Wertechaos

von Franz Schandl

Klaus Ottomeyer pflegt einen extensiven, ja inflationären Wertbegriff.

Alles, was sich als Muster abzeichnet, scheint ein Wert sein zu können. Lebenslange Beziehung gehört dann ebenso dazu wie guter Sex. So bringt Ottomeyer das diagnostizierte Wertechaos nicht auf den Punkt, sondern er bringt es noch mehr durcheinander. Der Autor entschlüsselt jenes nicht, er reproduziert es geradezu. Da springt einer von einem Sachverhalt zum nächsten, reißt viel an, führt wenig aus. Es ist kein konzentriertes Büchlein, auch wenn man das aufgrund des Umfanges hätte erwarten dürfen.

Die obligaten Assoziationen zu Wert und Werten sind nicht grundsätzlicher Gegenstand der Debatte. Dafür wird Kant unterschoben, dass er für die gleichen Rechte aller Menschen eingetreten sei, was nachweislich falsch ist. Falsch ist es auch, Aristoteles den Begriff Wert zu unterstellen. Der kommt dort nicht vor, auch wenn die Übersetzer diesen modernen Terminus maßlos einzusetzen verstanden. Das ist doppelt ärgerlich. Wenn man schon einen Band über Werte konzipiert, sollte man zumindest dezidiert fragen, ab wann das Vokabular von Wert und Werten alltäglich und verständlich geworden ist. Das war im 19. Jahrhundert der Fall. Erst im Zuge der Industrialisierung setzte sich ein entsprechende Kanon dieser Leitworte durch.

Wertepostulat oder Wertekonstitution können nicht als ewig vorausgesetzt werden. Mit Feudalherren und Leibeigenen über Werte zu reden, hätte also gar nichts ergeben, und auch Aristoteles hätte nicht gewusst, wovon Ottomeyer da spricht. Der Autor selbst referiert kurz das Spannungsverhältnis zwischen Tauschwert und Gebrauchswert. Warum denkt er nicht weiter, nämlich, dass Werte ohne diese ökonomische Wertkategorie gar nicht denkbar wären, dass sie erst mit ihr so richtig in die Welt gekommen sind und nun ihr Wesen treiben. Der Philosoph Günther Anders etwa nannte „Wert“ einmal einen „barbarischen Begriff, der aus der Finanzwirtschaft stammt“.

Von bestimmten aktuellen Entwicklungen zeigt sich der nunmehr emeritierte Klagenfurter Professor für Sozialpsychologie angewidert, mit der Verächtlichkeit gegen Loser, mit dem Zwang zur Marke Ich, mit dem Evaluierungswahn, da will er nichts zu tun haben. Das spricht für ihn. Aber er bleibt in seinem Missmut stecken. Das macht auch die ganze Lektüre der Abschiedsvorlesung nicht allzu erquicklich. So hat man das Gefühl, dass hier einer zwar relevanten Fragen auf der Spur ist, sich allerdings immer wieder verläuft. Die Ausflüge in die aktuelle Innenpolitik wirken ganz deplatziert.

Es ist ein zerfleddertes Resümee, auch sprachlich. Von der absoluten Frische seines Erstlings „Ökonomische Zwänge und menschliche Beziehungen“ ist nichts übrig geblieben. Ottomeyer ist enttäuscht und enttäuscht auch selbst. Was bleibt ist eine trotzige Reaktion. Der Band liefert jedenfalls keine Kritik der Werte, sondern landet zum Schluss im Entwurf eines eigenen Wertemodells: „Am Arbeiten, Lieben und Kämpfen kommen wir nicht vorbei.“

Klaus Ottomeyer, Chaos mit System. Wertegeschwätz und Wertekonflikte im Kapitalismus, Drava Verlag, Klagenfurt 2013, 55 Seiten, Paperback. € 9,80

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