Im Zeichen des Hodens

Wie ein austrokanadischer Multimillionär Österreichs Politik aufmischt

von Franz Schandl

Wenn es nach Frank Stronach geht, ist Politik ein Geschäft wie jedes andere. Das nötige Kleingeld dazu hat er ja. Stronachs Magna ist der größte Autozulieferer der Welt. Der Konzern beschäftigt über 100.000 Mitarbeiter in fast 300 Fabriken, die über die ganze Welt verstreut sind. Sein Vermögen wird auf ungefähr 4 Milliarden Euro geschätzt. Für die Nationalratswahl 2013 will er 25 Millionen locker machen. Da können die anderen Parteien nicht mithalten. Notfalls könnte er auch auf 100 Millionen erhöhen.

Wer sich tausend Pferde hält, kann sich auch einige Politiker halten. Denn die neue Partei, das sagt auch ihr Statut, wird geführt wie eine Rennstall. Sie gehört und gehorcht dem Eigner, so eigen er auch sein mag. Der ist nun dabei das entsprechende Personal zu engagieren. Vorerst waren ein paar Mandatare der sterbenden Orangenpartei zum Diskontpreis zu haben. Dabei handelt es sich um Leute, die von der FPÖ kommend mit Haider ins BZÖ gingen, zwischenzeitlich bei Strache anklopften und nun die letzte Chance wittern, ihre parlamentarische Existenz via Stronach zu verlängern. Fünf Abgeordnete des BZÖ sind bereits zu Stronach übergelaufen, weitere könnten folgen, wenngleich der Austrokanadier unlängst meinte, er hätte schon genug von der Sorte, jetzt seien die anderen dran. Auf jeden Fall ermöglichten ihm die gepflückten Orangen die Gründung eines eigenen Parlamentsclubs, ohne dass das Team Stronach je kandidiert hätte. So kommt seine Partei bereits jetzt in den Genuss staatliche Parteien- und Klubförderung inklusive Einladungen zu diversen Sendeterminen.

Inszeniert wird eine Politik der permanenten Aufmerksamkeit. Tempo und Fristen der medialen Erregung bestimmt weitgehend Stronach selbst. Auch dass er die entwendeten Abgeordneten nicht in einem einzigen Coup präsentierte, sondern diese sukzessive ihren Übertritt meldeten, lässt einiges an strategischer Überlegung, vielleicht sogar Planung vermuten. Zumindest dürfte er diesbezüglich noch einiges im Köcher haben, nicht nur Funktionäre anderer Parteien, sondern auch Querschläger, Quertreiber und Quereinsteiger aus anderen Branchen. Da die Wähler auf Promis konditioniert sind, werden sie das auch honorieren.

Nachdem Abgeordnete des Rest-BZÖ nun eidesstattlich behaupten, dass sie mit hohen Summen geködert werden sollten und BZÖ-Chef Josef Bucher eine Strafanzeige wegen Bestechung einbringen ließ, erklärte Sronach postwendend dieser „habe keine Hoden“. Bucher, von Stronach entmannt, wird zum Kastraten der Politik erklärt. Das geht rein. Es regieren die große Klappe und der Untergriff. Frank ist da nicht zimperlich, eine ihm interviewende ORF-Journalistin nannte er schon mal ein „Schulmädchen“.

„Gebt Stronach möglichst viele TV-Auftritte. Nichts schadet dem Neo-Politiker mehr, enttarnt ihn besser als altersstarren und ungehobelten Besserwisser ohne den Anflug eines realistisch nachvollziehbaren politischen Programms“, schreibt etwa Peter Rabl im Kurier vom 7. Oktober 2012. Das ist leider Wunschprogramm. Was liberalen Journalisten als tolpatschig erscheint, kommt bei den Durchschnittskonsumenten ganz anders rüber. Stronach spielt virtuos auf dem Niveau, auf dem diese gehalten werden. Grob- und Gemeinheiten werden nicht verlacht, sondern beklatscht, öffentlich wie insgeheim. So wirkt der, der in jeder Hinsicht älter ist als die, die alt ausschauen, doch um einiges frischer und jünger.

Wirtschaftskompetenz

Ganz allgemein gilt Frank Stronach als „Mann mit unbestrittenen Verdiensten und Engagement in der Wirtschaft.“ (Karl Ettinger, Das beste Programm für Stronach, Die Presse, 28. September 2012, S. 2.) Auch Rabl, einer der bekanntesten Kommentatoren des Landes, streut Rosen: „Dass dieser einstige Steirerbua mit dem Aufbau seines Magna-Konzerns eine ökonomische Weltleistung erbrachte, ist unbestritten.“ Wie eine ungewollte Werbeeinschaltung liest sich auch der Vorspann eines Artikels im Wirtschaftsmagazin trend: „Der Multimillionär Frank Stronach befindet sich auf einer Mission: Österreichs Politik nach seinem Willen zu formen. Wenn es sein muss, mit der Macht des Mammons. trend besuchte den Austrokanadier und Selfmadman in Aurora, Ontario, dem Allerheiligsten seines Reichs, wo der 80-jährige Tycoon Respekt und Huldigung genießt“ (trend 10/2012, S. 31) Der zitierte Beitrag ist wie viele andere eine Hagiographie. Es herrscht geradezu eine kultische Verehrung, die sich aus Mären und Mythen aus dem Wunderreich der Wirtschaft nährt.

Respekt und Huldigung sind schlicht monetäre Größen. Stronach, das ist der Mann mit Brieftasche. Und wenn er sie öffnet, wird der Teppich ausgerollt und die Dienstboten aller Schichten senken ihr Haupt und sinken ehrfurchtsvoll in die Knie. Es ist der Kotau vor dem Oligarchen, der hier gemacht wird. Stronach interessiert, weil sein Geld interessiert. Wer so viel hat, kann bloß tüchtig gewesen sein, jede andere Annahme lässt auf Neid schließen. Denn der Mann hat es geschafft. Nur was und wie, das will niemand so genau wissen geschweige diskutieren. Das hat unbestritten zu bleiben.

Stronach war immer ein Früchtchen und Kriegsgewinnler, seinen Typus zu glorifizieren verdeutlicht einmal mehr wie die Gemüter ticken, was sie beeindruckt und anzieht. Was ihn qualifiziert, ist mehr als zweifelhaft. Der Selfmadman ist ein Produkt des Autohungers westlicher Gesellschaften. Der ehemalige Werkzeugmacher aus der Steiermark ist Agent der Automobilmachung der Welt, deren Folgeschäden bekannt sind und deren Folgekosten die Allgemeineinheit trägt. Wirtschaftskompetenz ist das, was die Menschen und den Planeten kaputt macht. Doch derlei Überlegungen sind fern, allen Krisen zum Trotz.

Bei seinen Arbeitern, von denen Stronach so gerne spricht, geht es ihm um eine Umleitung der empfundenen Zugehörigkeit: nicht zu ihresgleichen sollen sie solidarisch sein (so wie das die klassische gewerkschaftliche Interessenspolitik nahe legt) sondern zu ihren Firmen. Aus einem äußeren Zweck wird ein innerer Modus: Der Job wird zur Lebensaufgabe. Stronach betreibt eine Politik für privilegierte Stammarbeiter, sie sollen am Profit beteiligt werden. Deren Identität speist sich aus dem Unternehmen, nicht aus ihrer sozialen Lage, die, solange der Rubel rollt, auch keine schlechte ist. Ziel ist ein enges Bündnis von Mangement und Kernbelegschaften, also ein integralen Block des schaffenden Kapitals, der jede Art von Klassenkampf ausschließt. Das Modell funktioniert prächtig. Gewerkschaften müssen dabei natürlich außen vor bleiben, sie sind unerwünscht. Passt ihm eine Lohnrunde nicht (wie die letzte der österreichischen Metaller), dann droht er unverhohlen mit der Absiedelung seiner Werke. Kollektivverträglich ist der Mann keineswegs.

Neben den Gewerkschaften sind ihm vor allem die Banken ein Dorn im Auge. Denn einmal, da hätten die ihn fast gekillt. Da glaubten die „diesen großspurigen Geschäftsmann an den Eiern“ zu haben, so Stronach. Der, der den Hoden behalten wollte, den er anderen so gerne ausreißt, hatte zu kämpfen, um seine Gläubiger abzuschütteln. Die Aversion gegen jedwede Schulden rührt jedenfalls aus dem knapp verhinderten Untergang der Magna Anfang der 90er Jahre.

Marktpopulismus

Da stellt sich einer hin, nimmt das Mikro und labert los. Stronachs Vorschläge entstammen dem Arsenal der populistischen Worthülsen, einmal mehr soll es um „Wahrheit, Transparenz und Fairness“ und um „neue Werte“ gehen. Ein rigider Martkpopulismus gibt den Ton vor: „Denn wenn die Wirtschaft nicht funktioniert, funktioniert gar nichts.“ Plädierte er zuerst für die Wiedereinführung des Schillings in Österreich, so machte er nun den ebenfalls skurrilen Vorschlag, dass jedes Land seinen eigenen Euro haben soll. Bedient werden das autoritäre Bedürfnis und ein intellektuellenfeindliches Ressentiment: „Wir haben eine verweichlichte Gesellschaft, und Sozialwissenschafter gibt es schon Tausende.“ (trend, S. 44) Wos brauch ma de? Die produzieren doch nichts außer Schwierigkeiten. Sollen doch was arbeiten gehen. Das ist der gemeine Stoff der Vorurteile. Stronachs Universum ist absolut resistent gegen jedwede kritische Reflexion.

Interessant ist auch die Stilisierung zum Kämpfer gegen das Establishment. „Ich war eigentlich immer schon ein Rebell. Gegen herrschende Klassen und elitäre Zirkel. Mir geht es um Fairness.“ (trend, S. 42) Das rebellische Getue ist reine Pose, aber sie kommt gut an. Stronach ist nie gegen den Strom geschwommen, sondern versuchte umgekehrt die schnellsten Strömungen auszunutzen. Zur herrschenden Politik pflegte er stets enge Kontakte, in Kanada wie in Österreich. Ist die etablierte Politik oft kleinlaut, so tritt Stronach meist großkotzig auf. Tritt er in ein Fettnäpfchen, besudelt er die anderen. „Ich bin der, der die Werte vorgibt“, sagt der Geldgeber. „Die Regierung ist sozialistisch und kapitalmarktfeindlich“, heißt es auf der Homepage vom „Team Stronach“.

Es ist nicht nur in diesem Zusammenhang frappant, dass gerade jenes Wertesystem reüssiert, dem wir die Misere verdanken: Leistung, Konkurrenz, Karriere, Wachstum, Machertum, Rücksichtslosigkeit, Geld, Autos, Männlichkeitswahn, Prahlerei: „Der 27. September 2012 wird in die Geschichte Österreichs und auch in die Geschichte der Welt eingehen“ (Die Presse, 28. September 2012, S. 3), sagte Stronach anlässlich der Gründungsversammlung.

Das Liebäugeln mit dem starken Mann ist verbreiteter als man meint, insbesondere auch in den kulturindustriellen Eliten. Manchmal verplappert sich da einer, etwa unser aller Allspringer, der Extremistensportler Felix Baumgartner. In einem Interview mit der Kleinen Zeitung sagte der gute Mann unlängst: „Man hat das am Beispiel Schwarzenegger gesehen: Du kannst in einer Demokratie nichts bewegen. Wir würden eine gemäßigte Diktatur brauchen, wo es ein paar Leute aus der Privatwirtschaft gibt, die sich wirklich auskennen.“ Kein anderer ist Stronach.

Wie könnte es auch anders sein, ist Stronach selbst in manch schräge Geschäfte verwickelt. So wird Magna des öfteren genannt beim Zustandekommen des Ankaufs der Eurofighter für das österreichische Bundesheer. Da sollen angeblich windige Provisionen geflossen sein. Die Staatsanwaltschaft ermittelt. Stronach verfügte über beste Kontakte zum damaligen Finanzminister Karlheinz Grasser, einem Mann, der Jahre vorher bei Magna angeheuert hatte und auch gut in dessen Liste passen würde, hätte er nicht so viele Strafverfahren am Hals.

Dass Schloss Reifnitz am Kärntner Wörthersee soll Stronach auf Vermittlung eines gewissen Jörg Haider zu einem sonderbar niedrigen Preis erstanden haben. Doch solche Gelegenheiten muss man nutzen, bestätigen sie doch die in aller Welt geschätzte Geschäftstüchtigkeit. Was in der Politik als Skandal erscheint, kommt in der Wirtschaft oft als gelungener Coup daher. Und tatsächlich sind die investigativen Scans, was die beiden Sphären betrifft, auch völlig unterschiedlicher Intensität. Eines steht jedenfalls fest: Korruption wird mit dem Populismus nicht beseitigt, sie wird geradezu potenziert. Stronach wird beweisen, was schon Haider bewiesen hat.

Aber das sind Peanuts, schließlich will man bei den Nationalratswahlen stärkste Kraft werden. Wie viel die Stronach-Bewegung im Herbst 2013 einfährt, ist heute schwer abzuschätzen. Das hängt auch davon ab, wie sich die Kronen Zeitung und ihr mediales Umfeld positioniert. Stronachs parlamentarischer Klubchef Robert Lugar plädiert für eine Dreierkoalition von FPÖ, ÖVP und Stronach. Was die Stärke nach den nächsten Wahlen angeht, könnte die Reihenfolge stimmen. Eine solche Mehrheit wird sich auf jeden Fall ausgehen. Und es sage niemand, so eine Regierung sei ausgeschlossen.

Natürlich, früher oder später wird des Milliardärs Politprojekt bankrottieren, sei es in den Niederungen der praktischen Politik, sei es, weil Stronach die Lust verliert oder gesundheitlich nicht mehr kann. Ohne ihn läuft der Laden ja keine Woche. Dieses Scheitern wird zwar den Glauben an ihn, nicht jedoch an den Typus schmälern. Denn Stronach verkörpert in diesem Spiel von Fan und Führer durchaus den Wirtschaftszampano wie er uns aus allen Prospekten und Selbstbespiegelungen der Marktwirtschaft entgegen grinst. So sein wie er, das wollen viele. Von den Plakaten wird Stronach auch bald selbst grinsen. Laut ihm soll folgendes affichiert werden: „Wem würden Sie Ihr letztes Geld anvertrauen, um in die Zukunft der Kinder zu investieren: Faymann, Spindelegger oder Stronach?“ (trend, S. 44) – Na doch eindeutig den Biedermännern und nicht dem Schlitzohr! Aber da bin ich sicher in d er Minderheit.

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