Streifzüge 38/2006
KOLUMNE Rückkopplungen
von Roger Behrens
, Porsche, Genscher, Hallo HSV‘ hieß 1987 das erste Album von den Goldenen Zitronen; auf dem Cover sind skandierende, grölende Punks zu sehen, die an einer Absperrung stehen und drei Plakate halten, auf denen die Worte „Porsche“, „Genscher“ und eben „Hallo HSV“ zu lesen sind. Mit , Für immer Punk‘, gesungen auf die Melodie des damaligen Alphaville-Hits , Forever Young‘, hatten die Goldenen Zitronen schon 1986 einen ersten Erfolg als so genannte Funpunk-Band; doch anders als bei Bands wie den Ärzten oder den Toten Hosen war dieser Spaßpunk als eine ästhetisch-politische Strategie zu verstehen, als ironische Brechung und schließlich als zynische Überbietung der Wirklichkeit. Eine Wirklichkeit, die auch damals keine andere war als die der Krise des Kapitalismus. Ohnehin galt Punk, zu der Zeit selbst schon mehrfach für tot erklärt (Sex Pistols, The Clash, Slime etc. hatten sich aufgelöst und indessen hatte Hardcore den Punk abgelöst), als Ausdruck dieser Krise.
Der Neoliberalismus, der sich in der kulturellen Formation der achtziger Jahre bereits ankündigt, wird zur politisch-ökonomischen Leitfigur der Neunziger. Die Goldenen Zitronen beteiligen sich mit anderen Bands an den so genannten Wohlfahrtsausschüssen, versuchen eine poplinks gewendete Ästhetik des Widerstands, deren engagierter Antifaschismus aber schließlich in der Resignation des Lifestyles mündet. Die Goldenen Zitronen veröffentlichen 1994 , Das bisschen Totschlag‘, ein situationistisches Manifest, das seine subversive Kraft vor allem in der Form, im Material entfaltet: Punk als ästhetische Negation der Zustände, als negative Ästhetik, die sich der Normalisierung verweigert, die damals schon als Spaßgesellschaft reklamiert wird. Punk heißt, die Lüge vom verordneten Spaß als grausamen Ernst zu entlarven – aber mit den Mitteln der Spaßgesellschaft, die ins Absurde übertrieben werden. So ist Punk schließlich selber ein Mittel, das von der Kultur, der er vermeintlich opponiert, immer schon vorgesehen war. Der kulturelle Widerspruch, solange er eben das Kulturelle nicht überschreitet, hilft, den gesellschaftlichen Widerspruch der ökonomischen Logik zu kaschieren: Der Widerstand, der im Bereich des Pop genehmigt wird, verfestigt die widerstandslose Akzeptanz der sozialen Ordnung; an dieser Dialektik scheitert schließlich auch Punk. – Als die Goldenen Zitronen ihr Album , Das bisschen Totschlag‘ veröffentlichten, war die ehemals repräsentierte Funpunkstimmung längst in der Kultur integriert, die dereinst im Punk den endgültigen Untergang der Zivilisation witterte; nun waren dieselben Gesten und Frisuren eben Mode. Und zwar im Verlauf der neunziger Jahre dann bis in jene kulturpolitischen Szenen hinein, die ihren eigenen Standpunkt mit Beschwörung, den Standpunkt des Feindes indes mit Verschwörung erklärten. Der subpolitischen Sektenbildung korrespondierte die subkulturelle Schulengründung. Die Goldenen Zitronen kommentierten dies mit , Dead School Hamburg. Give Me Vollzeitarbeit‘ – ein für beide Tendenzen passender Titel.
Das neue Album heißt nun schlicht: , LENIN‘. Andy Warhol hatte Lenin zur Popikone erhoben; die Goldenen Zitronen erklären ihn gewissermaßen zur Punkikone: dieser Lenin hat freilich mehr mit Dada und russischer Avantgarde zu tun, als mit dem Parteiapparat und der Planwirtschaft. Es mag kein Zufall sein, dass Slavoj Zizek vor nicht langer Zeit , Dreizehn Versuche über Lenin‘ vorstellte (Franfurt am Main 2002) – eine treffliche Anekdote, dass es auf dem , LENIN‘-Album von den Goldenen Zitronen dreizehn Tracks gibt. Punk is dead, und auch Lenin ist tot. Das Titelstück , Lenin‘ handelt vom Mausoleum und Leichnam Lenins: „Er rührte an, den Schlaf der Welt mit Worten, die wurden Traktoren. Nun schläft er seinen Schlaf, die Zeit rast wortlos selbst, selbstvergessen… Ein kleiner Mann, wie aus Wachs, in einem ungetragenen Anzug… Er rührte an den Schlaf der Welt mit Worten. Die wurden Elektrizität. Wie zum Spott auf die Idee, des Hirns beraubt, in Schneewittchenhaft gehalten, liegt da die geschrumpfte Hülle eines Giganten.“ Es geht nicht um Fortsetzung, sondern um Wiedergewinnung, Neuaneignung – einer Idee.
Diese Idee namens Lenin wird von einem Punk verkörpert, wobei „verkörpert“ zu viel gesagt ist: Tatsächlich ist der Punk nur noch ein Schema, ein Schein, ein körperloser Rest, reine und deshalb entleerte, unbestimmte Idee. Er findet sich auf dem Cover, sitzt dort, mit dem Rücken zum Betrachter, in der Öffnung eines Abflussrohres, welches hell erleuchtet ist – im Gegensatz zum übrigen Bildraum, der von einem dunklen, unheimlichen Raum ausgefüllt ist. Dieser Punk ist insofern nur noch eine leere Idee, als dass von ihm nichts weiter übrig ist als die Mode schlechthin: die Lederjacke, auf der zu lesen ist „FUCK THE POLICE“; der Satz ist ein reines Ornament und damit ebenso zum bloßen Accessoire geworden wie die Nieten, mit denen der Spruch sowie weitere Verzierungen auf die Jacke appliziert sind. Das Bild ist von dem Künstler Daniel Richter, mit dem die Goldenen Zitronen schon lange zusammenarbeiten: wie sie gehört auch er zum alten Umfeld der besetzten Häuser in der Hafenstraße in Hamburg, war ebenfalls an den Wohlfahrtsausschüssen beteiligt.
Was auf dem Cover des Albums der Goldenen Zitronen wie eine Zeichnung anmutet, auf Kleinformat der CD oder LP, ist tatsächlich ein Gemälde in den Maßen 250 cm x 280 cm = Historienmalerei, und zwar nicht nur wegen des typischen Querformats, sondern auch thematisch. Dass aber das Bild mit seinem Kontext seine Funktion wechselt, bleibt seinem ästhetischen Wahrheitsgehalt nicht äußerlich: Als Cover ist es Verpackungsdesign, Gebrauchsgrafik – der Titel , Lonely Old Slogan‘ entfaltet eine spielerische Mehrdeutigkeit zwischen „FUCK THE POLICE“, „LENIN“ und „die goldenen zitronen“. Im Museum hingegen hängt das riesige Bild ebenso wie Lenin im Mausoleum liegt: es wird besichtigt, es schläft.
Die provokative Geste der grölenden Punks von 1987 zeigt indes ihr wahres Antlitz auf der Rückseite des Plattencovers: Auf einem Schnappschuss grölen dort die abgefeimten Galeristen, die auch Richter unter Vertrag haben; im Hintergrund hängt das Bild , Lonely Old Slogan‘ – der Punk hat dieser Gesellschaft, die sich seiner Symbole bemächtigt hat, den Rücken zugewandt; die Symbole, also die Gesten, Slogans, Moden und so weiter werden vollends preisgegeben, um so von der Idee des Punk abzulenken, um sie zu schützen. In derselben Weise opfern die Goldenen Zitronen nun das Etikett LENIN, um darüber die Idee von Lenin zu schützen.