von Tomasz Konicz
Premier Putin träumt von moderner Wirtschaft. Sein Rezept: Privatisierungen und ausländische Investoren. BRD-Konzerne in den Startlöchern
Der Kreml scheint entschlossen, ein umfangreiches Privatisierungsprogramm durchzuziehen. Innerhalb der kommenden drei Jahre könnten dabei bis zu 5500 Staatsunternehmen ganz oder teilweise privatisiert werden. Dies hatte der Erste Stellvertreter des Premierministers, Igor Schuwalow, Anfang Oktober angekündigt. Die Russische Föderation werde den Staatsanteil an der Wirtschaft von derzeit etwa 50 Prozent auf 30 Prozent »oder weniger« reduzieren, präzisierte Finanzminister Alexej Kudrin.
2010 sollen etwa 450 Unternehmen veräußert werden. Die Regierung rechnet mit 70 Milliarden Rubel (ca. 1,5 Milliarden Euro) an Einnahmen. Dies wäre das zehnfache dessen, was sie vor Bekanntgabe dieser Privatisierungsoffensive kalkuliert hatte. Die Ministerin für wirtschaftliche Entwicklung, Elwira Nabjullina, machte aber am 6. Oktober auch klar, daß die wichtigsten Staatsunternehmen wie beispielsweise die Konzerngiganten Rosneft, Aeroflot, die Sberbank oder Gasprom im kommenden Jahr nicht zum Verkauf stünden. In diesem Jahr rechnet Nabjullina mit Privatisierungserlösen von zwölf Milliarden Rubel (270 Millionen Euro) und setzt auf »günstige« Marktbedingungen. »Wir werden nicht billig verkaufen.« Im kommenden Jahr sollen damnach kleinere staatliche Energie- und Transportunternehmen, Flughäfen sowie See- und Flußterminals verkauft werden.
Es ist eine strategische Neuausrichtung. »Wir sehen die Privatisierung als ein Schlüsselinstrument zur strukturellen Reform des realen Sektors der Ökonomie, der unsere Wettbewerbsfähigkeit erhöht und Investitionen anzieht«, hatte Ministerpräsident Wladimir Putin während einer Kabinettssitzung Anfang des Monats betont. Die Krise habe zu einem »ernsthaften Anstieg« der staatlichen Präsenz in der Ökonomie geführt, so Putin. Dies wird dem Staat jetzt offenbar zu teuer.
Rußland ist von der Weltwirtschaftskrise hart getroffen worden. Im dritten Quartal dieses Jahres brach das Bruttoinlandsprodukt um 9,4 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum ein, im Vorquartal waren es sogar 10,9 Prozent. Das zwang den Kreml immer wieder, vom Bankrott bedrohten Unternehmen und und in Schieflage geratenen Wirtschaftszweigen mit massiven Finanzhilfen unter die Arme zu greifen und verstärkte das Haushaltsdefizit.
Eine umfassende Distanzierung vom bisherigen staatskapitalistischen Entwicklungsweg hatte Putin Ende September angekündigt. »Es wird keine Rückkehr zur Vergangenheit geben«, sagte der Premier vor Investoren am 29. September in Moskau. Er habe die »Hoffnungen illusorisch genannt, daß die Einmischung des Staates alles regeln werde«, schrieb die Tageszeitung Wedomosti einen Tag nach diesen Ankündigungen. Statt dessen verkündete Putin einen »liberalen Kurs« für die Zeit nach der Krise, der die »staatliche Einmischung in die Wirtschaft planmäßig und zielgerichtet« abbauen werde, zitierte ihn die Nachrichtenagentur RIA-Nowosti.
Finanzminister Kudrin relativierte dies gegenüber Wedomosti. Seiner Meinung nach werde der Ausstieg des Staates aus Großunternehmen und Banken erst viel später erfolgen. Jetzt, während der Krise und in den nächsten ein bis zwei Jahren, werde der Staat seine Anteile an diesen Großunternehmen sogar noch weiter erhöhen müssen.
Das Wirtschaftsforschungsunternehmen Economist Intelligence Unit geht in einer von der Nachrichtenagentur Bloomberg zitierten Studie davon aus, daß die Privatisierungsstrategie des Kreml zwei Phasen umfaßt. In der ersten sollen im kommenden Jahr vor allem Einnahmen erzielt werden, mittels derer das erste Haushaltsdefizit Rußlands seit 1998 reduziert werden soll. In der zweiten Phase sollen alle jene Industriezweige privatisiert werden, in denen »Privatbesitz die Effizienz steigert«. Der Staat wolle mit dem Verkauf kleinerer Besitzungen »das Wasser testen«, erklärte ein Analyst gegenüber Bloomberg. »Wenn sie erfolgreich sind und der Appetit weiterhin groß ist, werden sie mit einem substantielleren Programm 2011 fortfahren.«
Neben einer kurzfristigen Reduzierung der Staatsschulden, das Defizit wird in diesem Jahr nahezu sieben Prozent des russischen Bruttoinlandsprodukts betragen, will Moskau mittelfristig vor allem eine Modernisierung seiner Volkswirtschaft anschieben. Ausländische Investitionen sollen das beschleunigen. Präsident Dmitri Medwedew hatte Mitte September beklagt, daß die Abhängigkeit seines Landes vom Rohstoff- und Energiesektor »erniedrigend« und »primitiv« sei. »Führerschaft« bei gleichzeitiger Abhängigkeiten von Öl- und Gasmärkten sei »unmöglich«, so Medwedew.
Die Modernisierungsbemühungen des Kreml dürften vor allem dem deutschen Kapital zugute kommen. »Wir haben uns darauf verständigt, eine umfangreiche Liste mit 5500 Unternehmen zu diskutieren, die Modernisierungsbedarf im Zuge von Privatisierungen aufweisen«, erklärte am 21. Oktober der Vorsitzende des Ostausschusses der deutschen Wirtschaft, Klaus Mangold, nach einem Treffen deutscher Spitzenmanager mit Putin. Mangold betonte der Nachrichtenagentur ITAR-TASS zufolge, daß die deutschen Investitionen trotz der Krise nicht gesunken seien und kein einziges in Rußland tätiges BRD-Unternehmen sich zurückgezogen habe.
Springers Welt schilderte dieses Treffen in den schillerndsten Farben: »In nur vier Tagen waren sie zusammengetrommelt. Nicht irgendwelche Manager der zweiten Reihe. Nein, die Chefs selbst setzten sich ins Flugzeug nach Moskau. 15 Manager, geballte deutsche Wirtschaftsmacht. Alle waren sie gekommen: Siemens, Daimler, Volkswagen, RWE, E.on, Wintershall, ThyssenKrupp und so weiter. 500 Milliarden Euro Gesamtumsatz an einem Tisch.« Voll Genugtuung gab das Blatt Putins Worte bei der Eröffnung dieser Zusammenrottung deutscher Kapitalvertreter wider: »Wir werden alles daransetzen, daß Ihre Arbeit hier erfolgreich ist.«
aus: Junge Welt, 30. Oktober 2009