Overtourism oder: Die letzte Reise der Reise

von Franz Schandl

Dieses Wochenende ist Urlauberschichtwechsel. Einmal mehr bahnen sich Kolonnen ihre Wege durch die Landschaften. Die Transitrouten sind voll mit den Verrückten. Die es noch nicht sind, werden es – auf der Strecke wie an der Strecke.

Nirgendwo ist der Wahn, permanent mobil zu sein ausgeprägter als im Massentourismus. Er behauptet schlichtweg, dass wir so oft wie möglich woanders zu sein haben. Unsere Aufgabe besteht darin, vorgegebene Routen und Orte per Flugzeug, Schiff oder Auto abzuklappern und entsprechend, also: maßlos zu frequentieren. Konnte man früher mit etwas Mühe dem Massentourismus entgehen, so ist das bei den Legionen selbsternannter Individualtouristen heute kaum möglich. Sanfter Tourismus ist eine Erfindung der Reklame. Aber ohne obligate Nachhaltigkeitsplakette geht heute sowieso nichts mehr.

Die Einmaligkeit von Erlebnissen erstickt in der Unzahl des Ewiggleichen. Anderswo ist es genauso. Wer überall gewesen sein will, wird nirgendwo angekommen sein. Tatsächlich wird man Fotos und Filme brauchen, um sich bei der Vielzahl gleichartiger Eindrücke überhaupt erinnern zu können. Aber dazu hat man ein Handy zu haben, das man auch hat. Tourismus und Erholung sind inzwischen zu Gegensätzen geworden. Was er verspricht, zerstört er. Vielfach ist der Urlaub schon am Ende, bevor er zu Ende ist. Sommerfrische gibt es in Zeiten zunehmender Sommerhitze sowieso immer weniger.

Wenn namhafte Vertreter des Fremdenverkehrswirtschaft meinen, diese sei keine Industrie sondern eine Dienstleistung, irren sie. Geradezu fließbandmäßig produziert der Tourismus Touren und Touristen. Der serielle Charakter ist offensichtlich und die Fabrikation von Häusern und Hütten, Chalets und Hotels, von Strand- und Liftanlagen, fällt unter ihre Produktenpalette. Unsere disponible Zeit ist gefälligst der Freizeitindustrie zu opfern, d.h. Meilen abspulen, bei Events zugegen sein und vor allem für das Shopping zur Verfügung zu stehen; im Ergebnis also möglichst große ökologische Fußabtritte zu hinterlassen. Das ist Realität, alles andere ist Ideologie. Freizeit ist eine autodestruktive Verlängerung der Arbeitszeit. Urlaub nennt sich die Coda der Lohnarbeit.

In der Urlaubszeit wälzen sich gigantische Massen von Reisenden in die jeweiligen Destinationen. Es gleicht Invasionen. So ein Kreuzfahrtschiff spuckt Tauende von Touristen aus. Nicht mangelnde Auslastungen sind das Problem, sondern ständige Überlastungen. Alles staut sich: Humanoide, Automaten, Warensortimente, Events, Shopping Malls. Die, die dort leben müssen, erfahren durch die, die dort hinfahren müssen, einen regelrechten Verlust an Lebensqualität. Und von denen, die dort arbeiten müssen, ist hier gar nicht erst die Rede.

Quantität setzt jedenfalls eine Qualität in Gang, die alle Dimensionen sprengt. Scheinbar unumkehrbar. Denn der Standort muss sich rüsten, also aufrüsten und das tut er auch an allen Fronten, die zunehmend als solche wahrgenommen werden. Dass dieser Zweig der Wirtschaft an die Wand fährt, ist offensichtlich. Doch solche Erkenntnisse verhallen. Denn das Geschäft, es muss am Laufen bleiben. „Tourismus hofft stark auf August“, heißt die aktuelle Schlagzeile.

Die Stimmung beginnt zu kippen. Die einst Umworbenen sind zu Unwillkommenen geworden. Gäste sind das nicht. Die Einheimischen setzen sich zunehmend zur Wehr. Einerseits werden der Einschränkungen, Verordnungen und Vorschriften mehr. Städte verlangen Eintritt, Inseln verfügen Obergrenzen oder verhängen gar einen Lockdown, Barfuß- und Bikiniverbote werden ausgesprochen, Liegen an den Stränden limitiert. Nach 21 Uhr gibt es keinen Alkohol mehr. Regeln werden rigider, Strafen fallen heftiger aus. Andererseits werden die Menschen vor Ort auch selbst aktiv. Die Wasserspritzpistolen mit denen Einheimische in Barcelona auf Cafebesucher losgingen, sind wohl erst der Anfang. Weitere Übergriffe werden folgen. „Wir wollen das nicht mehr“, ist die eindeutige Botschaft. Man darf also gespannt sein, wohin die Reise der Reise geht.

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