Parfüm der Aufdeckung

Was Affären betrifft, erscheint das kleine Österreich als der große Nabel der Welt

Von Franz Schandl

Das mag nun gar nicht stimmen, aber dieser Eindruck ist hierzulande allgegenwärtig. Die Zeitungen sind voll, die Programme gehen über, eine Enthüllung jagt die nächste. Affären reproduzieren sich in Serie. Kaum schaltet man das Gerät ein, läuft schon die nächste Folge. Parlamentarische Untersuchungsausschüsse tagen unermüdlich und kommen doch zu keinen zufriedenstellenden Ergebnissen, ja drohen im Chaos zu versinken.

Skandale sind kein akutes Problem mehr, sie sind chronisch geworden. Sie haben Konjunktur, vor allem auch, weil in den letzten Jahren das Agreement brüchig geworden ist, sich gegenseitig zu decken oder absichtlich einiges zu übersehen. Skandalisierung ist zu einem medial geschäftsträchtigen Gesellschaftsspiel geworden. Es gleicht einem allseitigen Hochrüsten, wo die einen immer schärfere Gesetze verlangen und die anderen immer gefinkeltere Maßnahmen ergreifen. Hinter den Kulissen blüht ein wahrer Handel mit heißen Daten. Die durch investigativen Input hergestellte selektive Transparenz ist Folge gezielter Indiskretion.

Im Zeitalter des Internets ist fast alles einsichtig und aufdeckbar. Keine Person, deren Mails nicht kopiert und durchgestellt werden könnten, keine Transaktion, bei der nicht Mitwisser Notizen anlegen oder Infos horten, die sie bei Gelegenheit – sei es aus Revanche, sei es aus finanziellem Interesse – an geeignete Stellen weiter leiten. Recherche und Geschäft gehören zusammen. Ebenso Vernadern und Vertuschen. Nie kann man selber wissen, was von einem gewusst resp. was einem notfalls auch unterschoben wird. Das Gerücht steht hoch im Kurs und die Denunziation kennt unendliche Tiefen. Hinrichtungen gehören zum Tagesgeschäft. Es geht darum, die Leute zu birnen und zu köpfen.

Ob einzelne Vorwürfe stimmen oder nicht, ist nicht leicht zu beurteilen. Nicht einmal extra bestellte Kommissionen und Gerichte, die tausende von Aktenordnern durchackern, können das. Stets bleibt ein negativer Nachgeschmack, egal ob es zur Verurteilung oder zur Entlastung kommt. Nie ist man sicher, was da nun wahr oder halbwahr, falsch oder fingiert ist. Ist die Verdächtigung einmal in der Welt, wird man den Verdacht nicht mehr los. Das ist ein großes Problem, auch wenn noch so viele Anwürfe ihre Berechtigung haben.

Zweifellos, das System ist korrupt, aber nicht weil es von der Politik verdorben worden ist, sondern weil das in seiner Struktur liegt. In der Politik, wo es um Zuteilung von Geldern und Ämtern geht, ist die Protektion und mit ihr die Korruption nicht weit. „Diverse Anliegen, die an mich herangetragen werden, sind illegal“, sagte einmal ein Politiker sinngemäß zum Autor dieses Beitrags. „Wir können nicht alle erfüllen.“ Wer über allen Verdacht erhaben ist, dürfte tatsächlich in der Politik fehl am Platze sein. Denn auf sämtliche Machenschaften zu verzichten, ist unmöglich, solch Verhalten wäre ein Wettbewerbsnachteil sondergleichen. Der kriminelle Stachel ist spürbar. Überall. Aber das sagt natürlich niemand. Zumindest nicht offen.

Gesetzeskonformität ist also kein apriorisches Anliegen, sondern ein selektiver Ansatz. Dass Politiker Unternehmen protegieren wie Unternehmen Politiker sollte also nicht überraschen. Dass dies ohne Gefälligkeiten abgeht, ist nicht zu erwarten. Man kann das ablehnen, aber dann müsste man gleich mehr in Frage stellen als zur Disposition steht. Korruption ist primär kein persönlicher Makel, sondern ein gesellschaftliches Verhältnis, dem gänzlich zu widerstehen alles andere als leicht und vorteilhaft ist. Wo allen die Korruption nahe gelegt wird, behaupten alle gegen Korruption zu sein.

Man braucht keine scharfe Analyse, um inzwischen zu wissen, dass die Skandale der FPÖ nutzen. Auch wenn sie selbst verwickelt ist, gereicht ihr das nicht zum Nachteil. Die Affäre um den dritten Nationalratspräsidenten Michael Graf mag zwar aktuell die Meinungsumfragen um magere 2 Prozent drücken, aber damit hat es sich. Nächstes Jahr ist die Sache sowieso vergessen, egal ob Graf zurücktritt oder nicht. Der freiheitliche Spitzenfunktionär wird übrigens beschuldigt, eine neunzigjährige Dame mithilfe einer Stiftung de facto um ihr Privatvermögen gebracht zu haben. Regelmäßig beweist sich die Saubermännerpartei als der korrupteste politische Stall der Republik. Aber das schadet nicht. Das war schon unter Haider so.

Dass insbesondere in freiheitlichen Kreisen die kriminelle Energie überdimensioniert ist, sollte nicht überraschen. Denken wir etwa an Walter Meischberger, einst Haiders Generalsekretär und Trauzeuge von Karl-Heinz Grasser (zuerst FPÖ, dann ÖVP, jetzt High-Society). Meischi, wie ihn Feinde und Freunde liebevoll nennen, war der großen Politik aufgrund eines Tiroler Sportskandals verloren gegangen und versuchte sich seither als Schnittstelle zwischen Geschäft und Politik. Lobbying war angesagt. Durchaus erfolgreich zog er viele Prämien an Land. Vor einigen Jahren hat er mit Freunden im Zuge einer von der ÖVP-FPÖ-Koalition (2000-2006) durchgeführten Privatisierung von Bundesimmobilien so an die 9 Millionen Euro an Provision lukriert.

Meischis Leistung hat darin bestanden, einem Interessenten das zu erwartende Anbot des aussichtsreichsten Konkurrenten mitgeteilt zu haben. Da ist er wahrscheinlich an einem Tresen gestanden, hat zufällig die Summe aufgeschnappt, hat dann sein Handy gezückt und war daraufhin ein paar Millionen reicher. So ähnlich wird es wohl gewesen sein. Alles legal, betont der Beschuldigte, nur auf das Versteuern habe er blöderweise vergessen. Aber zweifellos war das eine Leistung, auch wenn er diese Information nur aus dem Umfeld des damaligen Finanzministers Karl Heinz Grasser oder gar von diesem persönlich erhalten haben kann.

Dass Grasser selbst einige Steuerverfahren anhängig hat, permanent von der Staatsanwaltschaft betreffend diverser Delikte vernommen wird und als ständiger Stargast im U-Ausschuss bühnenreife Auftritte liefert, rundet das Bild dieser gesamtösterreichischen Schmierenkomödie nur noch ab. Eine weitere tragende Rolle spielt der ehemalige Innenminister der ÖVP, Ernst Strasser. Das ist jener Lobbyist, der im Frühjahr 2011 sein Europamandat zurücklegen musste, nachdem er einem britischen Fernsehteam auf den Leim gegangen ist und vor laufender Kamera seine Dienste als politischer Lobbyist wortreich angeboten hat und auch seine Summe nannte.

Lobbying ist Anfüttern von Entscheidungsträgern oder anderen geschäftsrelevanten Kontakten. Unternehmen halten sich etwa Abgeordnete via Cash oder Begünstigungen. Offiziell geht es um Beratung und Begutachtung, um Expertisen und Konzepte, um den Leistungen auch einen Namen zu geben. Denn wenn sie bezahlt werden, müssen sie doch etwas wert gewesen sein. Gernot Rumpold, auch ein Ex- Geschäftsführer der FPÖ und nun mit dem BZÖ verbandelt, hält fest: „Es ist mir vollkommen egal, wer wie welche meiner Leistungen sieht. Mein Auftraggeber hat bezahlt und war zufrieden.“ (Die Presse, 23. März 2012, S. 4) Eben.

Eine Hand wäscht die andere und alle greifen gerne zu. Man muss nur höllisch aufpassen, was mitunter die Preise erst recht in die Höhe treibt. Überzeugender als das Argument ist immer noch der Scheck, auch wenn es den kaum noch gibt. Die Auftraggeber zahlen, um sich etwas zu ersparen, die Kosten werden ausgelagert, sehr beliebt ist hier nach wie vor die Sozialisierung derselben.

Verheerend jedenfalls das Bild der Sitten und der Sippen, doch ändern wird sich nichts. Auch wenn einige in den Häfen wandern oder von der politischen Bühne verschwinden. Die Opferung bestimmter Promis gehört dazu, diesmal erwischt es möglicherweise den bekannten Waffenhändler Alfons Mensdorff-Pouilly, der auf seinen illustren Jagdgesellschaften in Schottland und im Burgenland, anscheinend zu viele Politiker und Geschäftsträger in diverse dunkle Transaktionen eingebunden und sich etwas übernommen hat. Ob etwas strafrechtlich relevant wird, ist letztlich aber eine Frage politischer Deals.

Die Forderung nach „schärferen Korruptionsregeln“ wirkt vor diesem Hintergrund fast putzig. Erneuerung ist die Halluzination von gestern für morgen. Ehern west sie fort, am deutlichsten bei jenen, die nicht zu den politischen Zynikern zählen. Ziel sei, „dass sich das nicht mehr wiederholt“, sagt etwa die Vorsitzende des nun schon seit Monaten tagenden parlamentarischen Untersuchungsausschusses betreffend politische Korruption, Gabriele Moser (Grüne) am 18. März 2012 in der ORF-Sendung „Im Journal zu Gast“. Da wird die Wiederholung aber lachen.

Die öffentliche Aufmerksamkeit hinkt der inszenierten Aufregung hinterher, sie kann dem Tempo auch gar nicht mehr folgen. Das Publikum ist schier überfordert. Unlust und Indifferenz haben Empörung und Wut als vorherrschende Stimmungslagen längst abgelöst. Politikverdrossenheit ist die absolut logische Konsequenz. Mit irgendeinem Befreiungsschlag ist nicht zu rechnen. Wer den Sumpf trocken legen will, wird in ihm umkommen. Die beständige Aufdeckerei entfacht keinen frischen Wind der Reinigung, sie parfümiert lediglich die stickige Luft. Einmal mehr ist die Stunde der moralischen Beteuerungen, der Transparenzpakete, der Gebote, Anstandsregeln und Bekenntnisse. Das Ritual nimmt seinen obligaten Verlauf. Die Politik selbst wirkt träge, ja müde. Es hat was von einem Selbstzerstörungsprogramm.

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