichkeit, sprich: mit Büchern belegt oder aber, wenn die Textwerkstatt geschlossen hat, mit der „Sinnlichkeit in Person“.
Es gibt nur einen Schwachpunkt dieser Wohn- und Lebensform, dieses „Schaffens-Raums“ – wenn nämlich dieser Raum nicht denk-, fühl- und handlungsautonom gestaltet werden kann, weil er von außen mit immensem Druck und existentieller Ungewissheit besetzt wird. Wenn diese sich so breit machen, bis dass der Raum zum Ab-Schaffen aufgebläht wird, dann ist nicht nur jegliche Kreativität beim Teufel, sondern es hört sich alles auf.