Ist kommunales Leben eine Notwendigkeit oder nur eine Option?

Von Juliane Gross

„Walk Off the Earth“ ist der prophetische Name einer Band, die, bevor wir die Erde endgültig verlassen, musikalisch vorlebt, welche Werte unsere Gesellschaft gerade noch hätten retten können: gemeinschaftliches Handeln und das Prinzip der gegenseitigen Hilfe kompromisslos durchgeführt: zu fünft rocken und singen sie in perfektem Timing auf einer einzigen Gitarre.

Doch unser Alltag sieht anders aus.

Zuviele von uns kennen den Schmerz der uns überkommt wenn ein uns nahestehender Mensch eine medizinische Behandlung nicht erhält, weil das nötige Geld nicht da ist.

Zuviele von uns kennen die Verzweiflung, die uns durchdringt wenn wir gekündigt wurden und nicht aus noch ein wissen wovon wir die nächste Miete bezahlen sollen.

Zuviele von uns kennen die Ohnmacht, die wir empfinden angesichts der zunehmenden Gewalt, die Menschen gegeneinander ausüben, sei es im Krieg, auf einer Demo, bei einer Zwangsräumung, in der Familie, am Arbeitsplatz, und die uns innerlich verroht, austrocknet, abstumpft.

Zuviele von uns kennen Tage, ja oft sogar Wochen oder Monate wo wir morgens am liebsten gar nicht aufstehen möchten, weil wir angefüllt sind von einer namenlosen Trauer und dem Gefühl nichts wert zu sein, nichts ausrichten zu können, nirgendwo hinzugehören.

Gerade mal 10 Tage alt ist ein Artikel von Bill McKibben mit der Überschrift „Global Warming’s Terrifying New Math“, frei übersetzt „die erschütternde mathematische Wahrheit über Erderwärmung“. Bill McKibben nennt Messdaten, die erst wenige Wochen alt sind: die Erde hat sich bislang um 0.8 Grad Celsius erwärmt wodurch ein Vielfaches an Schaden verursacht wird als ursprünglich für möglich gehalten worden war: so ist ein Drittel des sommerlichen Eisbestandes der Arktis komplett verschwunden. Die Ozeane sind um 30% saurer geworden. Und da warme Luft mehr Feuchtigkeit enthält als kalte, sind die Luftverhältnisse über den Meeren um erschreckende 5% feuchter geworden, was Flutkatastrophen stark begünstigt. Davon abgesehen sterben laut Umweltaktivist Derrick Jensen weiterhin täglich ca. 200 Tier- und Pflanzenarten aus. Auf der Klimakonferenz 2009 in Kopenhagen konnten sich die Machthaber der unterschiedlichen Länder nicht zu ernsthaften Gegenmaßnahmen durchringen, es blieb bei der sehr allgemein gehaltenen Erkenntnis, dass der Kohlendioxid-Ausstoß verringert werden müsste. Derart unentschlossenes Handeln – oder sollte man es vielmehr entschlossenes Nicht-Handeln nennen – gleicht dem Verhalten eines Frosches, der in Wasser sitzt, das sich so langsam erwärmt, dass es der Frosch erst wahrnimmt wenn es zu spät ist – und das Wasser zu kochen beginnt.

Die einzige konkrete Zahl, die auf der Klimakonferenz vermerkt wurde, war dass die globale Erderwärmung 2 Grad Celsius nicht überschreiten solle. Nun hält der amerikanische Klimaforscher und Experte Kerry Emanuel, der am Massachusetts Institute of Technology auch Hurricanes erforscht, aber schon ein Grad Erderwärmung für ein Roulette-Spiel um den Erhalt der Rahmenbedingungen für fortbestehendes Leben auf diesem Planeten. Weitere Wissenschaftler stimmen überein und prognostizieren, dass ganze Länder verschwinden werden und ein Grenzwert von 2 Grad Celsius geradezu sicherstellt, dass die Katastrophe absehbar eintritt.

Der Titel dieses Beitrags lautet „Ist Kommunales Leben eine Notwendigkeit oder nur eine Option?“, und vielleicht werden sich einige Leser/innen oder Hörer/innen an dieser Stelle fragen, was Erderwärmung damit wohl zu tun haben mag.

Die kurze Antwort darauf lautet: „alles“. – Denn jeder, der sich auch nur in Ansätzen den zur Zeit rapide fortschreitenden klimatischen Veränderungen gedanklich stellt, kommt um die unbequeme Erkenntnis nicht umhin, dass eine sozialökonomische Revolution nicht nur nötig ist, um 99% der Menschheit aus dem Gewaltverhältnis zu befreien, der sie alternativlos in den Käfig Lohnarbeitsverhältnis zwingt, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Das allein wäre selbstverständlich schon mehr als Grund genug, endlich Speere zur Vernichtung des unersättlichen Raubtieres namens Kapitalismus und Wirtschaftswachstum zu schmieden. Das Feuer kann hier gar nicht heiß genug sein. Doch seit wenigen Jahren, spätestens seit den Forschungsergebnissen von 2009, die seither kontinuierlich von Wissenschaftlern nicht nur bestätigt sondern in ihrer katastrophalen Dringlichkeit ständig korrigiert werden, schält sich mit zunehmender Deutlichkeit heraus, dass es um viel, viel mehr geht als um Abschaffung von Lohnarbeit, Armut, Ungleichheit, Gewalt und hierarchischen Strukturen, die Kennzeichen und Motor unseres jetzigen Wirtschaftssystems sind. Es geht um nichts Geringeres als das Überleben von Mensch, Tier und Pflanze auf dieser Welt angesichts der Veränderungen des Wetters, der Meeresspiegel, der Atmosphäre, der Luft- und Bodenbeschaffenheiten und des Tier- und Pflanzenbestandes – die ganz schlicht die Rahmenbedingungen für unser materielles Leben und Überleben bilden. Es geht darum, das Gitter unserer selbstauferlegten Käfige aufzuschneiden und in einem globalen Akt bedingungslosen Zusammenhaltens „das Richtige“ zu tun, wenn Leben auf diesem Planeten weiterhin möglich sein soll.

Die NASA rechnet ganz trocken hoch, dass bis circa 2020 bis zu 250 Millionen Afrikaner aufgrund ausbleibender Regenfälle und fortschreitender Verwüstung fruchtbaren Landes ohne Wasser und Nahrung sein werden, sich in Nordamerika unerträgliche Hitzewellen häufen, in Europa das Aussterben von Tier- und Pflanzenarten extensiv zunehmen wird, und Asien dasselbe Schicksal bevorsteht wie Afrika, wenn auch um circa 30 Jahre verschoben.

Diese Entwicklung ist direkt dem Zwang zu Wertwachstum geschuldet, einem Zwang, den in dieser Art nur der Kapitalismus kennt, weil dieser die geldwerte Vermehrung höher bewertet als Menschenleben, ja sogar Leben auf diesem Planeten überhaupt. Vermehrung von Geld als Wirtschaftszweck birgt in sich Unendlichkeit, denn Geld kann man nie genug haben (im Gegensatz zu Gebrauchsgütern wie Brot, Wohnraum, Werkzeug und so fort). Und so verleibt sich dieser künstlich geschaffene Kadaver namens Geld alles ein was noch lebt, nur seiner eigenen strengen Logik folgend, und hinterläßt in seiner gefräßigen Beschleunigung nur Wüste, Elend und Tod – und kann nicht rasten bis der ganze Planet ein blanker Spiegel ist, der dem sterilen Antlitz einer Geldmünze stumm entgegenblickt. Marx hat diese Dynamik so in Worte gefasst:

„Jeder Fortschritt der kapitalistischen Agrikultur ist nicht nur ein Fortschritt in der Kunst, den Arbeiter, sondern zugleich in der Kunst den Boden zu berauben, jeder Fortschritt in Steigerung seiner Fruchtbarkeit für eine gegebene Zeitfrist zugleich ein Fortschritt im Ruin der dauernden Quellen dieser Fruchtbarkeit. Je mehr ein Land, wie die Vereinigten Staaten von Nordamerika z.B., von der großen Industrie als dem Hintergrund seiner Entwicklung ausgeht, desto rascher dieser Zerstörungsprozeß. Die kapitalistische Produktion entwickelt daher nur die Technik und Kombination des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, indem sie zugleich die Springquellen alles Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter.“ (K. Marx, Kapital I, MEW 23, S. 529)

Doch wie schnell genau, und in welchen Zwischenstufen dieser Raubbau voranschreitet, können selbst die Klimaspezialisten nicht genau vorhersagen – nur dass uns unmittelbar ein Umschlagpunkt bevorsteht ab dem es kein Zurück mehr gibt, ein „Point of No Return“. Was lässt sich nun für uns Menschen tun, um die rapide Verschlechterung, ja Vernichtung unserer Lebensgrundlage zu verlangsamen, oder besser noch ganz zu stoppen?

Um diese Frage zu beantworten ist ein Blick darauf nötig, was genau die Erderwärmung und daraus resultierende Umweltzerstörung verursacht. Selbst die NASA, die vermutlich keine Mitarbeiter hat, die sich dem Gedankengut eines libertären Kommunisten nahe fühlen, kennt die Ursachen und benennt sie freimütig: es ist die „menschliche Zivilisation“ unserer heutigen Zeit, die zuviele Abgase aus der Verbrennung fossiler Bodenressourcen unwiederbringlich in die Luft jagt und so die CO2-Konzentration in der Erdatmosphäre unzulässig erhöht. Seit der industriellen Revolution habe sich die CO2-Konzentration um ein Drittel erhöht, heisst es unter der Überschrift „Causes/Ursachen“ auf der Klima-Website der NASA.

Es liegt an der Natur der Dinge oder genauer gesagt an der Natur von Regierungsinstitutionen im Allgemeinen, dass die Ursachenforschung der NASA an dieser Stelle an ihre Grenzen gelangt ist. Doch wir lassen uns nicht entmutigen und aktivieren längst vorhandenes Wissen aus anderen Quellen. Kaum einer hat die sogenannte „industrielle Revolution“ inklusive ihrer Folgen genauer analysiert als der Philosoph und Wissenschaftler Karl Marx in seinem berühmten Werk „Das Kapital“, dessen erster Band um 1867 entstand. Unser derzeitiges Wirtschaftssystem, das den Namen Kapitalismus trägt, beruht auf der Sicherstellung und Aufrechterhaltung der Eigentumsverhältnisse, genauer gesagt der Besitzverhältnisse des Privateigentums. Privat bedeutet, dass Eigentum einem gesellschaftlichen Verhältnis entnommen, geraubt, ist und alle anderen Menschen von der Verwendung dieser Dinge ausgeschlossen sind. Privateigentum, „Eigentum für sich haben“ bedeutet, ausschließlichen Zugriff auf ein Gut, ein Ding, ein Gebrauchsgegenstand, oder Grund und Boden zu haben. Ausschließlich meint, alle anderen Menschen sind von der Verwendung dieser Dinge ausgeschlossen. Es handelt sich um Ausschluss als Prinzip – und nicht um Ausschluss aus „natürlichen Umständen“ wie es zum Beispiel der Fall wäre, wenn ein Gut zu wenig häufig vorhanden wäre (also Mangel daran herrschte), oder wenn dessen Benutzung augenblicklich nur in anderen Händen läge (als temporärer Ausschluss). In einer kapitalistischen Wirtschaftsweise wird dafür gesorgt, dass buchstäblich alles, was Wirtschaften und soziale Beziehungen in einer Gesellschaft ausmacht, jemandem gehört. Wem etwas gehört, der hat darüber alleinige Verfügungsrechte, und alle anderen haben diese nicht. Oder lassen wir Marx dazu selber zu Wort kommen:

„Vom Standpunkt einer höhern ökonomischen Gesellschaftsformation wird das Privateigentum einzelner Individuen am Erdball ganz so abgeschmackt erscheinen wie das Privateigentum eines Menschen an einem andern Menschen. Selbst eine ganze Gesellschaft, eine Nation, ja alle gleichzeitigen Gesellschaften zusammengenommen, sind nicht Eigentümer der Erde. Sie sind nur ihre Besitzer, ihre Nutznießer, und haben sie als boni patres familias den nachfolgenden Generationen verbessert zu hinterlassen.“ (Marx-Engels-Werke Bd. 25, S. 784)

Wer sich etwas in der Geschichte der Menschheit umgesehen hat, weiß, dass ein derartiger zerstörerischer Zustand menschlichen Interagierens und Wirtschaftens historisch neuartig ist. Über Tausende von Jahren hinweg lebten die Menschen in direkter materieller Lebensabhängigkeit von der Umwelt in kooperativen Sozialverbänden und kannten den Eigentumsbegriff gar nicht, denn er war schlicht bedeutungslos. In Gruppen von zumeist circa 30 Personen wurde das Lebensnotwendige gemeinschaftlich herangebracht und gemeinschaftlich konsumiert. Eine derartige Lebensweise war auch unmittelbar notwendig für das Überleben in den jeweiligen Umweltverhältnissen, die ständig Gefahren und Überraschungen bereithielten, seien es Raubtiere oder langanhaltende Kältewellen oder Jagdunfälle. Die ersten Anzeichen von Besitzwahrung zeigten sich erst als der Mensch sesshaft wurde. Doch auch das ganze Mittelalter hindurch und bis weit in die Neuzeit hinein waren Menschen weitgehend in sozialen Verbänden organisiert, die – wo immer ihnen die herrschenden politischen Verhältnisse und jeweiligen Machthaber eine Nische liessen – gemeinschaftlich produzierten und konsumierten und sich gegenseitige Hilfe leisteten. Das Gildensystem im Mittelalter, und die Tatsache, dass Grund und Boden bis ins 19. Jahrhundert hinein als Gemeinschaftseigentum betrachtet wurde, so selbstverständlich wie die Luft zum Atmen, sind nur zwei Beispiele dafür. (Eine ausführliche Faktensammlung und Beschreibung darüber, wie gesellschaftsorientiertes Denken und Handeln unsere sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse durch die Geschichte der Menschheit hindurch prägte, findet sich in Peter Kropotkins Klassiker „Gegenseitige Hilfe in der Tier- und Menschenwelt“, das er 1902 nach langjährigen Forschungsreisen verfasste.)

Der Neurobiologe und Psychologe Joachim Bauer weist in seinem jüngsten Buch „Schmerzgrenze – vom Ursprung alltäglicher und globaler Gewalt“ ausführlich nach, dass wir Menschen evolutionsgeschichtlich gesehen sozial orientiert sind; für unser Überleben war es notwendig, zu kooperieren. Vereinzelung und Isolation bedeutete fast sicher den Tod. Unser Gehirn „belohnt“ uns mit positiven Gefühlen wenn wir in unseren Beziehungen kooperative und fürsorgliche Bindungen eingehen, während Gefühle der Aggression direkt mit unserem Schmerzzentrum verbunden sind. Aggression und Wettbewerbsverhalten sind also zwar als Eigenschaften in uns vorhanden, werden aber sozusagen nur als Notprogramm geäußert.

Wenn Leben in Gemeinschaft und Wirtschaften in Gesellschaftseigentum für die Spezies Mensch ein derartig natürliches Konzept ist, das jedem Säugling sozusagen als Erbgut von der Evolution in die Wiege gelegt wurde, muss es einen Grund geben, warum wir nun seit wenigen hundert Jahren in einer neuartigen Wirtschaftsweise leben, die dem Bewusstsein eines menschlichen Gemeinwesens diametral entgegengesetzt funktioniert. Wenn wir festhalten, dass Menschen – sofern man sie in Ruhe lässt – dazu neigen miteinander zu teilen und sich gegenseitig zu helfen, dann muss es irgendetwas geben, was sie davon abhält, es im Alltag auch heute noch zu tun.

Und in der Tat, es gibt etwas, das sie davon abhält: das ist eine Wirtschaftsweise, die mithilfe ihres staatsbürgerlichen Rechtssystems gewaltsam jeden Einzelnen gleich und „ge-recht“ auf sein persönliches Eigentum verpflichtet, und alle Mitglieder der Gesellschaft ungeachtet ihrer persönlichen Herkunft und Lebensumstände alternativlos in einen wirtschaftlichen und sozialen Umgang zwingt, in dem Dinge nur gegen Geld zu haben sind. Geld ist somit der sichtbare Ausdruck eines vom Staat erzwungenen Gewaltverhältnisses, das für alle Menschen dieses Staatswesens den Zugang zu allen Dingen regelt. Man hat nur dann Zugang zu etwas oder Zugriff auf etwas, wofür man mit Geld bezahlt. Also bedeutet Geld immer, dass das Geld, das einer hat, zwangsläufig ein anderer nicht hat, der Zugang den einer zu einem Gut hat, dem anderen verwehrt wird.

An Geld kommt man aber in der Regel nur durch zwei Möglichkeiten ran: entweder hat man es sich durch ein Privatrecht der gesellschaftlichen Macht angeeignet, oder man verdient es sich durch Lohnarbeit. Geld ist somit also auch Ausdruck eines Gewaltverhältnisses, in dem Menschen durch ihr existenzielles Angewiesensein auf es massenhaft in Lohnarbeit gezwungen werden. Lohnarbeit „lohnt“ sich aber nur, wenn sie sich für den lohnt, der arbeiten lässt. Das wiederum können nur die Menschen, die ausschliesslichen Zugang zu den Produktionsmitteln der Gesellschaft haben, heisst, die privates Eigentum an den Produktionsmitteln haben, sowie auch automatisch ein Eigentum an den Dingen die mit diesen Produktionsmitteln hergestellt worden sind. Die Lohnarbeiter werden für ihre Arbeit mit Geld entlohnt, mit dem sie sich dann die Güter kaufen müssen, die sie zuvor selbst produziert haben. Auf diese Weise bleiben sie dauerhaft getrennt von der Möglichkeit, selbstbestimmt und bedarfsorientiert zu wirtschaften. Gleichzeitig bleiben sie auch dauerhaft in diesem Abhängigkeitsverhältnis systematisch gefangen, ihr Leben, ja ihr Überleben, hängt davon ab, ob sie als Lohnarbeiter überhaupt gebraucht werden. In unserer heutigen Wirtschaftsform ist das Getrenntsein von den Gebrauchsgütern und Lebensmitteln durch den Akt der Geldverwendung derart gründlich und bis in den letzten Winkel durchgesetzt, dass es als etwas quasi Natürliches erscheint, wenn jemand vor einer vollen Schaufensterauslage verhungert, einfach nur weil er kein Geld hat.

Führen wir die Fäden zusammen: wir haben auf der einen Seite eine massive voranschreitende Umweltzerstörung, die in absehbarer Zeit unseren Planeten unbewohnbar machen wird, und von einem Wirtschaftssystem verursacht wird, das buchstäblich vom Raubbau an Mensch und Natur lebt, ja das nur weiterleben kann, wenn es diesen Raubbau weiter und schneller vorantreibt, weil „Wirtschaftswachstum“ durch „Mehrwert“ seine Grundprinzipien sind, ohne die es nicht existieren kann.

Auf der anderen Seite haben wir den Menschen, für den es aus evolutionärer Sicht in mehr als 90% seiner Daseinsgeschichte natürlich war, in Gemeinschaft zu leben, zu handeln, zu organisieren, zu debattieren, zu produzieren, zu konsumieren, zu feiern, und kulturell tätig zu sein. Heute leben wir Menschen in einem Wirtschaftssystem, das die übergroße Menge von uns in zunehmend unerträgliche Armut, Leid, Krieg und Entbehrungen stürzt, nicht zu reden von emotionaler, sozialer und kultureller Armut, Isolierung und Entfremdung, während gleichzeitig ein winziger Prozentsatz von uns von diesem Zustand materiell profitiert. Wir benehmen uns wie eine riesige Herde mutierter demütiger Schafe, die sich selbstlos immer wieder an eine gigantische Monsterzecke schmiegt, sich von ihr Blut abzapfen lässt und sich in der Stunde ihres Todes bei ihrem Mörder auch noch für ihr Dahinscheiden entschuldigt. Mutierte Schafe, weil sie ihr Gefühl für das Miteinander in der Herde verloren haben, weil jedes Schaf in einer eigenen Glasmurmel haust, durch deren gebogenes Glas es die anderen Schafe nur farblich entstellt und verzerrt als ferne Schemen wahrnimmt. Das kalte sterile Dahinvegetieren in diesen Glasmurmeln unserer eigenen Egos erscheint uns schon so selbstverständlich, dass wir lieber zwei Wollpullover anziehen um weniger zu frösteln, als ein für alle Mal die Scheinsicherheit unserer Murmelbehausungen zu verlassen und die Wärme zu genießen, die wie von selbst im Miteinander, im Teilen, im gemeinschaftlichen Leben und Arbeiten und gegenseitiger Hilfe entsteht.

Wenn jemand heute sagt „ich lebe in einer Kommune“ erregt er oder sie häufig Aufsehen. Kommunen als freiwilliger Zusammenschluss von Menschen, die sich bewusst für ein „Miteinander“ statt dem üblichen Gegeneinander im Alltag entscheiden, sind eine winzige Minderheit in der erdrückenden Flut der sich selbst isolierenden Ein- und Zwei-Personen- Haushalte, und der klassischen Kleinfamilien. Das zeigt aber nur, wie weit und tief die zerstörerischen Kräfte der jetzigen Wirtschaftsweise unser Alltagsleben prägt; es zeigt nicht, welches Potential Kommunen als Lebensform haben könnten, und welche Rolle sie für eine Rückkehr in eine nachhaltige umweltfreundliche Lebens- und Wirtschaftsweise spielen könnten.

Mit „Kommune“ ist in diesem Kontext nicht so sehr die Wohngemeinschaft einiger privater Individuen gemeint – obwohl diese, vor allem bei entsprechender politischer Einstellung durchaus wertvolle Stützpunkte und kreative Kraft im globalen Kommunen-Netzwerk sein können. Vielmehr sollten wir beginnen, den Begriff „Kommune“ weitläufiger zu denken, denn er war ursprünglich der Begriff für ein Gemeinwesen, einem unmittelbar menschlichen Lebenszusammenhang, der nicht nur ihren Lebensverhältnissen entspricht sondern auch Form ihres Wirtschaftens und ihrer gesellschaftlichen Fortbildung und Entwicklung war. Besinnen wir uns zurück auf das was wir als biologische Wesen ganz schlicht materiell zum Leben benötigen – Nahrung, Kleidung, Wärme, Behausung, Fürsorge. Das Treiben, das Menschen veranstalten, um diese materiellen Grundlagen inklusive darüberhinausreichende Annehmlichkeiten zu sichern, nennen wir Wirtschaft. Eine Kommune sollte demnach ein System bilden, in dem diese materiellen Grundlagen von allen ihren Mitgliedern für alle ihre Mitglieder geschaffen und erhalten werden, und zwar auf eine Art und Weise, die die Umwelt bewusst und aktiv als ein zu schützendes Gut mit einbezieht. Somit benötigt eine Kommune Zugang zu Produktionsmitteln, zu Grund und Boden, zu Rohstoffen, und zu Infrastruktur, und braucht eine entsprechende Menge an Menschen, um die anfallende Arbeit gleichberechtigt und bedarfsorientiert bei größtmöglichem Erhalt von Zeit zu freier Gestaltung und für soziale Kontakte erledigen zu können. Das könnte zum Beispiel ein Dorf oder eine Stadt leisten, idealerweise in enger Zusammenarbeit mit dem direkten Umland. Der soziale und wirtschaftliche Rahmen einer Kommune gewährt ihren Mitgliedern Schutz und Beständigkeit. Doch gleicht dieser Rahmen keineswegs der Wand einer Glasmurmel – ganz im Gegenteil. Vielmehr einem großen elastischen Netz, dessen Knotenpunkte die Kommunarden und Kommunardinnen in bewusstem Miteinander, Solidarität und Ausübung gegenseitiger Hilfe bilden, und das durchlässig ist für ein reges Hin und Her in Kommunikation und Geben und Nehmen mit anderen Kommunen.

Kommunen könnten aufgrund ihrer Umkehrung des Privateigentums in Gesellschaftseigentum das Potenzial haben, der Monsterzecke unser Blut zu verweigern bis sie Aussehen und Gefährlichkeit einer schrumpeligen getrockneten Rosine erreicht hat. Denn wenn es klar ist, dass die derzeitige Wirtschaftsweise unsere Lebensgrundlage auf diesem Planeten zerstört, liegt die Lösung nahe: wir müssen ihr Fortbestehen verhindern. Wenn es klar ist, dass ein Weiterleben auf dem Planeten Erde nur möglich ist, wenn wir Wege finden, wie wir alle gut leben können, während gleichzeitig die Umwelt nicht zerstört wird, und uns zum Beispiel zurückbesinnen auf unsere Menschheitsgeschichte, wo Leben in Gesellschaftseigentum für Tausende von Jahren „Erfolg“ hatte – dann bilden Kommunen sozusagen die Keimform oder kleinste Einheit in einer solchen „Rück- Besinnung“ und konkrete Umsetzung in die Praxis einer umweltgerechten Lebensweise. Kommunen sind somit ausgezeichnete Experimentierfelder, um zurückzuerobern was der Kapitalismus uns systematisch verwehrt: Denken, Planen, Produzieren und Konsumieren in Gemeinschaft. Ebenso lässt sich hier das Prinzip der Gegenseitigen Hilfe im Kropotkinschen Sinne üben und ausüben, sowie eine Einstellung den Mitmenschen und allen Lebewesen gegenüber, die von echter Empathie getragen ist.

Ein amerikanischer Blogger hat die Notwendigkeit zu einer derartigen Geisteshaltung sehr schön auf den Punkt gebracht: er geht darauf ein, dass alle Lebewesen auf dieser Erde durch die materielle Realität unserer Umwelt, der energiespendenden Sonne und des Kosmos miteinander verwoben sind, also ein System bilden, in dem wir alle von einander abhängig und bezüglich unserer Lebensbedingungen aufeinander angewiesen sind, und schliesst dann diese Erkenntnis an: „I also recognize that I cannot possibly be healthy unless all people – all beings – are healthy. It would be like saying “I’m healthy, but my liver has cancer.” („Ich kann mich unmöglich als gesund betrachten, solange nicht alle Menschen, alle Lebewesen, gesund sind. Das wäre so, als würde ich sagen: Ich bin gesund, nur meine Leber hat Krebs.“).

Die jetzige Wirtschaftsweise hat auf dem gesamten Erdball auch ideologisch ihre zerstörerischen Spuren hinterlassen, und erschreckend viele Menschen leben in dem Glauben, dass es „ohne Geld nicht geht“, dass es „ohne Staaten nicht geht“ und dass „alles viel zu kompliziert“ ist, um die Ist Kommunales Leben eines Notwendigkeit oder nur eine Option (31.8.2012) Seite 7 von 14 zunehmende Verelendung und Ausbeutung von Mensch und Natur verstehen, geschweige denn verändern zu können.

Doch was hier und heute vor sich geht, ist zwar eine Naturkatastrophe (in dem Sinne da die Natur systematisch ruiniert wird) aber keine Naturkatastrophe in dem Sinne, dass „der Mensch nicht anders kann“. Diese Katastrophe ist menschengemacht, und kann somit auch – vielleicht, wenn wir schnell und resolut genug handeln – auch noch abgefangen werden.

Wenn wir dies einsehen, liegt ein Haufen Arbeit vor uns. Denn es ist weder möglich, ein neues System so einfach aus dem Boden zu stampfen, noch, das alte System einfach hinter uns zu lassen. Wir stecken sozusagen in einem Sumpf, aus dem wir uns Stück für Stück herausarbeiten müssen, und das am besten methodisch und systematisch, denn Fehler können wir uns nicht mehr leisten. Es gilt nun, das was wir haben als gegeben zu respektieren, und es als Ausgangsmaterial für etwas Neues zu verwenden – es steht eine Art Recycling in großem Maßstab an, ein gewaltiges Recycling- Projekt, bzw. genauer gesagt, ein gewaltiges Up-Cycling-Projekt – aus alten Teilen etwas Neues von höherer Qualität erschaffen – das wir nur kollektiv bewältigen können: ohne Formen der Machtund Gewaltausübung, ohne Auschluss von Menschen an Produktionsmitteln und Produkten. Jetzt heisst es sich zusammenschließen, sich organisieren, gemeinsam kreativ werden, Synergien schaffen, vorhandene Technologie weiterentwickeln und Neues erfinden wo nötig.

Und dabei ist immer im Blick zu behalten, dass „das Neue“ das wir schaffen, wiederum ein System bildet: ein System, in dem alle Komponenten – Menschen, Tiere und Pflanzen, Technologie, Produktion, Reproduktion, Natur, Geisteshaltung, soziale Umgangsformen und gesellschaftliche Regeln – voneinander positiv abhängen, aufeinander abgestimmt sind, sich gegenseitig stützen und nähren, ein System, das sich folglich selbst erhält, und das zugleich dynamisch ist, also fähig ist, sich an Veränderungen unserer umweltbezogenen Rahmenbedingungen anzupassen.

Wenn wir diesen Weg einschlagen wollen, sollten wir uns den Schwachpunkten unseres „Drachen“, den es zu bekämpfen gilt, zuwenden: Wenn ein Prinzip des Kapitalismus es ist uns zu vereinzeln, schwächen wir ihn wenn wir uns zusammentun – wir setzen ihm das Prinzip der Solidarität und Gegenseitigen Hilfe entgegen. Wenn ein Prinzip des Kapitalismus es ist, das Privateigentum über alles zu stellen, schwächen wir ihn, wenn wir möglichst viele unserer Dinge in Gesellschaftseigentum überführen – wir setzen ihm das Prinzip des Teilens und der gemeinschaftlichen Teilhabe entgegen.

Wenn ein Prinzip des Kapitalismus es ist, uns unsere materielle Überlebensgrundlage (Essen, Wohnen, Kleidung, Energie) zu entziehen, sobald wir dessen Dienste nicht mit Geld bezahlen können, schwächen wir ihn, wenn wir Mittel und Wege finden, uns unabhängig zu ernähren und zu versorgen – wir setzen ihm unsere Phantasie, unsere Tatkraft und Erfindungsgeist entgegen, zum Beispiel indem wir in großem Maßstab selbstorganisiert Lebensmittel gemeinsam anbauen und miteinander teilen (natürlich geldfrei), Möglichkeiten der dezentralen Energieversorgung erforschen (auch im Selbstbau) und umweltgerechte Wohnformen erforschen (zum Beispiel earthships).

Hier spielen Kommunen eine entscheidende Rolle: sie sind ein physikalischer Ort, an dem mit Gleichgesinnten Neues erforscht, erprobt und geschaffen werden kann. Sie dienen als praktisches, lebendiges Vorbild für die Tatsache, dass gemeinschaftliches Wirtschaften funktionieren kann, dass der Mensch nicht „des Menschen Wolf“ ist, und dass man Erstaunliches leisten kann, wenn man zusammenhilft anstatt gegeneinander „im Wettbewerb“ zu arbeiten. Zudem haben sie enormes Potential, wenn sie sich systematisch untereinander vernetzen, und so das Bewusstsein eines Gemeinwesens von der lokalen Keimform in ein globales Bewusstsein überführen – und all dies nicht nur theoretisch, sondern ganz materiell und in praktischen Taten und Aktionen.

In den letzten Monaten sind eine ganze Menge von neuen Bewegungen, Initiativen und Projekten in allen möglichen Ländern rund um den Globus aus dem Boden geschossen, die Potenzial für relevante gesellschaftliche Veränderungen haben könnten. Sie könnten deshalb Potenzial haben, weil sie unüberhörbar dafür eintreten, dass die herrschenden Machtstrukturen aufzulösen sind, dass Land und Produktionsmittel in Gesellschaftseigentum zu überführen sind, und dass es gilt eine neue Wirtschaftsordnung aufzubauen, die sich an den Bedürfnissen der Menschen orientiert und Ungleichheit im Sinne von arm und reich zwischen ihnen abschafft. Ein paar der interessantesten sollen hier erwähnt werden, wobei die Reihenfolge hier nichts über ihre Relevanz aussagen soll. Im folgenden werden demnach besprochen: Transition Town Movements, Right to the City Movement (oder auch Recht auf Stadt), Aktionen zur Rückeroberungen von öffentlichen Flächen, das Kommunennetzwerk Longo mai, geldfreie Gemeinschaftsgärten, Intentional Communes, das Zeitgeist Movement und die Initiative Deep Green Resistance.

Jede einzelne dieser Initiativen ist es wert und lieferte genügend Stoff, um in einer eigenen Sendung oder einem eigenen Artikel besprochen zu werden. Doch an dieser Stelle erlaubt uns der gegebene Rahmen nur kurze und recht allgemein gehaltene Beschreibungen derselben. Hier ist das Ziel, neugierig zu machen und zu eigenen weiterführenden Recherchen einzuladen. Im Quellenverzeichnis (sofern dieser Artikel im Internet veröffentlich ist) sind zudem zahlreiche Weblinks aufgelistet.

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Transition Town Bewegungen

sprießen seit circa 2006 weltweit wie Pilze überall aus dem Boden. Ihr Grundgedanke ist es angesichts von Peak Oil und der drohenden Umweltveränderungen eigeninitiativ tätig zu werden, da sie sich von der Politik keine Hilfe erwarten. In Transition Towns organisieren sich die Einwohner in freien Gruppen, die sich in allen möglichen wirtschaftlichen und sozialen Aspekten um Nachhaltigkeit bemühen. Ziel ist es dabei möglichst effizient und resilient zu werden und eine Art sich selbst erhaltendes, natürliches Ökosystem zu bilden. Ein Kernpunkt ist dabei der Gemeinschaftsgedanke: denn durch Zusammenhelfen, miteinander Teilen und bedarfsorientierte Produktion kann der Verbrauch vorhandener Resourcen an Energie, Boden, Maschinen, Werkzeugen, und auch Wissen ideal feingesteuert werden, so dass möglichst keine Verschwendung mehr stattfindet. Klassische Beispiele solcher Aktivitäten sind gemeinschaftlicher Gemüseanbau nach den Prinzipien der Permakultur, generationenübergreifende Treffen zum gezielten gegenseitigen Austausch und Vermitteln individueller Kenntnisse, Recycling und Upcycling, gemeinschaftliches Betreiben von Werkstätten und Gemeinschaftsküchen, und auch Eigenbau von Energielieferanten, wie zum Beispiel in Bielefeld der Savonius-Rotor.

Eines der berühmtesten Beispiele für eine Transition Town ist die englische Stadt Totnes, in der weitläufig an öffentlichen Flächen Gemüse angebaut wird, das die Einwohner füreinander und miteinander kostenlos pflanzen, pflegen und ernten. In nur wenigen Jahren haben sich dort ausserdem unzählige Projektgruppen gebildet, die sich um Ernährung, Energie, Gesundheit, Transport, Hausbau, Erziehung und vieles mehr kümmern, so dass es dort den Anschein hat als wären bereits alle 8000 Einwohner von Totnes aktive Transition Aktivisten.

In Transition Towns, in denen sich alles ums Teilen, gegenseitige Hilfe und effizientes und nachhaltiges Nutzen von Energie und Resourcen dreht, verändert sich auch das soziale Leben im Alltag: Nachbarn lernen sich kennen, Freundschaften und Kooperationen entstehen, und das Wissen jedes Einzelnen trägt bei zu einem mächtigen und flexiblen Ganzen – und bildet eine Gemeinschaft, von der jeder einzelne hundertfach wiederprofitiert.

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Das Right to the City Movemen oder auch Recht auf Stadt genannt,

ist etwas kämpferischerer Natur als die Transition Town Movements. Mit dem Ansatz „Die Stadt gehört allen“ setzen sich hier Aktivisten ein für bezahlbaren Wohnraum, gegen Gentrifizierung und Luxus-Bauprojekte und für eine Infrastruktur, die das soziale Leben fördert anstatt es zu isolieren.

Der Begriff „Recht auf Stadt“ geht auf den französischen Philosophen und Marxisten Henri Lefebvre zurück, der 1901 bis 1991 lebte. In seinem gleichnamigen Buch „Le droit à la ville“ von 1967 schreibt er: „Das Recht auf die Stadt äußert sich als eine höhere Form von Rechten: Recht auf Freiheit, auf Individualisierung in der Vergesellschaftung, auf Wohnraum und Wohnen. Im Recht auf die Stadt sind eingeschlossen das Recht auf das Werk (auf eine teilhabende Aktivität) und das Recht auf Aneignung (wohlunterschieden vom Recht auf Privateigentum).“ Die Recht-auf-Stadt Aktivisten, die vor allem in Hamburg sehr aktiv sind, betonen den politischen Charakter der Initiative indem sie daran erinnern, dass das Recht auf Stadt (Zitat Lefebvre): „für die Arbeiterklasse zugleich einen Zweck und ein Ziel, einen Weg und einen Horizont“ (Zitat Ende) repräsentiert. Heutige Städte und heutige Stadtplanung spiegeln die Warenlogik des Kapitalismus wider, dienen der kalten Effizienz zur Vermehrung von Profit und spalten mit gleißender Unbarmherzigkeit Arm von Reich, überall sichtbar in Form von prunkglänzenden Firmen- und Bankgebäuden sowie trostlosen Hochhaussilos in Kaninchenbauweise, deren beider Formen an die zeitlose Schönheit eines Geldscheins erinnern. Breitspurige Straßen optimieren den Warentransport und durchschneiden Parks und Plätze, denen es an sozialen Treffpunkten mangelt. So wie der Mensch zum reinen Käufer degradiert wird und systematisch von seinen Mitteln zur Bedürfnisbefriedigung getrennt ist, so trennt auch die Bauweise der Städte den Menschen von seinem Nachbarn, trennt ihn von der Natur, ja trennt ihn sogar von sich selbst. Gegen all dieses kämpft die Bewegung Recht auf Stadt mit regelmäßig organisierten Paraden, Workshops, Demonstrationen, und Besetzungen.

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In Italien, Frankreich, Österreich und Spanien häufen sich Nachrichten von Initiativen besonderer Art – der organisierten Besetzung von entweder städtischen Gemeinschaftsflächen oder gleich ganzen landwirtschaftlichen Gebieten.

So riefen in der französischen Stadt Rennes die Bürger in einer Aktion „Alle auf die Wiesen!“ auf, um ihre Schrebergärten vor der Umwandlung in Betonwüsten in Form von Kaufhausparkplätzen zu retten. Zitat aus ihrem Aufruf:

„Wir könnten mit dieser Inbesitznahme versuchen, eine Eigenständigkeit in der Ernährung, im Gegensatz zur kapitalistischen Produktions- und Verteilungsweise, zu entwickeln. Bei diesem materiellen Unabhängigkeitsbestreben dürfen wir jedoch nicht vergessen, dass wir eine kämpferische Gemeinschaft sind, die sich in öffentliche Angelegenheiten einmischt und das, was sie an Missständen ans Licht bringt, zu verbessern sucht. Diese Aneignung der Wiesen ist also auch an die Notwendigkeit gebunden, Möglichkeiten für eine vom Kapitalismus unabhängige Produktionsweise und Konsumierungsart in der Stadt zu erschließen. Je weniger direkt wir mit unserer Umwelt und deren Lebensquellen verbunden sind, desto abhängiger werden wir von den äußeren Strukturen, die uns kontrollieren. Dieser Kampf ist eine Gelegenheit, nach und nach dem Landschaftsgestaltungsprojekt der Gemeinde und der Entfremdung von unserer Umwelt und ihren Subsistenzmöglichkeiten entgegen zu wirken.“

Von direkt existenzieller Bedeutung sind die Besetzungen von brachliegenden landwirtschaftlichen Farmen in Spanien, die als historisches Erbe der Großgrundbesitzer heute noch ein trauriges Bild dafür abgeben, wie Grund und Boden abstrakter Geldvermehrung zuliebe unbewirtschaftet bleibt, während daneben ganze Familien ohne Zugang zu landwirtschaftlicher Fläche ein Leben in äußerster Armut fristen. In Andalusien haben sich im März 2012 hunderte von Landarbeiter/innen zusammengeschlossen und eine 400 Hektar große Finca in der Nähe von Cordoba besetzt und sofort aktiv mit Lebensmittelanbau begonnen. Selbstverständlich ist diese Aktion ständig von Räumung mittels polizeilicher Gewalt bedroht; doch schon der pure Kampf um das nackte Überleben lässt den Besetzern keine Handlungsalternative. Im August 2012 folgten Arbeiter/innen in Sevilla diesem Beispiel.

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Völlig frei von Kampf, doch leider auch oft von politischem Bewusstsein, rückt die Idee von Gemeinschaftsgärten an vielen Orten ins Bild.

Sie werden nur deshalb hier kurz erwähnt, weil die Art und Weise in der sie betrieben werden ein aktuelles und anschauliches Beispiel dafür ist, dass Kooperation und gegenseitige Hilfe nicht nur im Alltag funktionieren und tatsächlich gelebt werden können, sondern auch umfassend gute Auswirkungen für die Betreiber und ihre soziale und körperliche Gesundheit haben. Zudem funktionieren sie völlig geldfrei.

Zwei Beispiele aus Amerika demonstrieren dies, das sind die „Sharing Gardens“ im Staat Oregon, und „The Free Farm“ mitten in San Francisco. Auf Flächen die von spendablen Privatpersonen ohne eigene gärtnerische Ambitionen zur Bewirtschaftung zur Verfügung gestellt wurden, oder auch von Institutionen wie die Kirche, bauen ackerliebende Gleichgesinnte gemeinsam Lebensmittel „von allen für alle“ an. Niemand verdient damit Geld, alle arbeiten ehrenamtlich. Und niemand zahlt für irgendetwas Geld: jeder darf kommen und für den Eigenbedarf ernten. Nicht einmal Arbeitsgeräte oder benötigte Materialien müssen gekauft werden – zahlreich finden sich Spender ein, um das Projekt aktiv zu unterstützen. Sich persönlich mit Idee, Gaben, Tatkraft und Zeit für eine gemeinsame Sache einzusetzen befreit einen nicht nur vom Zwang Geld haben zu müssen sondern erzeugt vor allem auch eine tiefere Zufriedenheit in den Beteiligten als ein Kaufakt in den sterilen Welten der Shopping Malls – ganz zu schweigen von den sozialen Kontakten die sich beim gemeinschaftlichen Gärtnern ergeben!

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Longo mai nennt sich ein Netzwerk von rund zehn Kooperativen, das in den 70er Jahren entstand.

Die einzelnen Kooperativen sind quer durch Europa verstreut (und haben sogar eine Dépendance in Costa Rica). Jede Kooperative besteht aus einem landwirtschaftlichen und/oder handwerklichem Betrieb, der selbstverwaltet geführt wird. Untereinander werden kollektive Formen des Zusammenlebens erprobt. Beschlüsse werden im Konsens gefasst. Geld wird untereinander nicht verwendet. Lohnarbeit ist tabu – alle arbeiten direkt für die Gemeinschaft. Die Kooperativen versorgen sich untereinander mit ihren jeweiligen Produkten und sind bezüglich ihrer Lebensmittelversorgung weitgehend autark. Daneben haben sie auch politischen Anspruch: sie leben vor wie man durch Kooperation und Solidarität umweltschonend leben und arbeiten kann, und die Gemeinschaft das Leben von jedem einzelnen bereichert. Ihren Anspruch an gelebte Solidarität beweisen sie Jahr für Jahr mit zahlreichen politischen Aktionen, wie zum Beispiel die Unterbringung von Flüchtlingen oder Proteste zur Verhinderung von für schädlich befundene Gesetze. Inwieweit die Longo mai Kommune für die Überwindung des Kapitalismus konkret eine Rolle spielen kann ist schwer zu sagen. Das Ausmaß des politischen Bewusstseins einer jeden einzelnen Kooperative ist geprägt von den Menschen, die dort jeweils zusammenleben. Und das mag von Ort zu Ort recht unterschiedlich ausfallen. Das ausgezeichnet gepflegte Netzwerk und die enge gelebte Solidarität zwischen den Kooperativen ist auf jeden Fall nachahmenswert, wenn wir uns auf den Weg in eine andere Gesellschaft und Wirtschaftsform machen wollen.

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Intentional Communes

werden in Nord-Amerika WG-artige Zusammenschlüsse von Menschen genannt, die dem jetzigen Wirtschaftssystem den Rücken zu kehren versuchen. Einige davon machen sich zumindest in sozialer Hinsicht schon mal auf den richtigen Weg und üben, ähnlich wie die Kommune Longo mai, ein geldfreies Miteinander in Gleichberechtigung, gegenseitiger Achtung, gewaltfreier Kommunikation und einem zumeist landwirtschaftlich betonten Leben, das auch der Umwelt den nötigen Respekt entgegenbringt.

Natürlich reicht dies keineswegs aus, um auch nur im entferntesten der jetzigen Wirtschaftsweise ans Bein zu pinkeln. Im schlimmsten Fall sogar im Gegenteil – durch Empathie, Wärme und Geborgenheit, die diese Lebenszusammenschlüsse in der Regel ihren Mitgliedern bieten, werden sie seltener zum Sozialfall, werden seltener psychisch oder physisch krank, so dass sie, wie man so sagt, „dem Staat nicht auf der Tasche liegen“. Und so ist die Gefahr groß, dass Gemeinschaftsgärten, Kooperativen und Intentional Communes den momentanen Verhältnissen sogar aktiv zuarbeiten. Und doch haben diese Initiativen theoretisch ein Potenzial: würden sie sich global und möglichst zeitgleich den aktuellen transformatorischen Prozessen anschließen, die jüngst immer wieder unter dem Namen „Occupy Movement“ hochkochen, könnten sie interessante Stützpunkte zur solidarischen Versorgung hinsichtlich Nahrung, Unterkunft und Kommunikationsinfrastruktur sein.

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Das Zeitgeist Movement

hat in ein paar eindrucksvollen Filmen, Texten und Interviews gute Argumente zur Abschaffung des derzeitigen Wirtschaftssystems zusammengetragen. Anhänger dieser äußerst medienaktiven Bewegung sind über die gesamte Welt verstreut. Zahlreiche Vorträge und Versammlungen finden laufend in allen möglichen Ländern statt. Grundgedanke ist, dass wir heute die technischen Möglichkeiten haben, jeden Menschen nach seinen Bedürfnissen und in Einklang mit der Umwelt langfristig und nachhaltig gut zu versorgen. Im großen und ganzen sind die Argumente der Zeitgeist-Aktivisten richtig und es lohnt sich in jedem Fall ihre Filme „Zeitgeist Addendum“ und „Moving Forward“ anzusehen. Leider bleibt eine korrekte Erklärung des Geldes auf der Strecke – der allumfassende Schaden jedoch, den das Geld anrichtet, wird hervorragend beschrieben. Kritisiert wird Zeitgeist oft hinsichtlich ihrer fertig ausgearbeiteten Entwürfe für Funktion und Design der zukünftigen Städte – zum einen sind die steril wirkenden symmetrisch ziselierten Modelle nicht eines jeden Geschmack – was aber wohl der größere Kritikpunkt ist: sollten die Wohnorte unserer Zukunft nicht von uns allen gleichberechtigt geplant, entworfen und gebaut werden? Die Ausformung der fertigen Zeitgeist-Idee mag einem da leicht als gefährliche Bevormundung ins Auge stechen, vor allem wenn man erkannt hat wie sich ein gelebtes Konsens- Prinzip als Entscheidungsorgan positiv auf Zusammenhalt und Zufriedenheit einer Gesellschaft auswirkt. Dennoch – die Filme bieten einen wahrhaft reichen Fundus an Fakten und guten Argumenten. Mögen sie noch viele Menschen zum Nachdenken bewegen!

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Die vielleicht aktivste Initiative zur Überwindung unseres jetzigen Wirtschaftssystems könnte Deep Green Resistance sein, vertreten durch die Umweltaktivisten Derrick Jensen, Lierre Keith und Aric McBay.

Diese Initiative geht von der aktuellen täglich stattfindenden und sich ständig beschleunigenden Vernichtung von Lebensraum aus und ruft zu umgehendem Widerstand auf. In zahlreichen Büchern und Vorträgen, die man im Internet in youtube ansehen kann, appellieren sie an die Vernunft und auch an die Empathie und Liebe in uns allen, die wir für die Menschen, Tiere und Pflanzen empfinden, und für die wir alle von ganzem Herzen kämpfen sollten. Schliesslich ist diese Welt einzigartig – und ohne sie ein Überleben nicht möglich.

Die hier aufgezählten Initiativen sind nur ein Bruchteil derzeitiger weltweiter Bestrebungen. Und ständig tauchen weitere auf – überall versuchen Menschen sich der Frage zu stellen, wie es denn anders gehen könnte, wie ein gemeinsames Wirtschaften und gutes Leben für alle denn aussehen könnte. Worin denn nun letztlich das Geheimnis für einen Erfolg in der Umstellung auf ein neues System liegen könnte? Heute, in einer Zeit, in der alle Umbruchsversuche aussehen wie ein gigantisches globales und bisweilen chaotisches Brainstorming – worin könnte eine mögliche Synthese liegen?

Eine Synthese, die uns als Menschen wieder zurückbringt zu uns selbst. Eine Synthese, die Einsamkeit, Entfremdung, Verrohung und Gewalt aus unserem Alltag streicht, bis wir uns an sie nur noch verwundert erinnern wie an einen Traum aus längst vergangener Zeit. Die uns unser Leben wieder in die eigene Hand nehmen lässt. Die uns heilen lässt von unseren körperlichen und seelischen Schmerzen. Die uns allen erlaubt, an den Arbeitsprozessen für die Gemeinschaft nach unseren individuellen Fähigkeiten teilzunehmen. Die unsere Ohnmacht in Macht verwandelt – nicht in eine Macht, die sich gegen etwas oder gegen jemanden richtet, sondern in eine positive Kraft, die jeder von uns in sich trägt, und aus der die ganze Gemeinschaft kreativ schöpfen kann. Eine Kraft, die dann entsteht, wenn wir uns wieder fühlen können. Die uns unsere Wahrnehmung füreinander zurückgibt, die Zeit bedeutungslos macht, die einfach ist wo sie gebraucht wird: bei unseren Kindern, unseren Freunden, den Hilfsbedürftigen in unserer Kommune und bei uns selbst. Vielleicht haben wir begonnen eine Fuge von Bach zu spielen, eine Fuge, die sich aus einem gegebenen Thema kompliziert verzweigt, gelegentlich ein Zwischenspiel erforscht, um zuletzt mit einem pulsierenden Orgelpunkt die Vollendung des Musikstücks anzukündigen. Hier kommt es vor allem darauf an, dass wir alle gut zusammenspielen, und jede Stimme ihren Platz findet und auch zu Wort kommt – wie ein gewaltiges allumspannendes Musikinstrument, das durch Sonne und Wind, Wasser und Erde zum Klingen gebracht wird, und das nur dann perfekt klingen kann, wenn alle seine Bestandteile frei und gleich mitschwingen können.


Dank: Wolfram, Eckart, Konrad, Markus und Behrouz für Kommentare und Ergänzungen.

Quellen:

[1] „Global Warming’s Terrifying New Math“ von Bill McKibben (Rolling Stone Politics, 19.7.2012, http://www.rollingstone.com/politics/news/global-warmingsterrifying- new-math-20120719
[2] „Endgame“, Vortrag von Derrick Jensen über den Inhalt seines gleichnamigen Buchs: Endgame, Volume 1: The Problem of Civilization, Seven Stories Press https://www.youtube.com/watch?v=mtuxHVD4Srw
[3] Deep Green Resistance – Strategy to Save the Planet (Vortrag in 7 Teilen von Lierre Keith und Aric McBay) (2011) http://www.youtube.com/watch?v=4s7xwjC1BXM&feature=relmfu http://www.orionmagazine.org/index.php/articles/article/170/ http://deepgreenresistance.org/
[4] The Paris Commune (1871), Artikel von Peter Kropotkin, Juni 1880 (! ja, leider kein Schreibfehler)
[5] Website „Global Climate Change“ der NASA, http://climate.nasa.gov
[6] Website libcom.org – „a resource for all people who wish to fight to improve their lives, their communities and their working conditions.“
[7] „Gegenseitige Hilfe in der Tier- und Menschenwelt“, Peter Kropotkin (1902), Alibri 2011
[8] „Das Kapital“, Band 1 (Karl Marx), MEW 23
[9] „Life, the Universe, and Everything“, Blog von Sam Smith, http://www.thesymbiosisproject.org/blog/
[10] „Somebody That I Used to Know“, Song der Band „Walk Off the Earth“ http://www.youtube.com/watch?v=x2YHgKfsdX8
[11] „Schmerzgrenze – Vom Ursprung alltäglicher und globaler Gewalt“, Joachim Bauer http://www.youtube.com/watch?v=PyLeglWf13k
[12] Transition Twon Movements http://www.transition-initiativen.de/ http://www.transitionnetwork.org/ http://www.transitiontowntotnes.org/
[13] Recht auf Stadt / Right to the City Movement http://www.rechtaufstadt.net/ Ist Kommunales Leben eines Notwendigkeit oder nur eine Option (31.8.2012) Seite 14 von 14 http://wiki.rechtaufstadt.net/index.php/Recht_auf_Stadt_-_mehr_als_eine_griffige_Parole%3F https://en.wikipedia.org/wiki/Right_to_the_city
[14] „Le droit à la ville“, Henri Lefebvre (1967)
[15] Forum Civique http://www.forumcivique.org
[16] Jobless farm workers protest subsidies http://www.upi.com/Top_News/World-News/2012/08/24/Jobless-farm-workers-protestsubsidies/ UPI-29381345828063/?
[17] Aktion „Alle auf die Wiesen!“ http://www.forumcivique.org/de/artikel/frankreich-alle-auf-die-wiesen-eine-landbesetzung-der-stadt
[18] Sharing Gardens Oregon, USA: http://www.youtube.com/watch?v=bLvaUGKfCPU&feature=player_embedded San Francisco, USA: http://thefreefarm.org/ http://www.youtube.com/watch?v=4IS93-wnHe8&feature=player_embedded
[19] Longo mai http://coforum.de/?3598 Longo mai – Revolte und Utopie nach ’68, Beatriz Graf (Thesis Verlag, 2005)
[20] Intentional Communes http://www.ic.org/
[21] The Zeitgeist Movement http://www.thezeitgeistmovement.com/ http://zeitgeistmovie.com/

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