Loveparade auf der Titanic
von Andreas Exner
Prekarisierung ist der neue Kampfbegriff. Die Proteste gegen den CPE in Frankreich scheinen zu bestätigen, was der so genannte Mayday propagiert: Unter diesem Begriff gilt es sich zu sammeln. Zum sechsten Mal wird der Mayday in diesem Jahr stattfinden. Im vergangenen Jahr zog er Zehntausende in ganz Europa auf die Straßen. „Bunt, laut und kreativ“ soll es dabei zugehen, versprechen die Aufrufe, denn dies mache den Unterschied zu einer der „üblichen Latschdemos“ aus. Am Mayday nämlich gehe es darum, „sich selbst zu ermächtigen, jenseits der üblichen Repräsentationsspektakel“.
In einigen Aufrufen wird dementsprechend der „rituelle Charakter“ der traditionellen Maifeiern bemäkelt. Feierlaune stellt sich in der Tat schon in Anbetracht der Normalarbeit nicht ein. Auch dann nicht, wenn es um prekäres Malochen geht, selbst wenn es eine „Tradition des Widerstands“ zu feiern gäbe, die bekanntlich in aller Regel der Arbeit erst zu Recht und Ehre verhelfen wollte. Entgegen einigen arbeitskritischen Impulsen übrigens, die in manchen Mayday-Aufrufen mit den Sorgen um einen „sicheren Arbeitsplatz“, dem Wunsch nach Normalarbeit und einem Alles-ist-Arbeit-Jargon kontrastieren.
Zugleich stellt der Mayday einen Hilferuf dar. Als solcher setzt er dreierlei voraus: eine Situation der Not, das Gefühl der Ohnmacht und die Hoffnung auf einen Retter. Aber wer soll in prekären Zeiten den Retter spielen? Darüber ist nichts Genaues zu erfahren. Der Staat? Die Gesellschaft? Oder etwa „San Precario“, wie eine religiöse Koketterie der Mailänder Mayday-Paradisten heißt, also die „unbesiegbaren Superhelden der Prekarisierung“ selbst? Folgt man der Forderung nach „sozialen Rechten“, die in den Aufrufen erhoben wird, so ist offenbar der Staat angesprochen. Dieser aber formt den expliziten Wunsch, „nicht vermarktbare Forderungen“ zu stellen, elegant in eine Produktivkraft um: Die im Jahr 2005 anlässlich des Mayday noch mehrfach propagierte „Flexicurity“ (Flexibilität ja, aber mit Sicherheit) avancierte inzwischen zum Modewort der europäischen Arbeitsministerien.
Zwischen Euphorie und Ohnmacht also bewegt sich die Mayday- Werbesprache. Verleiht sie den tristen Realitäten der Jobber oder „bloß“ banalen Flexi-Existenzen einmal die Aura einer revolutionären Avantgarde und klagt arbeitsstolz den angeblich vorenthaltenen Mehrwert ein, so kann sie schon im nächsten Augenblick das düstere Bild einer zukunftslosen Ohnmacht zeichnen. Dieses aber trifft schwerlich für alle Flexi-Worker zu, manche sprechen deshalb auch vom „Luxusprekariat“. So zeigt sich am Mayday die Tendenz, eben das zu generieren, was er „offiziell“ ablehnt: eine identitäre Repräsentation. Schöne Gefühle lassen sich damit zwar erzeugen, ein breiter, langfristiger und verbindlicher Prozess der Kommunikation und alltäglichen Zusammenarbeit aber ist auf diese Weise wohl nicht zu initiieren.
Gegen die alltägliche Zersplitterung und Vereinzelung anzugehen, ist selbstredend nötig. Dass dies mit Eventkultur und Partyglamour allein gelingt, aber ist fraglich. „Wir sind das Prekariat! „, ein „neues kollektives Subjekt“, das einen Spagat zwischen „Einheit und Vielfalt“ leiste, so schallt es uns entgegen; klingt vielmehr nach dem Motto einer Politparty von Studierenden, von New Economy- und Cultural-Workers, die Michael Hardt und Toni Negri gelesen haben. Zumindest ein Potenzial ist im Mayday aber in der Tat zu erkennen: dass Linke aufhören, ihre Lebensumstände auszublenden und sich dem stellen, was auch ihr eigener Alltag ist. Nennen wir’s Prekarisierung.