Eine nicht autorisierte Autobiographie

von Dominika Meindl

Mein Führerschein sieht aus, als hätte ich im vorhergehenden Jahrtausend eine allzu preiswerte Geschlechtsumwandlung vornehmen lassen; schon das billige Porträtfoto aus dem Automaten vor dem Passage-Kaufhaus macht mich bei jeder Verkehrskontrolle zum Gespött der Kieberei. „Zeig’ her!“, sprachen unlängst die im Haushalt vorgefundenen Jugendlichen, „wird schon nicht so schlimm sein, die 90er sind ja wieder voll Kult!“ Ich willfahre, sie verstummen angesichts des Bildes betroffen.

Die Geschlechtsverwirrung bedingen nicht Holzfällerhemd, Pagenkopf und Mondgesicht, sondern der Vermerk „Name behördlich auf ‚Dominika‘ berichtigt.“ Auf den Führerschein hatte ich mich so gefreut, wie es sich die modernen, urbanen Jugendlichen unserer Zeit gar nicht mehr vorstellen können. Die Eltern hatten mir das Mopedfahren verboten, weil sich drei Cousins damit Milz oder Extremitäten verletzt hatten. Das Verbot bedeutete in einer zersiedelten Speckgürtelgemeinde ein kleines Trauma. Beim Führerschein waren sie dann großzügig, der A-Schein ging mit drein, und in der Garage wartete schon der gackbraune Volvo, mit dem in die Arbeit zu fahren meinem Vater irgendwann doch zu peinlich geworden war (alle, alle, alle seiner KollegInnen fuhren bessere Autos als er).

Da stand ich also so fröhlich, wie es 1997 in der brutalistischen Architektur der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land nur ging. Ich tauschte Stempelmarken gegen den rosa Lappen und klappte ihn erwartungsvoll auseinander. Ich verstummte betroffen und rang um mein bisschen Teenie-Mut: „Ich bin aber kein Mann.“ Die Frau hinter dem Schalter beugte sich nach vorn und – ich schwöre – sah prüfend an mir auf und ab. „Das sehe ich auch.“ Sie zupfte mir den Schein aus der Hand und spannte ihn in die Schreibmaschine, um den „Dominik“ zur Frau zu machen. Dabei war sie so gereizt, dass sie sich in der Zeile irrte. Bis heute steht beim Vornamen „Dominikª“. Meinen Führerschein zeige ich seitdem nur Menschen, die mich auch im Pyjama sehen dürfen. Und leider eben den Mistelbachern, die dann immer prüfend an mir auf und absehen, ich übertreibe nicht.

Es ist eine Genderdummheit, zu glauben, dass Frauen sich nicht für Autos interessieren. Oder ich bin innerlich wirklich keine echte Frau, es gibt heute ja sehr viele sexuelle Identitäten, wer behält da den Überblick. Das Thema Kfz beschäftigt mich jedenfalls seit dem vorhergehenden Jahrtausend. Ich kann noch locker alle Autos meines Vaters aufzählen und meine jüngere Schwester streitet gerade mit der PVA, weil sie sich die Kindheitsjahre, in denen ich sie mit stundenlangen Aufforderungen zum Autoquartettspielen molestiert habe, für die Pension anrechnen lassen will. Als Volksschülerin habe ich jeden Samstag den Motor-Teil der OÖN studiert und mich recht gefreut, als ich zwanzig Jahre später selbst Autos dafür testen durfte. Halt meistens nur die schwindligen Kleinwägen (Cuore, Corsa, Cinquecento), wie man sie Mühlviertler Teilzeitpendlerinnen aufschwatzt; die Premiummodelle haben sich die Herren Redakteure vorbehalten, warum soll es bei der Zeitung gerechter zugehen als im echten Leben.

Autos verändern die Aura. Der Mann, der mich oft im Pyjama sieht, hat mir unlängst seinen gehätschelten Citroën XM geliehen. Er scheint es ernst mit mir zu meinen, nicht nur wegen seines „Designklassikers“, sondern weil ich dadurch auf meine erotische Zielgruppe offensichtlich noch betörender wirkte: Während dieser Stunden im Leihwagen haben mich sieben Zuckerväter ab 70 so lieb angesehen, als säße Mireille Mathieu am Steuer.

Der Alltag ist natürlich prosaischer. Fast jeden Tag sitze ich in einem Ford Mondeo, Bj. 2004, dessen Farbe je nach Lichteinfall zwischen Staub und Gold changiert. Es ist das erste Auto, das ich selbst besitze, ich habe es von meiner Mutter geerbt, die zwar nie den Führerschein gemacht hat („Ich lasse mich doch nicht umbringen!“), aber gerne einen Kombi besitzen wollte, denn so ein Erdäpfelsack spaziert nicht von allein in den Keller. Ich kann damit fahren, was die 130 Turbodiesel-PS hergeben, denn das Ding ist so langweilig, dass es die Radarkameras nicht wahrnehmen. Ich schwöre! Um meine Aura nicht stumpf werden zu lassen, trage ich als bewussten Kontrast zur Ford-Fadesse immer öfter Frack. Ein Gadget gefällt mir besonders gut an meiner Mobilie: Wenn mich wiedereinmal Audi-Fahrer arschlings buserieren, weil ich sie mit 58 km/h im Ortsgebiet von ihren wichtigen Geschäften abhalte, trete ich abrupt aufs Bremspedal und beschleunige wieder. Dabei quillt eine Wolke aus dem Auspuff, die eine erstaunlich feste, dickschwarze Konsistenz aufweist. Gasförmig ist das schon nicht mehr, man kann richtig hören, wie der Ruß hinter mir auf den Perleffekt-Glanzlack der Mercedesse klatscht.

Autofahren ist unheimlich dumm. Ich hätte gerne, dass es mir der Staat verbietet, oder meinetwegen die EU, wo ist die, wenn man sie einmal braucht? Wäre ich ehrlich und hart gegen mich selbst, hätte ich diesen Text mit meiner Sehnsucht nach Erlösung vom Individualverkehr begonnen, aber Sie hätten dann vielleicht auch nicht mehr weitergelesen.

Autofahren ist unheimlich dumm und unheimlich teuer. Einen ordentlichen Teil meines Einkommens gebe ich derzeit dafür aus, jeden Tag eine Stunde darin zu sitzen, um ein Einkommen zu generieren. Geht’s blöder? Mit den Öffis säße ich zwar doppelt so lange im Verkehr, müsste aber ein Drittel weniger arbeiten. Do the math! Ich würde mich zwar über miachtelnde oder Kurz-preisende Fahrgäste ärgern, aber nicht mehr über aggressive BMW- oder LKW-Fahrer, die wohl insgeheim davon träumen, mit einer Panzerhaubitze alles vor ihnen aus dem Weg zu sprengen. Gut, ich könnte wieder in irgendeine Stadt ziehen und ruhig in einem Zimmer sitzen, aber wir wollen alle nicht, dass ich unglücklich bin, das ist ja auch keine Lösung für das globale Problem des Individualverkehrs. Insgeheim hoffe ich auf das Eintreten einer Ökodiktatur, die uns das Verheizen fossiler Brennstoffe streng verbietet. Damit bin ich bestimmt nicht allein. Sind wir nicht alle wie dumme Kinder, die nach Grenzen lechzen? Nehmt uns die Autos weg! Und erlaubt uns auch nicht mehr als eine Stunde am Handy, bitte. Auch das Tiereessen möge uns von oben herab strukturell schiach gemacht werden. Der Tugendtyrann könnte uns ja, damit es nicht zu Revolten toxischer Männlichkeit kommt, am Sonntag ein Bratl essen und einen Ausflug mit dem Auto machen lassen.

Zwei Jahre meines Lebens war ich übrigens die erfolgloseste Rennsportlerin des Bezirks Linz-Land; als Beifahrerin auf dem Kurth-BMW-Kneelergespann Bj. 1969. Wir haben es in unserer ersten Saison nur in 33 Prozent aller Rennen ins Ziel geschafft. Seither weiß ich, was ein Lumpentraktor ist. Und ich kenne den Red-Bull-Ring besser als jeder besoffene Formel-1-Macho, man kommt dem Asphalt bei diesem grotesken Sport nämlich sehr, sehr, sehr nahe. Heute bin ich gereift, der liebste Gummi zwischen mir und der Umwelt ist mittlerweile eine Bergschuhsohle. Aber cool war das schon. Einmal im Jahr könnte man ja der Bevölkerung erlauben, auf einer gesicherten Rennstrecke gegeneinander anzutreten, dann ist uns leichter, und den Rest des Jahres nehmen wir den Postbus. Oder, kaum auszudenken: das Rad.

Angesichts der vollgebremsten grünen Schonhaltung gegenüber den türkisen Klimaleugnern und Industrieromantikern muss aber wohl wieder einmal ich die Erwachsene im Raum spielen und die Lösung selbst in die Hand nehmen. Wenn Sie es nicht weitersagen, verrate ich Ihnen hier, verborgen in der Schläferzelle „Literatur“, meine Strategie: Ich habe vor, die Motor-Industrie durch ausgezuckte Businessideen von innen heraus zu zerstören. Es wird so sein, als füllte ich Zucker in den Tank des Konjunkturmotors. Meine Pläne sind der Erdapfel im Auspuff des Benzin-Kapitalismus. So plane ich global und beginne lokal, mit der Herstellung regionalkultureller Hegemonie. Gestern habe ich einen Projektantrag bei meiner zuständigen Landesregierung eingereicht, in dem ich Kunst am Bau für sämtliche Verkehrsbegleitgrünflächen und Lobbyarbeit für einen Gestaltungswettbewerb implementiere. Kunstschaffende, die ja notorisch am Markt vorbeiproduzieren, können ein Aufenthaltsstipendium als Schmuckeremit*innen beantragen, an Standorten mit hoher Frequenz, konkret in Containern auf den Zentren der hundert beliebtesten Kreisverkehre meines Bundeslandes. Titel der Initiative ist „Reif für die Insel. Kunst in die Mitte der Gesellschaft holen!“

Fast noch besser gefällt mir mein gigantisches Kultursommer-Leuchtturmprojekt, mit dem ich die Herrschaft in den Köpfen und Herzen der Landsleute an mich reißen möchte; es ist so designt, dass die Kulturdirektion dieses Angebot nicht ablehnen wird können. „Der Westring der Nibelungen“: Im Libretto flaucht der Jugendliche Hagi seinem Vater Alberich den Generalschlüssel für den gesamten Autobahnknotenpunkt, um seine Freunde Günni, Siegi und vor allem die geile Bruni zu beeindrucken. Da bricht die Hölle im Wirtschaftsstandort los (das muss ich noch genauer ausarbeiten, aber es ist ja noch Zeit bis Montag), am Ende findet der linksextremistisch radikalisierte Volksverräter Siegi beim Wildern im herrlichen Salzkammergut die gerechte Strafe und haucht sein junges, dummes Leben aus. Die Musik kommt von Andreas Gabalier, bezahlt wird mit dem Landesliteraturbudget.

Sollte das wider Erwarten nicht gelingen, kann ich zum Glück zurück in jene Branche, die mir schon viel Erfolg eingebracht hat; sie ist zwar nicht ganz legal, aber wer außer uns beiden hier liest schon Literatur? Ich arbeite seit 2015 als Personentransporteurin im internationalen Logistik-Dienstleistungssektor. Besorgte Mitbürger, die sich angesichts der „Flüchtlingswelle“ vor Islamisierung und Umvolkung ängstigen, bringe ich gegen einen moderaten Unkostenbeitrag diskret außer Landes. Aktuell bevorzugte Destination meiner Kunden ist Ungarn, gerne auch Polen oder Thüringen; oft chauffiere ich sie gleich zum Flughafen mit Richtung Brasilien, Philippinen, Russland, USA – wo auch immer sich der völkisch-wertkonservative weiße Mann in hypermoralischen Zeiten wie diesen subjektiv noch sicher und geborgen fühlen kann. Nutze ich Notlagen aus? Ich sage, das ist Minderheitenschutz! Ist das Schlepperei? Ich nenne es länderübergreifende humanitäre Hilfestellung!

Bei den letzten Nationalratswahlen habe ich leider einen kleinen Rückschlag hinnehmen müssen, als mein Geschäftsmodell nach deutlichen Stimmenverlusten für die FPÖ ans Licht der Öffentlichkeit geraten ist und sich die Bevölkerung plötzlich fragte, wo denn ihre ganzen Rechtsextremen abgeblieben seien. Ich will ganz offen über meine Verurteilung sprechen, es wurde ja in den Medien breit berichtet, vor allem über die drei Maßnahmen des außergerichtlichen Tatausgleichs, die ich nun bald alle offiziell und gerne abgeleistet haben werde:

1. Reinigung der Dienstfahrzeuge von Landeshauptmann und Landeshauptmannstellvertreter jeden Samstag bis 12 Uhr

2. Ausweispflicht des räudigen Führerscheinfotos auf jederzeitigen Wunsch seitens der Bevölkerung Oberösterreichs (im Zeitraum 10.10.2020 bis 1.4.2021)

3. Ehrenamtliches Verfassen eines Besinnungsaufsatzes für eine kapitalismuskritische Wiener Zeitschrift.

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