von Franz Schandl
Marterbauer. Solch Name klingt als wäre er einer Nestroy-Posse entsprungen. Man muss ihn sich direkt auf der Zunge zergehen lassen, und das erste „r“ rollen wie Bertolt Brecht das „r“ bei Mackie Messer. Ist das jetzt purer Zufall oder sagt das irgendetwas aus? Nun, den Assoziationen ist auf jeden Fall Raum gegeben. An den Marterpfahl gebunden, inszeniert sich jedenfalls die Wirtschaft, allen voran ihre Getreuen in Politik und Medien, die stets nur als Pragmatiker auftreten wollen, obwohl sie in erster Linie doch Ideologen sind. Anstatt die Abgabenquote zu senken, haben die Unternehmen nun Folter und Daumenschrauben zu fürchten.
Die bürgerliche Presse schäumt ob des Mannes, gelegentlich schäumt sie über. Die Kronen-Zeitung nennt ihn „Sprengmeister“ und Oliver Pink (auch dessen Name könnte ob der Analogie zu den pinken Liberalen von Nestroy stammen) betitelte seinen ersten Kommentar in Die Presse „Der Austro-Piketty – eine Provokation für ÖVP und Neos“. Darin heißt es: „Noch vor einigen Wochen empfahl er, dass die Regierung in die Preise bei Energie, Mieten, Nahrungsmitteln eingreifen solle, um die Inflation zu bremsen“. – Sachen gibt’s. Dass sowas überhaupt erlaubt ist und jetzt auch noch ministrabel wird!?!
Da wählt, so derselbige Pink, eine Mehrheit rechtskonservativ und dann präsentiert man ihr ausgerechnet so einen Mann als Säckelwart der Nation. Das darf doch nicht wahr sein. Wenn jetzt jemand noch „Marxist“ sagt oder gar „Mottenkiste“, dann ist alles gesagt und der Inkriminierte auch gleich erledigt. Indes behauptet hier lediglich das Vorgestern über das Gestern, dass es von vorvorgestern sei. Das ist zwar nicht besonders originell, aber trickreich und zielführend, zweifellos.
Zum Arsenal dieser „säkularen Religion“ (Karl Polanyi) des Marktes gehört diese Phraseologie allemal. „Markt statt Mensch“, ist das einfache Motto dieses Liberalismus. Und das Wirtschaft genannte Kapital gilt als das scheue Reh, das man nicht verschrecken darf, obwohl es umgekehrt viele andere immerzu in Schrecken zu versetzen versteht. Der Wettbewerb wird angebetet und der Standort zur Religion der Nation. Es regieren billige Phrasen statt billiger Preise. Alle haben sich den sogenannten Sachzwängen des Markts zu unterwerfen. Seine Zwänge setzen unsre Freiheit. Je nach Sichtweise in Gang oder außer Betrieb.
So ganz auf der geforderten Linie ist der neue Finanzminister nicht. Markus Marterbauer, Jahrgang 1965, Oberösterreicher, studierter Volkswirtschaftler, gilt als Anhänger von John Maynard Keynes und war bisher Chefökonom der gewerkschaftsnahen österreichischen Arbeiterkammer (AK). Bei der AK handelt es sich um eine quasi-staatliche Interessenorganisation der Arbeiter und Angestellten, in dieser Form ist sie ein österreichisches Spezifikum. Der Mann ist auch ein reger Publizist. Zuletzt veröffentlichte er gemeinsam mit Martin Schürz den Band „Angst und Angstmacherei. Für eine Wirtschaftspolitik, die Hoffnung macht“. Er gilt als Vertrauter des SP-Obmanns und nunmehrigen Vizekanzlers Andreas Babler.
Laut Marterbauer habe Österreich ein Verteilungsproblem (wer möchte das bestreiten); die Reichen tragen demnach zu wenig zum Sozialstaat bei (das Mindeste, was man fordern kann). In Zeiten der Krise müsse der Staat investieren. Er ist für den Ausbau öffentlicher Ausgaben, verficht eine Obergrenze betreffend Vermögen und für Erbschaftssteuern tritt er ebenfalls ein. „Steuern auf unverdientes Vermögen rauf, und es geht für alle bergauf“, schrieb er etwa 2007. Den Neoliberalismus betrachtet er als gescheitert ist.
Keiner wird in den nächsten Monaten so scharf unter Beobachtung stehen wie Marterbauer. Hier wird vor allem interessant werden, wie er sich mit dem Wirtschaftsminister der ÖVP, Wolfgang Hattmansdorfer verträgt. Leicht wird er es auch im eigenen Ministerium nicht haben. Das ist seit dem Jahr 2000 tiefschwarz eingefärbt. Den Spielraum des neuen Finanzministers darf man nicht überschätzen und seine Gegner alles andere als unterschätzen. Auch Marterbauer wird vor allem loyal sein. Man denke nur an den in der Vorwoche kurz angedachten „Energiewirtschaftstransformationsbeitrag“, eine Sondersteuer für Energiekonzerne, die jedoch hurtig wieder abgesagt wurde.
Markus Marterbauer wird wie im ausgehandelten Budgetfahrplan der Ampel vorgesehen einiges umsetzen müssen, was er bisher kritisierte. Sieht man von der mittlerweile weitgehend unumstrittenen Aufrüstung ab, geht es aktuell um den Abbau der Staatsschulden, d.h. eher ans Sparen denn ans Ausgeben. Ein EU-Defizitverfahren soll verhindert werden. Eine Staatssekretärin als Aufpasserin hat ihm die ÖVP auch ins Ministerium gesetzt. Die Qualität des neuen Ministers wird sich daran messen, inwiefern er Möglichkeiten innerhalb dieses Rahmens findet. Gespannt sein darf man trotzdem, was er sich erlaubt und was ihm erlaubt wird.