„Nichts Schönres unter der Sonne …“

von Petra Ziegler

Ich habe es immer als ein großes Glück empfunden, zu den ersten Generationen zu gehören, die den Erdball von außen betrachten konnten. Als Ganzes. Die ikonische Fotografie der aufgehenden Erde, von der Mondumlaufbahn gesehen, entstand 1969. Ich habe sie schon so oft betrachtet, und immer noch raubt es mir fast den Atem. Der Blick auf dieses „funkelnde blauweiße Juwel“, diese „helle, zarte, himmelblaue Kugel, umkränzt von langsam wirbelnden weißen Schleiern“ (E. Mitchell, Apollo 14, 1971) löst in mir verlässlich ein Gefühl von äußerster Freude, gefolgt von leiser Trauer aus. Wir können doch sehen, warum sehen wir nicht? Frei von derlei Sentimentalitäten schreibt Günther Anders in Der Blick vom Mond. Reflexionen über Weltraumflüge (1970) davon, „dass die Erde zum ersten Mal die Chance hat, sich selbst zu sehen“. Was eine damit einhergehende menschliche Bewusstseinserweiterung angeht, zeigt er sich allerdings bereits damals wenig zuversichtlich: „Wir werden durch die Erweiterung unserer Welt nicht erweitert werden.“

Sorge um den Zustand der Erde ist Selbstsorge. Das sollte nicht extra erwähnt werden müssen. Dem Planeten sind wir wurscht. Auch das macht die Sicht von außerhalb überdeutlich. Unsere Existenz ist äußerst prekär. Rundherum nichts als unendliches Schwarz. Hauchdünn ist die erdumspannende Schicht, die unser Leben erst möglich macht.

„Nichts Schönres unter der Sonne als unter der Sonne zu sein …“ Diese Empfindung von Wärme, die langsam unter die Haut geht, ein Moment umfassender Geborgenheit. „Und meine begeisterten Augen / Weiten sich wieder und blinken und brennen sich wund“, jubiliert Ingeborg Bachmann An die Sonne. Ziehen wir es wirklich vor, im Dienst der kapitalistischen Selbstzweckbewegung mitsamt ihrer in wahnwitziger Konsequenz immer noch weiter erhöhten Taktfrequenz in einer der Megacities dieser Welt oder irgendwo im Staub der Peripherie unser Dasein zu fristen? Kein Horizont, Tag um Tag graue Leere, kein schönes Blau, nur grelles Neongelb. Hektische Geschäftigkeit unter dichtem Smog, ein Leben in gekühlten Innenräumen, Aschewolken in der Atmosphäre. (Ja, auch die Natur kann Ungemach bereiten. Da brauchen wir uns auf den menschengemachten Dreck gar nichts einzubilden.) Einen atomaren Winter denken und immer noch weiter machen? Uns vergeuden, alles vergeuden, alles opfern an den Selbstzweck der Geldvermehrung? Die Maschinerie am Laufen halten – „Koste es was es wolle!“. Ist es die Furcht vor dem Unbekannten, die uns am Bestehenden festhalten lässt? Der Mangel an einer bis ins Detail ausgearbeiteten Alternative? Der ruinöse Realismus einer Gesellschaft, nach deren Rationalität wir Hunderttausende im Überfluss verhungern lassen und allesamt langsam am Feinstaub ersticken? Oder letztlich doch an der Hitze verrecken? Oder verrecken wir lieber am Stress, im täglichen Wettlauf, aus Sorge, ob die Rechnungen zu Monatsende bezahlt werden können? Es braucht keinen weiteren UN-Klimabericht, keinen drohenden Kollaps, es braucht keine Satellitenaufnahmen, die den Kahlschlag an zahllosen Stellen der Erdoberfläche offenbaren, es braucht nicht einmal Greta, um all das schnellstens in den Orkus der Geschichte zu wünschen. Es braucht nur die Weigerung gegenüber dem obszönen Raub an Lebenszeit. Der zunehmend prekäre Status alles Lebendigen ist eine einzige Zumutung!

Der Planet wird die Menschheit irgendwann wieder los sein. So oder so. Ich kann es wieder nicht lassen und frage mich, ob es dann noch Wesen geben wird mit Augen, die staunen, oder wären die allenfalls tränenblind angesichts der Verheerungen?

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