von Petra Ziegler
Die Welt der uns umgebenden Dinge erscheint uns gewöhnlich recht gewöhnlich und wird allenfalls in ihren Auswüchsen hinterfragt. Konsumsucht wird kaum gut geheißen, allzu strenge Markengläubigkeit durchaus verspottet. Echtes Befremden löst ein beliebiges Fertigteil aber nur aus, wenn es gar zu offensichtlich für die Halde produziert ist. Ansonsten gilt die oberflächliche Vielfalt als allgemein erstrebenswert, auch wenn langsam auffallen sollte, dass der Nuancenreichtum in Wahrheit beständig schwindet.
Eine Ware – ob simpel oder raffiniert – ist uns so alltäglich, so trivial, wie irgendetwas nur sein kann. Magisch anziehend im Einzelfall, das ja, nicht selten überflüssig, nützliches Ding für den alltäglichen Gebrauch, kleiner Luxus oder zum Verzehr geeignet, vielleicht auch hässlich, trashig, unbrauchbar, ein bloßer Staubfänger, doch keinesfalls nachhaltig verstörend.
Ganz anders in der Marx’schen Analyse. Hier erweist sich, was uns so selbstverständlich erscheint, als „ein sehr vertracktes Ding, voll metaphysischer Spitzfindigkeit und theologischer Mucken“, als „sinnlich übersinnliches Ding“, „wunderlich“ und „geheimnisvoll“. Von „Zauber und Spuk“ ist da die Rede, von „Mystizismus“ und einer ganz und gar „verrückten Form“.
„Das Geheimnisvolle der Warenform“, führt Marx dazu aus, besteht darin, „dass sie den Menschen die gesellschaftlichen Charaktere ihrer eignen Arbeit als gegenständliche Charaktere der Arbeitsprodukte selbst, als gesellschaftliche Natureigenschaften dieser Dinge zurückspiegelt.“
In einer entwickelten Marktwirtschaft wird der gesellschaftliche Zusammenhang auf ganz spezifische, historisch einzigartige Weise hergestellt. Der nachdrückliche Hinweis mag überraschen, dass wir für den Tausch produzieren oder Leistungen erbringen, will uns partout nicht als bemerkenswert auffallen. Kaufen und Verkaufen ist uns zur zweiten Natur geworden. Na, sicher doch! Was sonst?, reißt eins die Augen auf. Wir tun es und tun es tagtäglich wieder, doch – ganz ohne Absicht – handeln wir uns damit was ein. Im Effekt, darauf verweist uns Marx, erscheinen unsere eigenen wechselseitigen Beziehungen als gegenständliche Eigenschaften der Arbeitsprodukte selbst. Als ob sie Wert von Natur aus hätten, gerade so, wie sie Ecken und Kanten haben, oder rosa Farbe. Wie in der religiösen Welt, so Marx, „scheinen die Produkte des menschlichen Kopfes mit eignem Leben begabte, untereinander und mit den Menschen in Verhältnis stehende selbständige Gestalten.“ Den Gesetzen der Warennatur folgend beziehen wir uns nicht aufeinander, sondern stets auf eine andere Ware als selbstständige Gestalt des Werts. Im gesellschaftlichen Prozess wird sie zur ausgeschlossenen Ware und damit zu Geld.
Der Fetischismus, der der Warenwelt anhaftet, verschwindet nicht einfach, indem wir uns die Augen reiben oder ihn ins Bewusstsein heben. Als blindes Resultat unserer gesellschaftlichen Praxis (der Warenproduktion) bleibt er wirksam, solange wir an dieser Praxis festhalten. Die bewusste Überwindung des gesellschaftlich Unbewussten geht mit dem Abschied von den uns so vertrauten Formen (Ware, Geld, Arbeit) einher. Der Fetisch verliert seine Macht, sobald unser Tun, unsere Erzeugnisse und Zuwendungen, unmittelbar zum gesellschaftlichen Ganzen beitragen und nicht zuvor eine „von ihrer Realität verschiedne phantastische Gestalt“ annehmen müssen. Wenn wir also unsere sozialen Beziehungen und gesellschaftlichen Belange (Reproduktion, Verteilung, Ressourcenverbrauch etc.) bewusst, das meint direkt und nicht über den Umweg einer mit Eigenlogik behafteten abstrakten Form koordinieren.
Zuallererst heißt das, die Akzeptanz des Gegebenen zu zerstören. Nichts muss so bleiben, allein weil es so ist. Das „ökonomische Bewegungsgesetz der modernen Gesellschaft zu enthüllen“ war Marx’ selbstgestellte Aufgabe. Sein Ergebnis ist eine Untersuchung in Form umfassender Kritik mit dem Ziel, eben diese Verhältnisse umzuwerfen.