Brandmauer gibt es keine

Warum in Österreich ansteht, was man eigentlich verhindern möchte

von Franz Schandl

Die Nationalratswahlen am 29. September stehen ganz im Zeichen der FPÖ, oder besser gesagt, einmal mehr sind alle medialen und politischen Auguren auf sie gerichtet. Der kann das wiederum nur recht sein, und auch wenn es kein Erdrutschsieg wird, werden die Freiheitlichen in Österreich aller Wahrscheinlichkeit erstmals als stärkste Kraft aus den Bundeswahlen hervorgehen.

Der stellvertretende Landeshauptmann Oberösterreichs, Manfred Haimbucher (FPÖ) hat deutlich ausgesprochen, worum es geht: „Unser Ziel ist eine Koalition mit der ÖVP“. (Die Presse, 28.8. 2024) Dafür hat die FPÖ auch ein Wirtschaftsprogramm ganz im Sinne der ÖVP gezimmert. Sie will weniger Unternehmenssteuern, niedrigere Sozialausgaben, mehr Wettbewerb, kurzum Standortpolitik liberalen Zuschnitts, weit und breit kein „Sozialpopulismus“. Das wird zwar keine zusätzlichen Wählerstimmen bringen, aber als Koalitionseintrittskarte ist das durchaus geeignet. Blau-Schwarz wird sich schnell auf diese neoliberale Agenda einigen können. Auf das Surplus bei den Abschiebungen sowieso.

Man winkt der ÖVP, und es ist nicht der Zaunpfahl. Die wird diese Botschaft verstehen, auch wenn sie weiterhin lautstark über Kickl mault. Und es ist wirklich ein Maulen, denn eigentlich ist es substanzlos. Vergessen wir nicht, dass diese schwarz-blaue Koalition in einigen Bundesländern als auch in zahlreichen Gemeinden schon die obligate Bündnisform darstellt. Das muss man nicht wollen, aber das muss man sehen: Es gibt keine Brandmauer. Schwarz-Blau ist inzwischen die beliebteste Koalitionsvariante. Man spricht aber nicht über das, was der Fall ist, sondern über das, was nicht der Fall sein dürfte. Man redet am Kern vorbei und legitimiert damit stets die kleinen Übel, bis sie so groß sind wie die großen. Einmal mehr herrscht falsche Aufgeregtheit.

Zwar wird die FPÖ der ÖVP nicht wie im Jahr 2000 den Kanzler schenken. Wolfgang Schüssel, der ÖVP-Chef war ja nur Dritter geworden. Aber sonst ist man bereit, Jobs und Ressorts großzügig der Volkspartei zu überlassen, vor allem die vielen gut dotierten Posten, ohne die die ÖVP nicht existieren könnte und für die andererseits der FPÖ das geeignete Personal fehlt. Der einzige Hemmschuh ist der Parteivorsitzende Herbert Kickl, mit dem Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) gar nicht erst verhandeln will. Aber wenn Bundespräsident Alexander Van der Bellen gleich seinem Vorvorgänger Thomas Klestil eine Präambel zur Regierungsvereinbarung schreibt, die so ziemlich alle demokratischen Stehsätze bar jedes kritischen Gehalts beinhaltet, wird einiges möglich werden. Anders als 2000 werden auch die EU-Staaten keine bilateralen Sanktionen verhängen.

Was droht, ist eine neue Runde des sozialen Kahlschlags. Die Immigranten, die Arbeitslosen, die Frühpensionisten, die Kranken, ihnen steht zusätzliches Ungemach bevor. Österreich ist hier ja (was als Kompliment gelten soll) etwas rückständig. Man trommelt daher für die Erhöhung des Pensionsantrittsalters ebenso wie für den Abbau von Steuern und Bürokratie, für alles, was die Marktradikalen so im Arsenal mitführen. Es gibt insgesamt wenig Gegenwehr, da mag Andreas Babler noch so laut schreien. Die soziale Frage spielt im Wahlkampf kaum noch eine Rolle. Sie ist, zumindest an der Oberfläche, ins Hintertreffen geraten. Das Performative hat wieder einmal das Politische weitgehend verdrängt.

Was das Verhältnis zur FPÖ betrifft, ist man bei vielen Themen sehr entgegenkommend. Man plagiiert zwar deren Forderungen, betont aber kontrafaktisch die Distanz zu den Freiheitlichen. Vor allem aber setzt man sich gerade deswegen mit ihnen nicht auseinander. Man redet viel über sie und sagt nichts zu ihnen. Der (links)liberale Mainstream hat zwar keine schlüssigen Analysen, aber er hat Haltungen, von denen man nicht abweichen darf, ohne sofort in Verdacht zu geraten, Populist, Extremist oder gar verkappter Nazi zu sein. Die Bezichtigungen gehen locker von der Hand. Fürbitten an die liberale Demokratie bevölkern die medialen Echoräume. Postings erledigen den Rest. Kontaminierte Debatten wirken zusehends generalstabsmäßig kommandiert bis hin zum Wording. Die Begriffe sind indes so klar nicht, wie sie uns die Organe konzertierter Ideologiebewirtschaftung aufdrängen. Frage: Ist die Position der FPÖ zum Ukraine-Krieg extremistischer als die der Grünen? Oder ist sie bloß realistischer? Oder darf man derlei gar nicht erst fragen? Verrät man damit eine Gesinnung, die man gar nicht hat?

Protegieren EU-legitimierte Parteien (Christkonservative, Sozialdemokraten, Liberale, Grüne) eine restriktive Asylpolitik, ist sie geboten, zulässig, ja zusehends gewünscht, machen die Freiheitlichen dasselbe oder wollen etwas mehr davon, ist es gesichert rechtsextrem. Einmal wird es verharmlost und ein andermal wird es mit den schärfsten Attributen bedacht. Dass beide Varianten Spielarten eines autoritären Zerfalls westlicher Gesellschaften darstellen, das kann gar nicht sein und wird daher auch kaum diskutiert. Denn die einen sind die Hüter der Werte, die anderen die Bösen. Das „Nie wieder“ erscheint zusehends als ein „Nie wieder denken!“ So viel Bekenntnis war nie, so wenig Erkenntnis selten. Die aufgeblasene Blase, in der die medialen Anti-FPÖ-Botschaften produziert werden, ist sich dessen nicht einmal im Ansätzen bewusst, sie malt weiter ihre Hitler-Bärtchen. Ihre Agenten glauben, was sie sagen. Irrtum ausgeschlossen. Die medialen Scheuklappen sind so eingestellt.

Die famose Taktik eines absolut primitivierten Antifaschismus schreckt keine potenziellen Wähler der FPÖ ab. Im Gegenteil, sie ermutigt geradezu zum Tabubruch, der übrigens hierzulande schon lange keiner mehr ist, auch wenn der liberale Alarmismus so tut, als stünde immerzu und gerade jetzt wieder der Faschismus vor der Tür. Da ist viel Lärm um wenig. Und das Wenige, um das es geht, ist, dass es bleibt wie es ist. Dass viele Wähler, so diffus ihre Vorstellungen auch sein mögen, gerade davon genug haben, ist offensichtlich, auch wenn sich die meisten in die Enthaltung flüchten und nicht zu rechten oder gar linken Alternativen tendieren. Natürlich sind die Freiheitlichen nichts anderes als Exponenten einer konformistischen Rebellion. Sie spitzen zu, was ist. Ihre Gegner in Politik und Medium hingegen sind entschiedene Vertreter einer konformistischen Affirmation, die sich heute um den Leitbegriff der Werte gruppiert und seine Glaubenspartikel inflationär vorbetet. Während die einen Perspektiven halluzinieren, offenbaren die anderen schlichtweg keine.

Links der Mitte wird das unbedarfteste und inhaltsleerste Projekt des Spektrums reüssieren: die Bierpartei. Marco Pogo alias Domink Wlazny wird als verhätscheltes kulturindustrielles Liebkind direkt ins Parlament getragen. Der KPÖ hingegen will man abermals eine Abfuhr erteilen. Auch das könnte aufgehen. Akzentuierte Politik betreiben die Kommunisten kaum. Dass sie sich ausgerechnet von der ehemals dezidierten NATO-Partei FPÖ das Neutralitätsthema wegschnappen hat lassen, spricht nicht für sie. Opposition gegen den Ukraine-Krieg ist in Österreich zur Angelegenheit der FPÖ geworden. Das hätte nicht sein müssen. Auf jeden Fall stimmen die gesellschaftlichen und die parlamentarischen Mehrheiten nicht überein.

Die SPÖ und ihr Vorsitzender können einem in diesem Szenario direkt leidtun. Es scheint als stünde die Partei seit Jahren vor der Herausforderung, die ihr von außen zugefügten Beschädigungen durch Eigenverletzungen zu toppen. Wenn sonst nichts gelingt, das gelingt. Im August hat man ihr präzise terminisiert den Linzer Bürgermeister rausgeschossen. Nicht zufällig ist der ihm zugeordnete Skandal gerade jetzt aufgeflogen. Jener hat 2016 einem Postenbewerber die Fragen des Hearings zugesteckt und das abgestritten, bis man die entsprechenden Chat-Protokolle veröffentlichte. Ähnliche Unfälle, auch wenn es oft Lapalien sind, produziert die SPÖ laufend. Auch dass interne Mails des höchsten Gremiums, des Parteipräsidiums, mit nur 13 Mitgliedern, brühwarm an die Kronen Zeitung weitergegeben werden, lässt tief blicken. Wer solche Genossen hat, braucht die Gegner gar nicht mehr zu fürchten.

Ob Andreas Babler nicht trotzdem unterschätzt und vorschnell abgeschrieben wird, sei dahingestellt. Auf jeden Fall werden seine Chancen auf Platz Eins bereits vorab für nichtig erklärt. Zweifellos muss dem Spitzenkandidaten aber in den verbleibenden Wochen noch was Zündendes einfallen, um nicht wirklich in die Zuschauerrolle bugsiert zu werden. Inzwischen haben öffentliche Meinung und Meinungsforschung schon einträchtig das Duell Kickl gegen Nehammer ausgerufen. Vor Monaten noch undenkbar. In der Volkspartei freut man sich, hat man sich dort sowieso vorab mit einem kräftigen Minus abgefunden. Verluste unter 15 Prozent gelten als Gewinne. So gesehen kann Nehammer die Wahl gar nicht verlieren.

„Wähl, als gäb’s ein Morgen“, steht auf den Wahlplakaten der diese Wahl sicher verlierenden Grünen. Tja, den Imperativ mit dem Konjunktiv zu koppeln anstatt ihn an den Indikativ zu ketten, das hat schon seine Tücken. Ist das Galgenhumor oder hat gar Annalena Baerbock diesen Slogan spendiert? Sollte man die Ökopartei vielleicht gerade deswegen wählen, weil eh schon alles wurscht ist? Da läuft nicht nur einiges aus dem Ruder, das fährt einiges direkt an die Wand. Die Sprache des Personals verrät manches über das Erodieren der Zweiten Republik.

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