von Franz Schandl
Schon wieder ging etwas zu Ende, bevor es begonnen hatte. Seit letzten Mittwoch sind nun auch die Gespräche zwischen Herbert Kickls FPÖ und Christian Stockers ÖVP eine Fußnote der Geschichte.Die letzten Wochen waren geprägt durch ein hohes Quantum an Unprofessionalität und einem Mangel an Vertrauen. Kickl verwechselte die Gespräche mit Befehlsausgaben und maximalen Forderungen. Über die Medien richtete man sich ständig Unfreundlichkeiten aus, ja leakte entgegen allen Abmachungen sogar umfangreiche interne Papiere, wenn es einem in den Kram passte. Das ging wohl auf das Konto der ÖVP. Die beharrte ihrerseits auf ihren in Jahrzehnten aufgebauten „angestammten“ Machtpositionen. Schlüsselressorts wollte sie keine hergeben. Das altbekannte Spiel „Wahlen verloren, Verhandlungen gewonnen“, ging aber diesmal nicht auf. War die FPÖ zu gierig, so die ÖVP zu geizig. Kickl musste nach dem offensichtlichen Scheitern seinen Regierungsbildungsauftrag zurücklegen. Blau-Schwarz ist geplatzt.
Der wahre Skandal wäre aber der Koalitionsvertrag der beiden potenziellen Koalitionspartner gewesen. Wenn man die geleakten Protokolle liest, dann gute Nacht. Da tanzen Marktradikalismus und Sozialabbau, Geschwindigkeitswahn und Xenophobie den rasenden Reigen. Was die Europäische Union betrifft, darf man sich zwischen finsterster Abwehr (FPÖ) oder glühendstem Fanatismus (ÖVP) entscheiden. Das alles wird ornamentiert mit den sogenannten Werten, zu denen sich alle bekennen müssen, ansonsten spielt es wehrhafte Demokratie. Was dort unter den Stichworten Kampf gegen Extremismus und Antisemitismus zu finden ist, lässt schaudern. Es ist ein Katalog der Zumutungen, fabriziert von konservativen und reaktionären Überzeugungstätern.
Aber nun ist sowieso wieder alles anders. Besonders irrwitzig ist der Kurs der ÖVP. Zuerst wollte sie mit der FPÖ, aber nur ohne Kickl, dann verhandelte sie mit der SPÖ und den liberalen Neos, zuletzt wollte sie Herbert Kickl doch zum Kanzler küren, und jetzt sagt sie wieder, es sei kein Staat mit ihm zu machen. Das alles wird der Volkspartei nicht gut tun. Eines gilt ungeachtet dessen allerdings weiterhin: es wird keine Regierung ohne ÖVP geben. Die Arithmetik ist ein treuer Bundesgenosse der Konservativen. Der steife und grobe Stocker wirkte nach dem Verhandlungsaus mit Kickls FPÖ durchaus gelöst. So überraschend Christian Stocker Parteiobmann der ÖVP geworden ist, so zufällig stolpert er wohl bald ins Kanzleramt.
Nun will man abermals mit den Sozialdemokraten das Gespräch suchen, aber, wenn möglich ohne deren Parteivorsitzenden, Andreas Babler. Die SPÖ reagierte pikiert. „Den Parteichef lassen wir uns von der ÖVP nicht rausschhießen“, hieß es. Und doch hörte man gleich den ungesagten Nachsatz „Das machen wir schon selber“ mit. Bablers Rolle wird laufend minimiert, er wird die nächsten Wochen noch artiger sein, als er eh schon ist. Diverse Leitmedien und entsprechende Meinungsumfragen trommeln bereits für seine Ablöse. Michael Ludwig, derzeit der mächtigste Mann in der SPÖ, spricht ausdrücklich davon, „die Kräfte der Mitte zu stärken“. Und doch könnte der Wiener Bürgermeister bald selbst eine empfindliche Niederlage erleiden. Ludwig hat nämlich etwas übereilt die Gemeinderatswahlen auf Ende April vorverlegt. Er wollte damit Wien als Gegenmodell zur sich damals abzeichnenden FPÖ-ÖVP-Koalition positionieren. Das geht jetzt nicht mehr.
Auf jeden Fall deutet auf Bundesebene alles auf eine Zusammenarbeit von Konservativen und Sozialdemokraten. Freilich verfügen SPÖ und ÖVP im Nationalrat nur über eine knappe Mehrheit. Ein Mandat Überhang ist doch etwas dürftig. Indes gibt es schon Bereitschaftserklärungen von Grünen und Liberalen notfalls die Koalition zu unterstützen. Bundespräsident Alexander Van der Bellen beklagte zuletzt die mangelnde Kompromissfähigkeit der Parteien und mahnte zur Eile. Und sein Vorgänger Heinz Fischer (SPÖ) sagt „Es wird was werden.“ Nur was? Mehr als ein „Weiter so!“ wird es nicht geben können, zumindest zeigen sich keine Ansätze. Hauptsache Irgendwie. Im Prinzip heißt das aber auch, dass nicht eine gemeinsame Perspektive diese Parteien zusammenschweißt, sondern der reine Abwehrreflex sie treibt. „Wer fürchtet sich vorm blauen Mann?“ Das Szenario „Alle gegen die FPÖ“ wird nur letzterer guttun. Kickl beherrscht dieses Spiel und wird die nächsten Jahre die Regierung vor sich herjagen.
Das Instrumentarium der Politik wirkt ausgeleiert und überzeugt kaum noch. Das gilt nicht nur in Österreich. Es ist nicht nur eine Krise politischer Formationen, es handelt sich um die Krise des gesamten politischen Orbits. Hier gibt es Grenzen, die nicht in den persönlichen Animositäten und Defiziten der Akteure liegen. Geht überhaupt noch, was einst gegangen ist? Wird Österreich zusehends unregierbar? Man sollte es so deuten. Kickl setzt jedenfalls auf Neuwahlen und die anderen werden versuchen, noch einmal einen ihrer kaum tragfähigen Kompromisse zu zimmern. Man eilt von Scheitern zu Scheitern. Das wird sich in Zukunft nicht ändern. Was aktuell vielfach als Erleichterung wahrgenommen wird – Kickl ist schließlich nicht Kanzler geworden, die FPÖ ist nicht an der Regierung – ist lediglich eine Verzögerung.