von Franz Schandl
Wien hat wieder einmal eine Affäre. War der sozialdemokratische Ex-Bürgermeister der Bundeshauptstadt, Helmut Zilk, nun ein kommunistischer Spitzel oder nicht?
Laut Meldungen aus Prag soll Zilk von 1953-1966 bezahlter Informant des CSSR-Geheimdienstes gewesen sein. Allerdings sind die Quellen mehr als dubios, kommt die Auskunft doch von Vaclav Benda, bis vor einem Jahr Direktor des „Amtes für Dokumentation der Verbrechen des Kommunismus“. Der ranghöchste offizielle Kommunistenjäger an der Moldau stand stets für einen fanatischen und rigorosen Antikommunismus der bürgerlicher Siegerjustiz.
Jeder weiß freilich, vor allem nach dem Ende der DDR, wie schnell man zum Agenten werden kann. Bei Zilk stellt sich allerdings die Frage: cui bono? Daß es sich um einen rein innertschechischen Konflikt handelt, bei dem Zilk zufällig zum Handkuß kommt, ist zwar nicht ganz ausgeschlossen, aber eher unwahrscheinlich. Auch wenn Zilk nicht Ziel, sondern Mittel eines solchen Zwists geworden ist, ist die Sache somit nicht vom Tisch. Wird weiters eine primitive Revanche eines persönlichen Zilk-Feindes ausgeschlossen, dann fällt einem eigentlich überhaupt kein rationaler Grund ein, warum ausgerechnet der ehemalige Bürgermeister von Wien, ein Freund und Förderer aller östlichen Freiheitskrieger, diskreditiert werden sollte.
Überhaupt: Was ist so schlimm an der Spionage, wo es doch alle tun? Aufgabe westlicher wie östlicher Geheimdienste ist immer gewesen, Leute anzuwerben, um an Informationen zu kommen, die jene nicht hatten. Es ist schon sonderbar: Das ordinäre Tauschgeschäft wird zu einem Verbrechen, wenn es sich um Interessen von Staaten handelt. Was ansonsten obligat ist, wird auf einmal kriminell. Landesverrat ist nur möglich, wo der nationale Imperativ staatsbürgerliche Pflicht ist. Daß zwischen bösen Ostspionen und guten Westspionen, sogenannten „Agenten der Demokratie“ unterschieden wird, braucht wohl nicht extra erwähnt zu werden. Sollte Zilk getan haben, was ihm angekreidet wird, dann ist sein Fall als nicht außergewöhnliches Phänomen des Kalten Krieges einerseits bzw. als Durchgangsstadium einer vom Stalinismus zum Antikommunismus marschierenden Person andererseits einzustufen.
Stutzig machen jedoch die Antworten des Ex-Politikers: er sei bloß ein kleiner Journalist, daher für den Geheimdienst uninteressant gewesen, meint er, außerdem sei er von den CSSR-Behörden mehrfach kritisiert worden. Auf die Frage, ob er Geld angenommen hätte, sagt er allen Ernstes: „Keine Red‘. Ich hab‘ damals sehr gut verdient.“ Daß ein hohes Einkommen keinen Schutz vor krimineller Tätigkeit bietet, dürfte auf der Hand liegen. Das alles sind eher Erwägungen denn ein klares Dementi. So ganz sicher seiner Vergangenheit scheint sich der „Tausendsassa“ jedenfalls nicht zu sein.
Helmut Zilk war zeitlebens ein unerträglicher Opportunist. Wollte er als junger Mensch einst zur Waffen-SS, so war er gleich nach dem Krieg Kommunist geworden, später Sozialdemokrat. Stets die Karriere vor Augen, orientierte er sich nach den jeweiligen Erfordernissen. Dazu gehörte auch die spezifische Aufmüpfigkeit, die hierorts mit Kritik oder Widerstand verwechselt wird. Die Kurven der Zeit, die meisterte er in bravouröser Manier.
Zilk, das ist ein mit allen Wassern gewaschener Populist. Was ist er nicht alles geworden? Fersehdirektor, Ombudsmann im ORF und bei der reaktionären Kronen Zeitung, mit deren Herausgeber ihn eine alte Männerfreundschaft verbindet. Sodann Wiener Kulturstadtrat, Unterrichtsminister, von 1984-1994 schließlich Bürgermeister von Wien. Über Jahre hinweg war er auch als sozialdemokratischer Kandidat für die Bundespräsidentschaft im Gespräch.
Goschert, ja ausfällig, das ist er immer gewesen. Seine Auftritte in Politik und Talkshow können nur als Poltern beschrieben werden. Auch nach seinem Abgang inszenierte er sich als Medienmann am laufenden Band: Kein Event ohne seinen Kommentar! Zilk ist einer jener Typen, die, weil sie wenig zu sagen haben, umso mehr reden. Will man sicher sein, was ein Blödsinn ist, muß man nur auf Helmut Zilk hören.
Nie war er reaktionär, wenn fortschrittlich angesagt war, und nie fortschrittlich, wenn reaktionär auf der Tagesordnung stand. In den letzten Jahren – vor allem auch nach seinem Ausstieg aus der Politik 1994 – gerierte er sich der allgemeinen Stimmung entsprechend als dumpfer Poltergeist, ganz auf Linie des berüchtigten Stammtisches. Seine SPÖ-Genossen schockte er zuletzt als er sich zum Vorsitzenden des Klestil-Wahlkomitees machte, und damit führend den Wahlkampf des schwarzen Bundespräsidenten unterstützte.
Sollte Helmut Zilk möglicherweise aus der Öffentlichkeit entsorgt werden müssen, dann wäre das zweifellos wohltuend, wenngleich es aus dem falschen Grund passiert. Wenn sich die ganze Affäre allerdings bloß als eine Prager Schmierenkomödie herausstellen sollte, dann wird der voll rehabilitierte Quälgeist seine Lautstärke erhöhen. Wien ist, schrieb der Lyriker Ernst Jandl, der Ort, „wo das Zilk weidet.“
aus: Volksstimme 46, 12. November 1998