Streifzüge 42/2008
2000 Zeichen abwärts
von Lorenz Glatz
Von Zeit zu Zeit machen sie ein wenig von sich reden, die „Brotunruhen“ in verschiedenen Ländern der so genannten Dritten Welt. Ob in Mexiko, Jemen, Mauretanien, Usbekistan, Senegal, Pakistan oder Indonesien – die Polizei prügelt Hungerdemonstranten. Diese melden mit ihren Umzügen und Straßenschlachten durchaus dringenden Bedarf an, aber keine Nachfrage. Zu einer solchen wird ihr Bedürfnis höchstens dann, wenn die beunruhigten Regime durch politische Maßnahmen die Preise so weit senken können, dass Unruhe und Hunger wieder unter das kritische Ausmaß sinkenStilles Leiden und Sterben ist nicht einmal eine Meldung wert.
Dermal könnte allerdings eine nachhaltigere Phase von Unruhe bevorstehen. Das hat mit den Gründen der Teuerung (die alten Römer hatten dafür dasselbe Wort wie für die Jahresernte) zu tun: Der sorglose Umgang mit dem Erdöl, dem Treibstoff der Weltwirtschaft, geht zu Ende. Das heizt die Produktions- und Transportkosten an und macht den Anbau von „Energiegetreide“ zunehmend rentabel. Die Ökonomie – angeblich unsere Lebensgrundlage – wird damit zum direkten Nahrungskonkurrenten der Menschheit.
Aber mit der Ernährung der Menschen hat die Zivilisation entgegen dem Fortschrittsglauben schon seit langem ihre Probleme. Der Anthropologe Marshall Sahlins hat es einmal so formuliert: Above all, what about the world today? One-third to one-half of humanity are said to go to bed hungry every night. In the Old Stone Age the fraction must have been much smaller. This is the era of hunger unprecedented. Now, in the time of the greatest technical power, is starvation an institution. Reverse another venerable formula: the amount of hunger increases relatively and absolutely with the evolution of culture.
Widersprochen hat ihm in der Wissenschaft kaum wer. Aber was sollte man schon groß damit anfangen? Eins wird doch nicht gleich den historischen Fortschritt in Frage stellen, bloß weil Leute nichts zu essen haben!