Streifzüge 2/2003
von Gerold Wallner
„Der ganze Iraq ist in drei Teile geteilt, dessen einen die Schiiten, den anderen die Kurden bewohnen, den dritten dann die, die in ihrer Sprache Araber, in unsrer aber Iraqer genannt werden.“ caius iulius caesar, commentarii de bello gallico
Mit diesem Satz, den alle, die ein Gymnasium absolviert haben, kennen, hat C. I. Caesar sein Kriegsprogramm formuliert: Die „lingua sua“ soll hinfort nicht mehr gelten, und das Wort „celtae“ taucht auch konsequent im Text nicht mehr auf, nur noch „galli“ bevölkern die römische Welt. Ich will diese Analogie nicht überreizen, schon gar nicht im Hinblick darauf, dass Rom und Gallien zueinander finden konnten, dass Rom für Gallien ein Angebot war (wenn auch eines, das nicht abgelehnt werden konnte). Aber welches Angebot haben wir für die Araber?
Demokratie fällt natürlich sofort ein, die Befürworter1 des Kriegs trommeln tagaus tagein, wie sehr sie es begrüßen, dass die Iraqer nun die Segnungen des Westens zu spüren bekommen. So wird bejubelt, dass das iraqische Volk endlich Cola trinken und Meinungen äußern kann. Auffällig ist daran, dass diese Argumente bloß Ausstrahlungen der „lingua nostra“ sind. Was immer auch „lingua sua“2 ist, existiert nicht mehr, oder wird nur noch in der willkürlichen Dreiteilung wahrgenommen. Die „lingua sua“, die zum Verstummen gebracht werden soll, zeigt sich beispielhaft am Schicksal des Nationalmuseums in Bagdad. Was wurde nicht alles gejammert, und welche Vorwürfe an die US-amerikanische Besatzungsmacht wurden nicht vorgebracht! Dabei waren die Plünderungen doch nichts anderes als ein Anschauungsunterricht in Marktwirtschaft und „lingua nostra“. Zum einen wurde klar, dass die Plünderungsaktion vorbereitet und wohl auch geduldet war, eine Lektion quasi in Verwertung, zur besseren Anschaulichkeit und zum schnelleren Abschluss auf dem Schwarzmarkt vollzogen. 3 Zum anderen war die Empörung insofern doppelbödig, als die gestohlenen Kulturgüter gleich zu unseren Kulturgütern wurden, wir also beraubt wurden, wir den Verlust zu tragen haben, die Araber schmeißen, was sie nicht verhökern können, weg, schmelzen die Schmuckstücke aus Edelmetall ein, haben ohnedies keinen Begriff von Hochkultur; das haben erst wir über die Griechen geschafft.
Also Marktwirtschaft? Passt! Vielleicht ein bisschen unorthodox, aber passt. Öl geht an die Privaten, Kunst, Kultur und Geschichte, das geht auch an die Privaten. Wird schon stimmen – Hauptsache „lingua nostra“. Wiederaufbau? Kennen wir. Das ist so ähnlich wie bei uns am Land. Erst werden Postbus- und Eisenbahnlinien eingestellt, dann wollen die Pendler doch in die Städte zur Arbeit fahren, dann sagen die Unternehmensleitungen, das sollen die Gemeinden bestellen und bezahlen, wenn sie diese Verkehrsanbindungen partout haben wollen. Und so stehen die US-amerikanischen Firmen Kapital bei Fuß, und der Iraq soll das bezahlen, was jetzt an Investitionen getätigt werden wird. 4
Und Demokratie? Wieder ein bisschen unorthodox, aber passt! Nation-building, in Analogie zur Umerziehung der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg wird es hier als Modell verkauft. Die Kurden machen mit, wenn sie gelassen werden, die Ba’ath macht mit, wenn sie gelassen wird, die Schiiten machen mit, wenn sie gelassen werden. Die Volksmudjaheddin machen mit, wenn sie gelassen werden, alle sind dabei, wie es sich für eine Nation schickt. Davor wurde die Nation schon einmal gebildet – aus der Konkursmasse des Osmanischen Reichs. Wir haben schon zu Zeiten, an die wir uns nicht mehr erinnern können, die Nation gebildet – Linealstriche auf der Landkarte werden zum Iraq. 5 Das ist natürlich nicht nur mit Rechten, sondern auch mit Pflichten verbunden. Die Rechte sind die des Markts. Die Pflichten sind die des Staats.
So wurde dem Iraq immer schon von uns mitgegeben, wie Staatlichkeit und Demokratie gehen. Durch seine Geschichte nach dem Zerfall des Osmanischen Reichs zieht sich wie ein roter Faden die konstitutionelle Verfasstheit als Zeichen seiner Treue zu uns. Wird diese Treue einmal in Frage gestellt, weil sich Bevölkerung und Machthaber eigenen Plänen zuwenden (oder auch nur den Verdacht erregen, sie könnten es vielleicht einmal tun), ist eine strafweise Besetzung durchaus im Rahmen des Üblichen. Vollstaatlichkeit mit Demokratie und Nation sind nämlich bloß so etwas wie ein Franchise-Unternehmen. McDonald’s zeigt, wie es richtig gemacht wird. Offiziell bist du dein eigener Unternehmer und selbständig. Aber das Produkt, die Werbelinie, selbst die Ausstattung des Lokals und die Uniform der Bediensteten lassen dir keinen Spielraum für irgendeine Entscheidung. Aber wenn was schief geht, bist du dafür verantwortlich. Diese Franchise-Demokratie kennt der Iraq schon längst. Er hat alle Geschäfte, die er übernommen hat, getreulich ausgeführt. Das ging von der konstitutionellen Monarchie über Militärdiktaturen, Besetzung, Formaldemokratie, antikoloniale Revolution – alles immer als nation-building – bis zum Krieg, den der Iraq im Auftrag von Freiheit mit Iran führte, und zur Niederschlagung der – komischer Weise wieder nationalen und demokratischen – Revolten von Teilen der Bevölkerung im Auftrag von nationaler Integrität.
Welche Demokratie bringen wir dem Iraq also jetzt, die er noch nicht kennt? Da werden „feudale Stammesstrukturen“ beschworen, Loyalitäten und Beziehungsgeflechte, die zerstört werden müssen und die in der Tat vormodern anmuten. Aber auch diese Vormodernität ist nichts Neues; sie tritt selbst bei uns in Erscheinung, vor allem dann, wenn mit Demokratie eine klassische Entwicklung verbunden wird. Dann geht der Weg der Menschheit korrekter Weise von der Sklaverei über den Feudalismus zur bürgerlichen Gesellschaft mit Demokratie und Nation und führt dann zu Sozialismus und Kommunismus. Wer diesen Weg nicht brav zurückgelegt hat, macht sich verdächtig, entspricht nicht der linken political correctness und ist nötigenfalls mit den entsprechenden Mitteln zur Raison6 zu bringen. Gerade in Österreich wird das Ausbleiben einer nationaldemokratischen Revolution beziehungsweise ihr mangelnder Erfolg zum alleinigen Ausgangspunkt jedweder Erklärung der hiesigen Verhältnisse gemacht. Dabei wird so weit gegangen, diese Revolution an ein einziges Datum zu binden, 1848, und wer da nicht gewonnen hat, hat für immer verloren. Dass dieses Etappenmodell nie und nimmer funktionieren kann und auch nie der geschicht- lichen Realität entsprochen hat, spielt dabei schon gar keine Rolle. 7 Dafür ist das Argument auch eines, das sich der Religion in säkularisierter Form vergleichbar gemacht hat: Das Ausbleiben der bürgerlichen Revolution ist die Erbsünde, an der Deutschland und Österreich mit ihren Trabanten leiden und büßen müssen.
In dieses Korsett wird die Geschichte des Iraq gezwängt, um zu beweisen, dass wir ihm jetzt erst endlich die Demokratie bringen. Verschwiegen wird, dass Demokratie8 bloß die Organisationsform dieser Welt ist, was immer auch darin von wem organisiert wird. Wenn wir also dem Iraq Demokratie bringen, dann nicht Freiheiten, Grundrechte und Ähnliches, sondern einen neuen Franchise-Vertrag für einen neuen Pächter. Der neue Pächter kann natürlich im eigenen Haus schalten und walten, wie er will, solange er nicht die Interessen des Konzerns verletzt. Und damit diese Interessen selbst nicht zu Willkür Anlass geben, ist ihnen eine Grenze gezogen. Diese Grenze wird durch die Notwendigkeit markiert, dass die Gesellschaft und ihre Welt, die sich diese Gesellschaft als die beste aller möglichen vorstellen muss, um sich nicht selbst zu verunsichern, weiterhin funktionieren muss und in ihrem Bestand nicht gefährdet werden darf. Und so lässt sich mit Fug und Recht sagen, dass der Iraq ein ebenso demokratisches Gebilde von allem Anfang an war wie jeder moderne Staat, der das Licht der Welt in den letzten dreihundert Jahren erblickte und sich gegen die nichtstaatlichen Reiche9 etablierte.
Da stellt sich natürlich die vordergründige Frage, was es mit der offensichtlichen Diktatur des Saddam-Regimes zu tun hat. Es wäre allzu einfach, sich auf die Position zurückziehen zu wollen, dass Diktatur der Demokratie widerspräche. Nona! Bloß, dass hier der gesunde Menschenverstand zu Wort kommt, bedeutet noch lange nicht, dass damit das Thema durchdrungen wäre. Demokratie hat in sich selbst seit jeher ein ausschließendes, terroristisches, diktatorisches Moment. Wo der gesellschaftliche Konsens darauf basiert, dass schon immer eine Minderheit bei der Konsensbildung unterdrückt wird, ein streng utilitaristisches Herangehen sich damit begnügt, größtmögliche Wohlfahrt für die größtmögliche Menge von Menschen sich zum Ziel zu setzen und so das Herausfallen von anderen (aus der Versorgung, aus der Entscheidung, aus dem Leben) billigend in Kauf nimmt, dort kann es nicht Wunder nehmen, wenn sich dieses terroristische Element auch anschaulich und greifbar manifestiert. So ist Demokratie immer schon mit dem Fall des Notstands verbunden – um die Demokratie zu schützen. Und je nach Einstellung setzt sich diese immanent angelegte Willkür als Notwendigkeit oder Missbrauch immer wieder durch. 10 Hier schließt sich der Kreis zum jetzigen Kriegsgeschehen.
Diente die Diktatur Saddams vorgeblich dazu, dem Volk gegen einen Machtklüngel, der jede Beziehung zur Basis verloren hatte, wieder zu seinen Rechten zu verhelfen, Nepotismus und Korruption abzuschaffen und die Nation zu Ansehen und Wohlstand zu bringen, so scheiterte sie schnell an der selbst gestellten Aufgabe. Der nationale Konsens, den herzustellen sie im Stande war, zerbrach sehr schnell an unüberschreitbaren Grenzen. Und diese Grenzen waren nationale. Der Angriff des Iraq auf Quwait stellte das Prinzip des nation-building in Frage. Gezogene Grenzen konnten nicht ohne weiteres geändert werden, und Nationen gab es nur innerhalb dieser. Saddam unterschätzte diese Prämisse und wurde bestraft. Das Problem dabei war nur, dass im Zuge dieser Strafaktion das iraqische Regime auf seine Gestaltungsmöglichkeiten zu verzichten hatte. Wer Grenzen dieser Welt zu überschreiten sucht, wird schon im Ansatz, schon bei der Formulierung dieses Versuchs, auf seine Grenzen zurückgeworfen. Dabei zeigen sich natürlich die Vorrechte der ursprünglichen Landvermesser. Ob Elsass-Lothringen oder Quwait, die Nation stand schon länger fest; ihre Legitimation und Verfasstheit waren demokratisch, und dabei ist völlig egal, ob diese Demokratie ortsgebunden, autochthon und endemisch oder implantiert ist. Im Gegenteil, Demokratie ist eine Epidemie, sie greift die ganze Welt an, es gibt kein Heilmittel, alle Nationen sind befallen.
Und wer in diesem Spiel die Regeln wenn nicht zu verletzen, so ernst zu nehmen trachtet, wird des Felds verwiesen. Der Iraq – sein Regime – nahm das Selbstbestimmungsrecht der Völker wenigstens im eigenen Falle ernst, glaubte, den Prozess des nation-building vervollkommnen zu können, wollte Quwait als nationale Provinz, so wie Österreich oder Italien Südtirol oder Alto Adige wollten. Doch die Grenzen zieht die Demokratie, die internationale Gemeinschaft, der ideelle Gesamtstaat, der seine Verantwortung ernst nimmt, niemand anderem die Ordnung der Welt zu überlassen. Wer Grenzen nicht anerkennt, macht sich verdächtig, das Spiel nicht richtig zu spielen. Die Grenze ist das Um und Auf der Staatlichkeit, wer sie verletzt, begibt sich dieser zivilisatorischen Garantie und die Strafe folgt auf den Fuß.
Der Iraq war keine souveräne Nation mehr, sein Zugriff auf Bevölkerung und Wirtschaftsressourcen war ihm abgeschnitten. Und dafür wurde er wieder bestraft. Weil er kein Öl mehr exportieren durfte, weil er seine nationalen Pflichten nicht mehr wahrnehmen konnte, musste ein Exempel statuiert und die alte Ordnung wieder hergestellt werden. Wir bringen dem Iraq nichts, was er nicht schon kennte. Was zu erwarten ist, ist, dass er am Ende sich selbst überlassen bleibt, das nächste Regime den nächsten Durchgang von Nepotismus und Korruption unternimmt, worauf sich ein nächster Freund des Volks der Aufgabe stellt, zu internationalem Ansehen und nationalem Wohlstand eine Regierung zu stürzen und eine neue zu stellen. Derweilen gehen die Geschäfte weiter, und our guy wird darauf achten müssen, dass er nicht vom good guy zum bad guy wird. Wenn wir dem Iraq Demokratie gebracht haben, dann nur in diesem Sinne. Auf ein Neues!
Bleibt nur noch eines: Wir11 müssen uns hier in unserem Umfeld damit herumschlagen, dass das Offensichtliche nicht gesehen wird. Von Hans Rauscher bis Stefan Grigat, von seriösen Tageszeitungen bis zu skurrilen Sektenblättern12 reicht das Spektrum, in dem der Sturz Husseins und der Überlebenskampf unserer Welt abgefeiert werden. Es ist hier nicht nötig, darzulegen wie Seriosität, Skurrilität, persönliche Verunsicherung (etwa am Beispiel P. M. Lingens) in eins fallen und sich in furioser Verteidigung der bestehenden Zustände und narzisstischer Darlegung der eigenen Befindlichkeit treffen. Es ist eines notwendig: das Bewusstsein dafür zu wecken, dass der Feind der Demokratie sie selbst ist. Was je noch als transzendenter Traum an diesen Begriff gebunden war, geht im Kriegsgeschrei in Brüche. Wird sie als wehrhaft bezeichnet, wird ihr Pflicht und Schuldigkeit auferlegt, gegen ihre eigenen Aporien vorzugehen13, so wird ein Widerspruch aufge- rissen, der ihr – der Demokratie – ihr transzendentes oder wenigstens beruhigendes Bewusstsein, in der besten aller möglichsten Welten zu leben, nimmt, da sie mit einem dauernden Einbruch des eben nicht Besten entgegen jeder Rationalität und Raison konfrontiert ist. Und wer nun Einbruch des Bösen und Demokratie als Gutes ernst nimmt, wird gezwungen, eine Partei zu ergreifen, die so oder so nicht als unsere bezeichnet werden kann.
Wir jedenfalls sind in dieser Auseinandersetzung nicht Partei. Wenn sich Pack schlägt und verträgt, ist das nicht unsere Angelegenheit. Nun ist aber diese Position den Vorwürfen ausgesetzt, wir würden uns damit den fundamentalen Auseinandersetzungen der Zeit entziehen, namentlich eine antisemitische Position einnehmen. Dieser Vorwurf ist dermaßen abgeschmackt, dass ihm entgegenzutreten und uns gegen diesen Anwurf zu verteidigen, nicht nur fade und lästig ist, sondern auch schon kontraproduktiv. Wir führen eine Auseinandersetzung um die denkmögliche Errichtung einer neuen Welt, nicht um den Bestand der alten, von der wir nichts zu erhoffen haben und die nichts mehr bereithält, dessen zu erinnern sich noch lohnte. 14Wer uns mit dem Argument, anderenfalls wären wir als antisemitisch zu betrachten, in eine Parteinahme für eine verkommene Geselligkeit, die dem Untergang, den sie sich selbst bereitet, nicht entgehen kann, zwingen will, hat nichts als stumme Gesprächsverweigerung zu erwarten. Nicht nur kein Blut, nein auch kein Wort für Demokratie.
Anmerkungen
1 Es wäre wohl korrekt, BefürworterInnen zu schreiben, nota bene es unter den Kriegstreibern durchaus solche beiderlei Geschlechts gibt. Aber so wie Wedekind (ich glaube, es war Wedekind) von Tanten beiderlei Geschlechts schreibt, schreibe in von Befürwortern. Gemeint ist, dass ein männliches Verhalten sich Bann bricht, auch wenn Condoleezza Rice nicht dem Prototyp des WASP entspricht, dies soll sich auch sprachlich ausdrücken.
2 „lingua nostra“ = unsere Sprache, „lingua sua“ = deren Sprache.
3 http://www.weltkonflikte.de/13_04_2003.htm, http://www.zeit-fragen.ch/ARCHIV/ZF_104a/T13.HTM
4 Darum dreht sich auch der Streit um die Aufhebung der UN-Sanktionen; das Programm „oil for food“ ist an die Sanktionen gebunden. Fallen die Sanktionen, fällt „oil for food“, und die Gewinne aus nunmehr unbeschränkten und unkontrollierten Ölförderungen stehen zur Verfügung. Wem?
5 Zu einer kurzen Geschichte des nationbuilding im Iraq vgl. http://www.nzz.ch/dossiers/2002/Irak/2003.02.15-fe-article8NG4X.html
6 Vernunft!
7 Schon die Entwicklung der USA selbst, die als Heilsbringer abgefeiert werden, widerspricht diesem Etappenmodell auf s Gröbste: eine Revolution, die ohne Parteien daherkommt, irgendwie eine Mittelstellung zwischen Palastrevolution und bewaffnetem Aufstand einnimmt, eine Verfassung, die wesentlich vom Vertragswerk des Bundes der Irokesen beeinflusst ist, eine Politik, die die innereuropäischen Auseinandersetzungen für ihre eigenen Zwecke ausnützt und fest in der Tradition von Geheimdiplomatie, weißer Überlegenheit über die indigene Bevölkerung und Beförderung der Sklaverei wurzelt, schließlich ein Bürgerkrieg mit dem ersten Flächenbombardement der Kriegsgeschichte (wenn auch noch ohne Flugzeuge, ich spreche von General Shermans Marsch durch South Carolina, s. auch http://members.aol.com/x69xer/index.h tml) und der ersten Kriegsgesetzgebung, die das Recht als Mittel der Kriegsführung einführte (ich spreche vom homestead act von 1862 und [zur Absicherung] settler act von 1883, die die Voraussetzung dafür schufen, dass die Konföderierten nicht nur militärisch, sondern auch sozial und wirtschaftlich empfindlich geschlagen wurden und sich nicht mehr erholen sollten – es sei denn als folkloristischer Bestandteil des nationalen Konsenses, s. auch http://www.geocities.com/Heartland/Bluffs/3010/homestd.htm).
8 Ich sehe dabei von einem Verständnis von Demokratie ab, das in diesem Begriff ein transzendierendes Element mit versteht, also ein uneingelöstes Versprechen, an dem es Anknüpfungspunkte für eine Welt jenseits von Geld und Kapital gibt. Für diese transzendierende Dimension ziehe ich den Begriff Republik vor, auch wenn er genauso unscharf ist. Aber Räterepublik hat einen anderen Geschmack als Rätedemokratie; vgl. auch unsere Homepage, darauf meinen Beitrag unter Archiv – weitere Texte „1848-1918-1998“.
9 Darunter verstehe ich transstaatliche Gebilde mit feudaler Struktur: das Habsburger Reich, das Heilige Römische Reich Deutscher Nation, das Osmanische Reich, aber auch etwa Frankreich vor der Revolution (ohne einheitliche Sprache, ohne einheitliches Staatsgebiet, ohne Staatsbürgerschaft, statt dessen mit Untertänigkeiten).
10 Michael Moore kritisiert in „Stupid White Men“ die Wahlmanipulation durch Bushs Entourage. Aber Klappern gehört zum Handwerk, wo viele Ämter wie Polizeichef oder Bezirksanwalt Wahlämter sind, wird auch die persönliche Beziehung in den Wahlgängen bis zum Stimmenkauf eine Rolle spielen, und heute erinnert sich keins mehr daran, wie der alte Joe Kennedy für seinen Jungen Jack bei der Mafia die Stimmen organisiert hat.
11 Hier wechsle ich das „Wir“. Erst war ein „Wir alle“, schuldig oder unschuldig, aber mitgefangen und mitgehangen, in jedem Fall beteiligt, Subjekt und Adressat des Artikels. Nun schreibe ich für ein „Wir in statu nascendi“, für ein Wir, das sich erst herausbilden wird, für ein Wir, das diesen Titel sich erst verdienen wird.
12 Siehe auch: „Das große Adorare“ in dieser Nummer.
13 Es sei tunlichst daran erinnert, dass die Nürnberger Gesetze ebenso wie die Machtergreifung Hitlers auf völlig legalem Weg zu Stande gekommen sind, was den Rechtspositivismus in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts vor entsprechende Probleme stellte – der Rechtsstaat selbst war angegriffen in Bestand und Rechtfertigung. Die Einführung eines Rechts auf Widerstand wiederum stellt den Rechtsstaat ebenso in Frage, was letztlich dazu führt, dass wir soziales Agieren von Recht und Staat ablösen müssen, ja Recht und Staat als unerheblich und kontraproduktiv aus unseren Überlegungen zur Gesellschaft ausschließen müssen.
14 Zu diesen Erinnerungen gehört natürlich auch der Mord an der jüdischen Bevölkerung Europas. Unsere Erinnerung daran nimmt nicht an der psychopathologischen Übung teil, die sich darauf beschränkt, den Mörderstaat zu denunzieren, die Opfer zu vereinnahmen, ihnen in einer neuen Definition des Jüdischen nochmals die Identität zu nehmen und eine Konsequenz ihres Handelns vorschreiben zu wollen, sich selbst aber auf einen fiktiven Ausgangspunkt der Geschichte zu stellen und so zu tun, als wäre nichts geschehen und der Gang der Geschichte ginge seinen Gang, begleitet von den radikalsten Linken, die es je gab. Wir aber stehen einem Ereignis gegenüber, das wir dereinst den Jungen überliefern werden, die sich wundern, dass es so etwas je gegeben hat. Und den Zustand dieses Wunderns herzustellen, ist unsere Sache, nicht die Beschwörung der Tat.