von Paolo Lago (aus dem Italienischen übersetzt von Lorenz Glatz)
Siam pronti alla morte…
(italienische Nationalhymne)
Waffen, Truppen, Soldaten in Auslandseinsätzen und diese selbst sind im Italien von heute echte Fetische. All das scheint genau von der Art „Erhebung“ und „Poesie“ getragen zu sein, die ihm der Dichter Gabriele D’Annunzio in den Zwanzigerjahren zugeschrieben hat, der Hymnen auf das Heer und seine Waffen sang, in rhetorischen Figuren, die der Faschismus dann zum Großteil übernehmen sollte.
Ein Ding wird zum Fetisch, wenn es emotionell und symbolisch aufgeladen wird. Der Terminus geht zurück auf das lateinische Wort facticium (Zauber), mit dem die ersten portugiesischen Missionare den steinernen oder hölzernen Gegenstand der Verehrung bei Bewohnern Afrikas bezeichneten. Damit ist also der Charakter der Verwandlung eines Dings in Göttliches, Mythisches, in ein Objekt der Verehrung bzw. Anbetung in der Bezeichnung selber angelegt: Ein lebloses Etwas erhält durch Verehrung eine bestimmte symbolische Bedeutung (vgl. die Studie über den symbolischen Charakter des Fetischs bei heutigen Bevölkerungen Afrikas: Marc Augé, Le Dieu Objet, Paris 1998).
Waffen und Rüstung sind heute in Italien solche Gegenstände. Vor allem die letzten Regierungen, ob Mitte-Links oder Mitte-Rechts und erst recht das „technische Kabinett“ Monti, haben über alle Maßen die Beschaffung von Waffen und militärischer Ausrüstung zu Lasten anderer Maßnahmen forciert. Milliarden Euro wurden für die Anschaffung von Jagdbombern bereitgestellt, während das Sozialbudget zusammengestrichen wurde. Trotz der Wirtschaftskrise leistet sich Italien täglich hunderttausende Euro für die „Friedensmissionen“ im Ausland. Die Streitkräfte werden mit den modernsten Waffen ausgestattet, während es in den öffentlichen Schulen nicht einmal Geld fürs Klopapier gibt. Waffen und Militär sind ein Objekt der Anbetung, ein Fetisch der Macht, der von dieser selbst aufgerichtet wird.
Überdeutlich geworden ist das in der Art, wie die Regierung Monti, die sich aus einer geschlossenen Gesellschaft von Adeligen, Großbürgern und Militärs zusammensetzt, jüngst mit der Affäre um zwei italienische Militärangehörige umgegangen ist. Die beiden sind in Indien wegen der Tötung zweier indischer Fischer angeklagt, die sie angeblich mit Piraten verwechselt hatten: Sie wurden von der Rhetorik der Macht zu Nationalhelden und Vaterlandsverteidigern, zu mythischen Gestalten und Gegenständen der Anbetung stilisiert, während sie in Wirklichkeit einfach zwei von einem Reeder zum Schutz seines Öltankers gedungene Söldner sind.
Wie Roland Barthes gut beobachtet hat, ist der Unterdrücker als Verkörperung der Macht derjenige, der den Mythos konstruiert (Mythologies, Paris, 1957, 223). Die Macht hat solcherart eine mythische Bedeutung und kann ihre Gegenstände der Anbetung unter den Menschen verbreiten: An sich ist ein nicht geringer Teil der Bevölkerung in Italien gegen die Aufrüstung, aber der Waffen- und Militär-Fetisch ist nicht nur für die Regierungen und den Präsidenten der Republik unantastbar, sondern besitzt seine geisterhafte Macht auch unter den Leuten. Das zeigt sich an der Tatsache, dass ausgerechnet in einer Wirtschaftskrise dieses Ausmaßes, mit gewaltigen Einschnitten im Sozialbereich, bei den Pensionen, den Schulen und den verfallenden Spitälern die Bevölkerung angesichts der immer gewaltigeren Mitteln für das Militär einfach stillhält. Nichts geschieht. Die abstrakte Macht des Fetischs scheint alle Schichten der Bevölkerung zu durchdringen. Italien ist einer der führenden Waffenproduzenten, und (auch illegalen) Exporteure. Das Fetisch-Gespenst durchdringt alles in diesem sozial devastierten Land und erzeugt fetischistisches Bewusstsein und Gewissen. Es verwandelt sich in die Begierde der herrschenden Klasse nach Profit und wird auf einen Großteil der Bevölkerung als Schrei nach Lohn und Arbeit gespiegelt.
Der Fetischismus materialisiert sich jedes Jahr, wenn bei der Parade zur Festa della Repubblica am 2. Juni die Truppen mit ihren Waffen und gepanzerten Fahrzeugen vor dem Ministerpräsidenten, dem Verteidigungsminister und dem Staatspräsidenten wie in einer Militärdiktatur vorbeidefilieren. Pünktlich erneuert sich jedes Jahr vor einer jubelnden, Fähnchen schwenkenden Menge das fetischistische Ritual der Anbetung der militärischen Gottheiten. Italien ist schließlich auch ein Land, in dem das Heer bei Großveranstaltungen seine Juwelen zur Schau stellt: armierte Transporter, Kampfpanzer, Helikopter und Jagdbomber, auf denen dann die Kinder „zum Spaß“ herumhüpfen dürfen, wenn die Leute wie zu einem tollen Volksfest voll Begeisterung hinströmen. Insofern ist Italien wie zur Zeit des Faschismus geblieben, als die militärische Prahlerei um- und es auf einen verheerenden Weltkrieg zuging.
Aber, wie Silvano Petrosino versichert: „Man darf nie vergessen: Der Götze wird fallen, aber nicht gleich, das Gespenst wird verschwinden, aber nicht gleich.“ (Soggettività e denaro. Logica di un inganno, Milano 2012, 50) „Der Götze wird fallen“, wenn nicht heute, dann vielleicht morgen oder übermorgen. Der Fetisch und alle seine Mechanismen der Begierde sind dazu bestimmt zu fallen, wie auch dieser Kriegskapitalismus, der sich noch in Zeiten am Leben hält, die den Begriff Krieg schon längst vergessen haben sollten. Aber wir müssen noch warten: In Italien ist eben erst, zwischen einem Grillo, der immer mehr einem Diktator in Wartestellung gleicht, einem orientierungslosen Partito Democratico und einem Polo delle Libertà, der von der Niedertracht eines Berlusconi geführt wird, eine Regierung eingesetzt worden, die ganz der democrazia cristiana der Achtzigerjahre gleicht. Man hat gerade einen Sprung rückwärts unter die Führung eines uralten und „antiken“ Staatspräsidenten gemacht: Auf uns wartet vorerst eine neuerliche Zerstörung von allem, was sozial ist, und eine unaufhaltsame Anbetung des Fetischs des Kriegs.