Ein Überblick über anstehende Auseinandersetzungen um die deutsche Krisenpolitik in Europa. Sie könnten Ende der Euro-Zone besiegeln
von Tomasz Konicz
Berlin scheint »seine« Eurozone weiterhin fest im Würgegriff teutonischen »Spar«terrors halten zu können. Nach der Durchsetzung eines brutalen Verelendungsprogramms in Zypern schrieb Finanzmister Wolfgang Schäuble (CDU) zuletzt der Regierung in Lissabon ins Stammbuch, seine Weisungen stünden über der Autorität des portugiesischen Verfassungsgerichts. Das hatte jüngst einen Teil der aktuellen Kürzungen unter anderem bei der Arbeitslosenhilfe für unzulässig erklärt. Das rezessionsgeplagte Portugal müsse nach dem Spruch der obersten Verfassungshüter eben »neue Maßnahmen treffen«, um die Sparvorgaben zu erfüllen, forderte Schäuble am 8. April. Er glaube überdies nicht, daß die deutschen Sparprogramme »die Ursache der Probleme im Arbeitsmarkt« in Europa seien. Er wolle kein »deutsches«, sondern lediglich ein »wettbewerbsfähiges Europa«, betonte der Finanzminister.
Ernsthaften Widerstand hat Berlin bei der Durchsetzung seines Kürzungsdiktats, das die Eurozone immer stärker in die Rezession treibt, bislang nicht erfahren. Dies würde erst dann der Fall sein, wenn der unter miesen Umfragewerten leidende französische Präsident François Hollande, der sich bisher auffällig zurückhält, offen gegen den deutschen Kurs opponieren würde. »Das gefährlichste Land ist Frankreich«, erklärte ein hoher deutscher Diplomat gegenüber der Denkfabrik ISN (International Relations and Security Network). Sollte Hollande »zu einer Politik zurückkehren wollen, die der sozialistische Präsident Mitterrand vor 30 Jahren aufgegeben hat«, werde es kein Europa mehr geben, warnte der Diplomat. Die deutsche Linie scheint damit klar: Entweder es gibt ein deutsches Europa oder gar keins mehr.
Achse Washington–Paris
Die brodelnden Spannungen zwischen Berlin und Paris kamen am 4. April an die Öffentlichkeit, als der französische Finanzminister Pierre Moscovici seinen deutschen Amtskollegen bei einem Treffen in Strasbourg um »Nachsicht« (O-Ton Deutsche Welle) bei der Haushaltskonsolidierung bat. Sollte die französische Regierung genötigt werden, ihr Defizit dieses Jahr unter drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu drücken, werde das Land in eine Rezession abdriften. Deutschland brauche ein starkes Frankreich, erklärte Moscovici. Dies sieht Schäuble offenbar anders. Er pochte auf eine Reduzierung der Etatdefizite im Euro-Raum und forderte ein Ende der Debatte, in der man »zwischen Austerität und Wachstum« wählen müsse.
Einige Rückendeckung erhielt Moscovici hingegen von seinem neuen US-amerikanischen Amtskollegen Jacob Lew, dessen jüngste Europareise die »krasse transatlantische Kluft« in der Krisenpolitik offenbarte, wie es das Wall Street Journal formulierte. Lew sprach sich nicht nur für die Aufweichung des Austeritätskurses aus, sondern forderte auch »Staaten mit einem Handelsüberschuss« auf, mehr zur Ankurbelung der Binnennachfrage zu tun: »Eine Politik, die die Konsumnachfrage in Ländern belebt, die dazu in der Lage sind, würde helfen.« Nach einem Treffen mit Moscovici erklärte Lew, man sei in diesen Fragen »auf derselben Wellenlänge«.
In einer offensichtlich koordinierten Aktion gegen die Hegemonialbestrebungen der BRD in der Euro-Zone ging auch der bekannte US-Finanzspekulant George Soros zum Angriff über. Deutschland müsse entweder der Einführung von Euro-Bonds zustimmen und somit den Sparkurs beenden oder den europäischen Währungsraum verlassen, forderte er am 9. April in Frankfurt am Main. Nur durch die Einführung von gemeinsamen europäischen Anleihen könne die Zinslast der südeuropäischen Länder nachhaltig gesenkt und damit das Wachstum gefördert werden, erklärte Soros in einem Vortrag an der Goethe-Universität. Zum gegenwärtigen Kurs in der Euro-Zone sagte er laut Handelsblatt vom Donnerstag: »Der Euro hat die Peripherieländer zu Dritte-Welt-Ländern gemacht.«
Dennoch verfügten die USA kaum über effektive »Daumenschrauben«, die sie dem »deutschen Wirtschaftsestablishment« anlegen könnten, bemerkte jüngst das US-Magazin Forbes, das den von Berlin ausgehenden Druck als »ultimative Quelle« der fortdauernden Euro-Krise bezeichnete. Die Finanzpolitiker im ebenfalls exportfixierten Japan könnten hingegen erfolgreich »ihre deutschen Kollegen unter Druck« setzen, indem sie ihre Währung massiv abwerteten, so Forbes. Tatsächlich hat die Bank of Japan am 4. April angekündigt, allmonatlich Staatsanleihen im Wert von umgerechnet 58 Milliarden Euro aufzukaufen.
Geldschwemme aus Japan
Durch diese Geldflut der japanischen Notenbank und die hierdurch ausgelöste Abwertung des Yen werden japanische Waren immer konkurrenzfähiger. Das unterhöhlt einerseits die Wirkung der auf einseitige Exportförderung abzielenden deutschen Maßnahmen, andererseits läßt die Tokioter Geldschwemme inzwischen die Zinslast etlicher Krisenländer in der Euro-Zone sinken. Dies mindert den Druck der »Märkte« auf die Schuldenstaaten, der bisher von Berlin genutzt wurde, um diesen »Sparziele« zu oktroyieren. Der »lange Arm der Bank of Japan« reiche bis nach Europa, kommentierte die österreichische Zeitschrift Format diese Tendenzen. Hierin liegen auch die Ursachen der vehementen Kritik Schäubles an Tokios Geldpolitik, die er als »besorgniserregend« bezeichnete. Deutlich wird daran, dass sowohl Deutschland als auch Japan die eigenen Handelsüberschüsse zulasten anderer Staaten und Währungsräume steigern und so die Krisenfolgen abwälzen. Die Verschuldungsprozesse, die solche Exportindustrien bedingen, laufen ja im Ausland ab. Die meisten Großmächte sind folglich seit Krisenausbruch bestrebt, durch Exportförderung, durch Austerität oder Währungsabwertung die eigene Handelsbilanz möglichst positiv zu gestalten – und zugleich fordern sie sich gegenseitig auf, mehr Kreditaufnahme zu ermöglichen, um die Binnennachfrage im Ausland zum Nutzen der einheimischen Exportindustrie zu erhöhen. Die aus dieser Krisenkonkurrenz erwachsenden Währungskriege sind Ausdruck der Systemkrise eines an seiner Hyperproduktivität erstickenden Kapitalismus, der nur noch mittels überbordender Staatsverschuldung seine Agonie verlängern kann.
erschienen in: Junge Welt, 15.04.2013