Hinrichtungsstreit der Unentschlossenen

Kann Pamela Rendi-Wagner sich an der Spitze der SPÖ halten?

von Franz Schandl

Langsam aber sicher droht der SPÖ das Schicksal der SPD. Derweil hat sie nicht einmal die Last des kleineren Koalitionspartners zu tragen, sondern könnte frisch und frei aus der Opposition heraus agieren. Doch das gelingt nicht, oder wenn, dann nur kurzfristig. Anstatt vom bröckelnden Image der von diversen Affären geschüttelten Kurz-ÖVP zu profitieren, verstricken sich die Sozialdemokraten in leidige parteiinterne Scharmützel, haben anscheinend kein Instrumentarium mehr, diese zu kaschieren geschweige denn zu kalmieren. Da nutzen auch die Zurufe der Landeshauptleute Kaiser (Kärnten) oder Ludwig (Wien) wenig.

Wenn es darum ging, der Parteivorsitzenden Pamela Rendi-Wagner eins auszuwischen, stand der burgenländische Landeshauptmann Hans Peter Doskozil bisher an vorderster Front. Kaum ein Querschuss gegen die Wiener Parteiführung wurde da ausgelassen. Inhaltlich steht Doskozil in erster Linie für eine restriktive Einwanderungspolitik und für einen nationalen Schulterschluss mit ÖVP und FPÖ. Insbesondere sein Draht zu den Freiheitlichen war immer ganz ausgezeichnet.

Neu ist nur, dass Rendi-Wagner nun zurückgeschossen hat. Sie, die in den letzten Monaten stets eine hohe Leidensfähigkeit bewiesen hat, konnte jetzt nicht mehr umhin, sich selbst öffentlich über ihren Kritiker zu mokieren. So nannte sie Doskozil „unehrlich“, eine „einstige Parteihoffnung“ und verglich ihn zudem mit Herbert Kickl, dem neuen Parteichef der FPÖ. Das wiederum konnte der Angesprochene nicht auf sich sitzen lassen. Er bescheinigte der Vorsitzenden „Kindergartenniveau“, was wohl schlimmer ist als zu sagen, sie rede Unsinn. Mit derlei Vokabular wird die Gegnerin regelrecht infantilisiert.

Unsere Gegenspieler sind übrigens nicht den Funktionärsgilden der SPÖ entsprungen. Rendi-Wagner war als Gesundheitsministerin eine Quereinsteigerin, dazumals nicht einmal Parteimitglied. Wenig Gespür für die Gemütslagen der Gremien bewies die Vorsitzende auch, als sie viele Monate ihre Parteisteuer, die für jede Mandatarin obligat ist, nicht bezahlte und erst nach dem öffentlichen Bekanntwerden ihre Außenstände beglich. Hans Peter Doskozil stammt ebenfalls nicht aus dem Parteiapparat sondern aus dem Polizeiapparat. Seine SPÖ-Karriere begann mit der Flüchtlingskrise 2015. Da war der damalige burgenländische Landespolizeidirektor so oft in den Medien, dass sich eine politische Laufbahn förmlich aufdrängte. 2016 wurde er (noch unter Rot-Schwarz) Verteidigungsminister und 2019 schließlich Landeshauptmann in Eisenstadt.

Aktuell gelingt den Kontrahenten freilich nur eines: sich gegenseitig unmöglich zu machen. Wahrscheinlich nennt man das eine Lose-Lose-Situation. Selbst wenn die Parteivorsitzende das alles übersteht, wird ihr das nicht gut tun. Dass sie gestärkt aus dieser Krise hervorgeht, ist eher unwahrscheinlich. Aber auch Doskozil wird in Zukunft nicht mehr über das Burgenland hinauskommen, er hat sich zum Regionalfürsten degradiert. Bei vielen Funktionären der Bundes-SPÖ ist Doskozil außerdem noch unbeliebter als Rendi-Wagner. Der Landeshauptmann gilt als wenig kooperationsfähig und er ist auch weitgehend beratungsresistent. Allerdings hat Doskozil die Landtagswahl souverän gewonnen, seit 2020 regiert er mit absoluter Mandatsmehrheit, Rendi kann bisher bloß das schlechteste Wahlergebnis der SPÖ in der Geschichte der Zweiten Republik vorweisen.

Als sie einmal auf Karl Marx angesprochen wurde, erklärte sie, dieser habe zu wenig die Leistung berücksichtigt. Da fragt man sich nicht nur, wovon sie überhaupt redet, sondern wer ihr das geflüstert hat. Inzwischen wirkt Rendi-Wagner zwar etwas weniger unbedarft, dafür aber extrem übercoacht. Das merkt man ihren Auftritten stets an, sowohl an den trainierten Sätzen als auch an den eingeübten Gesten. Ihre Abstrafung am SPÖ-Parteitag Ende Juni, dürfte aber eher passiert sein als dass jemand im Hintergrund die Fäden gezogen hätte. Dass sie lediglich 75% Zustimmung bei der Wiederwahl zur Vorsitzenden erhalten hat, war eine kräftige Ohrfeige. Das Votum wäre wohl noch geringer ausgefallen, hätten sich manche Genossen nicht aus pragmatischen Gründen hinter die Parteiobfrau gestellt. Aber auch Doskozil würde heute ähnlich blamabel abschneiden.

Die innrparteiliche Frontlinie verläuft übrigens nicht einfach zwischen links und rechts, sondern sie ist von diversen Animositäten und taktischen Manövern geprägt, die immer weniger mit einer Strömung korrespondieren. So ist etwa der Ex-Parteichef und glücklose Kurzzeitkanzler, Christian Kern, der bei seinem unrühmlichen Abgang noch Rendi-Wagner ins Amt bugsiert hatte, inzwischen im Beraterstab von Doskozil gelandet. Frei nach Ernst Jandl sind lechts oder rinks leicht zu velwechsern. Eher als ein entschlossener Richtungsstreit ist das ein Hinrichtungsstreit der Unentschlossenen. Alle eint, dass niemand weiß, was zu wollen sei. Den Job der oder des Vorsitzenden will niemand haben. Hilflosigkeit paart sich mit Ratlosigkeit. Nur die Behinderungsfähigkeit funktioniert. Es wirkt nicht nur unappetitlich, es wirkt auch peinlich. Die Partei, so scheint es, ist außer Kontrolle geraten. Mit „Freundschaft“, dem offiziellen Gruß der SPÖ, hat das nichts zu tun. Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde: Wir machen uns den Rückschlag schon selber!

Wie schlecht es um die Sozialdemokratie insgesamt bestellt ist, zeigt auch, dass der Parteitag gegen Ende nicht einmal mehr beschlussfähig gewesen ist, da viele Delegierte bereits abgereist waren. Zur Zeit halten sich fast alle bedeckt. Kaum jemand bezieht offen gegen die Vorsitzende Stellung, aber wenn selbst einem dezidierten Rendi-Unterstützer wie dem Sozialsprecher der SPÖ und führenden Gewerkschafter, Josef Muchitsch auf die Frage, ob die Parteivorsitzende Spitzenkandidatin zur nächsten Nationalratswahl sein soll, nur einfällt: „Wenn niemand bereit ist, das zu machen, wird sie nominiert werden“, dann lässt das tief blicken.

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