von Nikolaus Dimmel
Versteht man den Kapitalismus als Mega-Maschine fortlaufender Anhäufung privaten Reichtums, dann setzt der Betrieb dieser Maschine, im Wesentlichen als Wettbewerb, Ausbeutung und Markt verstanden, unentwegte Erweiterung voraus. Rosa Luxemburg sprach hierzu von der „fortgesetzten ursprünglichen Akkumulation“. Es braucht Kredit als Vorgriff auf zukünftig erst zu schaffende Reichtümer, fortwährende Innovation (oder zumindest den Anschein davon) und die unentwegte Neuerschließung von Märkten.
Damit diese Mega-Maschine betrieben werden kann, müssen gesellschaftliche Verhältnisse fortwährend umgewälzt werden. Marx hat dazu annotiert, dass das Wesen des Kapitalismus darin besteht, alles Traditionelle, Ständische verdampfen zu lassen. Das galt nicht nur für die ursprüngliche Akkumulation des Kapitals und die Entstehung der Arbeiterklasse, nicht nur für die industrielle Revolution und die Urbanisierung, nicht nur für die fordistische Nachkriegskonjunktur und die Entstehung einer breiten Mittelschicht. Es gilt auch für die jüngere Entwicklung, die durch Bewegungen der Automatisierung der Produktion und Flexibilisierung der Arbeit, durch eine Refeudalisierung der gesellschaftlichen Ungleichheitsverhältnisse markiert ist. Im Wechselverhältnis von Produktionsverhältnissen und Produktivkräften muss die Reproduktion der Arbeitskraft – von der allgemeinen Schulpflicht bis durch Durchsetzung der Figur des „Arbeitskraftunternehmers“ – fortwährend an den technologischen und ökonomischen Formenwandel angepasst werden.
Der Lift fährt nur noch abwärts
Heute ist die soziale Lage zum Zerreißen gespannt. Spaltungslinien teilen zwischen Zentrum und Peripherie, arm und reich, Immigranten und Autochthonen, Bildungsgewinnern und Bildungsverlierern. Sie ziehen sich auch durch den Arbeitsmarkt und die Arbeitswelt. Sie teilen zwischen Arbeitenden und Arbeitslosen, zwischen Kernbelegschaften und Randbelegschaften, zwischen Hochqualifizierten und Ungelernten. 2008 beschrieb die OECD die herrschenden Verhältnisse mit dem Slogan „Growing Unequal“. 2018 konstatierte dieselbe OECD, der soziale Fahrstuhl, nämlich die Chance auf soziale Aufwärtsmobilität, sei defekt, möglicherweise irreparabel.
Im Zentrum der viel diskutierten „Abstiegsgesellschaft“ (Nachtwey) steht die Arbeit, nämlich Arbeitsmöglichkeiten, Bedingungen und Chancen. Für die untersten 20 % der Population, in etwa jene, die sich von einer Stimmabgabe bei politischen Wahlen verabschiedet haben, signalisiert die Arbeitsdebatte zuvorderst, keine Arbeit und wenn überhaupt nur prekäre Arbeit zu haben (Pelizzari 2009).
Im Zentrum der Organisation kapitalistischer Lohnarbeit steht eine Paradoxie: einerseits hat sich die Arbeit als Generaltugend in das Leben hineingefressen. Alles ist Arbeit geworden: Körperarbeit, Beziehungsarbeit, Sexarbeit, Trauerarbeit usw. Die Nicht-Arbeit wird damit zum stigmatisierten Nicht-Ort, zu einem Zustand, der tunlichst vermieden werden sollte. Zugleich hat sich die Idee der Arbeit als Beruf und Berufung aufgelöst. Was bleibt ist ein Job und damit ein Arbeitsleben als Ansammlung nächstbester Gelegenheiten ohne die Chance, seine Erwerbsbiographie als „gelungenes Leben“ zu erzählen (Sennett). Ferner haben immer weniger Menschen Zugang zu einem Job, der ihnen eine würdige Existenz sichert. Und schließlich hängt über beinahe Allen, die ihre Arbeitskraft zu Markte tragen, das Menetekel der Arbeitslosigkeit.
Während den Schlechtqualifizierten, Un- und Angelernten, sukzessive die Arbeit ausgeht, weshalb sie sich wie bei der „Reise nach Rom“ um die für sie verbliebenen Jobs „raufen“ müssen, kommt es zu einer riskanten Entgrenzung der Arbeit in einer 24/7-Ökonomie. Arbeit hat hier, wer hohes Tempo und Erledigungsdruck, Firmenanrufe am Sonntag, Rückholungen aus dem Urlaub und generelle Flexibilisierungserwartungen bewältigen kann. Das können längst nicht mehr alle, vor allem die Älteren, chronisch Kranken, Beeinträchtigten und Überforderten. Für jene, die noch „mitkönnen“ liegt der Preis für das Selbst-Management der Abstiegsangst in einem „erschöpften Selbst“ (Ehrenberg).
Repression macht Wachstum kaputt
Augenfällig verkörpert ein bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) verteilungs-, gesellschafts- und sozialpolitisch eine allseitige Herausforderung. Gewerkschaften, Kammern, Verbände und Parteien, die sich die Vertretung von Arbeitnehmerinteressen auf die Fahnen geschrieben haben, können sich aus ihrer Erwerbsarbeitszentrierung und Konzentration auf die Vertretung der NormalarbeitnehmerInnen nur bedingt lösen.
Für die Ordnungspolitik der Rechten ist ein BGE eine Attacke der Faulen auf die Fleißigen. In einzelunternehmerischer Wahrnehmung ist ein BGE ein leistungsloses Einkommen, das aus Steuern auf Einkommen finanziert wird, das man hart erarbeitet hat. Aus der Sicht der Rentiers und Couponschneider zählen BGE-BezieherInnen zu den Überflüssigen, oder, wie ein Schweizer CEO entwertend angemerkt hat, zum „sozialen Schrott“, der entsorgt werden sollte. Die bürokratischen Apparate des Sozialstaates sind damit beschäftigt, Dequalifizierte, als unproduktiv Etikettierte und Arbeitslose ein ums andere Mal auf repressive Weise in den kapitalistischen Produktionsprozess zurückzupressen, in Beschäftigungssimulationen zu halten oder endlos zu trainieren. Akademisch bestallte LohnschreiberInnen aus BWL und Staatsbetriebswirtschaftslehre schließlich orakeln, dass ein BGE „falsche Anreize“ setzen, Leistungsbereitschaft bestrafen und verteilungspolitische Trittbrettfahrer belohnen würde.
Nun kann man wie in Österreich das „Racket“ der Rechtsextremen/Rechtspopulisten sozialpolitisch daran arbeiten, die Ausgrenzten und Abgehängten regelrecht „auszusteuern“, ihnen Versicherungsleistungen zu kürzen (Notstandshilfe) und aufgedoppelt auch noch die bedarfsgeprüften Leistungen (Sozialhilfe). Der avisierte 1,50 Euro-Stundenlohn für Asylberechtigte zeigt wohin die ideologische Reise geht. Wer so handelt denkt allerdings unterkomplex und hat die Funktionsweise der kapitalistischen Mega-Maschine nicht verstanden.
Denn die fortlaufende Anhäufung privaten Reichtums setzt, so man nicht der Alchemie von Geldproduktion (Kredit) und fiktivem Kapital (Buchgeld) anheimgefallen ist, die Realisierung des produzierten Mehrwerts voraus. Kurz: Was erzeugt wurde, muss gekauft werden, damit jemand Gewinne einfahren und Wachstum erzeugt werden kann. Konsum aber setzt Kaufkraft voraus, die entweder aus Vermögensertrag/Rente, Erwerbseinkommen oder Transferleistungen entsteht.
Von keynesianischer staatlicher Nachfragesteuerung über universelle (Beihilfen) und bedarfsgeprüfte Leistungen, vom Helikoptergeld (Ausschüttung von Zentralbankgeld an die BürgerInnen) bis zum bedingungslosen Grundeinkommen (BGE) geht es darum, die kapitalistische Mega-Maschine gegen die Dynamik der Entwertung menschlicher Arbeit (noch) am Laufen zu halten. Ein BGE ist ein in sich widersprüchliches Instrument hierzu.
Insofern scheint die Pointe der gegenwärtigen Kräfteverhältnisse, die zwischenzeitig in einen sozialen „Bürgerkrieg von oben“ eingemündet sind, darin zu liegen, dass die herrschende Klasse ebenso wie ihre Lohnschreiber aus dem Blick verloren hat, was die Mega-Maschine am Laufen hält und welche gesellschaftspolitischen Entscheidungen die politische Dienstklasse hierzu zu treffen hat.
Hegemonie mit Grundeinkommen
Angesichts der gegenwärtigen „Vielfachkrise“ des ökonomischen und politischen System indiziert die Gewährung eines BGE an die VerliererInnen der laufenden Refeudalisierung keinen Riss im Panzer der bürgerlichen Herrschaft. Ganz im Gegenteil. Sie indiziert Stärke und Regierbarkeit. Denn die nicht auszuschließenden Kosten kollektiver Anomie, also der gewalttätigen Regellosigkeit des abgehängten Lumpenproletariats, sind weitaus geringer als jener Aufwand, der getrieben werden muss, um das abgehängte Prekariat vor Verelendung, Hunger und Frieren zu bewahren.
In Frankreich können sich 20 % der Bevölkerung keine drei Mahlzeiten am Tag mehr leisten. Sie sind daher auf mildtätige Essensausgaben angewiesen. Hunderttausende wurden durch die Spekulationskrise am Immobilienmarkt obdachlos. 41 % der Bevölkerung berichten, dass sie im biographischen Rückblick Armutspassagen erlebt haben oder noch immer arm bzw. armutsgefährdet sind. All das hat sich in der Wut und Empörung der Gelbwesten-Bewegung entladen. Deren „Kalmierung“ kostete den Staat nicht nur acht Mrd. Euro. Diese Blockade-Bewegung führte auch zu einem Wachstumseinbruch. Jener wiederum löste eine Konkurswelle aus. Deren wirtschaftliche Folgen ließen das Haushaltsdefizit in die Höhe schnellen. Es gibt also auch Folgekosten sozialer Herrschaftspraktiken, welche die Herrschenden nicht im Griff haben. Die prekarisierten Subalternen am ausgestreckten Arm verelenden zu lassen kostet, reduziert Profitmargen und erschüttert die politische Legitimität.
Formal verkörpert ein BGE einen Bruch mit den etablierten Prinzipien der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Zugleich aber liegt auf der Hand, dass sich das Mantra einer aktivierenden investiven Sozialpolitik, die sich einem markt-liberalen Kontrakt-Denken verschrieben hat, worin Wohlfahrt eine Gegenleistung der Unterstützten erfordert gescheitert ist. Auch wenn die „Greißler“ der Kleinbürger und Kleinunternehmer ein BGE entrüstet als linksradikales Projekt zurückweisen: Vertreter von Finanzkapital und multinationalen Korporationen halten die Einführung eines BGE längst für unausweichlich. In ihrer Welt wimmelt es bereits von „Game-Changers“, sozialen Innovationen, und „Change Agents“. Sie haben verstanden, dass soziale Herrschaft eben nicht nur auf Zwang beruht, sondern auch auf Konsens, also Einbindung, Überzeugung und Zustimmung.
Hegemonie besteht gerade in der Fähigkeit, das Querliegende und Widerständige, den Tabubruch oder die „disruptive Innovation“ nicht im Namen einer traditionalen Ordnung in eine Defensive zu drängen, zu unterdrücken oder es gar auszulöschen, sondern daraus zu lernen und es in eine Triebfeder der Entwicklung der eigenen Vorherrschaft zu verwandeln. Giuseppe di Lampedusa lässt in seinem Roman „Il Gattopardo“ (Die Wildkatze) den Neffen eines Feudalherren jenen Satz sprechen, der die Stabilität sozialer Herrschaft markiert: „Wenn wir wollen, dass alles bleibt wie es ist, muss sich alles ändern.“
Rettung des Kapitalismus?
Insofern setzt die Antwort auf die Frage nach der gesellschaftspolitischen Konsequenz der Gewährung eines BGE, während dessen ProponentInnen bislang von Pathos getragen die bedingungslose Transferleistung als Ausstieg aus dem Kapitalismus darstellen, einen nüchternen Blick voraus. Bettet man nämlich das Konzept des BGE in den Struktur- und Funktionswandel des Kapitalismus ein, der durch Dynamiken der Finanzialisierung, der Rationalisierung und Automation, der Entwertung menschlicher Arbeit und die Umwandlung von allem in Ware und Markt geprägt ist, dann erweist sich das BGE eben nicht per se bereits als „linkes“, sozial-inklusives Projekt, sondern als Projekt zur Abstützung des gegenwärtigen Akkumulationsregimes angesichts hoher sozialer (Armut), politischer (Rechtsextremismus) und ökonomischer (Emigration, Produktivitätsverluste, Aufstände) Kosten.
Als solches zielt das BGE-Konzept nicht auf Inklusion, sondern im Sinne Foucaults auf ein Regieren auf Distanz. Die Depravierten lässt man im Modernisierungslift nicht mehr mit nach oben fahren. Zugleich aber lässt man sich auch nicht so tief abstürzen, dass sie zu einem anomischen Risiko werden. Gleichwohl wird diese BGE-Lösung zu einer Reduzierung des Wohlfahrtsniveaus beitragen. Denn die Wahrscheinlichkeit ist als hoch einzuschätzen, dass ein Grundeinkommen als Instrument gegen einen inklusiven Wohlfahrtsstaat bzw. als Instrument zum Abbau wohlfahrtsstaatlicher Sicherungsniveaus zum Einsatz gelangen wird. Im historischen Block weiß man sich in einer Koalition mit den im Normalarbeitsverhältnis Verbliebenen. Denn die Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates hängt von der Wahrung des Mindestabstandprinzips und von reziproken Beziehungen ab, also davon, dass grundsätzlich alle Erwerbsfähigen beitragen und Arbeit im Vergleich zum Transferleistungsbezug „lohnt“. Druck auf die Löhne bedeutet damit hohe Zustimmung zu Transferleistungen weit unterhalb der Armutsgefährdungsschwelle, aber auch zu repressiven Maßnahmen sozialer Kontrolle gegenüber Hilfebedürftigen, aus dem Arbeitsmarkt Ausgeschiedenen.
Das heißt freilich nicht, dass ein BGE nicht auch im Einzelfall emanzipatorische, bemächtigende Wirkungen haben, dem Gemeinwohl und Gemeinwesen dienlich sein kann. Im Wesentlichen aber ist ein BGE ein Instrument, diejenigen, die aus dem Verwertungskreislauf von Geld und Ware hinausgedrängt worden sind, zumindest als system-konforme KonsumentInnen wieder hereinzuholen, „auf Distanz“ zu halten aber trotzdem als regierbares Milieu zu integrieren. Mit einem BGE tut der neoliberale Staat als ideeller Gesamtkapitalist, wozu er sozialpolitisch berufen ist: er repariert zwar die Schäden der selbstzerstörerischen Kräfte der Mega-Maschine, privatisiert aber die Gewinne daraus, während er die Kosten dieser Reparatur vergesellschaftet. Dass dabei die legitimatorischen Grundlagen sozialer Sicherheit wie auch ihre demokratische Organisationsform beschädigt werden nimmt er in Kauf.
Mit Grundeinkommen regieren
Regieren bedeutet Foucault folgend, das Verhalten der Beherrschten zu steuern. Das hat zwei Bedeutungen. Einerseits werden Staat und Regierung in die Köpfe der Beherrschten verlagert. Diese regieren sich nunmehr selbst. Statt öffentlicher Zensur regiert also die „Schere im Kopf“. Andererseits regiert die politische Dienstklasse die Beherrschten. Dies erfolgt mittels Zwang, Geboten, Verboten oder Anreizen. Beide Formen des Regierens sind ineinander verschränkt.
Vor eben diesem Hintergrund muss ein BGE als Instrument der Herrschaftsausübung verstanden und analysiert werden. Es bindet die Betroffenen an den Geldnexus, es „pazifiziert“ soziale Konflikte, es ermöglicht zivilgesellschaftliche Selbstorganisation und entlastet staatliche Sicherungssysteme. Und es verwandelt widerständige Nischenprojekte ggf. in markt-kompatible sozialpolitische Lösungen. Es ermöglicht Leuten, in Nischen „ihr Ding“ zu machen, was exakt das ist, was die Selbstführungstechniken des liberalen Regierens von den Menschen als „Arbeitskraftunternehmern“ (Voss/Pongratz) einfordert, nämlich ein „unternehmerisches Selbst“ (Bröckling) zu entwickeln, das mit einer auf Permanenz gestellten Unsicherheit zu Rande kommt.
Derlei Umwandlung ist der Mega-Maschine nicht fremd. Dieser Metabolismus erfasste bereits das „Urban Gardening“, widerständige Subkulturen von Jazz bis Punk, für die Biolandwirtschaft ebenso wie geschlossene regionale Wirtschaftskreisläufe.
In der Tat ermöglicht ein BGE als Instrument der Sozialpolitik eine Praktik des Regierens, nämlich die Dispersion, die Vereinzelung der Betroffenen als Empfänger, die aus kollektiven sozialen Sicherungssystemen ausgeschieden wurden. Über ihr Wohlergehen wird nunmehr politisch entschieden, es sei denn, es gelänge, soziale Grundrechte verfassungsrechtlich zu verankern. Das aber liegt gegenwärtig jenseits aller Wahrscheinlichkeit.
Ein BGE eignet sich auch, organisierte gesellschaftspolitische Dissidenz zu unterdrücken, allenfalls diese Dissidenz dann, wenn die Armen öffentlich hörbar werden, in runde Tische und Modellversuche zu integrieren, um die Sozialtechnologie des Umgangs mit Modernisierungsverlierern zu optimieren. Das alte Chinesische Sprichwort „Wenn du deinen Gegner nicht besiegen kannst, dann musst du ihn umarmen“ weist hierzu den Weg. Diese Strategie der Integration, man könnte auch sagen: der „Verdauung“ von widerständiger sozialpolitischer Innovation von unten hat Tradition.
Ambivalenzen der Regulationsweise
Ein BGE ohne Verbürgung einer spezifischen Höhe, eines individuellen (repressionsfreien) Freiheitsraumes und rechtsstaatliche Institutionalisierung eines Leistungskontextes (Anrechnungsbestimmungen, Verfahren, Zugang) bleibt bloße Idee.
Das spiegelt sich darin, dass das BGE seit den 1980er Jahren konflikthaft verhandelt wird: für die einen ist es ein sozialpolitisches Instrument der Ruhigstellung, für die anderen ein Instrument der Emanzipation. Seit dem vorläufigen Endsieg des Austeritätsstaates, der sich eine auf Dauer gestellte Budgetkonsolidierung, die Vermarktlichung und Privatisierung seiner Leistungen auf die Fahnen geheftet hat, wird das Grundeinkommen von Vertretern der Staatsbetriebswirtschaftslehre in Verkehrung seiner Ursprungsidee in den 1970er Jahren als kostengünstige sozialpolitische Lösung in Erwägung gezogen. Die Figur der wirtschaftlichen Inwertsetzung sozial- und wohlfahrtsstaatlicher Leistungen besagt: sozialpolitische Interventionen müssen sich als „Social Return on Investment“ rechnen. Was sich nicht rechnet, wird abgestellt oder auf Minimalniveau heruntergeschraubt. Die soziale Ausgrenzung und Stigmatisierung von Mehrkindfamilien der Unterschicht in der Österreichischen Sozialhilfereform 2019 zeigt dies deutlich.
Unübersehbar findet sich die BGE-Idee also unter einem Damoklesschwert wieder, dass nämlich mit ihr auch eine austeritäre Sozialpolitik betrieben werden, konkret: sozial-kontrollierte Ausgrenzung stattfinden kann. Zugleich aber haben auch die Repräsentanten des Finanzkapitals verstanden, dass ein BGE unausweichlich ist. Die zentrale Frage ist daher, wie ein BGE institutionell und sozialpolitisch ausgestaltet sein wird.
In der Tat setzt sich nach 20 Jahren Debatte über soziale Exklusion, das „abgehängte Prekariat“ und die „Überflüssigen“ nun auch in Politik und Verwaltung die Einsicht durch, dass die Politiken der „Labour Market Insertion“ – der unentwegten Rück-Verweisung der Arbeitslosen in einen ausgreifend flexibilisierten Arbeitsmarkt, worin Dynamiken der Entwertung der Arbeitskraft, der Atypisierung von Arbeit sowie sinkender Nettolöhne die Chancen auf den Erwerb existenzsichernder Löhne minimieren (Bregman 2017) – bloß in Armut und Ausgrenzung münden. In der Tat bleiben Unqualifizierte, Beeinträchtigte und Arbeitsmarktferne (aus dem Arbeitsmarkt Ausgesteuerte) zusehends auf der Strecke. Gegengleich führt die Dynamik des ökonomischen Strukturwandels dazu, dass sowohl die strukturelle als auch technologische Arbeitslosigkeit zunimmt, während das Dienstleistungsproletariat der „neuen Diener“ anwächst und das Heer der Prekären speist. „Ganz unten“ entsteht so eine diffuse Gemengelage der Chancenlosen, Ausgegrenzten und abgehängt Prekarisierten. Und eben hier knüpfen Diskurse und Modelle eines BGE an.
Diese neoliberal imprägnierte Logik spiegelt sich jüngst im ABC-Modell des Arbeitsmarktservice (AMS), worin ein Algorithmus Arbeitsmarktchancen sog. „Kunden“ bewertet und die betreffenden Arbeitslosen sortiert. Im Segment A befinden sich Personen mit sehr guten Integrationschancen ohne Unterstützungsbedarf. Im Segment B finden sich die Personen mit mittleren Integrationschancen, die „notwendige Unterstützung“ bekommen sollen, also zweckmäßigerweise an Bildungs-, Trainings- und qualifikationsfördernden Beschäftigungsmaßnahmen teilnehmen sollen. Im Segment C wiederum finden sich Personen mit „geringen Integrationschancen“ in den Arbeitsmarkt, die keine Sozialdienst-und Trainingsleistungen mehr erhalten. Sie bleiben auf die Sozialhilfe verwiesen, die jenseits der Möglichkeit der zwangsweisen Vermittlung in stundenweise unqualifizierte Tätigkeit (Schneeschaufeln, Hundekot abkratzen, Straßen und Parks reinigen) zu einer grundeinkommens-ähnlichen Grundsicherung wird. Die sozialrechtlichen Repressions-Instrumente sind bereits entwickelt, einen erheblichen Teil dieser Population auf ein Leistungsniveau von weniger als 50 % der EU-SILC-Schwelle abzusenken.
Das politische „Racket“ an der Macht hat verstanden, dass der Arbeitsmarkt selektiver wird. So fallen in Wien 3.800 Personen, das entspricht 3 % der Arbeitslosen, in das Segment A. 53 %, etwa 74.000 Personen, fallen in das Segment B und ganze 61.000 Personen, mithin 44 % der Arbeitslosen, fallen in das Segment C. Es handelt sich dabei um Menschen mit Behinderungen, Frauen (mit und ohne Betreuungspflichten) und ältere Menschen (ab 45). Dies ist die Zielpopulation einer BGE-ähnlichen Lösung auf Basis des Sozialhilfesystems. Nur noch 2019 stehen allen Arbeitslosen sämtliche Förderinstrumente offen. Ab 2020 rücken die C-Leute aus dem Fokus der Vermittlung in den Arbeitsmarkt und rutschen in das System bedarfsgeprüfter Leistungen ab.
Das BGE ist absehbar weit davon entfernt, eine inklusive progressive Reform der Existenzsicherung für alle zu realisieren. Es wird wenn überhaupt auf einkommensschwache Sektoren fokussieren und unterhalb der (EU-SILC)-Armutsgrenze liegen. So bleibt an dieser Stelle nur noch an Michel Husson zu erinnern, der gesagt hat: „Die fortschrittlichen Kämpfer*innen für ein Einkommen von 1.000 Euros pro Monat können von den Etablierten als ‚nützliche Idiot*innen‘ benutzt werden, um ein Grundeinkommen von 400 Euro einzuführen, mit dem die Kosten des Sozialstaats am Ende sogar verringert werden.“
* Gekürzte Fassung aus: Nikolaus Dimmel/Karl A. Immervoll/Franz Schandl (Hg.), Sinnvoll tätig sein. Wirkungen eines Grundeinkommens, ÖGB-Verlag, Wien 2019. Weiterführende Literaturverweise sind diesem Band zu entnehmen. |