von Franz Schandl
Der Auftritt selbst brachte nichts Neues, außer dass die tägliche Frontpropaganda kurzfristig ausgeweitet werden konnte. Ein voller Erfolg war der Gig des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj vor allem für die FPÖ. Wohl kalkuliert und akkordiert mit der Mehrheitsmeinung im Lande verweigerten Herbert Kickl und seine Abgeordneten dem virtuellen Szenario vorab ihre Zustimmung und verließen geschlossen den Sitzungssaal. Man habe einer Kriegspartei eine offizielle Bühne geboten „für ukrainische, amerikanische und Nato-Propaganda“, so der FPÖ-Chef. Kickl sprach auf seiner eigens so benannten „Pressekonferenz der Neutralitätsversteher“ von einer Verletzung der österreichischen Neutralität. Es ist schwer zu behaupten, dass die Freiheitlichen (trotz aller Demagogie) hier unrecht haben, höchstens man schaltet, nachdem der Name FPÖ gefallen ist, auch gleich das Hirn aus. Aber wenn es gegen „das Böse“ (Selenskyj) geht, ist das Denken sowieso fehl am Platz. Wenn die Falschen etwas Richtiges sagen, kann es nur falsch sein, so die bizarre Logik des gemeingefährlichen Stumpfsinns. Die FPÖ, die nun schon Monate in allen Meinungsumfragen mit deutlichem Abstand führt, hat im Vorbeigehen ihren Vorsprung ausgebaut. Bescheidene Einschätzung: 2 Prozent Zugewinn. Weitere Steilvorlagen werden folgen.
Gar nicht kalkuliert und akkordiert war hingegen das Fehlen der Hälfte der sozialdemokratischen Abgeordneten im Plenarsaal. Was wie abgesprochen aussah, war indes bloß Zufall. Einige SP-Mandatare wollten sich die Zeremonie partout nicht antun und blieben fern. Dass einige gleich so viele sind, war nicht geplant. Diese Absenz konnte nur als Demonstration der Distanz wahrgenommen werden. Derweil wollte man nur in Deckung gehen. Die Abwesenden werden sich daher auch nicht erklären, denn das würde ihrer Karriere gar nicht gut tun. Daher schweigen sie oder werden weiterhin krank gewesen sein wollen. Wenn sie sagten, was sie dächten, wären sie freilich sofort exkommuniziert worden. Wer nicht auf Linie ist, wird geschrödert. So hat die sowieso ob der internen Turbulenzen schwer angeschlagene SPÖ einen veritablen ukrainischen Querschläger abbekommen.
Zweifellos sitzen (oder saßen) in russisch-österreichischen Freundschaftsgesellschaften und ähnlich gelagerten russophilen Männerbünden nicht wenige sozialdemokratische Funktionäre. Das aber wird in der Zwischenzeit nicht nur kritisiert (wofür es gute Gründe gäbe), es wird kujoniert und kriminalisiert. Medien fungieren zusehends als Femegerichte. Ein inquisitorischer Wertehammer hat Konjunktur. Dort, wo potenzielle Delinquenten den medialen Linienprüfungskommissionen nicht entgehen, haben sie die Fragen artig zu beantworten. Was auch fast alle tun. Es ist allerdings bezeichnend, dass man über all das nicht einmal in Ansätzen offen reden kann. Wer nämlich der „Querfront“ bezichtigt, „Friedensschwurbler“ oder „Putinversteher“ geheißen wird, gilt als gebrandmarkt und ausgestoßen, zumindest auf dem kontaminierten Feld der öffentlichen Debatten. Da gibt es kein Pardon! Wer nicht daran glaubt, hat daran zu glauben. Politisch assistiert wird diesem Wertebataillon kulturindustrieller Serialisierung von den Scharfmachern bei Grünen und liberalen Neos. Deren Parteivorsitzende war eine der Ersten, die die anwesenden Abgeordneten des sozialdemokratischen Klubs zählte und deren Illoyalität anprangerte: „Nur 18 von 40 Abgeordneten der SPÖ anwesend. Mir fehlen die Worte.“
Uns auch. Die völlige Enthistorisierung und Banalisierung des Konflikts, macht durchaus sprachlos. Absolut geschichtsblind behauptet etwa der Standard-Kolumnist Hans Rauscher, dass sich erst „vor einem Jahr die Sicherheitslage Europas fundamental geändert hat“, und nicht bereits Anfang der Neunzigerjahre des letzten Jahrhunderts. Die Auflösung der Sowjetunion, die Zerstörung Jugoslawiens werden da geflissentlich vergessen wie die zwischenzeitlichen Weltordnungskriege. Derlei, so derselbe, sei aber eine „wirre Weltsicht“.
Leicht gekürzt in der Freitag, Ausgabe 14, 6. April 2023