von Maria Wölflingseder
Irene Götz (Hg.): Kein Ruhestand – wie Frauen mit Altersarmut umgehen, Kunstmann Verlag, München 2019, 320 Seiten, ca. 20 Euro
Franz Kolland u.a.: Wohnmonitor Alter 2018 – Wohnbedürfnisse u. Wohnvorstellungen im 3. u. 4. Lebensalter in Österr., Studien Verlag, Innsbruck 2018, 230 Seiten, ca. 30 Euro
Viele
müssen unter der Armutsgrenze leben, insbesondere Frauen in der
Rente. Armut wird trotzdem kaum diskutiert, geschweige denn etwas
dagegen unternommen. Umso
beachtlicher mit welcher Vehemenz Irene Götz, Professorin für
Empirische Kulturwissenschaft und Europäische Ethnologie an der LMU
München, sich des Themas neue Altersarmut annimmt. Begonnen hat das
Projekt „Prekärer Ruhestand“ der DFG (Deutsche
Forschungsgemeinschaft) 2015. Ausgangspunkt war ein Widerspruch: In
Bayern waren bereits damals bis zu zwei Drittel der Rentnerinnen arm
oder armutsgefährdet. Heute sind es in München fast alle allein
wohnenden. Aber in der Öffentlichkeit sind sie meist „unsichtbar“.
Oft wird die Armut sogar den eigenen Kindern verheimlicht. Im Buch
„Kein Ruhestand“ gewähren 18 Frauen Einblicke in ihre schwierige
Lage und berichten, wie sie diese zu bewältigen versuchen. Die
Armutsgründe so unterschiedlich wie die Berufe, die Biografien und
die sozialen Milieus der Frauen. Aber es gibt eine Gemeinsamkeit: die
Wohnkosten sind drastisch gestiegen, die Renten wurden in den letzten
20 Jahren stark gesenkt und der Arbeitsmarkt seit langem dereguliert.
Dass Armut bis weit in die Mittelschicht hineinreicht, will niemand
wahrhaben. Selbst wer 45 Jahre lang ein mittleres Vollzeiteinkommen
hatte, liegt heute mit 1300 Euro Rente unter der Armutsgrenze. (In
Österreich beträgt Letztere
zurzeit
ca. 1270 Euro.)
Götz betont aber auch den dringenden
politischen Handlungsbedarf bezüglich aller
Armutsbetroffenen und der zunehmenden gesellschaftlichen Spaltung,
die selbst im siebten Armuts- und Reichtumsbericht 2017 der deutschen
Regierung kleingeredet wird.
Bei den Rentnerinnen ist Armut
manifest und wird mit zunehmendem Alter größer. Denn die Kosten für
Gesundheit und Betreuung steigen und die Möglichkeit des
Zuverdienstes schwindet. Das Buch enthält auch einen gut lesbaren
wissenschaftlichen Teil und einen Überblick über soziale
Einrichtungen und Netzwerke. – Aus den Niederungen der
gleichgeschalteten, marktkonformen Wissenschaft ragt eine
kritische!
Auf der Suche, ob es für Österreich – wo
Altersarmut ebenfalls stark im Steigen ist – eine adäquate Studie
gibt, stieß ich nur auf den „Wohnmonitor Alter 2018“, die
Veröffentlichung eines dreijährigen Forschungsprojekts (2017–2019)
unter der Leitung von Franz Kolland, Professor für
Sozialgerontologie der Universität Wien. Auftraggeber ist die
SeneCura Kliniken- und Heimbetriebsges.m.b.H. Ziel
dieser Studie, die sich v.a. an die Verwaltung, an Architekten,
Planer und Träger von Pflegewohneinrichtungen richtet, „ist der
Aufbau empirisch fundierten und differenzierten Wissens über
Wohnbedürfnisse und Wohnvorstellungen neuer Generationen älterer
Menschen.“ Das Ergebnis wurde in vielen Zeitungen kurz präsentiert:
die Älteren seien sehr zufrieden mit ihrer Wohnsituation,
insbesondere jene, die in einer Eigentumswohnung bzw. in ihrem
eigenen Haus leben. Dass sich immer mehr Pensionistinnen die
Wohnkosten überhaupt nicht mehr leisten können, davon ist weder in
diesem Buch die Rede, noch in all den öffentlichen
Auseinandersetzungen mit dem Thema Alter. Als Schwerpunkte der
Sozialgerontologie der Uni Wien werden nur genannt: „Altenbildung,
Kultur des Alters, Lebensstile, Nutzung neuer Technologien“.
Im „Wohnmonitor“ wurden 1001 Personen befragt, davon haben 805 das Haushaltseinkommen angegeben: 29 Prozent bekommen bis 1300 Euro, 21 Prozent bis 1800, 29 Prozent bis 2800, 21 Prozent über 2800. Wie passen diese Zahlen zur Tatsache, dass die Hälfte der 2,77 Millionen Pensionisten unter 1115 Euro bekommt, also unter der Armutsgrenze lebt? Franz Kolland in einer Ö1 Radiosendung am 24.5.2019 auf die Frage einer Hörerin zu dieser Ungereimtheit: „Das ist ein grundlegendes Problem, das wir in der Sozialforschung haben. Da wir ja repräsentativ sind, also die Gesamtbevölkerung zu erfassen trachten, bleiben Gruppen mit sehr kleinen oder sehr hohen Einkommen immer ein bisschen außen vor.“ – Welch frappierende Logik.