von Franz Schandl
I.
Ich. Wer bin ich? Oder doch, was? Ich schreibe. Bin ich Schriftsteller? Aber woher denn! Und vor allem auch, wozu? Was ist mit einem, der nicht behaupten will, Schriftsteller zu sein, kann der sich behaupten, wenn er schon die Behauptung verweigert? Soll ich nicht doch noch Schriftsteller werden? Zumindest werden wollen? Versuchen, mich zu behaupten am Markt der Essays und Bücher. Meinen Platz einzunehmen in der Welt, wie es halt die Verpflichtung der Bürger ist. Aber warum soll ich diese Pflicht erfüllen, wo sie doch meiner Neigung so gar nicht entspricht. Warum soll ich mich fügen?
Indes, ich will nicht! Ich will nicht etwas sein, weil man etwas zu sein hat. Ich will nur sein. Wenn ich dichte, bin ich kein Dichter, wenn ich denke, bin ich kein Denker, wenn ich backe, bin ich kein Bäcker, und wenn ich laufe, bin ich kein Läufer. Warum soll ich mich durch meine Prädikate definieren lassen? Ich dichte gerne, ich denke gerne, ich backe gerne, ich laufe gerne. Aber das tue ich, sein tue ich etwas anderes, aber eben nichts Dezidiertes. Es ist dieser bescheidene Wunsch, ich zu sein, der mich motiviert.
Nie bedrängte mich der Wunsch, Schriftsteller zu werden, aber seit ich ungefähr fünfundzwanzig war, spüre ich, dass ich etwas zu sagen habe und dass das zu Sagende schriftlich gemacht werden muss, will es Halt und Inhalt gewinnen. Aber nie wollte ich mich bezichtigen lassen durch eine Zuordnung, nie wollte ich in eine Schublade gesteckt werden, immer wollte ich in meiner Tragweite gesehen und angenommen werden. Meine Akzeptanz sollte nicht Folge eines Jobs sein und schon gar nicht die einer Vermarktung. Entschieden lehne ich es ab, bewertet, anstatt geschätzt zu werden.
Indes, ich will nicht! Mich zu spezialisieren, das war mir stets fremd. Nicht mangelnde Kompetenz verordnete mir diesen schrägen Zustand, sondern einfach die Lust, auf die Fülle zuzugreifen, mich nicht zu verengen oder gar einzugraben in einem Gebiet, wo ich dann als Fachmann oder Experte glänzen könnte. Das Partielle hat nie so gereizt wie das Ganze. Jeder Ausschnitt ist mir zu wenig. Nicht einen Teil des Lebens will ich, das Leben schlechthin möchte ich. Was sonst soll man wollen? Freilich kann ich nur dafür leben, aber nicht davon.
II.
Ich fühle mich nicht berufen, und wenn doch, dann nicht zu einem Beruf. Etwas, von dem man sagen könnte, dass ich einer sei. Ich bin keiner von denen, auch kein freier Schriftsteller. Bereits der Terminus ist absolut idiotisch. Er kommt so gesättigt, so überzeugt und selbstverständlich daher, als handle es sich um einen Adelstitel der Kulturindustrie. So Freiherr von Schanden. Andere mögen abhängig sein, aber ich, ich doch nicht! – Die Setzung des Adjektivs „frei“ zeugt von einer verbohrten Lüge, seien die Träger nun Ahnungslose oder Überzeugungstäter. Die Bezeichnung ist nichts anderes als eine bürgerliche Aufwertung durch Auszeichnung. Schlimmer als die staatlichen Bevormundungen und Gängeleien, denen man den Zwang immerhin ansieht, erscheinen die Pressionen des Marktes als Betätigung und Bestätigung der Freiheit schlechthin.
Indes, ich will nicht! Die, die mich anerkennen, müssen mich anerkennen, ohne dass man ihnen sagt, dass ich anzuerkennen sei. Ob diese Position durchhaltbar ist? – Wahrscheinlich nicht! Auch wenn ich mich manchmal wundere, wie lange ich schon in diesem Abseits sitze und nicht verzagt habe. Verzweiflung ist zu verdrängen.
Frei am Markt zu sein, heißt, vogelfrei zu sein. Dem Abschuss zu entgehen, indem man andere abschießt. Dem Ausschluss zu entgehen, indem man andere ausschließt. Das Leben der Konkurrenten ist eine gemeine Abfolge von Vergeltungen. Meistens sind die anderen nicht gleich tot, sie werden wie wir langsam zur Strecke gebracht. So und nicht anders funktionieren Konkurrenz und Geschäft. Man muss dazugehören und mitmachen, um anerkannt zu werden. Wir sind Monaden, fensterlose Wesen, die sich und die ihren von den anderen abschotten, ihnen (da wir sie wie uns kennen) misstrauen. Ihnen (nicht zu Unrecht) das Schlechte unterstellen und mit dem Üblen das Üble verhindern möchten. Wie verhindern wir, dass uns die Anderen etwas antun? Ganz einfach: Wir tun ihnen selbst etwas an, auf dass sie uns nichts antun können. Nicht Gunst erweisen wir einander, sondern Missgunst.
Die Erkenntnis der Unfreiheit ist befreiender als die Anwendung uns aufgezwungener Freiheit. Die Freiheit, die wir kennen, die ist eine Bedrohung. Sie verwüstet unser Leben, degradiert es zu einem Kampf ums Überleben, zwingt zu Arbeit und Tausch, zu Geld und Geschäft, zu Verwertung und Verrohung. Diese Freiheit ist unwirtlich und widerlich. Sie erschafft keine Individuen, sie produziert Subjekte, sie liebt die Menschen nicht, sondern rüstet und stachelt sie auf. Unsere Geschichte ist gerade aufgrund dieser mentalen Disposition eine Geschichte selbstgemachter Katastrophen.
III.
Was werden, was ist das schon? Nur wer meint, nichts zu sein, muss etwas werden. Wie kommen wir überhaupt dazu, a priori für nichtig oder minderwertig gehalten zu werden? Mich anzubieten, das will ich von mir nicht und nicht verlangen. Es ist schlimm genug, dass ich es gelegentlich tun muss. Es ist nicht Scheu, es ist Abscheu. Mich zu bewerben, ja zu feilschen, mich zu verkaufen, davor graust mir. Die Frage nach meinem Marktwert müsste mich stracks in den Suizid führen.
Bestenfalls bin ich ein unfreier Dichter. Vielleicht, es sei gestanden, hätte ich auch gerne einen Verlag, der mich verlegt, nicht bloß ein Buch publiziert. Jemanden, der mich vor dem Markt schützt, aber doch dort irgendwie unterbringt. Mir sagt, was zu fördern und was zu unterlassen ist, meine lyrische und dramatische Ader ernst nimmt und mich in jeder Hinsicht ermutigt. Denn eigentlich wollte ich mich nie selbst verlegen und auch den Redaktionen wollte ich nie nachlaufen. Mitteilen ja, anbieten nein! Wie grauslich ist dieses Sich-zum-Markte tragen. Ich hasse es aus tiefster Überzeugung. Vermarktung ist praktizierte Kapitulation.
Indes, ich will nicht! Das Schmieden oder das Bauen an einer Karriere war und ist mir zutiefst zuwider. Sich zu managen, strategisch zu netzwerken, wohin soll das führen? Welch getriebenes Wesen muss man sein, eine Laufbahn anzustreben und diese zu beschreiten? Vielleicht führt derlei ja in den Erfolg oder auch an die Spitze, doch was ist man dort und was macht man dort und wie lange? Ich wollte nie ein Erniedrigter und Gehetzter sein, sondern ein Lebender, ja ein Lebendiger. Kein Kalkulator meiner Finanzbuchhaltung. Nicht erfolgreich gilt es zu sein, sondern folgenreich.
Nicht dass ich nicht einmal bekannt bin, ist bekannt. Bisher bin ich jedenfalls allen Relevanzvermutungen entkommen und Preisausschreiben entgangen. In keiner Hitparade werde ich gespielt, in keinem Ranking gelistet. Ich hatte nie einen Preis und daher bis jetzt auch noch keinen bekommen. Er bekommt mir auch nicht. Schon alleine dadurch, dass ich einen Preis wert wäre, mäße man mich mit den Maßen der Konvention. Ich bin keinen Preis wert. Bisher keinen gewesen und in meinem Wesen dem auch in keiner Weise entsprechend. Was will man mit dem Preis? Dass ich auffalle? Nicht, dass ich nicht auffallen will, aber nicht auf dem Markt will ich auffallen, sondern wider den Markt. Aufmerksamkeit hat kontradiktorisch zu sein und vor allem zu bleiben.
Geehrt wurde ich nie. Keine Kommission hat sich meiner erbarmt und mich bedroht. Unehre, wem Unehre gebührt. Doch was ist Ehre? Eine Erweisung? Ähnlich einer Überweisung? Auf jeden Fall eine herbe Einweisung in die Zugehörigkeit. Auch meinen unüberschaubaren Vorlass anzukaufen, hat mir noch niemand angeboten. An der Qualität kann es ja nicht liegen. Die vergessen nicht, mich nicht zu vergessen.
Karriere ist mir ein übles Ding. Nichts ist aus mir geworden, und wie es aussieht, wird aus mir auch nichts mehr werden. Der Zuspruch verblieb im Minimundus, er hat nichts von Status oder gar Renommee. Wer bin ich schon? Das vom Markt propagierte Ich ist ein Serienprodukt. Dieses Ich hat sich als Marke zu etablieren, sein Charakter ist Maske, persona. Aufgaben werden gestellt und Ziele gesteckt, Kompetenzbasis und Netzwerk inbegriffen. Nicht zu sich kommen sollen die Leute, sondern etwas werden, eine Laufbahn einschlagen. Dafür burnen sie – in and out! Die Gewordenen und die Ungewordenen treffen sich im Bekenntnis allgegenwärtigen Werdens der Ungewesenen.
Karriere ist etwas für Barbaren und Banausen. Je gestörter jemand ist, desto nötiger nicht nur das Verlangen, sondern desto größer auch die Chance die Karriereleiter raufzuklettern. Wenn man sonst nichts hat vom Leben, zu einer Karriere wird’s reichen. Ellbogen raus! Karriere ist eine Schuld, die man hat und deren Opfer man als Täter wird. Es ist da ein ständiges Defizit, das uns antreiben soll, man ist sich etwas schuldig. Und den anderen noch mehr. Ich hingegen schürfe tief und gebe viel. Nicht und nichts bin ich schuldig!
Karriere macht krank, weil sie krank ist. Die scheitern, scheitern, und die nicht scheitern, scheitern ebenso. Wer da gescheiterter ist, ist schwer zu sagen. Tatsächlich muss nur etwas werden, wer nichts ist. Nichtig das Subjekt, das solche Bestimmungen nötig hat. Wer meint, ein Karriereprofil haben zu müssen, ist entweder ein gefährlicher Irrer oder eine bedrängte Kreatur. Beide Typen tun nicht gut, weder sich noch anderen. Die Alternative, ob jemand ein scharfer Hund ist oder ein armer Hund, ist keine. Kein Hund zu sein, das wäre eine. Aber ich red mir’s da leicht, denn aus mir ist ja auch akkurat nichts geworden. Mit 50plus ist es sowieso schon zu spät. Was darf ich noch wollen?
Indes, ich will nicht! Wär ich was geworden, würde mir was abgehen. Umgekehrt freilich auch, denn als Kind dieser Tage ist man natürlich nicht frei vom Sog der Reputation und des Prestiges. Anders als die Ideologie es verheißt, ist niemand autonom. Praktisch auf der Höhe seiner Gedanken zu sein, das kann bei solchen Gedanken sich eins weder leisten noch ist eins dazu imstande. Wider die Zeit der zu sein, der man möchte, das würde einen glatt zerreißen.
IV.
Trotzdem war das Ich meist stärker als das Was. Dieses Ich will nicht gezwungen werden, zu etwas zu finden, was einem Job gleicht. Aber mitunter wünsche ich mir doch, abgesichert zu sein und eine Pension zu erhalten, die mehr zulässt als die drohende Armut. Das Nichts-werden-Wollen hat auch seine Tücken. Und stimmt es überhaupt, was ich da erzähle? Ist das nicht die Ausrede eines notorischen Versagers? Eine billige Notlüge? Ich kann das alles nicht so dezidiert ausschließen, wie ich es ausschließen möchte. Daher gilt es auch aufzupassen, dass die Bloßstellung nicht zur Schaustellung wird, also die Performance die Biederkeit überspielt.
Ich bin nicht so sicher, wie ich tue. So halte ich zwar einiges aus, aber diese Ignoranz mir gegenüber, die halte ich immer weniger aus. Arroganz hilft weiter, aber auch sie ist bloß Surrogat. Dem sozialisierten Kleinheitswahn meiner dörflichen Umgebung bin ich nur entkommen, sintemal ich mir eine Überdosis an Narzissmus verordnet habe. Das half mir, mich aus den beengenden Verhältnissen zu katapultieren. Die Freuden dabei waren größer als die Leiden davor. Nötig ist es allemal gewesen, aber die Wirkung lässt nach….
Und doch muss man sich spätestens mit fünfzig eingestehen: Das Leben läuft aus. War man ihm in jungen Jahren hinterhergelaufen, so läuft es einem nun auf einmal davon. Man könnte meinen, das eine sei wie das andere. Das stimmt auch, aber die Blickrichtung hat sich umgekehrt. Wenn der Neunzigjährige und die Elfjährige beide einundneunzig werden, dann qualifiziert sich diese formale Gleichheit in der konkreten Frist als fundamentale Diskrepanz. Leben wird im Alter vom Tod her gedacht, ja gesteuert. Noch nie war man ihm so nah wie jetzt. Und jeden Tag, jede Stunde kommt man ihm näher, gerät in seinen Sog. War einst der Tod eine ferne Bestimmung, so wird er nun zu einem absehbaren Ereignis, das von Minute zu Minute an Wahrscheinlichkeit gewinnt und uns fortreißen wird. Wir sitzen auf verlorenem Posten. Aber noch sitzen wir.
Immer waren da zu viele Aufgaben, zu viele Perspektiven, zu viele Ziele. Es gelang nicht, mich zu fixieren, was bedeutet hätte, mich zu beschränken. Ich jedoch wollte unbeschränkt und zerstreut sein, nie fleißig und borniert. Multiple Ladungen blieben liegen. Schubladen und Ordner sind voll. Fokussiert, wie das so schön heißt, war ich selten. Und wenn, dann folgte dies äußeren Umständen. Die Herausgabe der Streifzüge wäre hier zu nennen.
Ordnung war rar, Verzettelung stets. Ich werde diese nie loswerden, ich bin sie. Ich bin nie fertig geworden und ich werde nicht fertig werden. Fertig sein wollte ich nie. Unfertig ist alles, was ich da veranstalte. Der Provisorien sind viele. Die Latte liegt so hoch, dass Anforderungen als Überforderungen enden. Ich kann nur scheitern. Das tue ich. Aber es ist nicht kläglich oder gar schmählich und vor allem nie erbärmlich. Meist, ich gestehe es gerne, bin ich positiv überrascht. Mir geht es dabei, sofern es einem gut gehen kann, gut. Das Verlangen nach richtigem Leben im falschen ist unbändig.
Aber geht es mir wirklich gut? Es mag mir nicht besonders schlecht gehen, aber wie soll es einem im Kapitalismus gut gehen? Jede pauschale Bejahung dieser Frage ist mit Blindheit geschlagen. Reine Selbstbeteuerung, die die eigene Lage weder zur Kenntnis nehmen noch zur Kenntnis bringen will. Verdrängung pur. Die geflügelte Frage an sich ist wie die abgenötigte Antwort barbarischer Natur, geeignet bloß für den Small Talk. Den Leuten geht es nur gut, weil sie davon ausgehen, dass es ihnen gut zu gehen hat. So beantworten sie auch die notorische Kontrollfrage „Wie geht es dir?“ auf obligate Weise. Beiläufig wie ihre Antwort ist auch ihr Leben. Meine Liebste pflegt auf diese Frage meist folgende Gegenfrage zu stellen: „Wie viel Zeit hast du?“
Ich habe es mir manchmal gut gehen lassen, aber hätte es diese ständigen Vorgaben nicht gegeben, wären meine Möglichkeiten um vieles größer gewesen. Oft träume ich von meinen Varianzen. Ich wäre glücklicher gewesen und ich bin doch so gerne glücklich. So war auch mein Leben verstellt und ich musste mir die unverdorbenen Stücke mühsam rausreißen. Und dabei ist es mir noch besser gegangen als den meisten anderen Insassen des Systems. Es ist zum Kotzen. Das gute Leben ist jenseits davon. Manches ist gut gegangen, aber das meiste hat nur schlecht oder gerade mal so recht gehen können. Die bürgerliche Herrschaft hat mir so viel an Lebensentfaltung gestohlen, dass ich keine Sekunde einen versöhnlichen Gedanken verlieren will.
V.
Begabung hatte ich nie. Nichts war da vorhanden, vorgezeichnet oder vorgegeben. Dass meine Mittelschulaufsätze inzwischen vernichtet wurden, ist gut. Keinen Konjunktiv beherrschte ich mit zehn, ja nicht einmal mit zwanzig. Der stilistische Durchfall war allgegenwärtig. Mein Talent sucht man vergebens. Ich lag in einer leeren Wiege. Keine bildungsbürgerliche Beflissenheit beflügelte und befleckte mich. Nichts, aber gar nichts war dem Nachfahren von Analphabeten und Dienstmägden, Kleinhäuslern und Lohnsklaven da vorbestimmt. Die Jugend am Land war jenseits jeder literarischen Begleitung oder gar Anleitung. Fleiß ist es ebenfalls nicht gewesen und Training schon gar nicht. Ich trainiere nicht und Handwerker gibt es bessere. Aber es musste einfach sein, weil ich es wusste und wollte. Alles, was sich durch mich ausdrückt (bin ich das wirklich?), habe ich mir genommen und zugemutet. Mir blieb gar nicht anderes übrig. In die Fabrik wollte ich nicht.
Woher kommt es, dass ich mich so aufführe? Lust ist es allemal. Neben analytischer Schärfe und sprachlicher Präzision geht es mir stets auch um Trauer und Freude, um Wärme und Sehnsucht. Mein Schriftgut beherbergt eine melancholische Note. Glatt sollte das nie wirken, und das Kalkül ist mir anders als die Pointe sowieso fremd. Die Sprache sollte immer sinnlich gehalten werden, affektiv wie effektiv. Es gilt die Stereotype und Floskeln, die Phrasen und Vokabeln zum Gegenstand der Kritik zu machen. Sprache ist nur zu gebrauchen, wenn man ihr Brauchtum bricht, in concreto: das Vokabular des Werts entwertet. Das sehe ich als meine Aufgabe.
Es gibt Vorgaben, die bedeuten mir nichts. Leistung ist einer dieser normierten kommerziellen Leitbegriffe, an deren Lefzen wir zu hängen haben. Diese sind allerdings Zapfsäulen des Unsinns. Ich werde mich diesen Maßstäben nicht unterwerfen. Die Kriterien der Leistung sind Konkurrenz und Verwertung. Ich will nichts leisten. Und arbeiten schon gar nicht. Natürlich sollte einiges gelingen: Liebschaften und Freundschaften und Werke, die vielleicht Bestand haben, Schriften, die nicht reizlos sind, sondern ansprechend und anregend. Aber fällt das unter Leistung? Meine Schöpfungen sind in ihrer Substanz Kinder der produktiven Muße und der langen Weile.
Da war immer viel Alltag und regelmäßig musste ich auch was verdienen, ob ich, der Journalist wider Willen, wollte oder nicht. So erstickte Essenz in Konvention, verunglückte das Exquisite im Trott. Was zu kurz kommt, ja regelrecht untergeht, ist die Pflege von Freundschaften, der sozialen, primär zweckfreien, aber nicht zwecklosen Kontakte, die das Leben bereichern, gerade weil sie nicht gewerbsmäßig sind.
Monographien waren bisher nicht kreierbar. Derlei musste bereits an den äußeren Bedingungen scheitern. Zwischendurch geht so etwas nicht. Zwischendurch geht wenig. Zwischendurch herrscht der Zwischenfall, der mein Fall nun gar nicht ist. Nicht, dass es nicht möglich gewesen wäre, was runterzuschreiben, aber das bin ich nicht, das will ich nicht, und vielleicht bin ich auch psychisch dazu nicht imstande. Lohnschreiberei, Haushalt, Familie ließen nicht zu, längere Texte in der Qualität etwa meiner Veröffentlichungen in den Streifzügen zu verfassen. Der unbedrängten Zeit ist nicht genügend. Und geschludert wird nicht.
Meine besseren Beiträge haben in aller Ruhe zu gedeihen. Sie sollen abliegen, wachsen und reifen, bevor sie publiziert werden. Die Langsamkeit soll man ihnen anmerken. Das ist nicht immer möglich, vor allem der journalistische Rhythmus desavouiert dieses Anliegen. Selbstverständlich vermag ich Abgabetermine zu halten, zeichengenau. Aber viel besser stilisiere ich ohne Terminisierung. Die Frist in ihrer Notwendigkeit ist keine Potenz der Qualität. Groß ist daher die Sehnsucht nach Langeweile. Fad soll mir sein, einfach nur fad. Die lange Weile wäre geradezu prädestiniert für mich. Nur kein Kurzweiler sein! Mein Leben ist so auch die Suche nach den längeren Weilen. Das Kontinuum als Dauern und nicht als Fristen zu erleben, das ist es.
Denke ich. Schreiben, das ist für mich die Entdeckung und Entwicklung einer möglichen Sprachsamkeit. Sprachsamkeit ist Achtsamkeit. Es geht um Güte und Lust der Formulation. Das hat irgendwann begonnen und wird nicht aufhören, solange ich bei Sinnen bin. Gedanken und Gefühle artikulierbar zu gestalten, sie in Sätze und Absätze zu gießen, in Aufsätze und Kapitel zu pressen, in Fragmente und Bücher zu stecken. Aber niemand sage, ich sei „sprachgewaltig“. Das bin ich nicht und das will ich auch nicht sein. Güte lässt sich nicht in Gewaltigkeit messen. Meine Sorge gilt der Sensibilisierung, nicht der Überwältigung. Aus meinen Zeilen rinne ich. Und es wird noch tropfen, wenn ich schon nicht mehr bin.
VI.
Schreiben, kann ich das überhaupt? Ich denke nein. Und doch ist das furchtbar kokett, schaue ich mir die Ergebnisse an. Da ist Vitalität, zweifellos. Aber ich schreibe nicht leicht, es geht nicht flüssig von der Hand, sondern es entwickelt sich ganz anders, eruptiv und abrupt, zufällig und plötzlich. Ich arbeite nicht, ich schöpfe. Und erschöpfe. Ich liege meinen Schriften zu Füßen. Sie schaffen mich, nicht ich sie. Ich bin Medium, nicht Meister. Meister bin ich schier keiner, vielleicht ein Kenner und vielleicht auch noch ein Könner. Aber Meister, nein!
Ansonsten hält mich mein Niveau. Meine Schriften sind klüger als ich. Ich wundere mich oft beim Lesen, weiß zwar, dass nur ich das gewesen sein kann, will aber nicht behaupten, dass ich das bin. Die jeweilige Erkenntnis manifestiert sich nur spontan, sie tupft mich zwar an, aber sie saugt sich nicht merkbar fest. Was in mich drängt, kann nicht immer aus mir dringen. Ein Ringen ist es und ein Wringen, Konzentrat äußerster Anstrengung, und es gilt jeden Moment zu nutzen, auf dass der Augenblick der Erleuchtung nicht verfliegt. Furchtbar, wenn mir etwas einfällt und kein Notizbuch in meiner Nähe ist.
Was geschrieben wurde, drängt sich zwar auf, es liegt (für mich) in der Luft, offenbart sich – aber so, wie es gesagt wird, kann es bloß von mir gesagt werden. Es ist ein enthemmtes, aber doch kein hemmungsloses Staunen und Wähnen, das da prosperiert. Ein unermüdlicher Versuch ständiger Befreiung des Lebens durch Sprache und Denken. Wenn ich schreibe, komme ich nicht nur zu mir, sondern ich gerate aus mir, weit über mich hinaus. Wenn ich denke, denkt sich das Gedachte über mich hinweg. Es benutzt mich, und ich bin bereit es zu fassen, wenn ich es fassen kann. Denn nicht alles, was mich ergreift, begreife ich auch, zumindest nicht sofort und nicht auf Dauer. Es ist ein tangentiales Berühren, das auf ein Bemühen meinerseits trifft, wenn sie sich denn treffen.
Der Gedanke kann einen jederzeit und allerorts überfallen, und jederzeit und allerorts hat man parat zu sein, ihn zu fassen. Meistens bleibt er nur Momente hängen, und da muss man Stift und Papier haben, um ihn festzuhalten, damit er ja nicht enteilt. Auch im Schlaf kann ein Satz einen wecken und zu seiner Niederkunft zwingen. I’m ready. Denken, wie ich es verstehe, ist Denken wider die eigene Synthetisierung.
Oft beschleicht mich das Gefühl, dass ich nicht immer Kenntnis von meinen Erkenntnissen habe. Ich fürchte, dass ich ihnen hinterherhinke. Ich schöpfe, aber ob aus mir oder aus der Welt, wer kann das wissen und wer vermag das zu scheiden. Ich kreiere, aber ich verfüge nicht und ich besitze nicht. Ich bin nicht auf meiner Höhe. Mit mir auf Augenhöhe zu sein scheint mir unmöglich. Und während ich noch diesen Gedanken niederschreibe, erfüllt mich diese Arroganz doch mit Antipathie. Aber nur andererseits. Denn keine Sekunde kann ich jene wirklich verneinen. Ich bin das schon. Ich mag nicht bloß meine Texte, ich liebe mich, und ich liebe es, mich zu lieben. Usw., usf.
VII.
So weiß ich auch nie, was wird. Häufig bin ich entzückt. Gelegentlich freue ich mich über neue Sprachsequenzen, um später draufzukommen, dass ich nichts anderes tat, als alte zu plagiieren. Egal was ich schrieb, es blieb Plagiat. Mein Plagiat! Konzepte im eigentlichen Sinne hatte ich nie. Aufbau und Gliederung, Form und Inhalt, alles entscheidet sich im Schreibprozess. Erst am Ende kann ich sagen, was ich vorgehabt habe.
Es denkt mich, es schreibt mich, und ich sitze nicht selten überrascht vor den Niederkünften. Nicht, dass ich mich darin nicht wiederfinde, aber eigentlich sind sie mir zu groß. Ich will mir diese Stiefel nicht anziehen, ich passe da nicht hinein. So flüchte ich allzu oft von einem verlegenen Ich in den Pluralis Majestatis. Der ist mehr Unsicherheit als Angeberei. Denn das kann doch nicht ich sein, das sind sicher wir, ich bin da nicht alleine, so einsam ich auch sein mag. Im imaginären Kollektiv fühle ich mich gut aufgehoben (und nichts macht mich unbescheidener, als wenn ich eine wirksame Gruppe um mich herum spüre). Jenes deckt mich und ich kann sie ausspielen: die Eminenz, die in den Ergebnissen liegt, die liegt nicht in mir, sie liegt in uns. Da fühle ich mich gerettet. Ich liebe das und stehle mich gerne fort.
Nicht ich schreibe, es schreibt sich. Gleich Hegel empfinde ich mich dann als Knecht des Weltgeists, bin lediglich des Werkes Werkzeug, ein Instrument, das das Material sichtet und ordnet, findet und erfindet, streicht und streichelt, kombiniert und komponiert. Es wäre verwegen, mich mit dem Resultat zu vergleichen, aber ich nehme diese Anmaßung auch gleich wieder in mein Geheimnis zurück.
Sorge macht der öffentliche Auftritt. So gelingt es mir einerseits nicht, mich auf meinem Niveau zu entfalten, andererseits aber auch nicht – was in der freien Rede stets wichtig ist –, mich blöder zu stellen, als ich bin. Manche, die sich nicht dümmer stellen müssen, haben es da leichter. Für mich macht das die Sache doppelt schwierig, aber es bestärkt eine Unlust, die ich weder haben noch kultivieren will. Ich bin schreibhaft, aber sprachlos geworden. So kommt es des Öfteren vor, dass ich beim Sprechen über das nachdenke, was ich gerade sage. Das ist furchtbar, denn in solchen Momenten beginne ich zu stolpern, zu stottern, zu stammeln. Ich verhasple mich. Drohe dann einzugehen, zu verstummen. Manchmal rede ich wirres Zeug, werde gar zum syntaktischen Armutschkerl.
Was beim Schreiben kein Problem darstellt – im Gegenteil, es beflügelt mich immens, ganz langsam zu kommen, um dabei aus mir zu geraten, führt beim Sprechen unregelmäßig ins Fiasko. Während im Schreiben so Sicherheit gewonnen wird, muss sie beim Sprechen a priori da sein. Wie aber kann eins heute noch sicher sein? Würde ich so reden, wie ich schreibe, es gliche dem Gestammel eines Irren.
Beim Reden sinke ich bisweilen in mich ein, anstatt dass es aus mir herauskommt. Es ist eine Form, wo das unmittelbar Gesagte gilt, nicht die sorgfältige Korrektur erst das Ergebnis zeitigt, sondern bereits der sprachliche Augenblick. Das verunsichert, schließlich veröffentliche ich ja auch nicht meine ersten Würfe. Während mich das Schreiben größer macht, als ich bin, verkleinert mich das Reden. Die Unsicherheit des Formulierens ist dem Schriftstück, wenn es denn gelungen ist, kaum mehr entnehmbar. Das Werden verschwindet vollends im Resultat, während dem Sprechen die Unsicherheit direkt anzuhören ist. Das Schreiben und das Geschriebene sind nicht eins, das Sprechen und das Gesprochene schon.
VIII.
Man hat mich geschnitten und gemieden, ausgestoßen, verachtet und verboten, bei diversen Forschungsvorhaben nicht berücksichtigt, vertröstet oder einfach den Geldhahn zugedreht. Diskret oder derb, auf jeden Fall effektiv. Der Friedhof solcher Projekte ist zwar überschaubar, aber er wäre größer, hätte ich mich aus diesem Förderdschungel nicht längst verabschiedet. Heimisch war ich dort sowieso nie, höchstens heimlich. Der Demütigung öffentlicher Vergaben und ihren zur Immanenz verpflichtenden Implikationen will ich mich nicht unbedingt aussetzen. Ansuchen haben was Ekelhaftes, man wird zur Nutte einer Kultur- oder Wissenschaftsbürokratie und verliert gerade durch diese Art der Attraktivierung jede Attraktivität.
Allein mich von bekannten oder unbekannten Exponenten evaluieren zu lassen, ist absolut störend. Da mögen zwar einige von mir halten, was ich von ihnen halte, indes sie haben anders als ich keinen Grund dazu, sondern nur einen Vorwand. Die Struktur mag diese Subjekte begründen und legitimieren, aber das entlässt sie aus keiner Verantwortung. Derzeit läuft zwecks möglicher Reduzierung meiner Sozialversicherungsbeiträge eine Begutachtung, ob ich denn als kreativer Schreiber durchgehen kann. Bin schon gespannt, wie das KreationsbeurteilungsadministratorInnengremium urteilt.
Keine bürgerliche Gemeinheit, deren Opfer ich nicht habe sein sollen. Und es sage niemand, ich sei wehleidig, das ist nur ein Vorwurf von jenen, die sich und anderen jedes Spüren verbieten wollen. Ich klage nicht nur, ich klage an! Insofern sind alle meine Beiträge Klagsschriften, die ich da zur Kenntnis bringe, auf dass sie Erkenntnisse fördern. Auf dass es gesagt ist, schreibe ich es. Ganz einfach. Man hat mich nie aufkommen lassen, aber man hat mich auch nie abdrehen können. Noch spreche ich.
Nachlässigkeit und Flüchtigkeit haben sich in diesem Schreiben in Grenzen zu halten. Das Gesagte soll Aussage sein und nicht bloß Gerede über dieses und jenes. Es gilt Kontexte herzustellen, nicht bloß Texte zu verfassen. Der Anspruch zielt auf These, Begriff und vor allem auch auf sinnliche Übereinkunft. Es ist mehr als Erzählung, mehr als Bericht, mehr als Beobachtung. Es ist multiple Reflexion, deren Resultate inhaltlich wie sprachlich höchsten Ansprüchen genügen wollen. Sequenzen und Konsequenzen sollen begriffen werden.Verständlich hat es auch zu sein, lustvoll und kulinarisch noch dazu. Es soll Freude machen und Freundschaft stiften. Die Dichte soll hoch sein, und doch soll eins in ihr nicht ersticken, sondern sie genießen, auch wenn der Genuss Anspannung erfordert.
Was ich beitragen kann, das will ich beitragen, was ich schöpfen kann, das soll man ruhig abschöpfen. Es ist für euch. Dass ich mich als Verkäufer verdingen und auch euch als Käufer in Kauf (schon wieder diese infektiösen Unwörter der Barbarei, die sich in meine Sprache schleichen und sie zum obligaten Abfall degradieren möchten) nehmen muss, ist beschämend und beängstigend genug. Es ist eine Schande und das sagt der, dessen Name sagt, dass er Schande macht. Ja, ich will! Zu dem bin ich auf der Welt, diesem System Schande zu machen, unentwegt, Schande bis zum letzten Atemzug. So wahr ich Franz Schandl heiße. Mein äußerst banaler Name ist Botschaft. Das werde ich zwar nicht durchhalten und auch nicht aushalten, aber halten möchte ich es so.
Trotz all der kompromittierenden Kompromisse ist mir der Weg des Renegaten erspart geblieben. Dafür danke ich auch allen, die das mental und strukturell ermöglichten. Es ist nämlich auch eine Position des äußersten Luxus, eines Luxus, den ich mir eigentlich nicht leisten kann, ohne den ich aber verloren bin. Ich gehöre also zu jenen, die sich nicht mit der Herrschaft gemeinmachen wollen, sondern Herrschaft und Unterdrückung abschaffen möchten. In diesem kindlichen Eifer manifestiert sich meine Ernsthaftigkeit. Mit Verve. Daran werde ich voraussichtlich scheitern, doch die, die sich gemeinmachen, die sind bereits gescheitert. Oder besser noch: sie schaffen es nicht einmal, scheitern zu dürfen.
Ich verstecke mich nicht. Die Sachen sind auffindbar und bestellbar. Zugänge sind auch ohne Mentoren und Wegweiser gegeben. Wenn eins will, gibt es viel zu entdecken. Natürlich kann man auf den Bahnhofskiosken die aktuellen Bestseller kaufen, man kann ja auch die obligaten Magazine und Sendungen konsumieren. Aber muss man? Der Zwang mag mächtig sein, allmächtig ist er nicht. Und er beginnt zu bröckeln, sobald das Subjekt sich individuiert und Nein sagt. Dieses Nein verlange ich nicht nur von mir.
Mein negatives Denken korrespondiert mit meinem positiven Wollen. Das ist kein Widerspruch, sondern eine Entsprechung. Das größte Vermögen besteht darin, andere zu mögen und von ihnen gemocht zu werden. Mein Vermögen soll jedenfalls Präsent sein. Und auch mir soll es an nichts fehlen. Mehr verlange ich nicht.