„Unser Leben ist der Mord durch Arbeit, wir hängen 40 Jahre lang am Strick und zappeln, aber wir werden uns losschneiden.“
(Georg Büchner, Dantons Tod, 1835)
ZUM TAG DER ARBEIT
Kompiliert von Franz Schandl
Je genauer man sie anschaut, desto irrer blickt sie zurück. Alle wissen anscheinend, was Arbeit ist, aber so genau will es denn doch niemand wissen. Sie ist schlichtweg eine Selbstverständlichkeit, etwas, das man haben, aber deswegen noch lange nicht begreifen muss. Arbeit ist ein Bekenntnis, das sich gegen erkenntnistheoretische Anwandlungen sperrt. Gefordert wird ja auch nicht, die Arbeit zu verstehen, sondern von der Arbeit etwas zu verstehen.
Warum ist selbstverständlich, was nicht einmal verständlich ist? Wahrscheinlich, weil im Normalfall, also in allen alltäglichen Situationen, unser Reflex nicht aus unserem Denken rührt, sondern aus unserem Handeln. Das, was wir tun, erscheint uns als das, was zu tun ist, und das wiederum als das, was zu sein hat, denn sonst würden wir es ja nicht machen. Diese bestechende Logik dreht sich zwar im Kreis, ist reine Tautologie, aber hartnäckig und wirkmächtig allemal. Wir fallen täglich darauf rein. Die Arbeit ist das zentrale Gerücht der Konvention.
Wenn Leute an Arbeit denken, dann denken sie diese, unabhängig davon, was sie im konkreten Fall von ihr denken, als Naturnotwendigkeit, vor der es kein Entfliehen gibt, allerhöchstens es gelingt, andere für einen arbeiten zu lassen. Sie verwechseln dabei das inhaltliche Tätigsein mit seiner spezifischen Zurichtung. Darin genau liegt der ganze Arbeitswahn in den Köpfen auch begründet. Dass es diesen unmöglich ist, das konkrete Tun und die abstrakte Form, in der es sich darstellt, als nicht unbedingt identisch zu betrachten. Eben auseinander halten, was nur gesellschaftlich zusammengefügt ist. Die bürgerlichen Subjekte kennen Inhalte bloß in dieser Form, egal ob als bezahlte zugeordnet oder als unbezahlte beigegeben. Alles ist hier eins und somit einerlei.
Güter werden nämlich nicht durch die Arbeit geschaffen, sondern durch ihre Herstellung und Produktion, durch die Arbeit wird nur ihre vergleichende Inwertsetzung ermöglicht, kurzum ein Tauschwert realisiert. Diese Täuschung ist jedoch allen Mitgliedern der Gesellschaft geläufig und selbstverständlich, weil praktiziert und somit praktisch, sie erscheint nicht als analytische Denkleistung, sondern als synthetische Vorleistung, der per Vollzug nachzukommen ist. Sie denken, was sie tun, aber sie denken nicht, was sie tun.
Arbeit ist eben nicht eine konkrete Tätigkeit, die sich vollzieht, sondern die abstrakte Bezüglichkeit entspezifizierter Tätigkeiten zueinander, indem diese in Wert gesetzt werden und nur ihren Zweck erfüllen, wenn sie sich vermarkten oder doch durch ihre Mitgift diese Vermarktung substanziell ermöglichen. Güter sind Folge konkreter Aktivität, Geld ist Folge eines abstrakten Vergleichs. Und doch muss in der Warenwirtschaft das eine immer als das andere erscheinen, diese Verwechslung ist ein Grundpfeiler allen bürgerlichen Handelns und Handels.
Dass dieselbe Tätigkeit etwas anderes sein könnte, wenn sie nicht für den Markt geschieht, sondern als unmittelbarer Einsatz (Geschenk, Gabe, Schöpfung) zur individuellen und kollektiven Reproduktion frei assoziierter Menschen, will nicht so recht kommen. Freilich wäre dieselbe Tätigkeit dann nicht mehr dieselbe, eben weil die Verwertbarkeit als zentrales Kriterium ausgespielt hätte. Mit dem Wegfall dieser Bestimmung würde auch die Arbeit schlechthin der Vergangenheit angehören.
Arbeitsheer
Heute dimensioniert das Formprinzip Arbeit den Inhalt allen Tuns, verleiht ihm sozusagen einen Körper, der als dessen unabänderliche Gestalt erscheint. Was hingegen kreatives Schöpfen sein könnte oder emanzipatorisches Werken, lässt sich nur erahnen, bestenfalls negativ bestimmen, also sagen, was es nicht sein soll. Menschliche Tätigkeit kennt im kapitalistischen System und insbesondere in der deutschen Sprache bloß einen Namen: Arbeit. Das totalisierende Prinzip wird als totale Natur hingenommen. Gerade dass im Arbeitsbegriff immer alles hineingepfercht, also Unzusammengehöriges vermengt wird, ist unabsichtliche Absicht, eine betäubende Leistung des Hausverstands. Die Lust Holz zu hacken und der Zwang im Supermarkt Regale zu schlichten sind hier eins.
Mensch sein heißt demnach Arbeiten müssen, dürfen, sollen, vor allem aber wollen. Wir wollen. Und wie wir wollen. Selbst wenn wir nicht wollen, wollen wir, ob wir wollen oder nicht. Dass dieses Wollen eigentlich ein Müssen ist, ein gesellschaftlich konstituiertes noch dazu, ist offensichtlich, wird aber permanent ignoriert. Der Arbeits-Freiwillige ist der mit freiem Wille ausgestattete Soldat der Arbeit. Er ist Teil eines Arbeitsheers, das in Schlachten und Feldzügen um Standorte und Absatzgebiete seine Werber und Waren ausschickt. Es geht um Okkupation. Arbeitsnegationisten, d.h. Arbeitsunwillige und Arbeitsverächter, Arbeitslose und Arbeitskritiker gleichen in diesem militärischen Realszenario Deserteuren.
Alles hat der Verwertungmaschine zu dienen, sei es direkt durch Lohnarbeit, sei es indirekt durch alles andere, was sich zwar nicht unmittelbar rechnet, was aber trotzdem unabdingbar ist, damit der Kapitalismus funktioniert, neuerdings auch terminologisch geadelt, indem der Begriff alles andere überfällt, als könnte dieses nicht auch ohne ihn bestehen; nein, nein, alles hört auf ihr Kommando: Hausarbeit, Erziehungsarbeit, Beziehungsarbeit, Trauerarbeit. Die verwesende Arbeit ist über uns gekommen. Sie vergiftet alles…
Was von den Leuten gefordert wird, nämlich zu arbeiten, wird ihnen verwehrt. Nicht Inklusion in die Arbeit ist die vorherrschende Entwicklungstendenz, sondern Exklusion aus ihrem Reich der Notwendigkeit. Menschen werden im wahrsten Sinne des Wortes entsorgt. Niemand braucht sich mehr um sie sorgen, gilt für die auf sich selbst Zurückgeworfenen. Man will ihrer nicht habhaft werden, man will sie loswerden. Nicht ausgebeutet sollen sie werden, sondern ausgeschieden. Im „Biotop“ der Arbeit ist das immens bedrohlich. Aber zweifellos, Arbeit adelt. „Hast Du eh Arbeit?“, ist eine geflügelte Frage, deren Bejahung einen aufatmen und deren Verneinung auf soziale Degradierung schließen lässt. Und immanent betrachtet, ist es das. Keine Arbeit zu haben, da weiß nicht nur jeder Arbeitslose, was das bedeutet. Es heißt ein entwertetes Es, ein gesellschaftliches Nichts zu sein.
Leichenfledderei
Die Arbeit ist zur Zeit nirgendwo so stark verankert wie in den Köpfen. Es ist der Wille zu ihr, der sie hält. Ein Klammern, ein Nicht-wahrhaben-Wollen. Gerade in Zeiten, wo die Arbeit reell verfällt, steigt sie noch einmal ideell auf. Die Diskrepanz von Wahrnehmung und Entwicklung könnte krasser nicht sein. Es reüssiert ein kontrafaktisches Verhalten, eines, das die traditionellen Vorstellungen ernster nimmt als die aktuellen Wirkungen. Während das Formprinzip Arbeit als gesellschaftsverbindender Zusammenhang zerbricht, plustert es sich als weltanschaulicher Popanz geradezu auf. Die selige Himmelfahrt verkauft sich als irdische Hochzeit.
Arbeit, die hohe Braut, liegt gleich Schneewittchen im gläsernen Sarg. Und alle Zwerge in Gewerkschaften und Parteien, Wirtschaft und Wissenschaft meinen über den Prinzen zu verfügen, der die Tote wachküsst. Doch mehr als eine Leichenvergiftung kann man sich dort nicht mehr holen. Schneewittchen wirft keine Arbeitsplätze mehr. Es gibt keine Befreiung in der Arbeit, sondern nur eine von ihr. Arbeitszeit ist gestohlene Lebenszeit.
Weil es zu wenig Jobs für Jugendliche gibt, müssen die Alten später in Pension. Weil die verbeamteten Lehrer zu viel kosten, müssen diese allerdings in Frühpension geschickt werden. Weil die Kaufkraft zu niedrig ist, müssen die Sozialleistungen und Löhne gedrückt werden. Und damit Arbeit geschaffen werden kann, müssen die, die Arbeit haben, länger arbeiten und nicht kürzer. Man könnte diese Liste geistiger Höhenflüge ins Unendliche fortsetzen. Aber das alles folgt wohl einem göttlichen Plan, dessen Komplexität niemand mehr kapieren resp. gar beherrschen kann.
Seien wir sicher: Je mehr die einzelnen Subjekte arbeiten, desto mehr Arbeit schaffen sie nicht neu, sondern desto mehr schaffen sie ab. Je mehr sie ihre Produktivität erhöhen, desto mehr setzen sie andere außer Wert. Die steigenden Hektarerträge schufen nicht reiche Bauern, sondern führten zur Eliminierung eines ganzen Standes. Ähnliches gilt auch für Metall- und Textilarbeitskräfte und viele andere Branchen bis hin zu Versicherungen und Banken. Einst fest Zugeordnete werden in dieser Anzahl nicht gebraucht. Unter kapitalistischen Vorzeichen bringt die Produktivkraftentwicklung die Produzenten reihenweise um ihren Produzentenstatus. Neuerdings gilt das auch für die so genannten Dienstleistungsberufe.
Keine andere Sinnstiftung wird zugelassen. Die so befangenen Menschen scheinen geradezu überfordert zu sein und geraten daher ins Beten. Sie stellen sich nicht den Fragen der Zeit, sondern geben ihre alten Stehsätzchen zum Besten, Marke: „Gearbeitet wurde immer“, oder „Arbeit zeichnet den Menschen aus.“ Mangels an gesellschaftlichen Alternativen sind solche Schlüsse naheliegend wie fatal. Arbeit meint Andacht, zweifelsfrei. Während das Gefängnis der Arbeit zusammenstürzt, will die Befangenheit partout nicht abnehmen, sondern spitzt sich zum Fanatismus zu. Die Insassen wollen nicht raus. Unter „draußen“ können sie sich gar nichts vorstellen. Der Gefangenenchor intoniert unverdrossen das Lied der Arbeit.
Arbeit ist destruktiv. Sie richtet zugrunde, sowohl die ihr Ausgelieferten als auch durch ihre Resultate, die Produkte, die heute schon weniger dazu dienen von ihnen zu zehren – von deren Qualität und Sollbruchstellen möchte ich hier gar nicht sprechen –, sondern die dazu angelegt sind etwas anderes zu verzehren: die Substanz dieses Planeten und somit die Lebensgrundlage aller Menschen.
Und es ist schließlich die Arbeit, die die Leute dumm macht und dumm hält. Wer sein Leben damit verbringt, täglich acht bis zehn Stunden Lebensmittelregale mit Preisschildern zu bekleben oder stumpfsinnige Werbesprüche für diverse Produkte zu erfinden oder routinierte Artikel zur österreichischen Innenpolitik abzusondern oder oder oder…, dessen oder deren kreatives Potenzial ist extrem beschnitten. Es verkümmert aufgrund seiner Beschlagnahme. Arbeit verstellt den Menschen ihre Möglichkeiten. Sich ihr auszuliefern und zu überantworten, wird zusehends gemeingefährlich. Natürlich wird auch in Zukunft nicht alles Lust sein können, aber die Herstellung kontrollierter Unlust, und nichts anderes ist die Arbeit, wird nicht mehr die Sozietät beherrschen. Arbeit meint nicht Erfüllung des Lebens, sondern Mühsal der Existenz.
Arbeit ist Verlust des Lebens, das sie geradewegs ruiniert. Via Arbeit betreiben wir ein autoaggressives und ein autodestruktives Spiel, in dem wir gefangen und befangen sind. Nur dabei ist die Arbeit eine Selbstverständlichkeit. Der Großteil unserer Existenz erschöpft sich in der Arbeit, bzw. in all den vor- und nachgelagerten Reproduktionstätigkeiten, die in Form und Dimension ebenfalls aus der Arbeit rühren und organisch dieser zugehörig sind, weil diese ohne jene nicht bestehen könnte. Dieses unentwegte Treiben, das einen nicht auslässt, sondern in Beschlag nimmt, ist überall spürbar: in den Lebensmitteln, in den Behausungen, in den Beziehungen, ja an den Körpern und Geistern, die physisch und psychisch geschunden outburnen.
Der Weg zur individuellen Verwirklichung führt nicht über die Arbeit, sondern über deren Abschaffung. Die ist Voraussetzung, um ein Leben jenseits der Existenz bewerkstelligen und genießen zu können. Emanzipation ist, wenn die zentrale Frage der Kommunikation nicht mehr „Was machst du?“, lautet, sondern schlicht „Wer bist du?“. Nicht welcher Charaktermaske man dient, ist doch von persönlichem Interesse, sondern welcher Mensch man ist.
Franz Schandl, Jg. 1960, Redakteur der Wiener Zeitschrift Streifzüge. Der Autor hat auch im eben in deutschen Kinos anlaufenden arbeitskritischen Dokumentarfilm „Frohes Schaffen“ von Konstantin Faigle seinen Standpunkt dargelegt.