DATUM 7-8/09
von Franz Schandl
Ist das Erste nicht ziemlich fad? Irgendwie schon. Jeder Werbefritze hätte einige Mühe die Zuschauer, die heute nur noch als Kunden zählen, vom Gegenteil zu überzeugen. Indes, wenn man an einen wie mich gerät, ist Langeweile ja nicht unbedingt ein Minus. ARD steht übrigens für „Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland“. Das ist ein wunderschön sperriger Titel – und wohl auch Programm. Der Durchgeknalltheit so mancher Konkurrenten wird mit einer Biederkeit begegnet, die am alten Tempo hängt.
Die stündlichen Nachrichten der „Tagesschau“ kommen jedenfalls relativ unaufgeregt daher. Scoopender Sensationismus scheint ein Fremdwort zu sein. Gelegentlich gibt es zur Prime Time sogar ansprechende und gemächliche Dokus wie „Mythos Wald“. Auch die Diskussionsrunden sind nicht unbedingt beherrscht von den üblichen wie üblen Untergriffen wie sie heute gern inszeniert werden, auf dass die Quoten in die Höhe schießen. Die Talkshow „Hart aber fair“ etwa kann man anschauen, ohne nach einigen Minuten bereits an Brechreiz zu leiden oder den Dolch zu zücken. Regression hält sich in Grenzen und Aggression ebenso. Querulanten und Obskuranten sind nicht in der Überzahl. Debattiert wird ohne verletzende Schärfe, allerdings oft auch ohne zündenden Elan.
Man will informieren und helfen, orientiert sich mehr an der Sache als an ihrer Aufbereitung. Ältere Mitbürger dürfen Sätze sagen wie: “Eine Bank ist für mich eine Behörde” und damit dokumentieren, dass sie die Entwicklungen nicht nur nicht kapieren wollen – was weniger gut ist; sondern auch nicht akzeptieren möchten – was sehr gut ist. Der Einundneunzigjährigen, von der diese Aussage stammt, wurde eine Lebensversicherung angedreht, die ungefähr im Jahre 2070 abgelaufen wäre. Das war nicht bloß ihr zuviel, das interessierte auch das Fernsehen.
In der Sendung wird offen mitgeteilt, dass Verkäufer einer Versicherung oder einer Geldanlage keine guten Kundenberater sein können. Als Keiler müssen sie zuerst an ihre Firma, dann an sich und erst zum Schluss an die Kundschaft denken. Bringt eins die Reihenfolge durcheinander, wird früher oder später der Job wackeln. Natürlich ist es auch nicht immer klug, den Leuten alles Unmögliche aufzuschwatzen und sie zu irrwitzigen Abschlüssen zu treiben. Wichtig ist sie abzucashen, ohne dass sie merken, wozu sie da sind. Man könnte auch sagen: Nehmt uns aus, aber lasst es uns nicht wissen. Wenn sie es nicht mitbekommen, belastet es sie kaum. Was sie oft stört, ist die grassierende Impertinenz. Da ist „Hart aber fair“ zur Stelle. Ganz entscheidend ist, ob ein Fall publik wird. Erreicht man die Öffentlichkeit, werden solch marodierende Praktiken bedauert und der Rückzug angetreten, erreicht man jene nicht – und das ist in den allermeisten Fällen der Fall! –, rührt sich gar nichts. Dann ist, egal was gewesen, kein Skandal gewesen. Die Beschwerde im Fernsehen oder sonstwo mag im Einzelfall helfen, am Allgemeinen ändert sie aber nichts.
Die Vertreter der jeweiligen Branche erzählen in den Studios die ewig gleichen Geschichten von den schwarzen Schafen, die Schande über ehrliche und solide Sparten bringen. Prinzipiell sei alles in Ordnung. Die obligate Kriminalisierung der Wenigen als „Räuber“ führt so zum Freispruch der Vielen, nie aber zur wirklich entscheidenden Frage des Charakters geschäftlicher Tätigkeit. Indes, nur sie könnte zeigen, dass Legalität und Illegalität nicht als bestimmende oder gar ausreichende Kriterien für das Business geltend gemacht werden können. Ganze Betriebssysteme in Frage zu stellen, das ginge dann doch zu weit.
Wie der Sendungstitel ausdrückt, fordert man neben Gesetzesänderungen vor allem mehr Anstand. Der ist jedoch dezidiert keine geschäftsfähige Größe. Die Dynamik jedweder Transaktion gerät heute zusehends auf eine schiefe Bahn, sodass der Geschäftstrieb vor keiner Gemeinheit zurückschreckt, ja im Gegenteil, er braucht sie immer dringender, um auf dem wilden globalen Markt überhaupt reüssieren zu können. „Der Triumph ist umso größer, je härter der Kampf war“, sagt einer dieser erfolgreichen Geschäftmänner zu einem potenziellen Partner in einer dieser elendslangen ARD-Serien.
Von diesen Serien lebt der Sender. Sie stehen nicht bloß auf dem Programm, sie sind Programm. „Rote Rosen“, Episode 589, „Verbotene Liebe“, Folge 3411 (kein Tippfehler!), „Sturm der Liebe“, Teil 855, lassen ahnen, dass da etwas läuft, das ewig läuft und immerzu laufen will. Zentrales Thema, wie könnte es anders sein, ist die Liebe. Kein Begriff wird so oft strapaziert und in den Mund genommen wie dieser. Ja, die Liebe, mit der haben anscheinend alle ihre liebe Not. Die Beschäftigung mit ihr ist also naheliegend. Grotesk nur, dass sie der Kulturindustrie (und den Kirchen) überlassen bleibt. Die geläufigsten transzendentalen Versetzungen bieten die Formate der Unterhaltungsfabriken. Wenn Liebe schon nicht ist, dann muss sie zumindest erscheinen. Das Fernsehen liefert diese Erscheinungen en masse. Und zum Eros gesellt sich auch Thanatos, der theatralische Felsensturz einer Bösen, z.B. Barbaras Tod in Nummer 476, lässt die Herzen schneller schlagen und die Einschaltziffern steigen.
Elementare Bedürfnisse des Begehrens und Verlangens werden mit Fast food abgespeist. Aber man könnte gar nicht sagen, dass die Konsumenten etwas anderes erwarten. Was sie bekommen, ist nicht bekömmlich, aber es sättigt. Was da nicht alles vorkommt oder sollte man gleich sagen: verkommt. Hohe Berge, reine Lüfte, fürstliche Häuser, fesche Trachten, gestandene Mannsbilder, resche Frauenzimmer. Und hinten, da plätschern Bäche und Melodien. Bei „Sturm der Liebe“, das inzwischen von 17 Sendern übernommen wurde und hier exemplarisch besprochen werden soll, wird pro Drehtag eine komplette Sendung von 48 Minuten aufgenommen. Der bisherige Spitzenwert liegt bei knapp unter 4 Millionen Zuschauern. Die Dramaturgie beim Intrigantenstadel ist dürftig, von den Texteinlagen ganz zu schweigen: „Ich gebe dir eine Million Euro, wenn du…“ Oder: „Ihr habt’s tolle Jobs und lauter nette Menschen um euch!“ Oder „Männer tun am liebsten das, wozu sie am meisten Lust haben.“ Oder: „Ohne Sie hätte er sich nicht so verschuldet“. Oder: „Heißt das, dass ich dir doch nicht völlig egal bin?“
Brechen wir ab. Stets kommt, was kommen muss, muss kommen, was kommt. Aber zweifellos, Vorlagen zu verfertigen, ohne über diese reflektieren zu können, das ist eine Herausforderung. Wenn auch eine der ganz sonderbaren Art, denn Schreiben ohne Denken funktioniert nur, wenn andauernd die gleichen affirmierenden Muster ausgefüllt werden. Smalltalkartige Stehsätze des Alltags tun sich am Leichtesten. In der Konsumtion wie in der Produktion. Es ist wie in der Fabrik, und es sind auch Waren des Fließbands, die da hergestellt werden, weder Handwerke und schon gar nicht Kunstwerke. Ob die Sachen billig gemacht und dilletantisch gespielt sind, könnte lediglich jene interessieren, die derlei Differenzierungsvermögen überhaupt noch besitzen. Doch die das können, sehen sich solchen Schmarren nicht an, sind zu Recht arrogant, aber zu Unrecht ignorant.
„Unser Format ist ein zeitgemäß erzähltes Märchen“, sagt Peter Süß, der Chefautor der Serie, der zusammen mit rund 30 Autoren die Storys zusammenträgt. Zweimal im Jahr trifft sich Süß, der auch Lehrbeauftragter für industrielle Serienproduktion an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg ist, mit seinen wichtigsten Autoren zum so genannten „Future“. „Futuren ist gemeinsames Geschichtenerfinden auf Knopfdruck“, erklärt der Headautor. Dabei werden die Storys grob skizziert, damit die Storyliner, die die einzelnen Szenen entwickeln, eine Idee der Handlung haben und diese in Fluss halten.
Auf diese Formate sind die Seher nicht bloß vorbereitet, sondern sie sind in ihrer psychischen Konstitution regelrecht darauf zugerichtet. Märchen sind eminenter Bestandteil einer infantilen Prägung, von der kein Erwachsener mehr loskommt, auch die reflektierteren Exponate nicht. Jeder ist sein eigener Kitschkübel. Aschenputtel und Schneewittchen lassen grüßen, und auch die bösen Stiefmütter lauern überall. Nur die Besetzung ist seit der frühen Neuzeit um einiges angewachsen. Wohlgemerkt: Nicht, ob das Märchen zeitgemäß ist, wird gefragt – das wäre tatsächlich eine spannende Frage –, sondern was ein zeitgemäßes Märchen ist. So wird immer wieder der Mythos, die falsche Wahrheit bedient. Dessen Sinngebungskompetenz steht außer Zweifel.
Die Dichotomie des Märchens und seiner Klischees ist nicht überwunden, die Tonfilmserien mixen sie allerdings richtig durch. Auch wenn es nicht mehr so eindeutig die Guten und die Bösen gibt, so sind das Gute und das Böse doch noch strikt getrennte Wesen, vor allem jedoch natürliche Setzungen und nicht gesellschaftliche Ausprägungen. Das Böse ist stets da und bedroht das Gute, das vorerst hilflos ist, sich dann aber wehrt, um siegreich zu sein. So gestaltete das traditionelle Genre sein Happy End. Das hat zwar mit dem Leben wenig zu tun, wohl aber mit der Wunschvorstellung davon.
In den hier angesprochenen Serien beginnt dieses Spiel hingegen zyklisch von vorne, hört nicht auf, wird der Tendenz nach unendlich und sagt uns damit: so ist es, so soll es sein, so wird es bleiben. That’s life! Leben wird zur Reproduktion des Ewiggleichen. Es gibt kein Entrinnen, Flucht ist zwecklos. Kein Abschluss soll sein, auch kein parzieller, der mit dem Ende einer Folge zusammenfällt. Es dreht sich immer weiter. Der Cliffhänger, d.h. die letzte Szene einer Episode ist so ungemein wichtig, weil er das Publikum vorab an die nächste Folge anbindet.
Was rauskommt, sind streng proportionierte und präparierte Gerichte, passend zum Alltag der Belieferten. Die Stücke gleichen Hormonschnitten für Harmoniesüchtige, hergestellt in den Konditoreien der Kulturindustrie. Betonung auf Sucht. Die Konditionierten leben auf, empfinden sich als innerer wie inniger Teil der televisonären Schleife. Und ganz falsch ist das nicht, betrachtet man den Aufwand, den manche, und das sind nicht wenige, betreiben. Die Hormonschnitten gleichen Drogen.
Phantasievorgabe hat Phantasie ersetzt. Ich brauche nichts zu entwickeln, jene ist als serielles Produkt vorhanden. Und der Kasten spuckt sie mir ins Zimmer. Der Stoff ist Nahrung für den kommunikativen als auch für den emotionalen Haushalt. Man fiebert mit und spricht darüber. Da kann es schon passieren, dass du in einer wirklichen Konditorei sitzt und das Damenkränzchen am Nebentisch redet bloß noch davon. Mental geraten das reelle Leben und das virtuelle nicht nur aneinander, sondern durcheinander, weil sie tendenziell zusammen fallen wollen, d.h. die Fans erfahren und erleiden dieses Paralleluniversum mit, verlieren sich in den Trugbildern, die die Apparate ihnen vorspielen.
Virtuelles Erleben meint konfisziertes Leben. Telenovelas und Soaps sind Surrogate, schlechter Trost, Ersatzbefriedigung, vergleichbar durchaus der Pornographie. Jene wie diese füllen ein Defizit. Stets saugen sie Energie und Emotion aus der realen Welt ab, die dort dann fehlen. Die Leute werden nicht befriedigt, aber sie werden doch befriedet, insbesondere auch im Sinne von lebensweltlich deaktiviert. Man freut sich auf etwas und für jemanden, mit dem man nichts zu tun hat, ja man verliebt sich sogar in Figuren. Fiktion bewegt mehr als Realität. Spannung wird televisionär erzeugt. Aber auch wenn die Beziehungen halluziniert sind, sind die Gefühle echt, ihr Dasein kein Schein.
Zweifellos, es ist Müll, den die Leute da in sich reinstopfen und wiederkäuen, und es steht immer mehr Abfall zur Verfügung. Elend gebiert unmittelbar nicht edle, sondern vorerst elendigliche Stimmungen. Das melodramatische Trottoir der Aufregungen und Abregungen ist Folge einer Pauperisierung der sinnlichen Gewissheiten. Wenn Kriegs- und Katastrophenfilme deren Speerspitze sind, dann sind diese ARD-Streifen deren Brei. In einem dicken Püree verschwimmt und versinkt alles. Sichtbar sind nur paprizierte Oberflächen, es geht um die Vordergründigkeit, gerade auch wo sie als Hinterhältigkeit oder Hinterfotzigkeit auftritt.
Wenn man wie etwa der Autor dieser Zeilen, nicht in diesen Auftrieb involviert ist, vermag man sich nicht vorzustellen, worin die Faszination liegt, die die Leidenschaften der Konsumenten so blendend bedient. Aber frage nicht, jene muss gegeben sein, sie existiert in Massen und sie lässt tief blicken in die Seelen der Zugerichteten und Hörigen. Die Frage ist, welche mentale Schicht hier angesprochen wird, auf dass das schauende Wesen nicht wegzappt, sondern gebannt auf den Schirm starrt und eine Messe feiert. Nicht, dass man nicht einmal beim Fernsehen weinen soll, soll gesagt werden, aber es ist nicht auszuschließen, dass es da einen Typus gibt, der wohl öfters beim Fernsehen geheult hat also sonst wo. Das ist wirklich zum Heulen.
Zum Heulen gut sind auch die legendären Flippers, Deutschlands erfolgreichste Schlagerband aller Zeiten („Weine nicht, kleine Eva“), die unter dem Motto „40 Jahre, 40 Millionen“ Stargäste „Im Sommerfest der Volksmusik“ sind. Sie singen: „Wir sagen danke schön. Was wären wir ohne unsere Freunde, ohne euch, ihr lieben Fans!“ Ist das eine Persiflage oder ist das keine? Es ist keine gewesen und keine könnte je das Original übertreffen. Und muss einem das Lachen nicht vergehen bei 40 Millionen verkauften Tonträgern? Hört sich da nicht jede Kritik auf? Oder fängt sie da erst an?
Verpflichtet, das Erste zu schauen, ist dieses unheimlich anstrengend. Alleine an einem Tag zwei Stunden volksdümmliche Musik und ein paar Folgen der Soaps und Telenovelas durchzudrücken, ist harte Arbeit, fällt unter die Schwerstarbeiterregelung. Es ist wie eine Überdosis Gefühlskot. Indes präsentieren die medialen Zumutungen der ARD nur eine depressive und milde Mischung des heute Möglichen. Otto und Ottilie Normalverbraucher Deutschland sind das Zielpublikum. Man darf aber keineswegs behaupten, dass diese Serien ewiggestrig sind. Nein, sie unterfüttern eine Konvention, die sich als ewigjetzig installieren will, dabei halten sie sich ganz artig an die Correctness des Mainstreams. Schwule kommen nicht mehr schlecht weg, sondern einfach vor und leitkulturalisierte Ausländer gehören zum eingeborenen Stamm multikultureller Folklore. Weil am Fürstenhof und außerhalb nicht geraucht wird, erhielt „Sturm der Liebe“ 2007 das „Rauchfrei-Siegel“.
Serien wie Programm des ARD fallen allesamt nicht in die Kategorie Tabubrecher, sondern fungieren als Verfassungshüter. Gerade weil diese Botschaften so schamlos harmlos über den Bildschirm flanieren, wird ihre Effektivität als Verstärker der Normalität unterschätzt. Es geht um nichts weniger als um die Ansprache oder besser die Anflimmerung der gesellschaftlichen Leitwerte. Fernsehen darf man sich ja nicht als analytische Veranstaltung vorstellen, sondern als synthetische Strahlung.