Hochwasser und Oberwasser

Wie geht Instrumentalisierung, die nicht als solche wahrgenommen wird?

von Franz Schandl

Dass Hochwasser und Oberwasser miteinander zu tun haben, wissen wohl alle. Nur wie man sie vorteilhaft zusammenführt, das ist keine einfache Frage, sondern eine überaus komplizierte. Wie geht Instrumentalisierung, die nicht als solche wahrgenommen wird? Niemand will die Unwetter ausnützen, aber alle hoffen insgeheim, dass ihnen diese in die Tasche spielen. Aus Affektivität soll Effektivität werden. Alleine das zuzugeben, wäre aber ein schwerer politischer Fehler. Zweifellos wird das Ereignis die Wahlen beeinflussen. So wirklich abschätzen lässt sich indes wenig. Auch die Spannweite der letzten Meinungsumfragen wird größer. Wählerstimmen purzeln wie wild durcheinander. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Verluste der ÖVP sich in Grenzen (d.h. unter 10 Prozent!) halten, dass die FPÖ doch nicht den ersten Platz erobert, dass der Absturz der Grünen sich bremst. Kann alles sein.

Wer geflutet oder überflutet wird, wer absäuft oder gar Oberwasser bekommt, das wird der Wahlsonntag weisen, das hängt an sehr zufälligen Kriterien, die vor allem mit der Performance zu tun haben. Gerhard Schröder hat diese Prüfung 2002 an der Elbe bestanden. Armin Laschet hat 2021 seine Chancen mitunter auch deswegen verspielt, weil er im falschen Augenblick lachte. Wobei der Anlass mag gar nicht falsch gewesen sein und der Zeitpunkt auch nicht, aber die Kamera ist mitgelaufen und alle haben es genau gesehen. Ein Auftritt des ehemaligen SPÖ-Kanzlers Viktor Klima aus dem Jahr 1997, als er sich in knallgelben und nagelneuen Gummistiefeln präsentierte, findet heute noch Erwähnung, wenn es darum geht, zu zeigen, wie man es nicht machen darf.

Auffällig ist, Politiker schlüpfen aus ihren Anzügen und Kostümen, treten in Jeans und Pullover, in Arbeitsmontur oder gar in Feuerwehruniformen auf. Das kann nützen, es kann aber auch schaden. Da kommt es oft auf die Dosis an und die spezifische Konstellation. Allzu medienwirksam irgendwo Schlamm wegzuschaufeln, kann auch daneben gehen, noch dazu, wo die Behörden in den ersten Tagen alle Hilfsbereiten aufgerufen haben, vorläufig zu Hause zu bleiben, sich selbst und die Profis weder zu stören noch gar zu gefährden.

Aktuell busselt die Landeshauptfrau aus dem hauptsächlich von den Überschwemmungen betroffenen Niederösterreich, Johanna Mikl-Leitner jeden zweiten Feuerwehrmann ab und zeigt sich ganz von ihrer amikalen Seite. Dieselbe übrigens, die ungeniert mit der FPÖ koaliert, die die Klimakleber einfach einsperren will, und eine vehemente Befürworterin ungezügelten Straßenausbaus ist. Frech versichert sie, dass 94 % ihres Bundeslandes noch nicht versiegelt seien. Solch irrelevante Wahrheiten dienen zur Ablenkung, geht es doch um die dicht verbauten Gebiete, um die regulierten Flüsse, um zahlreiche Einfamilienhäuser, die jahrelang in Überschwemmungsgebieten errichtet worden sind.

Bundeskanzler Karl Nehammer, der aus dem gleichen Stall, also der niederösterreichischen Volkspartei, stammt, leistet seiner Hanni jedenfalls eifrigen Assistenzeinsatz und macht ganz auf Krisenmanager. Zur Zeit lizitiert er die Entschädigungen in die Höhe. Politiker in öffentlichen Ämtern haben es hier zweifellos leichter als jene, die die Oppositionsbank drücken. Auf Macher machen, ist angesagt. Hemdsärmelige Äußerungen gehen vor reflektierten Überlegungen. Differenzieren ist unsinnig, konkretisieren notwendig. Eine Botschaft jagt die nächste. Diese Verkündigungen dürfen freilich nicht zu offensiv sein, sie dürfen aber auch nicht zu verhalten sein. Kleine Gesten sind hier oft erfolgreicher als große Ansagen. Dazu kommt noch, dass man adäquates Verhalten kaum trainieren kann, sondern auf unmittelbare Herausforderungen spontan reagieren muss. Es gibt sie, die ehrliche Anteilnahme, auch von Politikern, aber ebenso gibt es ein Übermaß an geheuchelten Affekten. Nicht immer ist es leicht, das zu unterscheiden, weder für ihre Träger noch für ihr Publikum.

Die Wählerschaft müsste sich folgende Frage zum Charakter ihrer Imaginationen stellen: Ist man beeindruckt oder hat man einen Eindruck? It’s not the same. Ein Eindruck hat doch chronischen Charakter, d.h. ist Konsequenz halbwegs konsolidierter Vernunft, während die Beeindruckung die Folge einer akuten Empfindung ist, eher eine Momentaufnahme, die man der Schnelle wegen auch völlig falsch auffassen kann. Solch unmittelbaren Gefühlseinschlägen ist man ausgeliefert, man kann sie weder selbstbewusst verwerfen noch ihnen bewusst zustimmen. Steuerbar sind sie schon gar nicht. Die erzeugten Stimmungen bleiben vorerst reflexhaft, somit unreflektiert. Sie zwingen sich auf. Das Subjekt ist passiv und kaum aktiv geschaltet. Agieren ist vornehmlich Reagieren. So unmittelbar wirkmächtig sie sind, so kurz halten sie freilich an.

Abschließend ist auch zu erwähnen, dass die Katastrophe nur einen Bruchteil der österreichischen Bevölkerung betroffen hat, ein Großteil des Landes völlig unbeschadet geblieben ist. Für Innsbruck und Bregenz war das weit weg. Die allermeisten kennen das Unglück nur aus dem Fernsehen oder aus dem Netz. Die letzten Tage herrschte wiederum Schönwetter. Die Betroffenheitsindustrie hat bereits einen Gang zurückgeschaltet. Überraschend schnell ist das Hochwasser aus den Schlagzeilen verschwunden. Wäre die Nationalratswahl einen Monat später, würde jenes diese kaum tangieren.

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