von Franz Schandl
„Worauf es deswegen bei dem Studium der Wissenschaft ankommt, ist, die Anstrengung des Begriffs auf sich zu nehmen. Sie erfordert die Aufmerksamkeit auf ihn als solchen (…) Der Gewohnheit, an Vorstellungen fortzulaufen, ist die Unterbrechung derselben durch den Begriff ebenso lästig als dem formalen Denken, das in unwirklichen Gedanken hin und her räsoniert. (…) Räsonieren hingegen ist die Freiheit von dem Inhalt und der Eitelkeit über ihn.“
(G.W.F. Hegel, Phänomenologie des Geistes)
Krise? – Aber woher denn! Arbeit? – Aber unbedingt! Dem „Ende der Arbeit“ stellt Lisa Herzog ganz forsch die „Rettung der Arbeit“ gegenüber. Doch was soll da eigentlich gerettet werden? Auffällig ist wieder einmal die saloppe Ontologisierung, indem diesem Begriff jedes Tun und Handeln zugeschlagen wird. Arbeit ist also keine bestimmte Form der Tätigkeit, sondern eine elementare Eigenschaft der Gattung. Gearbeitet wurde immer, sagt der gesunde Menschenverstand und Lisa Herzog nickt das einfach ab: „Arbeit ist eine zutiefst menschliche Angelegenheit: etwas, das so sehr zu unserem Wesen gehört, dass es sie wahrscheinlich auch dann noch gäbe, wenn die sozialen Verhältnisse komplett anders organisiert wären und Maschinen uns noch mehr Aufgaben abnehmen könnten, als es vermutlich je der Fall sein wird. Menschen wollen etwas schaffen, sie wollen ihre Welt gestalten – Arbeit ist eine zentrale Form, die dieser Drang annimmt.“ (S. 9)
Es ist also der eherne Drang, der die Arbeit schafft, nicht die gesellschaftliche Bedrängung, die sie setzt. Arbeit wird zum Instinkt, jede prinzipielle Distinktion erscheint vor diesem Hintergrund als weltfremd, absurd, aussichtslos. „Gegen wen aber schreibe ich damit an? Wer könnte dagegen sein, die Arbeit zu retten?“ (S. 14), sagt sie mit der Selbstsicherheit einer fränkischen Hausfrau. „Menschsein bedeutet, die materielle Umgebung zu formen und selbst dadurch geformt zu werden.“ (S. 10) Nur, das ist nicht Arbeit. Arbeit ist lediglich eine bestimmte Form dieser tätigen Formierung und nicht jedes Verhalten schlechthin.
Dass wir es andersherum auffassen, mag schon sein, bloß ist das reine Affirmation, die durch sprachliche Usurpation uns so weit gebracht hat, jedes Tun als Arbeit anzusehen, ja anzupreisen. Nicht zufällig sprechen wir heute sogar von Hausarbeit und Trauerarbeit, Erziehungsarbeit und Beziehungsarbeit etc. Uferlos ist sie geworden, die Arbeit. Während ihr realer Spielraum schrumpft, weitet sich ihr virtueller Gedenkraum unablässig aus. „Partnerschaft und gelebte Liebe ist Arbeit“, verkündet inzwischen nicht nur die Open-Mind-Akademie aus Mörfelden-Walldorf. Auch Parship behauptet das. Alles ist Arbeit und Arbeit ist unser alles.
Unbestritten ist, dass heute Akzeptanz in erster Linie durch Arbeit erfolgt. Anerkennung via Arbeit sagt freilich, dass wir ohne sie nackt sind, nichts gelten. Anerkennung wird den Menschen also nicht für ihr Menschsein gezollt, sondern für die Arbeitsbereitschaft, d.h. sich auf dem Markt zu verdingen und dies auch zu können. Anerkennung ist hier eine indirekte, eine, die vom Menschen abstrahiert und ihn ob seines ökonomischen Wertes (ein)schätzt. Erst wenn ich deine Charaktermaske kenne, vermag ich zu registrieren, welchen Wert du hast. Achtung ist kein prinzipielles Gut, sondern eine spezifische Ware. Man muss sie sich verdienen.
„Dass man im Lauf seines Berufslebens mehrfach Brüche und Veränderungen erlebt, was in Zukunft eher die Regel als die Ausnahme sein könnte, muss dann nicht unbedingt eine Bedrohung sein – es können auch Chancen darin liegen, nicht lebenslang auf eine bestimmte Bahn festgelegt zu sein.“ (S. 53f.) Aber beide Male entscheiden nicht die Subjekte. Sie bestimmen weder die Festlegungen noch die Aussonderungen. Bezogen bleibt eins allerdings immer auf die gesellschaftliche Form des Stoffwechsels, d.h. dass man Geld haben muss, für das man zu arbeiten hat oder arbeiten lässt. Die Inhalte werden flexibler, doch das Betriebssystem bleibt unverändert. Der Zwang, flexibel sein zu müssen, wird bei Herzog zur Freiheit nicht gebunden sein zu müssen. Freilich hängt solche Freiheit sehr davon ab, wie man am Markt positioniert ist, resp. selbst zu disponieren vermag. Ist letzteres nicht der Fall (also in den meisten Fällen!), dann wirkt Flexibilisierung wie eine Peitsche. Es ist schließlich ein fundamentaler Unterschied, ob man flexibel handeln kann oder ob man flexibilisiert wird. Aktiv und Passiv sind nicht eins, sie sind eine Differenz ums Ganze.
So stellt sich abermals die Frage: Wem nutzen die Chancen und wen benutzen sie bloß? Es ist pure Ideologie, jede Entwicklung als Chance wahrzunehmen, jedes Risiko auszuloben und überall gute Seiten zu erkennen. Hier grassiert das positive Denken. Mit Denken im eigentlichen Sinne hat diese Lust an hingebender Unterwerfung jedoch nichts zu schaffen.
Mitreden-Mitbestimmen-Mittun
„Menschliche Arbeit bedeutet immer auch, Verantwortung für das zu übernehmen, was man tut – das gilt für einen Manager wie für eine kleine Angestellte. Man mag sich der Haftung für das eigene Handeln entziehen können – die moralische Verantwortung wird man dadurch nicht los. Arbeiten heißt nicht nur, bestimmte konkrete Schritte auszuführen, sondern sich zu überlegen, warum sie zu tun sind, wie sie sich in einen größeren Zusammenhang einfügen.“ (S. 129) Letzteres heißt es dezidiert nicht, da wird der Arbeit etwas angedichtet, was im Regelfall völlig unerheblich ist. Es gilt vielmehr, Aufträge auszuführen, um an Geld zu kommen. Verantwortung übernehmen bürgerliche Subjekte für die ihnen gestellten Aufgaben. Die Erledigung steht im Mittelpunkt, nicht Ursache oder gar Wirkung. Muskel, Nerv und Hirn sind für ersteres veranschlagt.
Mittuer sind zwar Mittäter, doch täten sie nicht mit, zeitigte es für sie fatale Folgen, eben weil man sie von den Gehaltslisten streichen würde. Daher machen sie mit und definieren den Zwang via Mitbestimmung und Zustimmung in Selbstbestimmung um. Es gilt nicht bloß, das Falsche richtig zu machen, sondern auch das Falsche für richtig zu halten. Via falsches Bewusstsein wird das Falsche richtig. So hat dann alles seine Richtigkeit.
Wo ein „mit“ vorne klebt, sollte man vorsichtig sein. Zwischen Denken und Mitdenken etwa besteht ein gravierender Unterschied. Mitdenken kommt über Kapieren nicht hinaus, es ist unkritisch wie zweckgebunden. Mitdenken erfüllt bloß eine Funktion, bedeutet lediglich darüber zu reflektieren, was zu tun ist, nicht was ist. Das Ziel steht nicht in Frage. Mitdenken ist eine Kategorie für die Beschränkten zur Aufrechterhaltung der Beschränkungen. Da mag das Know how unserer Spezialisten und Fachkräfte noch so groß sein. So tief ihr Wissen auch reicht, ihr Bewusstsein bleibt seicht.
Geradezu hanebüchen folgende Passagen: „Wenn man also Demokratie als die beste Organisationsform im politischen Bereich anerkennt, warum sollten ihre Prinzipien dann nicht auch auf den wirtschaftlichen Bereich anwendbar sein?“ (S. 167): „Warum, so die Frage, sollte man diese Mechanismen nicht auch in der Wirtschaftswelt einsetzen?“ (S. 164) Ja, warum denn nicht? „Die Frage wäre also, wie derartige Firmen – die heutigen Aktiengesellschaften – demokratisch gestaltet werden könnten. Einen konkreten Vorschlag dazu hat Isabelle Ferreras vorgelegt. Sie schlägt ein Zwei-Kammern-System vor, in dem jeweils die Kapital- und die Arbeitsseite vertreten sind. Um Entscheidungen zu treffen, müsste in beiden Kammern eine Mehrheit gefunden werden.“ (S. 169)
Nur was ist, wenn in beiden Kammern keine Mehrheiten zustande kommen oder sich widersprechende. Steht dann der Betrieb still? Schon allein, wenn diese „Partizipationsarbeit“ bezahlt werden müsste (oder sollen die Arbeitenden sie in ihrer Freizeit erledigen?), würden sich extreme Wettbewerbsnachteile für solche Firmen ergeben. Experimente der Selbstverwaltung zeigen, dass die Arbeiter durch ein ihnen zusätzlich oktroyiertes Unternehmerdasein doppelt belastet werden: Neben der eigentlichen Arbeit haben sie nun auch noch die Absatzmärkte zu studieren, sie müssen sich umfassend informieren, müssen diskutieren und lobbyieren, taktieren und intrigieren. Warum sollen sie das wollen? Ist es da nicht viel weniger aufreibend und insbesondere bequemer, sich ein Bier oder einen Film reinzuziehen als an diesem Partizipationsmarathon teilzunehmen?
Mitbestimmung unter kapitalistischen Bedingungen bedeutet Erhöhung des Aufwands bei Schmälerung der Erträge. Reibungsverluste wären groß und Fehlentscheidungen häufig. Demokratieverdrossenheit würde schnell um sich greifen. Das sind allesamt schlechte Utopien, deren Bruchlandung schon in der Konstruktion vorgegeben ist. Eine Demokratisierung der Firmen ist nur durch Aufblähung der Bürokratie zu erreichen, die wiederum das Agieren der Betriebe am Markt erschwert, weil Entscheidungsfindungsprozesse sich viel mühsamer gestalteten als durch Autorität und Hierarchie. Mehr als ein Verkomplizieren ist hier nicht drin. Es droht die Manövrierunfähigkeit.
Die Bourgeoisie und ihre Ideologen haben völlig recht: Demokratie in der Wirtschaft ist die Selbstbestimmung der Eigentümer. Punkt. Arbeitermitbestimmung ist ein furchtbar alter Hut. Auch der hundertste Anlauf wird zeigen, dass Selbstverwaltung und Mitbestimmung unter kapitalistischen Vorzeichen ökonomisch zum Scheitern verurteilt sind. Der unvermeidliche Flop führt hierauf realiter zu nichts anderem, als dass einmal mehr in triumphalistischer Manier verkündet wird, dass Selbstverwaltung nie und nimmer funktionieren kann. Aber aufgepasst, das spricht nicht gegen Selbstverwaltung, sondern nur gegen ihre Einbettung in Kapital und Demokratie.
Die gemeinhin geforderte „Integration und Partizipation auf Augenhöhe“ (S. 185), kann schon deswegen nicht statthaben, weil durch den Wert verschiedene Wertigkeiten von Menschen über den Markt reguliert werden. Dass etwas und jemand minderwertig ist, ist immanent und das drückt sich auch in ihrer unterschiedlichen Geschäftsfähigkeit aus, in allen Schattierungen zwischen ökonomisch bedingter Achtung und Ächtung. Dieser ungleiche Wert der Menschen wird über die sogenannte Leistung begründet, die nichts anderes darstellt als den Grund und die Legitimation sozialer Degradation.
Im Rausch der Demokratie
„Für die Gestaltung der künftigen Arbeitswelten wird es entscheidend sein, ob die Stimmen der Betroffenen und insbesondere der Beschäftigten, denen es um die Qualität ihrer Arbeit in Symbiose mit den digitalen Systemen geht, gehört werden oder nicht.“ (S. 160) Die entscheidende Stimme des kapitalistischen Treibens ist jedoch die Rentabilität, alle anderen Kriterien sind Trabanten. Partizipation in den Betrieben nützt gar nichts, wenn der Zweck aller ökonomischen Tätigkeit weiterhin der Profitmaximierung dient und in der Verwertung liegt. Auch Transparenz kann es unter den unmittelbaren Erfordernissen der Betriebsgeheimnisse gar nicht geben. Sie stirbt an der Konkurrenz einen schnellen Tod.
Aber die Autorin lässt nicht locker. „Das langfristige Ziel muss deshalb sein, auch die Arbeitswelt demokratisch zurückzuerobern: ohne Dogmatismus, unter Berücksichtigung der komplexen Rahmenbedingungen einer globalisierten Welt, mit einer gehörigen Portion Realismus, aber eben doch mit der Ausrichtung an dem Ideal, dass wir als Bürgerinnen und Bürger die Ausübung von Macht demokratisch kontrollieren – auch die Ausübung wirtschaftlicher Macht!“ (S. 174) Mit Verlaub: Wann war die Arbeitswelt im Herzog’schen Sinne denn demokratischer: Unter Friedrich Ebert? Konrad Adenauer? Helmut Schmidt?
Die objektiven Vorgaben geraten unserer demokratieberauschten Autorin aber völlig aus dem Visier. Ebenso die ehernen Rationalisierungen, gegen die ebensowenig entschieden werden kann, weil nur sie das wirtschaftliche Überleben sichern. Dafür will Herzog Ansätze „für eine gerechte und demokratische Gestaltung der Arbeitswelt herausarbeiten“ (S. 26). Stets wird via gedankenloses Vokabular unsere Reflexion in die Kläranlage der Affirmation geleitet. Schließlich kulminieren die Fürbitten in ein seliges Gebet an die Werte: „Was fehlt, ist eine Einigung auf grundlegende Werte und die Entwicklung einer Vorstellung davon, wohin es mit der digitalen Transformation der Arbeitswelt im Interesse des Gemeinwohls gehen könnte.“ (S. 8) In Werten wir denken und glauben und schwärmen. Amen. Wann immer den Gemeinen wohl wird, wird einem wie mir ganz unwohl.
Arbeitsteilung-Arbeitsverdichtung-Arbeitszeit
Auch was Marx so meint, meint Herzog zu wissen. So meinte dieser etwa, dass „Arbeitsteilung an sich der menschlichen Natur“ widerspreche (S. 60) und sie verweist dabei konkret auf die Deutsche Ideologie. Wie kommt der nur zu solchem Unsinn, werden sich die Leser fragen anstatt zu fragen wie sie dazu kommt. Bei Marx lesen wir an der Stelle, auf die Herzog sich für ihre Ansicht beruft, Folgendes: „Wie weit die Produktionskräfte einer Nation entwickelt sind, zeigt am augenscheinlichsten der Grad, bis zu dem die Teilung der Arbeit entwickelt ist. Jede neue Produktivkraft (…) hat eine neue Ausbildung der Teilung der Arbeit zur Folge.“ (MEW 3, S. 21f., Siehe auch S. 33, 46ff.; weiters MEW 23, S. 375f.; MEW 40, S. 560ff.)
Im Ersten Band des Kapital heißt es: „In der Gesamtheit der verschiedenartigen Gebrauchswerte oder Warenkörper erscheint eine Gesamtheit ebenso mannigfaltiger, nach Gattung, Art, Familie, Unterart, Varietät verschiedner nützlicher Arbeiten – eine gesellschaftliche Teilung der Arbeit. Sie ist Existenzbedingung der Warenproduktion, obgleich Warenproduktion nicht umgekehrt die Existenzbedingung gesellschaftlicher Arbeitsteilung. In der altindischen Gemeinde ist die Arbeit gesellschaftlich geteilt, ohne dass die Produkte zu Waren werden. Oder, ein näher liegendes Beispiel, in jeder Fabrik ist die Arbeit systematisch geteilt, aber diese Teilung nicht dadurch vermittelt, dass die Arbeiter ihre individuellen Produkte austauschen. Nur Produkte selbständiger und voneinander unabhängiger Privatarbeiten treten einander als Waren gegenüber.“ (MEW 23, S. 56f.)
Die Teilung von Produktionsprozessen (gemeinhin „Arbeitsteilung“ genannt) ist keinesfalls als eine prinzipielle Frage von Pro oder Contra zu diskutieren, sondern sie ist maßgeblich nach den jeweiligen Vorgaben und Erfordernissen zu bestimmen. Was wird weshalb wozu geteilt? Nicht nur im Kapitalismus. Bei aller Forcierung polytechnischer Fähigkeiten, werden nie alle alles tun können und auch wollen. Ob Marx oder Herzog hier undifferenziert argumentieren, überlasse ich gerne dem Publikum.
Die Autorin vereinseitigt Arbeitsteilung und Technik zu einer menschlichen Erfolgsgeschichte, diese wird wieder einmal zu einer Erzählung des Fortschritts. Kategorisch behauptet sie: „Es hat schon zur Natur menschlicher Arbeit gehört, diese in ihre Schritte zu zerlegen und Gerätschaften aller Art einzusetzen, um sie zu erleichtern.“ (S. 25) Arbeit wird aber nicht bloß erleichtert, sie wird vor allem verdichtet und damit wiederum erschwert. Früher war Arbeit oft kräfteraubender, weil körperlich anstrengend, nunmehr ist sie effizienter, aber psychisch belastender. Die Berufsbilder haben sich geändert wie die Krankheitsbilder mit ihnen. Das permanente Versprechen technischer Innovation weniger arbeiten zu müssen, sollte sich freilich nicht erfüllen. John M. Keynes sagte schon in den 1930er-Jahren eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit auf 15 Stunden voraus. Eingetreten ist das nicht. Wir sind heute mehr beschäftigt als ehedem, da mag die gesetzliche Arbeitszeit auch einige Male herabgesetzt worden sein. Ziel ist nämlich nicht, Arbeit zu erleichtern, sondern sie zu verbilligen. Erleichterung ist maximal ein Effekt. Die zentrale Erschwernis liegt heute jedenfalls in dieser Intensivierung.
In „prometheischer Scham“ (Günther Anders) hechelt der Arbeiter der Maschine nach. Die weitgehende Abschaffung des Bummelns in der Arbeit beseitigt Erholungsphasen, die früher inhärent gewesen sind. Der Taylorismus sorgt für die Eliminierung unproduktiver Unterbrechungen, die zu Lasten der Beschäftigten geht, seien diese unselbständig oder outgesourced. Betulichkeit, Genügsamkeit, Lockerheit, bedächtiges und ruhiges Schaffen; das alles darf man nicht durchgehen lassen. Tachinieren verboten! Es herrscht das strenge Regime der Leistung, das Diktat der Arbeitsökonomie in allen Sparten. Niemand soll mehr eine ruhige Kugel schieben. Blau machen geht gar nicht! Verwertungsfreie Sequenzen sind zu liquidieren. Standort! Konkurrenz! Wachstum!
„Im günstigsten Fall wird durch den Einsatz neuer Technologien die Zeit, die für wirtschaftlich notwendige Arbeit gebraucht wird, verringert – es bleibt mehr Lebenszeit für andere Aktivitäten, einschließlich der Pflege derartiger Hobbys.“ (S. 65) Bewerkstelligen sie das wirklich, wenn wir alles, d.h. auch das Nichtmonetäre berücksichtigen? Wenn wir Entwicklung als einen organischen Prozess betrachten, nicht als statistische Markierung reduzierter Momente? Aber selbst wenn Herzog recht hätte, stellt sich immer noch die Frage, wie diese Verringerung sich ausdrückt. Illustrieren wir es an einem Beispiel. Angenommen wird, dass 4 Arbeiter 20 Stück in 20 Stunden herstellen. Wenn sie nun aber die gleiche Stückzahl in 10 Stunden fertigen könnten, reduziert sich paradoxerweise nicht deren Arbeitszeit, sondern die Beschäftigtenzahl auf zwei bei gleicher Arbeitszeit. Die Freiwerdung der Arbeitszeit wird zur Freisetzung der Arbeiter genutzt. Verwendet wird der Produktivitätsanstieg dazu, den Kostpreis der Ware Arbeitskraft zu senken, indem man weniger variables Kapital beschäftigen muss, kurzum Arbeiter entlässt. Das Kapital will also nicht die Arbeitszeit, sondern die Produktions- und Umlaufszeit der Waren reduzieren.
Märchenstunde Staatsbürgerkunde
Es ist keine große, dafür aber eine maßlose Erzählung. Unablässig schwätzt die demokratische Bewusstlosigkeit von der Mündigkeit. Wir, das sind die selbstbestimmten Wesen. „Was die Arbeit mit uns macht, hängt maßgeblich davon ab, was wir mit der Arbeit machen. Vor uns liegt die Aufgabe, die gestellten Fragen politisch zu beantworten.“ (S. 186) Herzog schreibt: „Dass die Dinge sich irgendwie von selbst regeln, dass alles einer höheren Logik folgt, dass man nichts tun kann und deshalb sowohl Privatleute als auch Politikerinnen aus ihrer Verantwortung entlassen sind – diese Logik klingt vertraut. (…) Aber in Bezug auf die digitale Transformation scheint es teilweise eine ähnliche Haltung zu geben: Sie wird als etwas wahrgenommen, das einer höheren Logik folgend einfach passiert.“ (S. 71f.) Indes passiert sie nicht tatsächlich, und ist nicht umgekehrt die Illusion der politischen Steuerung geradezu kontraproduktiv, da sie etwas unterstellt, was diese Kraft gegen jene nie entfalten kann. Die Autorin streut Sand in die Augen anstatt analytische Hilfe zu leisten. D.h. nicht, dass man nichts tun kann, sehr wohl aber, dass es nötig wäre, zu überlegen, welche Form dieses Tun annehmen kann, ohne es gleich voreilig der Sphäre der Politik zu überantworten.
Politik wird groß geschrieben. Was die nicht alles könnte, wenn sie nur wollte. Sätze, wie wir sie zur Genüge kennen und wie sie auch jeder Werbebroschüre entnommen werden könnten, sind solcher Natur: Es geht um „ein ‚taking back control‘ im Sinne einer demokratischen Kontrolle der Wirtschafts- und Arbeitswelt.“ (S. 21f.) Oder: „Dabei bieten neue Kommunikationstechnologien zahlreiche neue Möglichkeiten der Partizipation, die dem alten Projekt einer Demokratisierung der Wirtschaftswelt ganz neuen Auftrieb verschaffen können. Diese Chance sollten wir als Gesellschaft nicht ungenutzt lassen (…).“ (S. 18) Der Socken ist nur frisch, weil frisch gewaschen. Neu ist da gar nichts.
Auf jeden Fall gelte es „aktiv die Rahmenbedingungen zu gestalten“ (S. 21). Ja, der Rahmen und seine Bedingungen. Vielleicht sollte man sich dereinst aufraffen, dieses Wort (von einem Begriff ist ja kaum zu sprechen) zu hinterfragen. In etwa: Setzen die Bedingungen den Rahmen oder der Rahmen die Bedingungen? Und was ist der Rahmen, kann man den dechiffrieren? Wäre spannend, bevor man stracks meint, den Bedingungen einfach einen beliebigen Rahmen aufhalsen zu können. Es ist das politizistische Kauderwelsch, das hier schwadroniert. Herzog agiert gleich einer akademischen Sprechpuppe. Immer wird eine Autonomie der politischen Entscheidung vorausgesetzt als sei sie, da mag sie sich auch noch so desavouieren, eine gegebene Sache. Natürlich bleibt auch die Kategorie der Politik unreflektiert. Was sie können kann, ist was sie können will, so das krude Credo, das nicht und nicht verhallen möchte.
Die Politikillusion erreicht geradewegs schwindelnde Höhen: „Denn auf der Ebene der Politik gibt es erst recht keine ‚unsichtbare Hand‘, die ohne den aktiven Einsatz menschlicher Individuen irgendwie alles zum Besten führen würde. Anders formuliert: die ‚Hände‘, die Märkte gestalten, sind die Abgeordneten in Parlamenten, die als Volksvertreter über Gesetze und Regulierungen abstimmen. Es sind die Bürgerinnen und Bürger, die sie wählen oder ihnen mit Abwahl drohen. Und es sind Richterinnen und Richter, die Recht sprechen und dafür sorgen, dass die demokratisch beschlossenen Regeln eingehalten werden.“ (S. 80f.) Sie dachten, sie seien an der Macht und waren doch nur an der Regierung. Die aktuelle Ohnmacht der Politik erscheint sodann als Unfähigkeit und Unwille. Dafür wird einmal mehr das Märchen der Souveränität vorgetragen. Was sagen? Die Abgeklärtheit diverser Politiker ist wahrlich der Aufgeklärtheit solcher Wissenschaft vorzuziehen.
Mitten im Staatsbürgerkunde-Unterricht für maßlos Fortgeschrittene vernehmen wir dieses: „Wenn dieser Rahmen zugunsten derjenigen, die mehr haben, verzerrt wird – sei es, weil sie durch Lobbyismus Einfluss auf die Politik nehmen, sei es, weil sie sich bessere Anwälte leisten können –, dann verschiebt sich das System zu ihren Gunsten. Damit wird es ihnen leichter gemacht, noch mehr Geld zu verdienen, um dann noch mehr politischen Einfluss zu nehmen und noch mehr Regeln zu ihren Gunsten zu verzerren – ein sich selbst verstärkender Prozess, der die Ungleichheit in unseren Gesellschaften weiter anwachsen lässt und dafür sorgt, dass die Märkte immer weniger zum Wohl aller und stattdessen immer stärker zugunsten derjenigen wirken, die sowieso schon ganz oben stehen.“ (S. 81) Aber diese Oberfläche hat einen Untergrund, den zu benennen sich Herzog scheut oder den sie überhaupt nicht sieht. Politik wird vorgeführt als die geradezu sichtbare Hand, die, wenn sie nur richtig eingriffe und zugriffe, vieles gut machen und erledigen könnte. Doch nicht Beschlüsse und Pläne der Betroffenen schaffen Tatsachen, sondern das geschäftstüchtige Treiben der Konkurrenten, deren Aufgabe darin besteht, diesen Gesetzen des Kapitals zu entsprechen. Nicht Entscheidungen schaffen Resultate, sondern Resultate Entscheidungen.
Hierarchie gegen Demokratie?
„Unser politisches System beruht auf der demokratischen Kontrolle von Hierarchien und der repräsentativen Interessensvertretung durch gewählte Politiker, die ihr Mandat nur dann behalten, wenn sie den Interessen ihrer Wähler dienen, denn diese können sie andernfalls abwählen. Das System funktioniert nicht perfekt, und man kann trefflich darüber streiten, welche Varianten am besten sind, ob Mehrheitswahlen oder Verhältniswahlen, kürzere oder längere Wahlperioden, mehr oder weniger föderale Ansätze. Alles in allem aber gilt der berühmte Satz Winston Churchills: Die Demokratie ist die schlechteste Regierungsform – abgesehen von allen anderen!“ (S. 163) Halleluja.
Schon die behauptete Dichotomie zwischen „Hierarchie oder Demokratie?“ (S. 143), sollte einen stutzig machen. Demokratie als Form der Herrschaft kombiniert Hierarchie und Bürokratie in ganz bestimmter rechtlicher Form. Hierarchie verschwindet übrigens nicht, wenn sie in das Innere der Unterworfenen verlegt wird. Das holzschnittartige Bild von Entscheidungsprozessen und Partizipationsverläufen, von Transparenz und Effizienz ist analytisch mehr als bescheiden. Das Inventar der Autorin gedeiht bloß auf der Bekenntnisebene der Konventionalität. Dass Lisa Herzog Philosophin ist, fällt nicht wirklich auf.
Ideologin ist sie auf jeden Fall. „Denn es gibt für die Grundordnung einer freiheitlichen, demokratischen Gesellschaft vielleicht kaum eine gefährlichere Tendenz, als wenn der Eindruck entsteht, man hänge die Kleinen und lasse die Großen laufen.“ (S. 104) En passant findet sich der alte konservative Kampfbegriff von der FdGO („Freiheitlich-demokratischen Grundordnung“) bei der Autorin als korrekte Beschreibung des politischen Systems wieder. Man ist bass erstaunt über diese Geschichtsvergessenheit. Andererseits ist ihr Eindruck natürlich auch kein falscher. Solange es systembedingte Positionierungen gibt, werden die Kleinen gehängt und nicht die Großen. Wobei auch nichts gewonnen wäre, würde man die Großen ebenfalls hängen. Dass Menschen hängen und vor allem hängen gelassen werden, ist schlicht zu überwinden. Für die „Gleichheit der Sanktionierung“ (S. 125) zu plädieren, ist überhaupt ausgesprochen abgeschmackt. Eine Gleichheit der Sanktionierung kann es unter dem Vorzeichen des Geldes gar nicht erst geben. Auch asymptotisch nicht. Recht ist primär eine Frage der ökonomischen Potenz.
Affirmation und Akademie
Von Leibniz über Kant und Hegel bis zu Adorno verachteten bedeutende Denker den gesunden Menschenverstand. „Dich auf Beistimmung der allgemeinen Menschenvernunft zu berufen, kann dir nicht gestattet werden; denn das ist ein Zeuge, dessen Ansehen nur auf dem öffentlichen Gerüchte beruht“, schrieb Immanuel Kant 1783 in seinen „Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik die als Wissenschaft wird auftreten können.“ (Werkausgabe Band V, Frankfurt am Main 1988, S. 137)
Unsere Pragmatikerin hingegen hält ein diesbezügliches Bekenntnis für obligat. (Vgl. etwa S. 151) Ihr Band entspricht dem auch. Präsentiert wird eine Liste konventioneller und konditionierter Vorurteile. Der Marxismus etwa hat erneut seinen Auftritt als Fatalismus, der auf den Zusammenbruch wartet. „Wenn er (der Kapitalismus, F.S.) dann zusammengebrochen sei, werde eine bessere Gesellschaft auf Grundlage eines völlig anderen Wirtschaftssystems folgen, so das Versprechen. Bis dahin aber können wir, polemisch gesagt, nur abwarten und Tee trinken.“ (S. 76). Polemisch gesagt, sollte ich mir jetzt einen Schnaps gönnen.
Wie Lisa Herzog, Jg. 1983, Professorin für Politische Philosophie in München, gestrickt ist, zeigt eine andere Stelle. Ohne Umschweife kommt sie dort zur Sache: „Aus historischer wie globaler Perspektive betrachtet, ist es ein unglaubliches Privileg, Mitglied eines gut funktionierenden Systems hochentwickelter Arbeitsteilung zu sein.“ (S. 46) Gut? Funktionierend? Hochentwickelt? Wir, die wir in der besten aller Welten leben, sollen es jetzt noch besser machen. Die Bestesten hier sind wir! Wie viel Verdrängung benötigt man zu solcher Deskription? Die Krise ist da in fast horxartiger Manier zu einer Erfindung des Alarmismus geworden. Aber unsere Autorin ist, vergessen wir nicht, was sie ganz unmissverständlich betont, Mitglied des Systems, inzwischen eine dekorierte Mitarbeiterin der Indoktrinationsbrigaden der Scientific Communties.
In ihren praktischen Vorschlägen kommt Herzog nicht über die Forderung nach besseren Versicherungssystemen hinaus, nicht einmal dem bedingungslosen Grundeinkommen vermag sie etwas abzugewinnen. (Vgl. etwa S. 134ff., 185). „In Zeiten zunehmend unsicherer Beschäftigung muss der wichtigste Fokus sozialstaatlicher Reformen sein, den Versicherungsgedanken der Sozialsysteme zu stärken.“ (S. 139) Es ist ein begriffsloses Traktat, das es lediglich versteht, Alltagsfloskeln abzuphrasieren. Keine Selbstverständlichkeit, an der Herzog vorbeikommt. „Dass Arbeit zur menschlichen Natur gehört, ist ein Gedanke, der sich durch die Geschichte des politischen Denkens zieht.“ (S. 10) Zweifellos, wer Arbeit nur im beschränkten Common Sense versteht, vermag zu gar keiner anderen Einschätzung zu kommen. Das, was gesellschaftlich bedingt ist, ist ihr unbedingt.
Die arbeitskritischen Debatten der letzten Jahrzehnte sind völlig spurlos an ihr vorbeigegangen. So sei etwa – um es an einem bürgerlich-liberalen Denker zu illustrieren – stellvertretend Ralf Dahrendorf genannt, der vor vielen Jahren in einem vielbeachteten Beitrag in der Zeit (Nr. 48/1982) davon gesprochen hat, dass der Arbeitsgesellschaft die Arbeit ausgehe, dass es unterschiedliche Ebenen menschlichen Tuns gebe u.v.m. Nicht nur Dahrendorf findet sich nicht einmal im Literaturverzeichnis. Die Akademie durchfährt gerade einen Tunnel der Ignoranz. Um nicht schwarz zu sehen, pinselt sie alles rosa aus. Alles scheint machbar. Anything goes. Es herrscht konformiertes wie konformierendes Alltagsdenken. Diese Wissenschaft ist schlicht und einfach abgesoffen. In universitären Kreisen ist es wieder chic geworden, dafür zu sein. Lukrativer wohl allemal. Zelebriert wird ein Hochamt für Arbeit und Politik. Die Dreißigjährigen wirken jedenfalls älter als die Achtzigjährigen.
Mit solchem Schriftgut kann man zwar in Oxford habilitieren, auf diversen Universitäten brillieren, auf den Wissenschaftsmärkten bilanzieren, aber kritische Theorie kann man damit nicht produzieren. Diverse Happen erinnern an Forschung von der Stange, an serielle Produkte, deren Sätze auch Politikerreden und Reklametexten entnommen sein könnten. Es rieseln die Slogans. Herzog plaudert sich durch die Seiten. Da ist nichts neu, da nichts originell und vor allem überhaupt nichts kritisch. Der Bottich der Naivität wird fast ausgeschöpft. Es ist davon auszugehen, dass solche Bücher von Computerprogrammen fabriziert werden könnten, so wie sie es verstehen, Textbausteine formallogisch aneinanderzuketten. Der Algorithmus bringt das locker bald hin.
Der Arbeit Schluss
„Warum wollen Menschen arbeiten?“ (S. 181), fragt Herzog. – Wollen sie? Also ich will dezidiert nicht. Wenn man unter Arbeit versteht, sich auf dem Markt zu verdingen, sich für ihn fit zu machen und fit zu halten, um Einkommen zu lukrieren, dann ist das etwas, was ich entschieden ablehne und verabscheue. Dass viel zu viele es aber tatsächlich möchten, verdeutlicht die Hegemonie der Arbeit in den Köpfen. Der kollektive Wuscher besagt: Da wir arbeiten müssen, haben wir es auch zu wollen! Diese Normierung erscheint auch Lisa Herzog als Normalität. Erwerbsarbeit leistet aber nur eine bestimmte Art von Integration, nämlich jene in die kapitalistische Betriebsamkeit, die man nicht mit des Lebens Möglichkeiten verwechseln sollte, so sehr sie aktuell auch den Alltag determiniert.
Was wir ohne Arbeit wären, ist relativ leicht zu sagen: Weniger krank, weniger nervös, weniger gestresst, wenig ausgebeutet, weniger unterworfen, weniger drangsaliert. Das ist nicht wenig. Nikotin und Alkohol machen heute viel weniger Leute kaputt als die Arbeit, abgesehen davon sind viele Exzesse des Rauchens und Saufens den unerträglichen Arbeits- und Lebensbedingungen der Menschen geschuldet. Viele brauchen das, sonst halten sie es nicht aus. Das spricht für sie, wenngleich es keine Lösung ist. Die Rettung kann die Arbeit nur noch auf den Friedhof fahren. Wir sollten nicht mitfahren. Damit wir tun können, was wir wollen, müssen wir aufhören zu arbeiten.
Lisa Herzog, Die Rettung der Arbeit. Ein politischer Aufruf, Hanser Verlag, Berlin 2019, 222 Seiten, Paperback ca. € 22,00