von Nikolaus Dimmel
Die Erregung war groß in Mozartkugelland. Ergebnis der Landtagswahl 2023: KPÖ-Plus erreichte 21,5% Stimmenanteil in der Stadt Salzburg, 11,7% im Land. Und sämtliche Wahlprognosen lagen falsch. Man möge mir den folgenden Datensalat nachsehen, er ist nämlich instruktiv. Orakelnde Politikerklärer gestanden am Vorabend der Wahl der ÖVP 35%, der SPÖ 22%, der FPÖ 20%, den Grünen 9%, den NEOS 8% und der KPÖ 6% zu. Herausgekommen ist etwas ganze Anderes: nämlich 30,4% für die ÖVP, 25,8% für die FPÖ, 17,9% für die SPÖ, 11,7% für die KPÖ-PLUS, 8,2% für die Grünen und 4,2% für die NEOS. Damit verlor die ÖVP 7%, während die FPÖ 7% Zugewinn verbuchen konnte. Die SPÖ, orientierungslose Pensionist:innenpartei mit Altersdurchschnitt 64 am Rande der politischen Annihilation, musste weitere 2% und die Grünen 1% einbüssen. Den NEOS wurde mit einem Minus von 3% überhaupt die Tür aus dem Landtag gewiesen.
Was dieser electoral outcome einer Verdreißigfachung der KPÖ (von 0,4% auf 11,7%) im Kontext bedeutet, bedarf einer näheren Betrachtung. Was sich indes jetzt schon abzeichnet ist, dass Salzburg die Gruppe der Bundesländer in denen FPÖVP paktieren (OÖ, NÖ), erweitern wird. Denn die SPÖ hat einer Dreierkoalition mit FPÖVP volley nicht zugestimmt. Bekanntlich setzt sich das Regierungsbild der Provinzen derzeit aus einer SPÖ-Alleinregierung im Burgenland, einer SPÖ-dominierten Wiener SPÖ/NEOS-Koalition, aus zwei SPÖVP-Koalitionen (Tirol; Kärnten) sowie einer ÖVP/Grün-Koalition (Vorarlberg) zusammen.
Vorab spiegelt sich im Salzburger Ergebnis eine seit 2022 anhaltende bundesweite Dynamik. In dieser hält die politische Rechte in der Mehrzahl der Bundesländer eine stabile einfache Mehrheit (zwischen 50% und 65%) bzw. konnte selbige ausbauen. Zugleich kommt es innerhalb der FPÖVP zu einer Verschiebung der Machtverhältnisse weg von den Rechtspopulisten (ÖVP) hin zu den Rechtsextremen (FPÖ). Dies jedoch mit Ausnahme von Oberösterreich 2021 (FPÖ: -11,6%, ÖVP: +1,2%) und der Steiermark 2019 (FPÖ: -9,3%, ÖVP +7,6%). In Niederösterreich etwa verlor die ÖVP 2023 10% der Stimmen, wobei ihr Stimmenanteil von 49,6% auf 39,9% gesunken ist. Auch in Tirol verlor die ÖVP 2022 knapp 10% der Stimmen, während die FPÖ um 3,3% zulegen konnte. Die SPÖ hingegen verliert kontinuierlich (in Kärnten von 47,9% auf 38,9%; in Niederösterreich 2023: von 23,9% auf 20,6%, zu Salzburg siehe oben). Bestenfalls stagniert sie wie in Tirol (2022: 17,5%) oder Oberösterreich (2021: 19%).
Augenfällig sind die jeweiligen Ausgangsbedingungen der föderalen Kleinstaaterei unterschiedlich. Dies hat vor allem mit dem hohen Personalisierungsgrad politischer Entscheidungen zu tun. Man wählt überwiegend keine Programme, sondern Personen. Man wählt nach Ingroup-Reflexen und Ideologie (Heimat; Brauchtum; Schutz vor den Fremden). Das Ergebnis der Salzburger Landtagswahl 2023 erhärtet diesen Befund. Es verweist zugleich aber auch darauf, dass das gesamte repräsentative politische System tektonisch ins Rutschen gekommen ist. Das Geschwätz der Prognostiker und Politikerklärer vor und nach Wahlen signalisiert hingegen mehr denn je den intellektuellen Leerstand der Zunft.
Um diese doch einigermaßen gewagte Behauptung einzuordnen ist ein Rückblick auf die steirische Landtagswahl 2019 sowie die Grazer Gemeinderatswahl 2021 erforderlich. Bei der Landtagswahl 2019 verlor die SPÖ 6,3% und hielt bei 23% der Stimmen. Die KPÖ wiederum errang mit 6% zwei Landtagsmandate. Damit wurde die Stmk das erste Land abgesehen von der unmittelbaren Nachkriegszeit, in welchem die KPÖ im Landtag vertreten war. Bei der Gemeinderatswahl 2021 in Graz legte die KPÖ in einem „Erdrutschsieg“ um 8,5% zu. Sie wurde mit 28,8% stärkste Partei, stellte damit auch die Bürgermeisterin. Regiert wird seither in einer Koalition aus KPÖ, Grünen und SPÖ, während ÖVP (-11,9%) und FPÖ (-5,3%) faktisch deklassiert wurden.
Das Salzburger Plus
Die Salzburger KPÖ-PLUS orientierte sich am Wahlkampf der Grazer KPÖ. Schon dieser war thematisch zentriert. Er fokussierte auf Wohnen, Verkehr und Soziales. Gefordert wurde eine Revision des Flächenwidmungsplans, eine soziale Redimensionierung des Baubooms, zugeich eine Leerstandserhebung und Leerstandsabgabe. Bereits hier zeigte sich, dass die versessene Demagogie der ÖVP kontraintentionale Effekte zeitigt. Die sogenannten „Christlich-Sozialen“ stellten dem Wahlvolk im Fall einer KPÖ-Wahl „Staatsbankrott, Massenarbeitslosigkeit und eine mit Almosen abgespeiste Bevölkerung ohne Perspektive“ in Aussicht. Die Rede war von Lagern (Gulag), Armut und Hunger. Indes fragten sich die Prekarier, was denn das sollte. Längst hatte sich die Armutsgefährdung aus der Unter- in die untere und mittlere Mittelschicht hinaufgefressen. In diesen Gruppen war längst der (wohl mehrheitlich diffus-gefühlte) Eindruck entstanden, dass der Klassenkompromiss aufgekündigt und ihr sozialer Abstieg eingeläutet worden war. In den SINUS-Milieus der Performer, kosmopolitischen Individualisten und postmaterialistisch-Progressiven wiederum, also der oberen Mittelschicht, griff die Überzeugung um sich, dass mit der sozialen Kohärenz die demokratische Variante (post)bürgerlicher Herrschaft auf dem Spiel steht. Denn hinter der arrogant-zynischen Abwertung der Modernisierungsverlierer öffnet sich der Blick auf nur noch dürftig kaschierte faschistische Regierungspraktiken. Tertiär qualifizierte Dienstleister und Symbolagenten (Ärzte, Notare, Architekten, Unternehmensberater etc.) perzipier(t)en dieses Begräbnis dritter Klasse der Parolen der bürgerlichen Revolutionen (Freiheit/Geichheit/Solidarität) durch den rechten Block (FPÖVP) als ideologische Entbettung, als Kündigung sozialer Kohärenz und Aufkündigung eines sich als Zusammengehörigkeitsgefühl ausdrückenden Gesellschaftsvertrags.
Das hysterische Gerede des Kommentariates über stalinistische Gräueltaten verpuffte. Denn die KPÖ verhielt sich weniger als Partei denn als nonkonfessionelle Sozialberatungsstelle. Ihr politisches Personal beschränkte sein Einkommen und ließ es Hilfebedürftigen als Transferleistungen zukommen. Man kann das als Erwerb von Authentizitäts-Prestige verstehen. Wissen wir doch seit Marcel Mauss, dass die Gabe Reziprozität begründet und zugleich ein Element der Vergemeinschaftung verkörpert. Wer also gibt, dem wird vertraut. Nun vertrauen 90% der Österreicher:innen politischen Parteien und Politiker:innen nicht. Mit ihrerlei wird bloß assoziiert, dass sie nehmen, also sich bereichern. Sinnlos, die Abfolge von Strafprozessen aufzulisten, in denen der Beweis hierfür erbracht wurde. Ebenso bedarf es keiner Erläuterung, dass der austeritätspolitisch inspirierte, repressive bedarfsgeprüft Leistungen gewährende Sozial- und Wohlfahrtsstaat von den Hilfebedürftigen als Hürdenlauf und soziales Ausgrenzungsrisiko erlebt wird. Sohin wurde die KPÖ erfolgreich als sozialanwaltschaftliches Widerlager bei der Durchsetzung sozialer Rechte beratend und unterstützend tätig. Die Wählerstromanalyse wies folgerichtig für die KPÖ Graz Zugewinne von fast allen Parteien aus: je 3.000 von SPÖ und Grünen, je 2.000 von ÖVP und FPÖ und 4.000 von den Nichtwählern. Zugleich erzielte die KPÖ auch in Innenstadtbezirken mit einem hohen Anteil mittlerer und oberer Mittelschichten Ergebnisse von mehr als 30%. Damit war ein Role Model etabliert.
Wie in Graz hatte auch in Salzburg das Racket an der politischen Macht jahrzehntelang erfolgreich damit kalkuliert, das (abgehängte) Prekariat politisch erfolgreich zum Schweigen gebracht zu haben. Man war sich sicher, die Mittelschichten im verzweifelten Wettbewerb um die letzten sozialen Aufstiegsplätze und gegen die social downward mobility in ebenso vertrauenslose, konsternierte wie devote Mitläufer:innen umgewandelt zu haben. Nun wurde die Rechnung für diese Politik segregierender Arroganz präsentiert. Zwar konnte die Rechte ihren Anteil stabil mit knapp 56% halten. Allerdings verlor die ÖVP an die FPÖ, während sie von den NEOS gewann. Der politische Restbestand des urbanen liberalen Bildungsbürgertums gilt damit als geschreddert. Die SPÖ wiederum bedient(e) mit einem apolitischen weil jeder Analyse von Kapitalverwertungspraktiken entratenden Sammelsurium sozialgarantistischer Wohlfahrtsversprechen eine schrumpfende Zahl verstörter Stammwähler:innen. Sie entsorgt sich mangels einer ´großen Erzählung` und augenfällig abhanden gekommener handwerklicher Professionalität (wer wählt keinen von dreien) als politischer Akteur gleich selbst. Im Ergebnis wendete sich auch in Mozartkugelland ein erheblicher Teil der mobilisierten Nichtwähler:innen sowie markante Teile der Frustrierten aus sämtlichen Parteien der KPÖ zu. Zugleich blieb auch die Suada des Kommentariats, eine sinkende Wahlbeteiligung würde die radikalen Ränder des politischen Systems stärken, eine taube Nuss. Das Gegenteil war richtig. Die KPÖ legte mit einem Anstieg der Wahlbeteiligung von 65% auf 70,9% (in der Stadt von 57% auf 63,5%) zu. Im Ergebnis gewann sie 8.000 Stimmen von SPÖ und Grünen, 5.000 von vormaligen Nichtwähler:innen, je 3.000 von ÖVP, FPÖ und NEOS.
Doch die „Politics of Non-Learning“ sind zum Habitus geworden. Dies wird deutlich an der Anmutung von ÖVP-Funktionären, die Ergebnisse der Landtagswahl in Salzburg zeigten eine Protestwahl, seien Ausdruck eines linken Populismus. Gemeint war, dass sich das Elektorat in diffuser Stimmung gegen etwas/jemanden gerichtet hat. Was aber gerade nicht der Fall war. Vielmehr stand ein sozial- und wohnungspolitisches „single-issue“ auf der Tagesordnung. Gegenstand der Wahl war für jene Milieus, die hier als links verhandelt werden, die Leistbarkeit des Wohnens. Und Punkt.
Ideologische Staatsapparate verhalten sich relativ selbständig. Sie folgen eigenen Gesetzmäßigkeiten. Das wird gerade auch an den Medien deutlich. Unmittelbar nach der Wahl setzte ein ein Shitstorm der Sonderklasse in diesen medialen „Blödmaschinen“ ein. Der „Standard“ hielt dem Elektorat vor, es sei „geschichtsvergessen“. Der KPÖ-Spitzenkandidat musste sich vor einer (g)eifernden Journaille sogleich für Gulag, Stalin, Stasi und Holodomor rechtfertigen. Am Ärgsten trieb es da wohl Andrea Schurian, jahrelang Kulturchefin des „Standard“, die sich in einem Kommentar in der „Presse“ in Unkenntnis des NS-Verbotsgesetzes fragte, warum eigentlich nicht auch die KPÖ verboten sei.
Nur Pol Pot wurde der KPÖ nicht vorgehalten. Erstaunlich war die Unfähigkeit des Medienbetriebs, das Besteck des ideologischen Klassenkampfes zu adaptieren. Auf diese Weise ermöglichte der ORF eines der eindrücklichsten Nachwahl-ZIB2-Interviews der letzten Jahrzehnte. Zu sehen war ein KPÖ-Spitzenkandidat, der angesichts einer Serie unnötig provokanter Unterstellungen gänzlich auf den Gebrauch der Phrasendreschmaschine von Politikschaustellern verzichtete. Zu hören waren in ganzen deutschen Sätzen nachvollziehbare Antworten. Wenig erstaunlich, dass der ORF-Anchorman ins Stottern geriet. In medialen Echokammern und Blasen kann man nicht zuhören.
Extremisten der Mitte
Salvenartig verschossene Phrasen im Blätterwald beschworen indes auf gleicher intellektueller Flughöhe den Zusammenhalt der bürgerlichen Mitte gegen die „extremen Ränder“. Das Eindringen der Kommunisten in die gesetzte Ruhe einer autoritär gerahmten politischen Ordnung wurde indigniert als Bruch der politischen Kultur verhandelt. Sich soigniert gebend beschwerte sich die ÖVP über den „Ton“. Realiter freilich war und ist die bislang ungestörte Hegemonie des Filzes aus Klerikalfaschisten, Pfeffersäcken, Agenten der Tourismusindustrie sowie der Weltkulturerbemafia bedroht. Das aber kann man so nicht sagen. Daher wird das Eindringen der als Pöbel inszenierten KPÖ als blatanter Angriff auf Mozartkugelland inszeniert. Dessen Signatur ist bekanntlich: Volkskultur, Brauchtumspflege, altes Handwerk, Dirndl, Hirschhornknöpfe, herumplärrender Landadel im Jägerkostüm im Porsche Panamera. Was soll man da mit Dreadlock-Typen auf Fahrrädern? Quengelnd-ranzig beschwerte sich eine ÖVP-Funktionärin nach dem Stimmenverlust ihrer Partei darüber, dass der dynastische Landeshauptmann Tag und Nacht für das Land arbeite, und dies sei nun der Dank dafür. Das liest sich nicht nur wie die Beschwerde steirischer Landadeliger über die Renitenz und Unbotmäßigkeit ihrer Bediensteten, es ist auch so gemeint.
Die Nachwahlanalyse des politischen Dienstpersonals der Kapitalverwerter fiel dann auch entsprechend aus. Es seien diffuse Ängste, welche das Elektorat in eine Protest- und Verweigerungshaltung und zur Wahl einer totalitären Partei getrieben habe. Man müsse den linken Systemgegnern daher klare Kante zeigen. Das Wahlvolk (eindeutig: Verstand verloren) müsse von den extremen, ideologisch verblendeten Rändern der prekarisierten Vorstädte mit „Sachpolitik“ in die bürgerliche Mitte zurückgeholt werden. Äh, da hätten wir aber dann doch noch ein paar grundsätzliche Fragen:
Erstens zu den extremistischen Rändern. Ist es denn nicht so, dass jene, die da behaupten, sie seien die Mitte (ÖVP und ihr Blinddarm, die Grünen), auf marktfundamentalistische Weise extremistisch agieren, indem sie den sorgenden Staat als ideellen Gesamtkapitalisten schlicht demontiert haben ? Dies jedenfalls in Fragen des sozialen Wohnbaus, aber auch einer inklusiven Sozial-, Verkehrs-, Gesundheits- und Bildungspolitik. Hier regiert bloß noch der Markt. Begünstigte dieser Politik sind Couponschneider, Finanzmarktakteure und fungierende Kapitalisten samt ihren Symbolagenten. Für die Vermögenden erweist sich die Vielfachkrise schlicht als profitabel, für den Rest als Knochenmühle.
Augenfällig ist die politische Dienstklasse der Kapitalismusverwalter nicht mehr in der Lage, die sozialökonomische Reproduktion einer ausbeutbaren Klasse von Lohnabhängigen nachhaltig sicherzustellen. Noch hantelt man sich mit Politiken der Segregation, Repression und Austerität (Wohnbaumilliarden wurden für die Budgetsanierung, daneben auch für Zwecke der Agrar- und Wirtschaftsförderung umgeleitet) darüber hinweg. Die Wahl war fraglos eine Quittung hierfür. Erstaunlich daran ist, dass das Segment der langfristig kalkulierenden Kapitalseite (WK, ÖIV) seinen Politfunktionären nicht längst das Konto gesperrt hat. Wir lernen daraus: ein bankrottierendes politisches System der Rackets entwickelt einen Spin, welcher den geordneten Gang der Kapitalverwertung ungestört stört. Anders herum: die KPÖ-PUS hat mit ihrem Monothema den sorgenden Staat, der Markt und Spekulant:innen domestiziert, in das Zentrum der politischen Auseinandersetzung gerückt.
Zweitens zur bürgerlichen Mitte. Ist es denn nicht so, dass die ÖVP (samt Blinddarm), aber auch FPÖ sowie Teile der SPÖ, allesamt auf eine substantielle Weise nicht-bürgerlich agieren? Sie mögen sich als„Mitte“ der Gesellschaft insofern darstellen, als sie die politische Mehrheit bilden. Bürgerlich aber wäre eine Politik der Freiheit (von struktureller Gewalt und zur individuellen Selbstbestimmung), der Gleichheit (der Chancen und Ressourcen) und Brüderlichkeit (Solidarität, Teilhabe/Inklusion und Armutsbekämpfung). Eben das aber kennzeichnet das Bundesland mit einem der höchsten Einkommens- und Vermögens-GINI nicht. Im Gegenteil: kaum irgendwo sind die Wohnkosten so hoch wie im Salzburger Zentralraum und zugleich die Spekulationsgewinne und der Wohnungsleerstand so erheblich. Pointiert gesprochen: die letzten genealogisch verstanden „bürgerlichen“ Parteien sind KPÖ-PLUS und eine Minderheitsfraktion der NEOS. Zugleich markiert der Rekurs auf das Bürgerliche eine hoffnungslose Position. Wir sind mit Slavoj Žižek gesprochen am Nullpunkt der Hoffnungslosigkeit angelangt. Denn die Mühlen der Kapitalverwertung haben vom Bürgerlichen als Epoche, Klasse, Ideologie und Recht nur noch Ruinen übrig gelassen. Das Bürgerliche ist als Format der Vergesellschaftung (Freiheit- Gleichheit – Solidarität) historisch an sein Ende gekommen. Es erweist sich unter den gegenwärtigen Bedingungen einer Akkumulation durch Enteignung (David Harvey) bloß noch Anrufung einer Attrappe. Die Gretchenfrage zur Zeit lautet: Vergesellschaftung der Produktionsmittel oder Barbarei auf einer „uninhabitable earth“ (David Wallace-Wells). ÖVP und FPÖ sind unter diesen Vorzeichen post-bürgerliche Parteien, welche die Interessen der Charaktermasken eines refeudalisierten Finanzmarktkapitalismus durchsetzen. Der Habitus, in dem sie sich ablichten lassen, ist je klerikal oder antiklerikal einem ebenso paternalistisch-autoritären, feudalen wie faschistischen Gestus verpflichtet. Ab da erscheint das Bürgerliche als links und findet eine progressive Positionierung ihren Motor in konservativer Verteidigung noch bestehender rechts- und wohlfahrtsstaatlicher Errungenschaften.
Drittens zur Ideologie der „extremen Parteien“. Ist es denn nicht so, dass hier eine Partei „Sachpolitik“ urgiert, selbst aber bloß als ideologische Dresch- und Disziplinarmaschine fungiert? Was anders als zynisch ist es, wenn der Parteiobmann der ÖVP den Prekarisierten empfiehlt, angesichts hoher Mieten ganz einfach Eigentumswohnungen zu kaufen? Was anders als zynisch ist es, sich über den Ton von Kritikern zu echauffieren, zugleich aber eine durchpolitisierte Verwaltung zu etablieren, die jahrelang im Grundverkehrsrecht Scheinlandwirte, Spekulant:innen und Investoren (Parteispender) bedient? Was anders als zynisch ist es, die Rechtsstaatlichkeit angesichts kommunistischer Horden zu beschwören, zugleich aber geflissentlich zu übersehen, dass Grünland rechtswidrig in Bauland umgewidmet wurde und substantielle Regeln des Grundverkehrsrechts gebeugt und gebrochen wurden. Und was anders als demagogisch ist es, einem als links etikettierten politischen Rand vorzuhalten, „ideologisch“ zu agieren, während man in einem Korruptionssumpf watet ? Die Pointe daran ist, dass die KPÖ-PLUS anders als die sogenannte „Mitte“ überhaupt keine Ideologie dargeboten hat. Vielmehr liegt zum Monothema Wohnen ein eher technisches Maßnahmenprogramm vor, das Wohnen für Alle zugänglich und leistbar gestalten soll. Und das führt noch einmal zum Rechtsstaatspostulat der Rechten. Denn unterbreitet wurden hier Forderungen der KPÖ, die als Staatszielbestimmungen und teils als soziale Grundrechte dem UN-Sozialpakt, der Europäischen Sozialcharta, der Europäischen Grundrechte-Charta (ESC-II), der Kinderrechts- und Behindertenrechtskonvention zu entnehmen sind. Gefordert wurde, wozu sich die Republik bereits verpflichtet hat. Auch wenn die ÖVP erfolgreich aus Art 31 der ESC-II hinausoptiert hat; man ist ja dem Haus- und Grundbesitzerbund was schuldig. Der bittere Kern dieser Verdrehung ist: der post-bürgerlichen „Mitte“ gilt die Forderung nach der Durchsetzung geltenden Rechts als extremistische Ideologie. Das war vordem bei Carl Schmitt, dem Rechtstheoretiker des Dritten Reiches als „Unterordnung des Staates unter die bürgerliche Gesellschaft“ zu lesen. Auch irgendwie unappetitlich.
KPÖ-PLUS
Viertens zu KPÖ-PLUS als Partei. Ist es denn nicht so, dass die KPÖ-PLUS gar nicht als Partei im Sinne einer straffen , finanziell gepufferten Organisation agiert (hat)? Nicht nur fehl(t)en ihr die finanziellen und organisatorischen Grundlagen dafür, weshalb man den Take-Off eher als soziale Bewegung von Ehrenamtlichen verstehen muss. Dies auch dann, wenn jetzt Landtagsmandate zu besetzen sind und 2024 ein Bürgermeisteramt in erreichbare Nähe gerückt ist. Zugleich ähnelt die Performance der KPÖ-PLUS (wie auch jene in der Grazer KPÖ) eher einer Sozialberatungseinrichtung, die als „Rechtsladen“ Menschen zur Wahrung und Durchsetzung ihrer Rechtsansprüche verhilft. Diese Partei zeigte in ihren medialen Abbildungen keine Funktionäre, die einen Hohlphrasenbauchladen vor sich hertragen, sondern junge, sekundär und tertitär qualifizierte Ehrenamtliche. Soziologisch gesprochen darf man darin einen Teil des akademischen Prekariates und der qualifizierten Dienstleistungserbringer (von Informatik bis Gesundheitswesen) erkennen. Und auch das ist eine Pointe dieser Geschichte: die FPÖ bezeichnete sich seit Jörg Haider wiederkehrend als „Bewegung“, war aber doch bloß eine korrupte Gang auf der Anklagebank. Wir haben hier ohnehin aufgehört, die Strafverfahren zu zählen. Die KPÖ-PLUS indes ist – jedenfalls in der Vertretung ihrer Positionen im öffentlichen Raum – eine Bewegung. Und sie tut das, was in der politischen Soziologie vielfach als Zukunft des politischen Konfliktes reflektiert wurde: sie fungiert als „Political Action Commitee“, als Lobbygruppe, die ein zentrales Anliegen („single issue“) zu befördern und durchzusetzen trachtet. Ob ihr das in Form von Bündnispolitiken gelingen wird, steht dahin. Dass es nicht hinreicht, bloß als „Nervensäge des Landeshauptmanns“, als die sich Kay-Michael Dankl sieht, zu fungieren, liegt auf der Hand. So könnte die KPÖ-PLUS tun, was vordem die linke Fraktion der „Liste PILZ“ erfolglos zu realisieren suchte, nämlich als Plattform einer an Politiken der sozialen Inklusion interessierten Zivilgesellschaft zu fungieren.
Fünftens zur Revolte der „geschichtsvergessenen“ Vorstädte. Ist es denn nicht so, dass zwar in der Stadt Salzburg die Arbeiterbezirke (Elisabeth-Vorstadt: 30,1%, Lehen: 24,8%; Liefering: 21,4%) vor allem aber auch die Bezirke der oberen Mittel- und Oberschicht (Aigen – 20%, Gneis/Leopoldskron – 17%; Parsch – 21%; Anif – 13,5%) KPÖ gewählt haben? Und ist es nicht so, dass die KPÖ Plus ihre Wähler:innen erheblichenteils aus dem Nichtwähler-Reservoir bezogen hat? Dass sie also genau das erreicht hat, was die post-bürgerliche Mitte immer zugleich postuliert und desavouiert, nämlich demokratische Partizipation zu erhöhen? Und ist es nicht augenfällig, dass das historische Subjekt nicht das Proletariat (das sich in FPÖ und der sich selbst hinrichtenden SPÖ als politischer Akteur gleichsam versenkt hat) ist, sondern eine Gemengelage von Bürgerlichen, Prekarieren und Proletariern, die auf zentralen Versprechen der bürgerlichen Revolution insistieren. Und deutet dies nicht darauf, dass die kommenden Kämpfe monothematisch, mosaik-artig, klassenübergreifend und sozial-nahräumlich organisiert auf kommunaler Ebene ausgefochten werden, wobei es um konkrete Lebensbedingungen und die Aufrechterhaltung eines Mindestmaßes staatlicher Daseinsvorsorge (so NS-vorbelastet der Begriff auch sein mag) geht ?
Wie lässt sich all dies einbetten? Fraglos ist das ohrenbetäubende Gequassel von den Gefahren des Kommunismus und den extremen Rändern substanzlos. Auch der Verweis auf eine ominöse, konturlose politische Mitte, die sich gleich auch noch als Mittelschicht verstehen darf, geht ins Leere. Diese Gruppe ist inexistent. Was wir hingegen sehen ist, dass realiter ein rechtspopulistisch-rechtsextremes post-bürgerliches Racket aus ÖVP und FPÖ entstanden ist. Ihm korrespondiert ein Amalgam aus groß- und kleinbürgerlichen reaktionären Milieus, die Tariq Ali als „extreme Mitte“ bezeichnet hat. Allerdings kommt diesem Racket augenfällig die Fähigkeit abhanden, Hegemonie als post-bürgerlichen Klassen-Konsens zu organisieren. Noch ist dies vor allem auf Landes- und kommunaler Ebene erkennbar. Die inneren Widersprüche der Kapitalverwertung können auf der anderen Seite von den Polit-Funktionären der traditionellen Arbeiterbewegung nicht mehr angemessen benannt, adressiert und als politische Handlungsfelder inszeniert werden. Ihnen fehlt nicht nur schlicht das intellektuelle, strategische, taktische und organisatorische Format, sondern sie haben auch mit einem selbstgeschaffenen fait-accompli zu tun: Ihnen fehlt nicht nur das Können, sie können auch gar nicht mehr können. So zerbricht die SPÖ als Partei fordistischer Kapitalismusverwaltung vor unseren Augen. Ihr sich links gebärdender Teil wird, wenn´s gut geht (so wie jetzt in Salzburg), zur KPÖ oder in die Nichtwählerschaft, ihr rechter Teil in die FPÖ wechseln. Der Salzburger Landesvorsitzende hat bei seinem Amtsantritt zum Besten gegeben, er werde die SPÖ „wie ein Unternehmen“ führen. Mehr ist dazu nicht zu sagen. Allenfalls noch, dass auch Karl-Heinz Grasser den Staat als Unternehmen verstanden hat. Die Grünen sind als Teil des ÖVP-Milieus schon (wieder) tot. Sie wissen es nur noch nicht. Die urban-bildungsbürgerliche Mitte (NEOS mit 4,2%, Teile der Bobo-Population sowie frustrierte Teile der sozialliberalen Grünen) ist am Zerbröseln. Es hilft nichts: das zerfallende urbane Bildungsbürgertum muss sich zwischen Wirtschafts- und Sozialliberalismus entscheiden – und es könnte auch mit sich brechen, warum eigentlich nicht?
Vor diesem Hintergrund erweist sich die KPÖ-PLUS, von ihrer Wähler:innenschaft und ihrem sozialen Substrat her betrachtet, als weltanschaulich bürgerliche, ökonomisch keynesianische, politisch links-grüne Partei. Sie hat, folgt man ihrer Performance, die Werte der bürgerlichen Revolution, das Erbe des Keynesianismus, den sozialökologischen Green-New-Deal sowie die Traditionslinie sozial-investiver Sozialpolitik geerbt. Was daran „kommunistisch“ ist, bleibt opak. Kay-Michael Dankl kommt ja von den jungen Grünen, die von der Grünen-Chefin Eva Glawischnig mit Zustimmung von Peter Pilz und Werner Kogler gefeuert wurden. Wir sehen Forderungen nach einer Politik der Verteilung und der Beschränkung der destruktiv-pathologischen Praktiken des Finanzmarktkapitalismus, aber kein Programm zur Vergesellschaftung der Produktionsmittel oder etwa auch nur ein Programm einer genossenschaftlichen Reorganisation der Arbeitswelt bzw. der Etablierung von Commons. Kurz: wir sehen programmatische Forderungen nach verteilungs-, aber nicht nach ordnungspolitischen Maßnahmen.
Die KPÖ gibt sich also links, grün und inklusiv. Dies mit dem etatistischen Ziel, regulativ in die Wohnungswirtschaft einzugreifen und die Privatwirtschaftsverwaltung der öffentlichen Hand zu reorganisieren. Sie verbindet hierzu drei gesellschaftliche Gruppen. Zum ersten wird das akademische Prekariat in diversen Statuspassagen mit unsicheren Beschäftigungs- und Einkommensperspekten adressiert. Zum zweiten findet die KPÖ Zustimmung in den sozialliberalen Fraktionen des Bildungsbürgertums. Hier treten Leute mit Audio E-Tron in Einfamilienhäusern in den Vierteln der oberen Mittelschicht in Erscheinung. Diese haben ansatzweise begriffen, dass soziale Spaltung die Totenglocke der repräsentativen Demokratie einläutet. Zum dritten wird das nicht-akademische Prekariat der Vorstädte, das um Teilhabe, Integration und Inklusion ringt und sich bislang zwischen Nichtwähler:innenschaft, FPÖ und SPÖ bewegt hat, mobilisiert. Beworben hat die KPÖ ihren Spitzenkandidaten damit, dass er hilft und sich um die Anliegen (der kleinen Leute) kümmert. Sie hat damit ein zentrales Narrativ der SPÖ erfolgreich aufgegriffen. Dies erinnert nicht von ungefähr an das Konzept einer „Mosaik-Linken“, zugleich aber auch an die gegen-hegemonialen Projekte, von den Judith Vey gesprochen hat. Die KPÖ hat dieser Gemengelage eine politische Stimme gegeben.
Zugleich verbreitet sich in den mittleren und oberen Mittelschichten die Einsicht, dass der „Cut Throat“-Kapitalismus die reale Deprivation nicht länger durch ideologische Projektionen von Heimat und rassifizierter Zugehörigkeit übertünchen kann. Geht die Produktions,- Verteilungs- und Reproduktionspolitik weiter wie bisher, wird es ungemütlich. Die Wahl spiegelt, dass Teile des Bürgertums (jedenfalls vorübergehend) verstanden haben, dass Freiheit nicht die Freiheit der Investoren, sondern Einsicht in Notwendigkeiten und die Verpflichtung zur Schaffung sozialer Kohärenz meint. Was sie nicht verstanden haben, ist, dass ihr Versuch, den Kapitalismus vor dem Kapital zu retten, sich nach dem Erwachen als nichts weiter als ein Traum von warmen Eislutschern erweist. Mehr intuitiv als analytisch haben sie einerseits begriffen, dass das Erbe der bürgerlichen Revolutionen auch darin besteht, dass die Souveränität des Souveräns gleichermaßen auf equity (Chancengleichheit) wie equality (Ressourcengleichheit) ruht, dass also eine Gesellschaft der Gleichen (Pierre Rosanvallon) ohne Solidarität am Ende des Tages nicht möglich ist. Andererseits und zugleich aber ist diese Gesellschaft der Gleichen ohne die vielbesungene Expropriation (konkret: Enteignung, Besteuerung, sozietale Re-Regulierung) der Eigentümer (von Vermögen/Reichtum, Produktionsmitteln, Rentenansprüchen/fiktivem Kapital) nicht zu haben. Nach „vereinigt euch!“ und „empört euch!“ nunmehr also: „entscheidet euch!“. Zeit bleibt nicht.
Literatur:
Tariq Ali (2015): The Extreme Center, London
Vey, Judith (2015): Gegen-hegemoniale Perspektiven, Berlin.