„Gerechtigkeit bringt’s“

von Franz Schandl

lässt die Mitgliederzeitschrift der AK Wien ihr Publikum wissen. Die ganze Märznummer ist voll davon. Gerechtigkeit ist das zentrale Thema und Anliegen: „#fürimmer Gerechtigkeit“. Das zeigt auch eine zitierte Umfrage, in der Gerechtigkeit eine geradezu unheimlich hohe Zustimmung einfährt. „Macht es gerecht für uns!“ fordern die ArbeitnehmerInnen. „Gerechtigkeit ist gekommen um zu bleiben“, wird plakatiert und inseriert.

Lasst uns mitmachen, lasst uns dabei sein, lasst uns nicht zu lange arbeiten und vergesst nicht die Lohnerhöhung. „Es geht auch gerecht!“ Das sind die Botschaften der Demütigen – und genauso kommt es auch rüber. Sowohl bei den Kontrahenten als auch bei der eigenen Klientel. Wer Bedürfnisse, Ambitionen, Möglichkeiten der Werktätigen in die Formel der Gerechtigkeit verpackt, verstellt ganz trotzig jede Perspektive, die diesen Namen verdient. Die Arbeiterkammer ist wahrlich der Hort des linken Konservativismus. Den Wettbewerb der Bornierten könnten sie schon gewinnen. Diese Forderungen sind so diesseitig, dass sie gar nicht mehr auszuhalten sind. Es herrscht Rückzug und Einigelung. Es ist ein Agieren aus dem Bunker. Aus lauter Angst vor den kapitalistischen Imperativen, gibt man sich den rituellen Phrasen der Bürgerlichkeit hin. Konvention bestimmt ein Denken, das jede Reflexion verhöhnt.

Die Preise für Wohnungen sind zu hoch und für viele kaum erschwinglich. Das ist richtig und das ist schlimm, ja sogar richtig schlimm, aber ist es ungerecht? Warum sollen 20 Prozent vom Einkommen für das Wohnen gerecht sein, 40 Prozent aber ungerecht? Warum überhaupt zahlen? Ein Wohnbedürfnis ist doch unabhängig vom Geld gegeben, warum ist das Wohnen also abhängig von einem Preis? Nur weil diese Fragen nicht gleich gestellt werden, sind das nicht blöde Fragen, sie sind die relevanten. An ihnen schrammen die Institutionen der zum Stillstand gekommenen Arbeiterbewegung bereits Jahrzehnte vorbei. Sie wollen nicht ausziehen, sie wollen ankommen!

Ketzerisch wäre auch folgende Frage: Wenn der Druck in der Arbeitswelt immer größer wird (89 Prozent der Befragten sehen das wohl ganz zu Recht so, wie auf S. 4 angeführt), warum schafft man dann nicht die Arbeitswelt oder besser gleich die Arbeit ab? Das wäre doch logisch wie naheliegend. Arbeitsplatz und Arbeitsmarkt, Lohnarbeit und Marktwirtschaft sind keine Naturereignisse gleich dem Sonnenaufgang oder der Ausscheidung.

„Nicht abhängig sein“, wollen die Lohnabhängigen der AK, ohne jedoch den Lohn zu nennen oder gar zu meinen. Müsste es nicht schon bei der Besichtigung des prächtigen Wortes „lohnabhängig“ klingeln? Aber da klingelt nichts. „Nieder mit dem Lohnsystem!“, hieß es hingegen bei einem gewissen Karl Marx. (MEW 16, 152.) „Geht’s der Wirtschaft gut, geht’s den Menschen gut“, solche Sprüche müssten vielmehr aufs Korn genommen werden. Keine Spur davon. Stattdessen flüchtet man in die Litanei der Gerechtigkeit. Da regiert der abgetakelte Slogan.

Bezogen auf das gesellschaftliche Ganze ist Gerechtigkeit ein Moment der Verschärfung, nicht einer der Entlastung. Engstens an das Wirtschaftswachstum gekoppelt, verschreibt sie sich ganz der gängigen Sicht. Das Spiel der Löhne und Preise scheint unendlich und unhintergehbar. Da mag die destruktive Spirale die Zerstörung von Mensch und Umwelt unablässig vorantreiben. Lohnerhöhung ist eine Rubrik der Preiserhöhung, Lohnsenkung eine Unterkategorie der Kostenminimierung.

Gemeinsam mit der sogenannten Wirtschaft hat sich die Arbeiterkammer ganz dem Kampf der Preise verschrieben. Differenzen bestehen lediglich darin, wie Kosten und Gewinne, wie Löhne und Profite sich verteilen. Wer bestimmt die Preise, darüber wird gestritten. Gemeinsam ist diesem Denken der Wachstumswahn. Denn ohne ihn wäre dieses Szenario sowieso hinfällig. Bereits ein kleiner Virus zeigt heutzutage, wie fragil das ökonomische Haus ist. Notfalls verheizen sie, der Block von Arbeit und Wirtschaft, den Planeten, nicht weil sie wollen, sondern weil sie nicht anders können. Das Spiel soll weitergehen, aber wir wollen nicht draufzahlen. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Wir wollen nicht mehr unter die Räder kommen, daher ist dieses böse Spiel zu beenden. Schleunigst.

P.S.: In der April-Ausgabe legte die Zeitschrift der AK-Wien in ihrem obligaten Sermon noch nach. Nach der Gerechtigkeit werden nun die Helden, natürlich als die „Held/Innen der Arbeit“ abgefeiert. Diese seien die „wahren LeistungsträgerInnen“. Manche plappern alles nach. Man pflegt den erzbürgerlichen Standpunkt, wo man nur kann. Leistung, Arbeit, Gerechtigkeit, Helden. Das Heldenlied freilich ist in jeder Hinsicht regressiv, entmündigend und entwürdigend, auch wenn man es für sich in Anspruch nimmt. Auch darüber ist auf dieser Website einiges nachzulesen, siehe z.B. den Beitrag „Außergewöhnlich gewöhnlich(Streifzüge 37/2006).

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