von Ernst Lohoff
Zusammenfassung
Sowohl die Volkswirtschaftslehre als auch der traditionelle Marxismus versagen bei dem Versuch, die finanzmarktdominierte Kapitalakkumulation der letzten dreißig Jahre zu erklären. Der tiefere Grund dafür sind die theoretischen Basisannahmen dieser beiden Denkansätze, die trotz ihrer Unterschiedlichkeit letztlich zu ganz ähnlichen Ergebnissen gelangen. Die VWL verwechselt kapitalistischen Reichtum mit stofflichem Reichtum, also dem Reichtum an realen Gütern, und betrachtet das Geld im Wesentlichen bloß als raffiniertes Mittel zur Vermittlung der gesellschaftlichen Arbeitsteilung auf dem Wege des allseitigen Tauschs. Der traditionelle Marxismus hingegen lenkt zwar den Blick auf die Verwertung des Kapitals, behauptet dabei aber, dieses könne sich – gesamtgesellschaftlich betrachtet – nur durch reale Mehrwertabpressung vermehren. Beide Basisannahmen haben eine gemeinsame theoretische Konsequenz: Die relevanten ökonomischen Prozesse finden allein in der Realwirtschaft statt, während sich die Funktion der Geld- und Kapitalmärkte auf die Umverteilung des schon vorhandenen Reichtums beschränkt.
Zwar beschreiben sowohl die VWL als auch der traditionelle Marxismus die Entwicklung an den Finanzmärkten empirisch zum Teil sehr ausführlich, doch sind sie nicht in der Lage, sie theoretisch schlüssig zu analysieren. Im Rahmen des verkürzten Geld- und Reichtumskonzepts der VWL bleibt dieser Widerspruch von Empirie und Theorie unüberbrückbar; die Kritik der Politischen Ökonomie ist dagegen sehr wohl in der Lage, ihn zu überwinden. Dazu muss sie allerdings die Analyse der spezifischen Bewegungsgesetze der Ware Geldkapital einen Schritt weiter treiben, als Marx dies in seiner Fragment gebliebenen Untersuchung des zinstragenden Kapitals im dritten Band des Kapitals getan hat. Die Marx‘sche Argumentation bricht auf einer Stufe der Darstellung ab, auf der von der Existenz handelbarer Schuldtitel, wie Staatspapieren, Aktien und Derivaten, noch durchgehend abstrahiert wird. Nimmt fiktives Kapital jedoch die Gestalt solcher Waren 2ter Ordnung an, dann verwandelt sich künftiger Wert nicht nur vom individuellen Standpunkt des Gläubigers in Kapital, sondern es entsteht auch in der gesellschaftlichen Gesamtbilanz für die Lebenszeit dieser Waren Zusatzkapital. Daraus folgt, dass es durchaus so etwas wie Kapitalakkumulation ohne Wertakkumulation geben kann, wenn auch nur innerhalb eines strukturell begrenzten, zeitlichen Horizonts.
Dieser Beitrag stellt eine vertiefte und ausführlichere Auseinandersetzung mit den Grundthesen zur Logik des fiktiven Kapitals dar, die der Autor in geraffter Form bereits im zweiten Teil des Buches Die große Entwertung entwickelt hat. Vor allem die genaue Abgrenzung zu den Marx‘schen Ausführungen zum zinstragenden Kapital präzisiert, warum mit dem Auftreten von Kapitalmarktwaren der Kapitalfetisch eine neue Dimension bekommt und die von der Mehrwertabpressung abgelöste Kapitalbildung vom bloßen ideologischen Schein zur gesellschaftlichen Realität wird.